142425.fb2 Ang?lique, die Rebellin - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 27

Ang?lique, die Rebellin - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 27

»Wo ist Florimond?«

»Ich weiß es nicht. Auch den jungen Nathanaël hat man in Cambourg nicht gefunden.«

Von neuem in ihre Betäubung zurückfallend, schien sie ihn nicht zu hören. Sie sah den lachenden Florimond und Charles-Henri vor sich, während sie Gontran zu seinem Bild Modell standen.

»Kleiner Cherub mit dem Engelslächeln - Ihr seid allerliebst.

Kleines Wichtelmännchen voller Bosheit - Ihr seid allerliebst.«

»Die arme Dame wird närrisch«, flüsterte eine der Frauen, die sich in ihrer Nähe aufhielten.

»Nein, sie betet. Sie sagt die Litaneien auf.«

»Was ist das für ein Lärm dort im Park?« fragte Angélique, aus ihrer Versunkenheit erwachend.

»Es sind die Schaufeln der Totengräber, Madame. Man bestattet die Leichen.«

»Ich will hinüber.«

Sie erhob sich mühsam. Der Abbé de Lesdiguière stützte sie. Am Rande des Waldes, nahe dem Gitter, hatte man mehrere Gräber ausgehoben und die Leichen hineingebettet. Im Grase lagen nur noch der Koch Lin Poiroux und seine Frau Aurélie, die man sich wegen ihres Leibesumfanges bis zum Schluß aufgespart hatte.

»Wir haben den kleinen Herrn dort drüben beerdigt«, murmelte einer der Bauern, auf einen abseits liegenden Mooshügel deutend. Das Grab war bereits mit Feldblumen bedeckt.

Der Mann fuhr gedämpft fort, als bedürfe ihre Eile angesichts des erstarrten Gesichtsausdrucks Angéliques einer Entschuldigung:

»Wir haben es schnell ein wenig geschmückt. Später wird man ihn mit allen Ehren in die Kapelle von Plessis überführen. Aber die Kapelle ist verbrannt .«

»Hört zu«, sagte Angélique. »Hört mich an .«

Ihre erloschene Stimme festigte sich plötzlich und erhob sich nach und nach zu leidenschaftlichem Klang:

»Hört mich an, Bauern!« rief sie. »Hört ... Die Soldaten haben den letzten der Plessis-Bellière getötet ... den Erben des Besitzes. Das Geschlecht ist tot ... ist verloren! Sie haben ihn getötet. Sie haben euern Herrn getötet. Ihr habt keinen Herrn mehr ... Es ist zu Ende ... zu Ende für immer ... Es gibt keine Herren von Plessis mehr ... Die Linie ist erloschen!«

Die Bauern stießen einen klagenden, schmerzlichen Schrei aus, und das Schluchzen der Frauen verdoppelte sich.

»Es waren die Soldaten des Königs, die dieses Verbrechen begingen. Die Armee, die bezahlt wird, um die Leute der Provinzen zu mißhandeln und ihre Ernten zu verwüsten ... Nichtsnutzige Diebe, die nur aufhängen und entehren können . Fremde, die unser Brot essen und unsere Kinder töten ... Werdet ihr ihre Verbrechen ungestraft lassen? ... Wir haben sie satt, diese Briganten, denen wir im Namen des Königs auf Gnade und Ungnade ausgeliefert sind. Der König selbst würde sie hängen lassen. Wir aber . wir werden es für ihn übernehmen . Bauern, ihr werdet sie nicht aus dem Lande entwischen lassen, nicht wahr? Ihr müßt zu euren Waffen greifen und euch auf die Suche nach ihnen machen ... und euren kleinen Herrn rächen .«

Während des ganzen Tages verfolgten sie die Dragoner Montadours. Die Spuren, die die Truppe auf ihrem Wege zurückließ, waren leicht zu bemerken, und gegen Abend erfüllte sie eine Art bitterer Freude, als sie erkannten, daß die Banditen den Fluß nicht hatten überqueren können und sich erneut ins Innere der Provinz wandten. Ahnten sie, daß sie verfolgt wurden? Zweifellos nicht. Aber sie waren auf verödete Dörfer gestoßen, und dieses schweigsam gewordene, vom Mysterium seiner Bäume eingehüllte Land begann sie zu bedrücken.

Die Nacht kam, dann der Mond. Auf der Sohle der Hohlwege zogen die Bauern dahin. Sie waren nicht müde. Ihr Instinkt sagte ihnen, daß das Ende der Jagd nahe sei. Der dichte Teppich roter Blätter erstickte das Geräusch ihrer groben Holzschuhe, und die schwerfälligen Männer bewegten sich auf eine geschmeidige, umsichtige Art, die ihre Wilddiebsvergangenheit verriet.

Angélique war die erste, die die Kinnketten der weidenden Pferde klirren hörte.

