142425.fb2 Ang?lique, die Rebellin - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 36

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Hier konnte man die vom Krieg verheerten Gebiete, die in Brand gesteckten Dörfer, die erbitterten Gefechte der weiten Ebenen und die noch furchtbareren Überfälle auf dem Grunde enger Schluchten vergessen. Kämpfe ohne Gnade. Die Dörfer in den Grenzbereichen der Provinz waren verödet. Im Innern hatten die Bauern den Sommer mit einer Hand auf dem Pflugsterz, mit der andern an der Muskete verbracht. Gegen Ende September war ein Regiment königlicher Truppen weit ins Innere vorgestoßen und hatte auf seinem Wege alles verwüstet. Die Einwohner schienen sich vor ihnen in Luft aufzulösen. Sie hatten nicht viele Gelegenheiten zum Hängen gefunden, aber alles verbrannt, Weiler, Dörfer, Ernten, und schon sprach man in Versailles vom unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch der eingeschüchterten Lumpenkerle, als die bis in die Gegend von Pouzanges gelangte Truppe spurlos verschwand. Keine Nachricht drang mehr zurück. Das Land hatte sich wie eine riesige Zange über den Soldaten geschlossen.

Ein paar Überlebende, denen es gelang, von Dickicht zu Dickicht kriechend die Loire zu erreichen und zu überqueren, berichteten mit Schrecken von den Schatten, die sie nachts überfallen hatten, von Irrlichtern, die sie in den Tod führten, von ganzen Trauben von Gestalten, die im unerwartetsten Augenblick von den Ästen purzelten und ihnen nadelscharfe Hirschfänger zwischen die Schulterblätter stießen, bevor sie noch Zeit fanden, einen Schrei auszustoßen. Trotz ihrer Waffen und Offiziere waren alle niedergemacht worden. Das Poitou hatte sie einen nach dem anderen unerbittlich verschlungen.

Die Bestürzung war allgemein. Infolge dieser höchst unglückselig verlaufenen Unternehmung verhielten sich Truppen und Oberkommando zunächst abwartend. Angesichts des bevorstehenden Winters war es vergeblich, die Militärs zu weiteren Expeditionen zu ermuntern. Man zog sich in seine Quartiere zurück.

Angélique blieb drei Monate im Schloß de La Grange. Sie empfing dort gewisse Aufständischenführer, desgleichen die Bürgermeister mehrerer Städte, die ihr ihre Sorgen anvertrauten. Jeder mußte sich mit seinem bescheidenen Anteil an Lebensmitteln begnügen. Zum Glück verlief der Winter nicht allzu streng.

Im März nahm Angélique ihre Ritte durch die Provinz wieder auf. Sie hatte aufgehört, ihr Kind zu nähren, und wollte es im Schloß zurücklassen. Eine der Mägde hatte sich ihm besonders angeschlossen. Der Abbé de Lesdiguière brachte sie jedoch davon ab:

»Verlaß sie nicht, Madame. Fern von Euch wird sie sterben.«

»Ich werde sie später holen, wenn die Ereignisse .«

»Nein«, sagte er, ihr in die Augen sehend, »Ihr werdet sie nie holen.«

»Ist es denn ein Leben für ein so kleines Kind, unaufhörlich über Berg und Tal zu ziehen?«

»Es bekommt ihr, weil Ihr bei ihr seid, ihre Mutter .«

Er selbst wickelte Honorine in eine warme Decke und stieg in den Sattel, sie eifersüchtig an sein Herz drückend.

Es war um diese Zeit, daß Angélique Zweifel zu fühlen begann, wenn sie ihre Tochter betrachtete. Etwas wie Furcht vor einer noch unausgesprochenen Drohung, eine Frage, die Angst vor einem Verdacht, der allmählich zur Gewißheit wurde.

