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Ein leichter Schatten breitete sich über sein Gesicht.
»Ich bin mit ihm nicht immer über die Methoden einig ... Aber, verzeiht, mir scheint einerseits, daß ich Euch zum erstenmal entdecke, und andererseits kommt es mir vor, als habe ich Euch schon einmal gesehen. Wie konnte ich, wenn es so ist, nur den Namen einer so charmanten Dame vergessen!«
»Ich bin die Magd Maître Gabriel Bernes.«
Plötzlich erinnerte er sich:
»Ich hab’s. Ich habe Euch an jenem berühmten Abend bei Maître Berne bemerkt, an dem mich die Kapuziner des Paulinerklosters am Kragen zum Lager des armen, angeblich im Sterben liegenden Lazare schleppten, um ihnen bei der Bekehrung beizustehen. Maître Gabriel kehrte eben von einer Reise zurück, und Ihr begleitetet ihn .«
Er fügte streng hinzu:
»Ihr habt ein Kind, das nach dem Gesetz in der katholischen Religion erzogen werden muß.«
»Ich erinnere mich, daß Ihr sagtet, meine Tochter sei sicher ein Bastard«, erklärte Angélique, die sich entschlossen hatte, lieber mit offenen Karten zu spielen, um Nachforschungen über ihre Person zu vermeiden. »Nun ja, Ihr hattet recht. Sie ist einer.«
Monsieur de Bardagne zuckte bei dieser Anwandlung von Offenheit zusammen.
»Verzeiht mir, wenn ich Euch verletzt habe, aber mein schwieriges Metier in dieser Stadt verpflichtet mich, mich vom Religionsstand des Geringsten ihrer Bewohner zu überzeugen, und .«
»So ist es eben«, unterbrach ihn Angélique mit einem Achselzucken.
»Wenn man so schön ist wie Ihr«, meinte der königliche Beamte mit nachsichtigem Lächeln, »versteht man, daß die Liebe .«
Angélique schnitt ihm erneut das Wort ab.
»Ich möchte Euch nur davon in Kenntnis setzen, daß Ihr es weder nötig habt, Euch um die Taufe meines Kindes noch um seinen Katechismus zu kümmern, da es katholisch ist wie ich.«
Monsieur de Bardagne war bereits mit dem Gedanken umgegangen, daß diese junge Frau eine Konvertierte oder zumindest in einem katholischen Kloster erzogen worden sein müsse. Entzückt über seine feine Nase, gratulierte er sich.
»Damit erklärt sich alles, denn ich ahnte schon ... aber wie habt Ihr es wagen können, bei Calvinisten eine Stellung anzunehmen. Das ist sehr ernst.«
Angélique hatte schon eine Antwort parat. Ein Gedanke war ihr gekommen, den sie indirekt den feindseligen Äußerungen Séverines verdankte.
»Monsieur«, sagte sie, die Lider senkend, »mein Leben ist nicht immer sehr musterhaft gewesen. Ihr müßt es schon den Geständnissen entnommen haben, die ich Euch machte. Aber ich hatte das Glück, einer Person von großer Frömmigkeit zu begegnen, die ich Euch nicht nennen kann, obwohl sie hier lebt, und die mich von der Notwendigkeit überzeugte, meine Fehler wiedergutzumachen, und mir auch einen Weg dazu wies. So bin ich denn in den Dienst jener Familie Berne getreten, die alle Glaubenseifrigen eines Tages unter den Konvertierten La Rochelles sehen möchten.«
»Aber, natürlich, Ihr könnt auf mich rechnen!«
Er fragte sich bereits, welche der Damen der Gesellschaft vom Heiligen Sakrament dieses Mädchen in frommer Spionagemission bei den Bernes eingeschmuggelt haben mochte. Madame de Berteville? ... Madame d’Armentières? ... Was lag daran? Seine Neugier würde unbefriedigt bleiben. Die Gesetze der Gesellschaft sorgten für strengste Verschwiegenheit. Er wußte einiges davon, da er selbst zu ihr gehörte.
Schon hatte Angélique ihren Blick aus dem Fenster gewandt. Der Anblick der Straße am Wall erfüllte sie mit Unruhe.
»Es wäre furchtbar, Monsieur, wenn diese Leute sich während unserer Abwesenheit gegenseitig umgebracht hätten! Und ich habe meine kleine Tochter dort gelassen .«
»Nun, nun, dramatisieren wir nicht.«
Sie war charmant, wenn sie so erblaßte, wenn ihre klaren Augen sich in der Erregung weiteten und einen rührenden, herzbewegenden Ausdruck bekamen. Man verlangte danach, sie in die Arme zu nehmen und ihr Beistand für immer zu schwören.
Er half ihr beim Aussteigen aus der Kutsche, indem er ihr ritterlich die Hand reichte.
Ludwig XIV. hatte seine Pairs gelehrt, sich zuvorkommend gegen die geringste Kammerfrau zu verhalten, und die untergeordnete Stellung dieser hier vergaß man gern.
Monsieur de Bardagne jubilierte innerlich. Seitdem er wußte, daß sie eine Dienstmagd war, fiel es ihm schwer, seine Freude zu unterdrücken.
