142425.fb2 Ang?lique, die Rebellin - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 49

Ang?lique, die Rebellin - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 49

»Und warum seid Ihr nicht wirklich geflohen?«

»Draußen warteten die Soldaten des Königs. Die Männer hängten sie, mit den Frauen machten sie, was sie wollten. Die Kinder .? Kann man wissen, was sie mit ihnen angefangen hätten? Und dann - man konnte die Stadt einfach nicht verlassen. Es hätte bedeutet, daß sie besiegt gewesen wäre. Es gibt Dinge, die man nicht tun kann. Man hat keinen Schimmer, warum. Man mußte mit ihr sterben oder ... Ich weiß nicht mehr, wann mein Zweiter gestorben ist. Ich weiß nur noch, daß mir der Jüngste geblieben war, als eine Abordnung vor König Ludwig XIII. niederkniete, um ihm die Schlüssel La Rochelles auf einem Kissen zu überreichen. Man schrie und stürzte zu den Toren, weil das Gerücht umging, daß Brotkarren kommen sollten. Und ich lief mit ... das heißt, ich glaubte, daß ich lief, aber in Wirklichkeit hab’ ich mich wie die andern durch die Gassen geschleppt, wie die andern Gespenster, die sich nur aufrecht halten konnten, wenn sie sich gegen die Mauern stützten. Wahrhaftig, es waren alles Gespenster . Ich betrachtete den Kleinen, seine großen schwarzen Augen im mageren Gesichtchen, und sagte mir: >Es ist zu Ende, die Abordnung hat die Unterwerfung gebracht ... Der König kommt in die Stadt und das Brot desgleichen!

Es ist zu Ende, die Stadt ist besiegt! Aber dieser da bleibt dir. Dieser da wenigstens. Für diesen da ist die Unterwerfung noch zur rechten Zeit gekommen<, sagte ich mir. >Ein paar Tage noch, und du wärst eine Mutter mit leeren Armen gewesen. Gott sei gelobt!< Wißt Ihr, was dann geschehen ist?«

»Nein«, sagte Angélique, ohne die schreckerfüllten Augen von ihr zu lassen, ohne daran zu denken, daß die Belagerung La Rochelles bereits rund vierzig Jahre zurücklag.

»Nun, trinkt erst einmal einen Schluck, statt Euren Wein warm werden zu lassen - der Wein der Ile de Ré muß nämlich hübsch kühl getrunken werden. An den Toren verteilten die Soldaten also Brotlaibe, die noch warm von den Öfen des Lagers waren. Sie hatten Befehl, sich zu den tapferen Rochellesern anständig zu benehmen. Und schließlich sind Soldaten, wenn man sie nicht gerade antreibt, auch nur Menschen wie die andern . Ich habe sogar welche gesehen, denen die Tränen in die Augen traten, als sie uns sahen . Ich aß also, ich aß, und der Kleine, der seinen Laib wie ein Eichhörnchen in beiden Händen hielt, konnte auch nicht genug kriegen . Und dann war er plötzlich tot. Weil er zuviel und zu schnell gegessen hatte . Der Kopf fiel ihm auf die Schulter, und es war aus. Ich brauchte ihn nur noch zu begraben, wie die andern . Und was denkt Ihr, was danach mit mir passiert ist? Gewiß, ich bin närrisch, beinah närrisch geworden. Aber laßt Euch eines wenigstens sagen, Tochter. Was einem auch geschieht, was man auch durchmacht - das Leben ist wie eine Spinne, die die zerrissenen Fäden wieder erneuert, schneller als man’s glauben möchte. Man kann nichts dagegen tun.«

Sie unterbrach sich für einen Moment, und man hörte nur das Kratzen ihres geschäftigen Messers gegen die Schale der Krabbe.

