142425.fb2 Ang?lique, die Rebellin - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 31

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Und als sie ein wenig erholt schien:

»Der Mann, der den Herzog hierhergeführt hat, ist geflohen. Ich hörte, wie er davonstakte. Es war ein Collibert. Er wird nicht reden.«

Ein heftiger Schauer überlief sie.

»Es ist furchtbar«, murmelte sie.

»Ja, es ist furchtbar ... diese beiden Toten .«

»Ich denke nicht an sie. Ich denke an das, was er mir vorher sagte.«

Sie hob ihren starren Blick zu ihm.

»Er sagte mir, daß ich ein Kind erwarte.«

Der junge Mann senkte errötend den Kopf.

Sie packte seine Schulter und schüttelte sie zornig.

»Ihr wußtet es und habt mir nichts gesagt?«

»Aber Madame .«, stammelte er, »ich glaubte .«

»Närrin ... Närrin, die ich war! Wie konnte es geschehen, daß es so lange dauerte, bis ich begriff?«

Sie hatte wirklich den Eindruck, daß sie den Verstand verlor. Der Abbé de Lesdiguière wollte nach ihrer Hand greifen, doch sie entzog sich ihm, weil sie die schwache Bewegung des unnennbaren Wesens in sich spürte. Es war schlimmer, als sich lebendig von einem unreinen Tier verschlungen zu fühlen.

Sie wehrte sich, raufte sich das Haar, drängte zur Tür, um sich in den Sumpf zu werfen, während er sie anflehte und zurückhielt und sie ihn von sich stieß, an eine von Schreckensbildern genährte Raserei verloren, in der sie vergeblich die ernste, sanfte Stimme zu hören suchte, die ihr von Gott sprach, von den seltsamen Wegen des Lebens, vom Beten und schließlich schluchzend Liebesworte murmelte.

Endlich ließ der Aufruhr in ihrem Innern nach, und ihre Züge fanden nach und nach die Ruhe der letzten Tage wieder. Der Abbé beobachtete sie besorgt, denn er spürte, daß sie einen unabänderlichen Entschluß gefaßt hatte, den sie hinter einem mühsamen Lächeln zu verbergen suchte.

»Geht schlafen, mein Kleiner. Ihr seid am Rande Eurer Kräfte.«

Ihre Hand streichelte mitleidig das braune Haar, das das zarte Jünglingsgesicht umrahmte, in dessen schönen Augen sie Schmerz und glühende Anbetung las.

»Alles, was Euch verletzt, Madame, trifft auch mein Herz.«

»Ich weiß, mein armer Junge.«

Sie drückte ihn gegen die Brust und fand Trost darin, ihn bei sich zu wissen, weil er rein war und weil er sie liebte und weil das alles war, was ihr in dieser Welt an Schönem blieb.

»Mein armer Schutzengel ... Geht schlafen.«

Er küßte ihr die Hand und entfernte sich zögernd, noch immer beunruhigt, aber so erschöpft, daß sie ihn auf den Sprossen der Stiege stolpern und schwer auf sein Lager fallen hörte.

Mehrere Stunden lang verharrte sie reglos wie eine Statue, doch als der erste Schein der Dämmerung den Horizont zu streifen begann, erhob sie sich lautlos, hüllte sich in ihren Mantel und trat aus der Hütte. Die Barke des Müllers war mit einer Kette an einem in die Lehmwand eingelassenen Ring festgemacht. Sie löste die Kette, ergriff das hölzerne Ruder, mit dem sie besser umzugehen verstand als mit der Stange, und stieß das Fahrzeug auf den grünen Weg des Kanals hinaus.

Das Licht war noch ungewiß. Die Barke glitt in das Zwitschern und Lärmen der erwachenden wilden Vögel.

Angélique dachte an den kleinen Abbé. Er würde die Augen öffnen, sie suchen und verzweifelt nach ihr rufen. Aber er würde sie nicht finden und daran hindern können, das zu tun, was sie vorhatte. Unter dem Schuppendach lag eine Jolle. Mit ihrer Hilfe würde es ihm möglich sein, die nächste Siedlung der Hüttenleute zu erreichen.

Die Sonne stieg über den Horizont und verwandelte den lichten, dünn ziehenden Nebel in goldene Schleier. Die Wärme nahm zu, während Angélique durch die Kanäle irrte, deren Wasser die Farbe von Absinth oder irisierendem Perlenglanz annahm. Noch am Vormittag gelangte sie auf trockenen, festen Boden.

»Du wirst es tun, Melusine. Du wirst es tun, oder ich werde dich verfluchen.«

Angélique krallte ihre Finger in die knochigen Schultern der Alten. Ihr schrecklicher Blick hielt dem der Zauberin stand. Sie waren wie zwei sich bekämpfende Unholdinnen, und wer sie im Halbdunkel der Höhle mit ihren aufgelösten Haaren und zornfunkelnden Augen bemerkt hätte, wäre entsetzt entflohen.

»Meine Verwünschung ist stärker als deine«, zischte Melusine.