Sie hielten sich in einem gefährdeten Gebiet auf, in das die königlichen Truppen zuweilen Einfalle unternahmen. Um nicht in einen Hinterhalt zu geraten, flüchteten sich Angélique und ihre Begleiter jede Nacht in die Höhlen, die in den Hängen des Tals der Sèvre tausend Schlupfwinkel bildeten. Die Bäuerinnen der benachbarten Weiler pflegten dort zusammenzukommen, um zu spinnen und zu stricken. Sie suchten diese Verstecke wegen der in ihnen herrschenden milden Temperatur auf, die sie der Mühe enthob, Feuer zu entzünden. Nach dem Abendessen begaben sie sich dorthin, den mit Werg und Hanf umwundenen Spinnrocken in der Hand und einen beim Aufbruch noch glühenden Fußwärmer unter dem Arm.

Sie wiesen Angélique die geräumigste der unterirdischen Kammern an, in der die kleine Schar sich zur Ruhe begab, vor der noch kühlen Frische der ersten Frühlingsnächte geschützt.

Eine primitive Funzel, aus dem mit Nußöl durchtränkten Schaft einer Königskerze bestehend, den man auf einem in die Wand der Höhle gerammten Holzarm befestigt hatte, verbreitete sanftes, beruhigendes Licht. Angélique betrachtete das Kind, das auf dem Boden lag und sich kriechend fortzubewegen versuchte. Es war zehn Monate alt und schien durchaus kräftig. War es das rötliche Licht der Funzel, das seinen sprossenden Löckchen einen kupfernen Ton verlieh? . Im Kontrast dazu hatte es schwarze, schmale Augen, die schräg zu den Schläfen hinauf verliefen, wenn es lachte. Sie verschwanden dann fast völlig hinter den Bäckchen, und sein Ausdruck . sein Ausdruck schien Angélique nicht unbekannt, rief ihr eine andere, zur Karikatur verzerrte, abscheuliche Physiognomie ins Gedächtnis.

Sie fuhr so heftig zurück, daß ihr Schädel gegen die Felswand stieß und ein Gefühl der Betäubung zurückblieb.

Montadour! Sein widerliches Vollmondgesicht! ...

Der Schweiß perlte ihr auf den Schläfen.

Es war nicht möglich .

Der Abscheu einer Mutter für ihr Bastardkind ist oft nichts anderes als der Abglanz des Hasses, den sie für den empfindet, der es gezeugt hat. Den Verbrecher mit seinem Namen benennen zu können, schien Angélique schlimmer als das Unbekannte. Colin Paturels Kind hätte sie geliebt. Aber der Gedanke, daß sie, Angélique de Sancé, die Verantwortung für ein menschliches Wesen mit einem Landsknecht der schlimmsten Sorte teilte, schuf ihr den Eindruck eines klebrigen, unerträglichen Ekels, einer Entwürdigung, die das Schicksal über sie verhängte.

Niemals würde sie sich damit abfinden können.

Auf ihren Schrei lief der Abbé de Lesdiguière her-bei.

»Nehmt sie fort«, keuchte Angélique. »Ich will sie nicht mehr sehen. Ich wäre imstande, sie zu töten .«

Um Mitternacht hallte die Höhle noch immer von Honorines Geplärr wider.

Auf ihrem Heulager ausgestreckt, drehte sich Angélique gereizt von einer Seite zur anderen:

»Natürlich, >sie< haben vergessen, ihr das Farnkraut zu geben.«

Honorine konnte nicht einschlafen, ohne ihr Lieblingsspielzeug, eine Farnstaude, in der Hand zu halten, deren zarte Zäckchen sie zu entzücken schienen.

Schließlich hielt es Angélique nicht mehr aus. Sie ging in den Hauptraum hinüber, wo rings um das Feuer der Abbé, der Stallmeister, die Diener und der Baron bereits ihr ganzes Repertoire erschöpft hatten. Mit einem Blick vernichtender Verachtung nahm sie ihr Baby an sich, das alsbald wie durch ein Wunder schwieg, und brachte es in ihre eigene Höhle zurück. Natürlich, die Kleine war durchnäßt, durchfroren, und niemand hatte ihr die Nase geputzt. Angélique versorgte sie mit geübten, energischen Griffen, wik-kelte sie in ihren Wollschal und bettete sie bis über die Ohren ins Heu. Dann ging sie hinaus, um am Waldrand ein Farnkraut zu pflücken, dessen untere Wedel sie abriß. Honorine ergriff es mit gebieterischer Hand und betrachtete entzückt den riesigen, einem prähistorischen Untier ähnelnden Schatten, den die vielfach gezackte Pflanze an die Höhlenwand malte. Besänftigt steckte sie ihren Daumen in den Mund und warf Angélique aus den Winkeln ihrer kleinen, geschlitzten Augen einen Blick höchster Zufriedenheit zu.

