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»Nein. Nein! Nicht das!«
Während jener Monate, in denen sie kreuz und quer durch das Poitou geritten war, von einem einzigen Ziel beseelt und sich selbst ganz fern, war ihr nichts aufgefallen. Sie wollte ihren Körper vergessen und ließ gewisse Unregelmäßigkeiten unbeachtet, deren Ursache sie in dem entsetzlichen Schock und in den Mühseligkeiten ihrer Reisen vermutete.
Nun erinnerte sie sich jedoch, und der Tatbestand ließ sich nicht mehr übersehen. Die monströse Frucht hatte sich entwickelt. Sie spannte ihr Kleid unter dem Mieder. Die Taille hatte ihre Zartheit verloren.
Der verstörte Ausdruck ihres Gesichts schien selbst Valentin zu beeindrucken. In der lastenden Stille war von draußen das Plätschern zu hören, das die Sprünge eines kleinen Fischs im stehenden Wasser verursachten.
»Was kann dir das machen?« begann der Müller von neuem. »Du bist schöner als je .«
Er näherte sich ihr wieder. Sie entzog sich seinen ausgestreckten Händen, flüchtete in die dunklen Ecken, entsetzt und unfähig, einen Schrei auszustoßen. Es glückte ihm, sie zu packen und in seine Arme zu ziehen.
In diesem Augenblick erschütterte ein heftiger Schlag die Tür, der hölzerne Riegel sprang auf, und die hohe Gestalt Samuel de La Morinières beugte sich, um in die Hütte einzudringen. Er durchforschte den Raum mit einem schnellen Blick und ließ einen dumpfen Laut hören, als er das Paar entdeckte.
Seitdem Angélique verschwunden war, hatte ihn die Angst nicht mehr losgelassen. Man hatte ihm erzählt, daß sie die Gefangene des verwünschten Müllers sei, der sie durch seine Zauberkünste im Moor festhalte. Es mochte alberner Aberglaube sein, aber nichtsdestoweniger blieb dieser papistische Müller eine höchst verdächtige, gefährliche Erscheinung. Warum war diese Dame ihm gefolgt? Weshalb kehrte sie nicht zurück? Da er es nicht mehr aushielt, hatte er sich, ohne sich anzukündigen, zu ihr führen lassen.
Er erschien und fand sie in den Armen dieses rohen, beschränkten Kerls.
»Ich schneide dir die Kehle durch, Bauernlümmel!« brüllte er und zog seinen Dolch.
Meister Valentin wich seinem Stoß knapp aus. Er sprang zur Seite und floh zum anderen Ende des Raums. Wut und Enttäuschung gaben seinem Gesicht einen Ausdruck, der nicht weniger schrecklich war als der des Hugenotten.
»Ihr werdet sie nicht kriegen«, sagte er wild keuchend. »Sie gehört mir.«
»Elender Schweinehund, ich werde dir dein Maul mit deinen eigenen Eingeweiden stopfen!«
Der Müller war ebenso groß und robust gebaut wie der protestantische Herzog. Aber er war ohne Waffen. Er glitt hinter den Tisch und belauerte jede Bewegung seines Gegners, der vor wahnwitziger Eifersucht zu beben und einen Augenblick der Unachtsamkeit abzuwarten schien, um sich auf ihn zu stürzen. Das Feuer war fast niedergebrannt, und die Winkel des Raums waren in Dunkelheit getaucht.
Valentin suchte der langstieligen Holzfälleraxt habhaft zu werden, die hinter dem Fischbassin lag.
Angélique hastete die Stiege zum Speicher hinauf, fiel ins Heu und schüttelte den tief schlafenden kleinen Lesdiguière mit all ihren Kräften.
»Abbé! ... Sie schlagen sich ... sie schlagen sich um meinetwillen!« Noch halb im Schlaf, betrachtete der junge Mann beim Licht der von einem Dachsparren herabhängenden alten Laterne erstaunt die über ihn gebeugte Frau mit den schreckgeweiteten Augen im bleichen Gesicht.
Er nahm ihre Hand:
»Fürchtet nichts, Madame. Ich bin da.«
Von unten drangen ein unmenschliches Brüllen und gleich darauf der dumpfe Laut eines schweren Falls herauf.