»Was mich zuerst tröstete«, nahm sie den Faden wieder auf, »war, daß ich genug zu essen hatte. Alle die Dinge in Reichweite zu haben, die einem so lange gefehlt hatten, verschaffte mir eine Art von Zufriedenheit, und während dieser Zeit vergaß ich. Und danach tröstete es mich, wenn ich das Meer betrachtete. Ich ging auf die Klippen und blieb dort lange Zeit. Ich hörte den Lärm der Hacken, die die Wälle und Türme La Rochelles, unserer stolzen Stadt, niederrissen. Aber das Meer war da, und niemand konnte es mir nehmen. Das tröstete mich, Tochter ... Und dann liebte mich ein Mann. Er war ein Papist. Es gab jetzt viele von der Sorte in La Rochelle. Es kam einem vor, als ob sie wie Pilze aus dem Pflaster wüchsen. Aber dieser konnte hübsche Liebesworte drechseln, und das war alles, was ich von ihm verlangte. Wir hätten geheiratet, aber was wären das für Umstände gewesen! Ich hätte mich vorher bekehren müssen, und das war nun wahrhaftig nicht nach meinem Geschmack. Er ist mit einem Schiff nach Saint-Malo gereist, wo er Verwandte und eine Erbschaft hatte. Ich habe ihn nicht wiedergesehen ... Was liegt daran! Ich hatte ein Kind von ihm, einen Jungen . und schließlich mußte ich weiterleben, nicht wahr? Kinder geben einem Kraft.«

Als Rebecca ihren Bericht beendet hatte, erhob sie sich und schüttelte ihre Schürze aus, um die Splitter der Schale loszuwerden, die sich in ihr verfangen hatten. Dann lauschte sie von neuem aufmerksam.

»Nein, es ist nur das Meer, das man hört. Man möchte meinen, es ärgert sich. Tun wir einen Blick hinaus.« In der Nische, in der sich das Bett erhob, öffnete sie ein mit Blei eingefaßtes Fenster und stieß den Laden zurück. Ein Windstoß trug den reichen Geruch der Algen und des Salzes herein. Das Getöse der sich an den Wällen brechenden Wogen zwang sie, ihre Stimme zu heben.

Wolken zogen rasch über den Himmel, sich in den seltsamen Nuancen geschmolzenen Bleis verfärbend, wenn sie am Mond vorüberglitten gleich vulkanischen Dämpfen, dahingleitenden tintigen Schärpen. Im Halbdunkel der unruhigen Nacht war allein die schwarze Masse der Wälle unbeweglich. Zur Linken zeichnete sich ein von einer hohen, gotischen Pyramide gekrönter Turm ab, auf dessen Spitze eine Laterne brannte: Leuchtzeichen für die Schiffe auf den Meeresarmen zwischen Inseln und Küste. Der Umriß eines mit einer Hellebarde bewehrten Wachtpostens war zu erkennen. Der Soldat stemmte sich mit gebeugtem Rücken gegen den Wind. Nachdem er die Flamme neu angefacht hatte, die man zwischen den Spitzbogen ihres Laternentürmchens tanzen sah, stieg er die gewundene Treppe wieder hinunter, um sich ins Wachtzimmer zu flüchten.

Das Haus Maître Gabriels war von den Wällen nur durch ein schmales Gäßchen getrennt. Ein behender Junge hätte sich damit amüsieren können, von einem der Fenster aus auf den Wallgang zu springen. Rebecca erklärte Angélique, daß sie alle Soldaten kenne, die tagsüber und nachts am Laternenturm Wache hielten. Denn sie enthülste ihre Erbsen oder stopfte die Strümpfe des Haushalts am offenen Fenster, während sie gähnend vorbeigingen und zuweilen stehenblieben, um ein wenig zu plaudern. Sie war die erste, die von jeder Neuigkeit im Hafen erfuhr, da die Wachen des Laternenturms die Ankunft der aus Holland, Flandern, Spanien, England oder Amerika eintreffenden Salz- oder Weinflotten, jedes Kriegs- oder Handelsschiffes aus dem Ausland oder La Rochelle signalisieren mußten. Sobald sich zwischen den Inseln Oléron und Ré ein weißes Segel am Horizont zeigte, hob der Mann sein Horn zum Mund. Während der Einfahrt in den Hafen läutete lange eine Glocke. Und der Makler, Kaufleute und Reeder bemächtigte sich wachsende Aufregung. All dieser Schiffe wegen, die täglich das Leben der ganzen Welt auf seine Kais schütteten, langweilte man sich nie in La Rochelle.