»Du, du kennst mich«, schien sie zu sagen. »Bei dir bin ich ruhig .«

»Ja, ich kenne dich«, murmelte Angélique. »Wir können ja nichts dafür . du nicht und ich nicht, nicht wahr?«

Auf einen Ellbogen gestützt, eine Wange in die Hand gelegt, beobachtete sie das Kind mit angespannter Aufmerksamkeit. Die Glückseligkeit, die sein Gesicht ausdrückte, löste die schmerzhafte Klammer um ihr Herz.

Weder Vergangenheit noch Zukunft. Schweigsame Stunden am Herzen der Erde. Und in ihr Bilder mehr als Worte, die gleich sanften, flüchtigen Schatten aufstiegen und sie beruhigten.

». Du bist niemandes Kind ... das kleine Mädchen aus dem Wald ... nur das kleine Mädchen aus dem Wald. Das Haar rot wie Herbstblätter . schwarze Augen wie Maulbeeren ... die Haut weiß und perlmuttschimmernd wie der Sand der Höhlen . du bist die Inkarnation des Waldes ... ein Irrlicht ... ein Kobold, nichts sonst. Du bist niemandes Kind ... Schlafe ... schlaf in Frieden .«

Der Abbé de Lesdiguière trat aus dem Dickicht, die Hände voller Pilze.

»Für dich, Honorine. Etwas Feines.«

Sie kam ihm auf schwankenden Beinchen entgegen. Sie war im Sommer ein Jahr alt geworden, als die Soldaten des Königs eben die Meierei umzingelt hatten, die zum Zufluchtsort Angéliques und der ihren geworden war.

Eingeschlossen wie Hasen in ihrer Grube, waren sie schon drauf und dran gewesen, sich zu ergeben, als Hugues de La Morinière und seine Protestanten sie befreit hatten. Angélique hatte beim Verlassen der Meierei über Leichen hinwegsteigen müssen. Honorine hustete von all dem eingeatmeten Rauch. Der Geruch des Pulvers und der Brände war im gleichen Maße Teil ihrer Existenz geworden wie das Krachen der Musketenschüsse, Blut und Schweiß auf den Gesichtern der Gehängten, Fluchten auf galoppierenden Pferden und finstere Nächte in der Tiefe der Wälder.

Ihre ersten Schritte hatte sie in Parthenay an dem Tage getan, an dem die Sturmglocke über der belagerten kleinen Stadt gedröhnt hatte. Die Angreifer waren abgewiesen worden und hatten sich zurückgezogen, aber die von allzu vielen Entbehrungen erschöpfte Stadt war für lange Zeit entkräftet geblieben. Angélique hatte Honorine nicht in dem Zimmer vorgefunden, in dem sie auf einem Stühlchen zurückgeblieben war. Sie war auf der Straße. So erfuhr ihre Mutter, daß sie gehen, ja sogar Treppen hinabsteigen konnte.

Ihr erstes Wort hatte sie an dem Tage gesagt, an dem Lancelot de La Morinière im Laufe eines hitzigen Gefechts in der Heide von Machecoul gefallen war. Und dieses erste Wort Honorines hatte Angélique wie eine Kugel ins Herz getroffen.

Sie hatte, vor einer roten Mohnblume stehend, »Blut« gesagt. Und ihr Gesichtchen war zu einer komisch wirkenden Leidensgrimasse verzogen, wie sie es bei Verwundeten gesehen hatte.

Auf die Blume deutend, wiederholte sie stolz: »Blut ... Blut.« Sie hatte das Wort an diesem Abend noch oft wiederholt. Bis Angélique wütend geworden war.

