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Die Seelilien mit ihrem Duft nach Wachs und Honig erblühten von neuem. Die Libellen begannen die Wasserflächen mit ihrem zarten Flug zu furchen, bevor sie sich, um sich auszuruhen, auf Vergißmeinnicht-und Minzebüscheln niederließen. In den Teichen tummelten sich wilde Enten, Wiedehopfe, dicke aschfarbene Gänse, scheue Reiher. Hinter dem Vorhang der Zweige sah man lautlose Barken vorüberziehen. Gleich dem Forst ist der Sumpf eine Landschaft, die hinter scheinbarer Verlassenheit ein vielfältiges, wimmelndes Leben verbirgt. Die Hüttenbewohner, Abkömmlinge der Colliberts, bildeten unter sich eine volkreiche, unabhängige Republik. »In den Sümpfen gibt es böse Leute, die weder dem König noch dem Bischof Steuern zahlen«, hatte einstmals die Amme erzählt .
Man war erst im März, aber das Wetter gab sich ungewöhnlich milde.
»Der Winter wird nicht allzu grausam gewesen sein«, sagte Angélique eines Abends zu Meister Valentin. »Es sieht so aus, als seien die guten Geister mit uns. Ich werde bald das Moor verlassen müssen.«
Der Müller stellte eine Kanne dampfenden Rotweins und Gläser auf den Tisch. Die Mahlzeit war beendet. Der Abbé de Lesdiguière hatte sich auf dem Heu im Schober schlafen gelegt. Es war die Stunde, in der Angélique und Valentin vor dem Kamin warmen, mit Kräutern und Zimt gewürzten Wein zu trinken pflegten. Valentin schob ihr ein Glas zu und ließ sich auf einem Schemel nieder, um schlürfend einen Schluck von dem Gebräu zu trinken. Sie betrachtete ihn, als sähe sie ihn zum erstenmal, und wunderte sich über seinen mächtigen, gebeugten Rücken unter dem bis zu den Knien reichenden Rock aus grauem Tuch und über die schweren, mit Metallspangen verzierten Schuhe. Nicht Bürger, aber auch nicht Bauer. Meister Valentin, der Müller aus der Mühle der Ukeleie. Ein Unbekannter, der immer um sie gewesen war.
Er beobachtete sie über den Rand seines Glases. Die Farbe seiner Augen war grau.
»Du wirst fortgehen?«
Er sprach Patois, und sie antwortete ihm in derselben Mundart.
»Ja, ich muß wissen, wie es mit unseren Leuten steht. Mit dem Frühling wird auch der Krieg kommen.«
Er leerte das Glas auf einen Zug, danach ein zweites.
Er atmete heftig.
Dann stellte er das Glas auf den Tisch, trat mit hängenden Armen zu Angélique und sah ohne ein Wort auf sie hinunter.
Durch seinen Blick gereizt, reichte sie ihm den Becher, den sie geleert hatte.
»Tu ihn fort.«
Er gehorchte und heftete von neuem seinen Blick auf sie. Sein Gesicht war pockennarbig und gerötet, und hinter den halb geöffneten Lippen nahm sie seine gelblichen, schlechten Zähne wahr.
Ihr einsames Beieinander, das ihr bisher gleichgültig gewesen war, begann sie zu bedrücken. Nervös umklammerte sie die Armlehnen des Lehnstuhls, in dem sie saß.
»Ich gehe schlafen«, murmelte sie.
Er tat einen Schritt auf sie zu.
»Ich habe ganz frische Farne aufgelegt, frisch im Unterholz gepflückt, damit das Bett weicher ist.«
Er beugte sich zu ihr, nahm ihre Hand in die seine und sah sie flehend an.
»Komm mit mir auf die Farne.«
Angélique zog ihre Hand zurück, als habe er sie verbrannt.
»Was fällt dir ein? Bist du verrückt?«
Sie richtete sich auf und musterte ihn angstvoll. Der Abscheu, den er ihr einflößte - den jeder Mann ihr jetzt einflößte -, hinderte sie, sich zu verteidigen, wie sie es hätte tun müssen. Das Herz schlug ihr bis in den Hals hinauf. Wenn er sie berührte, würde sie ohnmächtig werden wie in den Armen des Herzogs de La Morinière. Sie erblaßte bei der Vorstellung des entsetzlichen Krampfes, der sie damals befallen hatte, während die Erinnerung an die Nacht von Plessis sich wieder vor ihr auftat und sie mit Schrecken erfüllte. In den Augen des Müllers glomm ein Licht auf, das sie in Furcht versetzte. Ungewiß und flackernd.
»Faß mich nicht an, Valentin!«
Er beherrschte sie mit seiner wuchtigen, ein wenig vornübergeneigten Gestalt, während er mit hängender Lippe und jener törichten, stumpfen Miene vor ihr stand, die sie von früher her kannte und die sie immer zum Lachen gebracht hatte.