Sie gab das Zeichen zum Halten und spähte, sich auf den oberen Rand der Böschung schwingend, zwischen den entlaubten Zweigen hindurch. Auf einem vom Mondlicht erhellten freien Platz, einem sanft geneigten Feld, schliefen die aneinandergedrängten Dragoner, von der Orgie der vergangenen Nacht und einem beunruhigenden, ziellosen Marsch erschöpft. Ein Posten döste neben den Glutresten eines Feuers, von dem ein dünner Rauchfaden träge zum sternen-bedeckten Himmel aufstieg.

Martin Genêt, einer der Pächter, der die Führung der Bauern übernommen hatte, erfaßte die Situation sofort.

Geflüsterte Befehle gingen von Mund zu Mund, und ein Teil der Leute entfernte sich, ohne daß mehr als ein leises Rascheln der Blätter ihre Bewegung verraten hätte.

Bald darauf erhob sich von der Talseite her der zitternde Schrei des Käuzchens, dem ein zweiter antwortete.

Der Posten rührte sich ängstlich, lauschte und versank wieder in seine Träumereien.

Von den vier Ecken des Feldes glitten lautlos schnelle Schatten heran. Kein Schrei zerriß die Stille, nur hier und da war das dumpfe Grunzen von Männern zu hören, die erwachten und von neuem in Schlaf versanken.

Am folgenden Tag erreichte Leutnant Gormat, der die Verbindung zu Montadour herstellen wollte, mit einer Abteilung von sechzig Männern die Region. Er suchte die Dragoner. Er fand sie inmitten eines Feldes mit durchgeschnittenen Kehlen, noch in der Haltung Schlafender, Die Tat war mit Sensen und Winzermessern begangen worden. Montadour war nur an seinem Wanst zu erkennen. Sein Kopf war verschwunden.

Der Ort wurde später das Feld der Dragoner genannt. Niemals wuchs dort etwas anderes als Quek-ken und Dornen .

So begann der große Aufstand des Poitou.

Vergeblich mißbilligte der König das Verhalten Monsieur de Marillacs und ersetzte ihn als Gouverneur der Provinz durch Baville.

Der von dem alten Intendanten Molines überbrachte Fürsprachebrief - der König hatte Molines sofort selbst empfangen, als er in Versailles erschienen war - kam zu spät.

Während Seine Majestät noch Louvois, den scheinheiligen, verdrießlichen Komplizen Marillacs, zu sich rufen ließ, um sich von ihm über die genaue Lage informieren zu lassen und Anordnungen zu treffen, explodierte bereits das Poitou.

Aus der Ferne war nicht zu erkennen, daß die Tat, die diesen jähen Ausbruch auslöste, die schmutzige Ermordung eines kleinen Jungen mit goldenen Locken gewesen war. Die Situation verwirrte sich alsbald, und lange Zeit schrieb man die Zerstörung des Schlosses Plessis und das Verschwinden der Marquise und ihrer Söhne den Raubzügen der Protestanten zu. Es wäre ein leichtes gewesen, beides auf das Konto der Ketzer zu setzen. Doch die ersten Truppen, die in die Gâtine einzudringen versuchten, stießen zu ihrer Verblüffung auf Katholiken, kommandiert von einem Gordon de la Grange, Angehörigen einer alten Familie, die das Schicksal aller auf ihren Gütern lebenden Geschlechter teilte, bei Hofe schlecht angeschrieben zu sein.

Indessen nahm im Süden des Sumpfgebietes der Hugenotte Samuel de La Morinière seine Offensive von neuem auf.

Die königlichen Regimenter zogen sich auf eine von Loudun über Parthenay nach Niort führende Linie zurück, während der Winter mit seinen mal-venfarbenen Nebeln über die kahlen Wälder hereinbrach und ein erbitterter Kleinkrieg begann, grausam durch seine ungezügelte Brutalität, seine geheimnisumwitterte Verschwiegenheit, durch den eigensinnigen Charakter derer, die es zu befrieden galt. Sie waren wie Schatten. Mit wem sollte man verhandeln in diesem von Einwohnern wimmelnden Land, die man niemals sah, in diesem in sich verschlossenen Gebiet, das einer Wüste glich? Warum dieser unvermutet ausbrechende Groll? Auf wen hatten sie es abgesehen? Auf den König, die Truppen, die Steuereinnehmer? ... Warum schlugen sie sich? Für religiöse Fragen, für Angelegenheiten der Provinz, aus Lokalpatriotismus? Welche Ziele wollten diese erdigen Maulwürfe, diese ungehobelten, plötzlich wild gewordenen Junker erreichen?

Im Rat des Königs fand man es angemessen, die Arme gen Himmel zu heben und sich in den verschiedenartigsten Vermutungen zu ergehen. Im Grunde hatte niemand laut zu sagen gewagt, was man wußte, was man spürte. Niemand wäre bereit gewesen, sich einzugestehen, daß dieser Schrei, dieses dumpfe Knurren des gejagten Wildes, das verletzt in der Tiefe seines Waldes erwacht und sich entschließt, bis zum Tod zu kämpfen, das letzte Aufbäumen eines Volkes war, das sich gegen seine Versklavung wehrt.