»Hört .«
»Fürchtet nichts«, wiederholte er.
Er griff nach seinem Degen und glitt sodann hinter Angélique die Stiege hinunter. Sie bemerkten den wie von einem Blitz niedergeschmetterten Körper des hugenottischen Patriarchen, der mit dem Gesicht nach unten auf dem hartgetretenen Boden lag. Sein Schädel war gespalten, in seinem wirren Haar öffnete sich eine rote, klaffende Wunde.
Valentin stand am Tisch und schüttete mit zurückgebogenem Kopf einen Krug Wein in sich hinein. Die Axt lehnte neben ihm. Sein grauer Rock war über und über mit Blut bespritzt. Seine Augen waren die eines Irren.
Er entdeckte Angélique und stellte den Krug mit befriedigtem Grunzen auf den Tisch zurück.
»Man muß immer gegen Drachen kämpfen, wenn man die Prinzessin erobern will«, sagte er mit unsicherer Stimme. »Der Drache ist gekommen, ich habe ihn umgebracht ... Das wäre erledigt. Habe ich dich jetzt verdient?«
Er kam taumelnd auf sie zu, trunken vom Wein, vom gewaltsam vergossenen Blut, von seinen hochgepeitschten Begierden. Mit einer geschmeidigen Bewegung glitt der Abbé, den er noch nicht gesehen hatte, aus dem Hintergrund und stellte sich mit erhobenem Degen vor Angélique.
»Zurück, Müller«, sagte er in ruhigem Ton.
Das Auftauchen des schwächlichen Geistlichen verschlug dem Mann die Sprache. Aber er faßte sich schnell. Das Aufbrodeln seiner Leidenschaften erlaubte es ihm nicht mehr, auf die Stimme der Vernunft zu hören.
»Schert Euch weg, Abbé«, grunzte er. »Solcherlei Dinge gehen Euch nichts an. Ihr seid ein Unschuldiger. Verschwindet.«
»Laßt diese Frau in Frieden.«
»Sie gehört mir.«
»Sie gehört Gott. Entferne dich, verlasse dieses Haus. Setze das ewige Leben deiner Seele nicht aufs Spiel.«
»Genug gepredigt, Abbé. Laßt mich vorbei.«
»In Christi und der heiligen Jungfrau Namen befehle ich dir, dich zu entfernen.«
»Ich werde Euch wie eine Wanze zerquetschen.«
Ein Abglanz des halb erloschenen Feuers ließ die erhobene Degenspitze aufglänzen.
»Keinen Schritt weiter«, murmelte der Abbé, »keinen Schritt weiter, ich beschwöre dich.«
Valentin stürzte sich auf ihn.
Angélique barg ihr Gesicht in den Händen.
Der Müller wich zurück, die Hände in die Seite gepreßt. Neben dem Kamin brach er zusammen.
Plötzlich begann er zu brüllen:
»Erteilt mir die Absolution, Abbé! . Ich werde sterben! ... Ich will nicht mit einer Todsünde hinübergehen ... Rettet mich! ... Rettet mich vor der Hölle! Ich sterbe ...«
Seine unmenschlichen Schreie erfüllten die Hütte. Nach und nach wurden sie leiser, von wirren Klagen und dem Röcheln des Todeskampfes abgelöst, in das sich die gemurmelten Gebete des neben dem Sterbenden knienden Priesters mischten.
Endlich blieb nur noch Stille.
Angélique war unfähig, sich zu bewegen. Allein mußte der Abbé die beiden Leichen nach draußen schleppen, sie in die Barke ziehen und irgendwo in einem der Kanäle ins finstere Wasser stoßen.
Als er zurückkehrte, hatte die junge Frau sich nicht gerührt. Er verriegelte sorgfältig die Tür und häuf-te im Kamin Torf und Holz auf, um die Glut zum Aufflammen zu bringen. Dann näherte er sich Angélique und nahm ihren Arm, um sie zu stützen.
»Setzt Euch, Madame«, sagte er gedämpft. »Ihr müßt Euch wärmen.«