»Warum nicht ich?« sagte er mühsam. »Ich, der ich dich liebe ... dessen ganzes Leben von der Liebe gestohlen wurde, die du mir ins Herz gepfählt hast. Ich habe lange genug auf diese Stunde gewartet ... ich dachte, es wäre unmöglich, aber jetzt weiß ich, daß du mir gehören wirst .«
Wie Nicolas! dachte sie verwirrt. Wie Nicolas! ...
»Ich schau’ dich an, seitdem du da bist. Ich sehe dich rund werden wie ein schönes, fruchtbares Mutterschaf. Und das Glück hat mir das Herz gesprengt, weil ich begriff, daß du keine Fee bist ... daß ich dich streicheln könnte, ohne daß du mich behext.«
Sie hörte seine Stimme, ohne den Sinn der zögernden, immer wieder stockenden Worte zu verstehen, die er in seiner rauhen und trotzdem sanft klingenden Mundart murmelte.
»Komm, Liebste, Schöne ... komm auf die Farne.«
Er näherte sich ihr und zog sie an sich, zärtlich ihre Schulter streichelnd.
Es gelang ihr, ihre Schwächeanwandlung zurückzudrängen. Mit geballten Fäusten schlug sie ihm ins Gesicht, so hart sie nur konnte.
»Laß mich, Bauernlümmel!«
Valentin erbebte und wich vor der Beschimpfung zurück. Er wurde wieder zum Müller der Ukeleie, dessen grobes und jähzorniges Wesen die Gegend fürchtete.
»Wie damals«, knurrte er, »wie damals in der Scheune während der Brautnacht. Du hast dich nicht verändert, aber was tut’s. Heute abend fürcht’ ich mich nicht, du bist keine Fee. Du wirst mir’s bezahlen. In dieser Nacht gehörst du mir.«
Er sagte die letzten Worte in einem Ton schrecklicher Entschlossenheit. Dann wandte er sich um, trat mit schwerem Schritt zum Tisch und füllte sein Glas.
»Ich habe Zeit, aber denke dran, daß man Meister Valentin nicht ungestraft beleidigt. Du hast mir das Herz ausgesogen, du wirst mir’s bezahlen.«
Sie dachte, daß sie versuchen müsse, den Wütenden ein wenig zu besänftigen.
»Versteh mich, Valentin«, sagte sie mit gebrochener Stimme, »ich verachte dich nicht. Aber wärst du der König selbst, würde ich dich zurückstoßen. Ich kann’s nicht ertragen, daß ein Mann mich berührt. Es ist nun einmal so. Es ist wie eine Krankheit. Du mußt mich verstehen .«
Valentin hörte ihr aufmerksam zu, ein böses Funkeln in den Augen. Dann fuhr er sich mit dem Handrücken über die weinfeuchten Lippen.
»Das ist nicht wahr. Du lügst. Es gibt genug andere, in deren Armen du dich lachend wälzt. Schließlich hat dich ja der berühren müssen, dem du dein Junges im Bauch verdankst.«
Der Ausdruck stammte aus dem Südwesten, aber man benutzte ihn zuweilen auch im Norden. Angélique kannte ihn. Ein Junges! Ein Kind! ...
»Was für ein Junges?« fragte sie, so offensichtlich verständnislos, daß er aus der Fassung geriet.
»Zum Teufel! Das, das du trägst! Auf die Weise hab’ ich’s doch begriffen, daß du keine Fee bist. Die Feen, sagt man, könnten keine Kinder von Menschen haben. Ein Zauberer hat’s mir erzählt. Die echten Feen haben keine Kinder.«
»Was für ein Kind?« rief sie mit schriller, überschnappender Stimme.
Der Abgrund tat sich auf. Er gähnte vor ihr. Die Drohung erhob sich aus dem Umkreis des Unbewußten, blähte sich auf, bemächtigte sich ihrer, während sie in dem Schwindelgefühl, das sie so oft für ein vorübergehendes Unwohlsein gehalten hatte, die ersten Lebensäußerungen eines Wesens erkannte, das sich in ihr rührte.
»Du kannst nicht behaupten, daß du es nicht wußtest«, erklärte die ferne, wie durch Watte gedämpfte Stimme des Müllers. »Seit fünf oder sechs Monaten trägst du es schon.«
Fünf oder sechs Monate! ... Aber es war ja unmöglich. Seit Colin Paturel hatte sie keinen Mann geliebt, hatte sie sich keinem gegeben ...
Fünf oder sechs Monate! ... Der Herbst! ... Die rote Nacht von Plessis, Musketenschüsse, Blut, Brand, das Schluchzen verstörter Kinder, das Kreischen der Frauen, das unerträgliche Bild der widerlich entblößten Dragoner ... Kampf und Schmerz, Demütigung ohne Ende, und fünf Monate später die schreckliche Wahrheit.