Sie konnte gar nicht anders als von dem Umstand geschmeichelt sein, daß eine so mächtige Persönlichkeit wie der Generalstatthalter, der persönliche Vertreter des Königs in La Rochelle, ihr seine Aufmerksamkeit zuwandte. Endlich würde er nicht mehr gegen die gleichsam angeborene Prüderie der reformierten Frauen zu kämpfen haben, deren Zurückhaltung zu überwinden er vergebens versucht hatte. In dieser Beziehung hatte er jede Hoffnung aufgegeben, selbst die auf die ein wenig säuerliche, pikante Jenny, die älteste Tochter Maître Manigaults.
Beim Anblick dieser prachtvollen Frau konnte man kaum glauben, daß die Fehler, die sie bereute, zu denen gehörten, die er, Nicolas de Bardagne, mit Vergnügen zu vergeben bereit war, vor allem dann, wenn man sie zu seinen Gunsten beging.
Und dazu kam, daß die Gegenwart ihrer kleinen Bastardtochter sie in eine Lage brachte, von der er nur profitieren konnte.
Ein ausgezeichneter Handel, ein festlicher Tag für ihn!
Beim Betreten des Hofs stützte er ihren Arm. Angélique bemerkte es kaum. Übrigens hatte sie es nötig. Ihre Beine trugen sie nicht mehr.
»Seht«, sagte Monsieur de Bardagne beruhigend, »alles hat sich beruhigt.«
Von der alten Rebecca bedient, tranken die vier Soldaten, der Kommis und der Sieur Baumier im Vestibül des Erdgeschosses Wein. Als Mann von Stand, der sich mit seinen Untergebenen nicht gemein machen kann, hielt sich Baumier ein wenig abseits.
Als er seines Vorgesetzten ansichtig wurde, erhob er sich und verneigte sich tief, schien aber durchaus nicht in Verlegenheit zu geraten.
»Hört Ihr?« fragte er mit einem resignierten Blick zur Decke.
Ein monotoner, düsterer Psalm, der aus dem Zimmer Lazare Bernes drang, besang den Tod und die Angst der Seele. Die Protestanten wachten um den bedrohten Leichnam, aus ihrer Gemeinsamkeit Trost und Stärkung schöpfend.
»Ihr seht«, wiederholte Monsieur de Bardagne, zu Angélique gewandt, »habe ich’s Euch nicht gesagt? In La Rochelle sind wir unter Leuten mit angenehmen Umgangsformen. Alles erledigt sich von selbst.«
Sie konnte den fernen Chor nicht ohne leises Erbeben hören. Sie würde nie aufhören, diese Melodien von den Lippen ihrer Diener und der um ihre Mutter gedrängten Cambourg-Kinder zu vernehmen, damals, als die Dragoner mit gezogenen Säbeln ins Schloß gedrungen waren .
Der Statthalter des Königs unterhielt sich halblaut mit dem Präsidenten der königlichen Kommission für religiöse Angelegenheiten.
»Ich fürchte sehr, daß Ihr bei diesem Unternehmen einem Mißverständnis erlegen seid, Monsieur Bau-mier. Es wird recht schwierig sein, den besagten Lazare Berne des Verbrechens der Rückfälligkeit zu beschuldigen, da er sich nie bekehrt hat.«
»Ihr habt mir versichert, daß Ihr mir freie Hand laßt, dergleichen Angelegenheiten nach meinem Dafürhalten zu behandeln und durchzuführen«, protestierte Baumier steif.
»Gewiß, aber ich setzte auch das Vertrauen in Euch, daß Ihr Eure Anklagen auf das genaueste fundiert. Der geringste Irrtum in diesen delikaten Fragen bringt uns die schlimmsten Schwierigkeiten auf den Hals. Die Reformierten sind sehr empfindlich und neigen nur allzusehr dazu, uns bösen Willen vorzuwerfen .«
Der Gesichtsausdruck des mit der Bekehrung der Protestanten betrauten Beamten ließ erkennen, daß ihm diese Bedenken absolut übertrieben schienen.
»Ihr macht zuviel Aufhebens von diesen Elenden, die nichts anderes als Deserteure des wahren Glaubens sind, Herr Generalstatthalter. Sie müssen mit der gleichen Härte behandelt werden wie auf dem Schlachtfeld dieses Verbrechens schuldig gewordene Soldaten.«
In diesem Augenblick erschien Monsieur Mani-gault, seinen Sohn Jérémie an der Hand führend und von seiner ganzen Frauenschar gefolgt.
Der Statthalter des Königs begleitete ihn nach oben. Ein Märtyrerlächeln um die messerschmalen Lippen, schloß Baumier sich ihnen an. Er war es gewohnt, allen Ärger hinunterzuschlucken. Die Gewißheit, daß er nichtsdestoweniger geistig und dienstlich auf dem rechten Wege war, half ihm, derlei Demütigungen zu ertragen. Ohne mit der Wimper zu zucken, hörte er zu, wie Nicolas de Bardagne sich vor der Versammlung zerknirscht über das »Mißverständnis« verbreitete und Maître Gabriel sogar versicherte, daß ihn keine Schwierigkeiten wegen der Öffnung der Stadttore im Augenblick der Beerdigung gemacht würden.
Der Zwischenfall war also abgeschlossen.
Er wäre um ein Haar wieder aufgeflammt, als eine kleine, runde Gestalt mit einem apfelgrünen Mütz-chen sich dem Sieur Baumier näherte, drohend einen Stock schwang und rief: »Du bist schlimm ... sehr schlimm. Ich mach’ dich tot!«