Einstmals hatte man die Ankunft der Schiffe vom Saint-Nicolas-Turm aus signalisiert, aber seitdem er zur Hälfte geschleift war, fiel diese Ehre dem Laternenturm zu.

Für das Haus Maître Gabriels war es ein wahres Glück. Rebecca konnte mit Recht den Herrn loben, daß er sie auf der Suche nach einer Stellung hierhergeführt hatte.

Sie zog die Läden wieder zu, verschloß das Fenster, und die Stille kehrte zurück, nun tiefer noch, da sie dem Heulen des Sturms entrissen war. Angélique ließ ihre Zunge über die Lippen gleiten. Sie schmeckten frisch und salzig.

Sie bemerkte, daß Honorine erwacht war. Im Bett aufgerichtet, ähnelte sie mit ihrem leuchtenden, auf die schmalen nackten Schultern fallenden Haar einer kindlichen Sirene, die dem Ruf der Wogen lauscht. Ihre ins Ungewisse gerichteten Augen waren voll eines seltsamen Traums. Angélique bettete sie wieder zurecht und deckte sie zu. Sie erinnerte sich, daß Honorine das Zeichen Neptuns trug.

Der kleine siebenjährige Junge saß auf der untersten Stufe der Treppe, die zu den oberen Etagen führte.

Im Schatten verborgen, hatte er offenbar gierig auf die Erzählungen der alten Dienerin gelauscht.

Mehrmals den Kopf schüttelnd, schlurfte Rebecca an ihm vorbei.

»Dies Kind hat seiner Mutter das Leben gekostet, als es zur Welt kam. Man liebt es nicht sehr .«

Murmelnd begann sie die Stufen hinabzusteigen.

». Waisen, die leiden, Mütter, die weinen, das ist nun mal so . Der Tränenreigen wird so bald nicht aufhören, sage ich Euch .«

Die weiße Spitze ihrer Haube verlor sich in der Dunkelheit.

»Du mußt schlafen gehen«, sagte Angélique zu dem kleinen Jungen.

Folgsam stand er auf.

Sein Gesicht wirkte kränklich. Die Nase lief. Das struppige Haar betonte sein elendes Aussehen noch mehr.

»Wie heißt du?« fragte sie.

Er antwortete nicht und machte sich daran, an der Wand entlangstreifend die Treppe hinaufzuklettern, wie eine ängstliche Ratte. Als er schon im nächsthöheren Stockwerk angelangt war, fiel ihr ein, daß er nicht um Licht gebeten hatte.

Sie lief ihm nach.

»Warte, Kleiner, du siehst ja nichts, du wirst noch fallen.«

Sie nahm seine Hand, eine kleine, kalte, zarte Patsche, und die Berührung versetzte ihrem Herz einen Stoß. Es hatte etwas mit dieser unendlich zärtlichen Geste zu tun, die seit langem vergessen gewesen war.

Er stieg noch immer, und sie folgte ihm. Er war wie ein kleiner, mysteriöser, kaum leibhaftiger Schatten, der sie mit sich zog. Er war es jetzt, so schien es, der sie bei der Hand genommen hatte.

»Schläfst du hier?«

Er nickte und sah diesmal zu ihr auf, als ob er nicht an ihre Gegenwart zu glauben vermöge. Man hatte im Speicher ein Bett aufgestellt, das eher ein dürftiges Lager war. Der Strohsack schien nicht oft geschüttelt worden zu sein, die Leintücher waren von zweifelhafter Sauberkeit, die Decken für die Jahreszeit ungenügend. Im Winter mußte es hier eisig sein. Im Ausschnitt einer runden Luke zeigte der Mond für einen Augenblick sein bleiches Gesicht und erhellte unter den sich kreuzenden schweren Balken des Daches ein Durcheinander wunderlicher Gegenstände, Truhen und abgestellter Möbelstücke.

Unmittelbar gegenüber dem Bett stand sogar ein großer, gesprungener Spiegel.

»Gefällt’s dir hier?« fragte sie das Kind. »Frierst du nicht? Hast du keine Angst? Sicherlich bewegt sich hier manchmal etwas.«

Sie fing seinen scheuen Blick auf.