Der Winter begann für das Poitou mit Not und Hunger. Das Bekehrungsunternehmen Monsieur de Marillacs hatte infolge der leichtfertigen Vernichtung der protestantischen Ernten eine schon durch erdrük-kende Steuern und ein vorhergegangenes schlechtes Jahr gefährlich aus dem Gleichgewicht geratene Lage in eine allgemeine Katastrophe verwandelt. Während Montadour im Umkreis protestantischer Kirchen das Getreide in Brand steckte, waren die Steuerbeamten dort, wo sich katholische Glockentürme erhoben, so weit gegangen, Häuser abreißen zu lassen, um ihr Gebälk verkaufen zu können. Um sich der Abgaben zu versichern, hatten sie Betten, Kleidungsstücke, die zur Arbeit benötigten Tiere, ja selbst die Brote beschlagnahmt, jene runden, duftenden, auf Brettergestellen für die sechs Wintermonate gestapelten Laibe. Was bedeutete schon der Ruin eines Menschen! Waren es mehrere, bedeutete es ein verlassenes Dorf, Elende auf den Straßen, wenn der Herbst kam, abgezehrte Gestalten, die sich an denen schadlos halten wollten, die sich an ihnen schadlos gehalten hatten.

Provianttransporte, die für die Armee nach Nantes abgingen, wurden unterwegs von den Bauern geplündert.

Nachdem man bei klarem Himmel und warmer Sonne vom Sommer alles hatte erwarten können, war durch die Unruhen die letzte Hoffnung vernichtet worden, und der Hunger war da.

Erst allmählich erfuhr man von der Rolle, die eine Frau in diesem jähen Aufflammen des Hasses spielte und wie es ihr geglückt war, Protestanten und Katholiken, die Adligen, die Bauern und die Bürger der kleinen Städte mit einem gemeinsamen Ziel um sich zu sammeln.

Bei Hofe lächelten nicht wenige über die Legende von dieser Frau.

Andere glaubten daran. Die Zeit der schönen Aufrührerinnen war nicht fern, und niemand in Frankreich hatte vergessen, daß es einstmals ein Weib Jehane gegeben hatte, das, aus ihrem Heimatwinkel aufgebrochen, ihren Reitern im Kampf vorangeritten war. Die jetzige war keine Bäuerin, denn der Adel hörte auf sie. Nach und nach versammelten die obskuren Krautjunker mit den glänzenden Namen, über die man sich in Versailles lustig machte, weil sie ärmer als Bettler waren, ihre Lehnsleute um sich, um sie auf eine an ein Wunder grenzende Weise zu bewaffnen.

Alle nur denkbaren Wehrzeuge tauchten auf, der Waffensammlung über dem Kamin entnommen: Musketen, Lanzen und Hellebarden, alte Armbrüste, »lansquenettes«, kurze, beidseitig geschliffene Schwerter, Erinnerungen an die deutschen Landsknechte der Religionskriege, die, bärtig, mit Federn geschmückt und in allerlei Flitterzeug gekleidet, der Schrecken der Bevölkerung gewesen waren. Ihr kriegerischer Geist ging nun in diejenigen ein, die ihre nach den Schlachten auf den Feldern aufgelesenen Schwerter trugen. Sogar Pfeil und Bogen der Wilddiebe tauchten auf, furchtbare Waffen, wenn die, die sie handhabten, unsichtbar in der dichten Krone einer Eiche über einem Hohlweg lauerten. Die Soldaten des Königs begannen sehr bald den Brustpanzern von ehedem nachzutrauern.

Man erzählte sich auch, daß diese Frau schön und jung sei, woher ihre Macht über die Anführer des Krieges rühre. Man sehe sie nur zu Pferd, als Amazone, in einen dunklen Mantel gehüllt, dessen weite Kapuze ihr blondes Haar verberge.

Angélique besuchte alle Schlösser, alle Herrensitze des Landes. Die stolzen auf den Hügeln hinter ihren mit fauligem Wasser gefüllten Gräben und die zur Verteidigung der Übergänge an den Flußläufen errichteten. Hohe Wehrtürme, die nichts mehr verteidigten und in deren Schatten sie vor Kälte erstarrte Familien an dürftigen Kaminfeuern fand. Für Festlichkeiten geschaffene Renaissanceschlösser, in denen Fluchten riesiger Salons ihrem Zerfall entgegen träumten. Nur noch Mäuse durchhuschten sie. Es war zu kalt in ihnen. Die Schloßherren waren zu arm. Oder einer ihrer Söhne war Höfling in Versailles und vergeudete das Erbe. Burgen aus mächtigen Quadern, behaglicher in ihrer bürgerlichen Einfachheit, in denen man beschieden lebte, verzehrt von Ehrgeiz, ohne es jemals weiterzubringen.

Angélique fiel es nicht schwer, die Worte zu finden, die diese Leute verstanden. Sie rief ihnen ihre Namen ins Gedächtnis zurück, den Ruhm ihrer Vorfahren und ihre gegenwärtige Erniedrigung.