»Nein. Im Tode wäre ich stärker als du. Ich würde dich um all deine Kräfte bringen, denn ich stürbe, wenn du mir das Mittel verweigerst. Ich würde mir einen Dolch in den Leib stoßen, um es zu töten.«

»Es ist gut«, brummte die Alte, plötzlich nachgebend. »Laß mich los.«

Sie schüttelte ihre alten, schmerzenden Knochen unter den Sackleinwand-Lumpen. Ein weiterer Winter in ihrem feuchten Loch hatte die mähliche Verwandlung beschleunigt, die dieses menschliche Wesen in den Bereich des Vegetativen und Animalischen zurückwarf, indem ihr Körper das Aussehen eines alten, geborstenen Baumstumpfes und ihr Haar das von holzigen Pflanzen oder Spinnweben annahm, während ihr Blick an den eines im Dickicht lauernden Fuchses erinnerte.

Sie humpelte zum Herd und beugte sich argwöhnisch über das in einem Zuber brodelnde Wasser, dann warf sie, als habe sie sich jetzt erst endgültig entschieden, eine unbestimmbare Anzahl von Kräutern, Blättern und Pülverchen hinein.

»Ich hab’s nur deinetwegen gesagt. Es ist zu spät. Du bist schon in deinem sechsten Mond. Wenn du das Mittel nimmst, riskierst du’s, zu sterben.«

»Was tut’s? Das laß meine Sorge sein.«

»Störrischer Maulesel, der du bist . Nun gut. Wenn du stirbst, wird es nicht meine Schuld sein. Du wirst mir im Jenseits nicht am Zeug flicken?«

»Ich verspreche es dir.«

»Es wäre nicht gut, wenn ich die Ursache deines Todes wäre«, murmelte die Alte, »denn es ist dir bestimmt, lange zu leben. Es ist nicht gut, das Schicksal zu zwingen, wenn es sich für das Leben und nicht für den Tod entschieden hat ... Du bist kernig und kraftvoll. Vielleicht überstehst du’s. Ich werde das Schicksal beschwören, daß es dir hilft. Wenn du getrunken hast, wirst du dich auf den Stein der Feen legen. Der Ort steht unter dem Schutz der Geister, die dir beistehen werden.«

Erst in der Dämmerung war der Trank bereit. Melusine füllte einen hölzernen Humpen mit einem schwärzlichen Absud und reichte ihn Angélique, die das Gefäß entschlossen bis zum letzten Tropfen leerte. Der Geschmack des Gebräus war nicht übel. Sie stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus, trotz der Angst, die bei dem Gedanken an die kommenden Stunden in ihr aufstieg. Danach würde sie befreit sein. Das Verhängnis war von ihr genommen. Sie mußte den Mut aufbringen, die Prüfung zu bestehen. Sie erhob sich, um sich zur Lichtung des Steins der Feen zu begeben. Die Zauberin murmelte unaufhörlich Beschwörungen und schob ihr eine Art Nüsse in die Hand.

»Wenn du zu sehr leidest, knack eine oder zwei davon. Der Schmerz wird sich besänftigen. Und wenn das Kind heraus ist, läßt du es auf dem Stein der Druiden. Du wirst Misteln pflücken und es mit ihnen bedecken.«

Angélique folgte einem Pfad, auf dem das neue Gras überall durch die Schicht der toten Blätter drang, scheinbar zarte Hälmchen, deren biegsamer Kraft das Gewicht des Humus nichts anhaben konnte. Alles war grün und lebendig. Sie gelangte auf den Hügel, und vor ihr erhob sich der Dolmen, gestrandet wie ein Hai im schieferfarbenen Schatten des Abends. Ihre Füße wirbelten die raschelnden Blätter auf, und sie erkannte den Geruch der Eichen wieder, die mit ihren mächtigen, moosüberzogenen Sockeln und den starken Armen ihrer ineinander verschränkten Äste wie Ritter um die Lichtung aufgereiht waren. Sie streckte sich auf der von der Sonne durchwärmten Steinplatte aus; ihre Strahlen waren an diesem Tage so warm wie im Sommer gewesen. Ihr Körper verspürte noch keine Unruhe. Sie ließ ihre Arme zu beiden Seiten herunterhängen, und ihre Augen tranken die Schönheit des noch lichten Himmels, an dem ein winziger Stern flimmerte.

Hier, in diese Lichtung war sie immer gekommen, um mit den Kindern der Gegend zu tanzen. Sie hatten seltsame und verbotene Reime gesungen, um die Feen oder Kobolde hervorzulocken, von denen sie träumten, und sei es auch nur ein einziges Mal. Sie hörte ihre spitzen, schrillen Stimmen und das Stampfen ihrer kleinen Holzschuhe auf den herabgefallenen Eicheln und dem trockenen Heidekraut.

Dreht euch um, dreht euch um, hui, die Geister gehen um ...

Dann hatten sie aufgeregt durcheinandergeschrien: »Da, ich hab’ ihn gesehen! Einen Kobold! Er kletterte an der Eiche hoch. - Es war eine Maus! - Es war ein Kobold! .«

Die Nacht verdrängte das letzte Licht. Der Mond stieg hinter den Bäumen auf, rot zuerst, dann schweflig und gelb, um schließlich in silbriger Milde über der Lichtung zu leuchten.

Angélique wand sich auf dem grauen Stein. Der Schmerz hatte sich ihrer Eingeweide bemächtigt und ließ ihr keine Ruhe mehr.

Sie stöhnte, sich nach jeder Schmerzwoge fragend, ob sie die Kraft haben würde, einem neuen Ansturm standzuhalten.

»Es muß aufhören!« wiederholte sie sich.