Die Härte der Sommerkämpfe hatte eine tiefe Müdigkeit in ihr zurückgelassen, und Furcht begann in sie einzusickern. Der König hatte nicht kapituliert, aber das Poitou wankte. Der seiner beiden Brüder beraubte Hugues de La Morinière war wie ein Körper ohne Kopf. Er war niemals imstande gewesen, selbständig zu denken. Nachdem Lancelot, der ihm seinen Glauben an Angélique eingeflößt hatte, tot war, gewann sein puritanisches Mißtrauen gegen die Frauen wieder die Oberhand. Und Samuel war nicht mehr da, um den Stolz des sich gegen den König erhebenden Vasallen in ihm zu stärken.

Das nahe Ende des Sommers würde vermutlich die drohende Katastrophe verhindern. Getäuscht durch den hartnäckigen Widerstand, war sich das militärische Kommando über die zu treffenden Maßnahmen noch im unklaren. Der König war dafür, die Rebellen an ihrer eigenen Kampfmüdigkeit, an Hunger, Not und Munitionsmangel scheitern zu lassen. Seine Minister schlugen dagegen den Einsatz erdrückender Kräfte vor. Der König selbst sollte seine Truppen zu blutiger Niederwerfung des Aufstandes führen, um alle anderen Provinzen abzuschrecken. Man durfte nicht vergessen, daß es sich auch in Aquitanien, in der Provence und der Bretagne rührte, und daß man der letzten Eroberungen, der Picardie und des Roussillon, nicht sicher sein konnte.

Angélique hatte von diesem Aufschub keine Ahnung. Sie konnte dergleichen vermuten, aber es fiel ihr schwer, ihre niedergeschlagenen Truppen ohne Beweise davon zu überzeugen. Dennoch war sie die einzige, die sie immer wieder daran erinnerte, daß es für sie keine Wahl mehr zwischen Kampf und Knechtschaft gab. Nach den Zuckungen des Sommers im Fieber glühendheißer Tage hatte sie sich darum mit de La Grange und seinen Männern in die Tiefe der Schluchten von Mervent geflüchtet. Sie kampierten in einem hundertjährigen Wald, der den Forst von Nieul in nördlicher Richtung verlängerte. Sie sammelten neue Kräfte und verbanden ihre Wunden ...

Der Abbé de Lesdiguière hatte einen Haufen dürrer Zweige zusammengetragen, steckte ihn mit seinem Feuerzeug an und machte sich daran, die für Honorine gesammelten Pilze zu kochen. Seine Muskete, die er fast ständig bei sich trug, hatte er neben sich ins Gras gelegt, und er schärfte dem Kind ein, sie nicht anzufassen. Honorine machte eine Grimasse, die bewies, daß sie es seit langem gelernt hatte, diesen rauchenden und knallenden Gegenständen zu mißtrauen.

Angélique saß einige Schritte entfernt auf einem moosüberzogenen Fels und beobachtete sie.

Der Abbé trug eine grobe Lammfellweste. Den runden Hut mit der Silberschnalle hatte er durch die unförmige, verwaschene Kopfbedeckung der Bauern der Gegend ersetzt. Der Kragen seines zerlumpten Hemdes öffnete sich über der jungen, gebräunten Brust, auf der ein an verschossenem Band hängendes goldenes Kreuz glänzte. Aus dem kleinen, zarten, gesitteten, bis in die Fingerspitzen kultivierten Präzeptor hatte sie also diesen Mann der Wildnis gemacht. Es war undenkbar, ihn mit dem Jüngling von Versailles oder Saint-Cloud zu vergleichen, der mit rührender Artigkeit die Spöttereien und herausfordernden Blicke der Damen des Hofs ertragen und mit Grazie seinen Diener gemacht hatte, um die verderbten großen Herren zu begrüßen. Seine Schultern waren breiter geworden, so daß seine schlanke Taille besser zur Geltung kam. Seine Zartheit hatte sich verloren. In seinem von Wind und Wetter gegerbten Gesicht hatte sich nur der sanfte Rehblick nicht verändert. Wie alt mochte er sein? Zwanzig Jahre? Zweiundzwanzig? ...

Sie rief ihn plötzlich, und er näherte sich ihr mit der gewohnten Bereitwilligkeit und Ehrerbietung, die den Luxus ihres einstigen Hauses mit seiner zahlreichen Dienerschaft wieder vor ihr erstehen ließ.

»Madame? .«