»Gewiß gibt es hier Ratten«, sagte sie sich. »Und er hat Angst.«

Sie begann ihn auszuziehen. Die mageren Schultern unter ihren Händen erinnerten sie an den zarten Körper Florimonds, als er noch klein gewesen war, die verschlossenen Lippen an die Cantors, der so wenig gesprochen, aber insgeheim gesungen hatte, die leise Trauer des Blicks an das Kind Charles-Henri, das von seiner Mutter träumte.

Er schien erstaunt, daß man ihm beim Auskleiden half. Er wollte selbst seine Kleidungsstücke ausziehen, faltete sie sorgfältig zusammen und legte sie auf einen Schemel. In seinem weißen Hemd kam er ihr noch magerer vor.

»Dieses Kind stirbt vor Hunger.«

Sie nahm ihn in ihre Arme und drückte ihn an sich. Tränen quollen aus ihren Augen, ohne daß sie ihrer achtete. Sie war immer eine schlechte Mutter gewesen. Wie ein Tier hatte sie sie gegen Kälte und Hunger verteidigt, weil sie ihre Jungen waren, aber die Erquickung des Herzens, die man empfand, wenn man sie an sich drückte, die Augen mit ihrem Anblick füllte, ihr Leben lebte, hatte sie weder gekannt noch gesucht. Die Wurzeln, die sie mit ihnen verband, hatte sie erst gespürt, als man sie ihr so grausam entrissen hatte. Die offene Wunde blutete noch immer, den Schmerz darüber verewigend, was hätte sein können und was sie versäumt hatte.

»Oh, meine Söhne! Meine Söhne!« Sie waren zu rasch gekommen. Sie waren ihr im Wege gewesen. Zuweilen hatte sie ihre Gegenwart, die sie zwang, sich von ihrem eigenen Schicksal abzuwenden und sich mit dem ihren zu beschäftigen, als störend empfunden. Sie war für die zarteren Glücksgefühle noch nicht reif gewesen. Eine Frau mußte sich erst voll entfalten, bevor sie Mutter werden konnte.

Sie brachte den kleinen Jungen zu Bett und lächelte ihm zu, um zu verhindern, daß er sich über ihre Tränen wunderte. Nachdem sie ihn geküßt hatte, stieg sie wieder hinab.

Vor dem Bett in der Küche schlüpfte sie aus ihrem Mieder und bürstete lange ihr Haar. Sie wollte nun nicht mehr fort. Das Haus am Wall, am Meer schien ihr voller Hoffnung. Es würde sie beschützen.

Am folgenden Tage übergab ihr Madame Anna nicht ohne Feierlichkeit und passende Worte eine in schwarzes Pergament gebundene Bibel.

»Mir ist aufgefallen, meine Tochter, daß Ihr bei den Antworten der Gebete stumm bleibt. Offenbar habt Ihr Euren Glauben lau werden lassen. Nehmt also das Buch der Bücher, aus dem jede gläubige Frau den ihrer Lage förderlichen Geist des Gehorsams, der Treue und Ergebenheit schöpfen kann.«

Allein geblieben, machte sich Angélique, nachdem sie die Bibel unentschlossen in ihren Händen hin und her gewendet hatte, auf die Suche nach Maître Gabriel. Ein Kommis sagte ihr, daß er sich im Erdgeschoß, in den Magazinen aufhalte, wo er mit seinen Rechnungsbüchern beschäftigt sei.

Durch den Hof und über eine Stufe hinunter gelangte man zu zwei oder drei großen Räumen, in denen der Kaufmann seine kostbareren Produkte unterstellte, unter anderem Proben von Charente- und Branntweinen, die er in großen Posten nach Holland und England lieferte. Gerade verabschiedete sich ein englischer Kapitän, nachdem er eine Bestellung aufgegeben und zweifellos auch seinem Gaumen etwas zugute getan hatte. Branntweinduft schwebte in der Luft, Fliegen summten um die beiden gläsernen Humpen, die im Laufe der Verhandlung geleert worden waren.

Der englische Kapitän ging sehr steif an ihr vorbei, nahm sich aber die Mühe, seinen verwaschenen Filzhut vor Angélique zu ziehen und ein Kompliment über »the charming wife of Maître Gabriel« zu drechseln. Dieser verbesserte, ohne die Nase von seinem Buch zu heben: