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Versteinert vor Schrecken starrte Angélique auf die Hände des Kaufmanns, deren Muskeln spielten, während sie den Hals gleich einer Zange immer enger umschlossen. Ein Röcheln stieg in die grausige Stille.
Angélique biß sich auf die Lippen, um nicht aufzuschreien. Es mußte ein Ende nehmen, und zwar schnell. Das Gesicht des Mannes färbte sich violett. Doch es nahm kein Ende .
Endlich verstummte das Röcheln. Mit zurückgebogenem Kopf und vorquellenden Augen lag der Elende auf den runden Steinen des Pflasters, Maître Bernemusterte ihn aufmerksam, bevor er ihn losließ und sich langsam aufrichtete.
Seine klaren Augen wirkten seltsam durchsichtig in dem von der Anstrengung geröteten Gesicht. Er trat zu dem anderen Individuum, drehte es um, schüttelte es und ließ es wieder in die Blutlache zurückfallen. Dabei murmelte er:
»Er ist tot. Er muß gegen diesen Mauerhaken gefallen sein. Um so besser! Das erspart es mir, mit ihm Schluß zu machen ... Dame Angélique .«
Er hob die Augen und hielt in der Bewegung inne, die ihn zu ihr geführt hätte. Eine unerklärliche Verwirrung überwältigte ihn. Die junge Frau hatte sich erhoben und stützte sich, am Ende ihrer Kräfte angelangt, gegen die Mauer, in der gleichen ergebenen Haltung, die vor kurzem der Mann im blauen Rock eingenommen hatte, als er blitzartig begriff, daß der Kaufmann ihn töten würde. Er erkannte sie nicht ...
Nicht ganz.
Angéliques entsetzte Augen glitten von einem der beiden leblosen Körper zum anderen. Angesichts der Tragödie, die sich soeben hier abgespielt hatte und deren Ursache sie gewesen war, stieg die panische Angst der Verfolgten wieder in ihr auf und durchdrang sie ganz, verwandelte den Ausdruck ihrer sonst ruhigen und stolzen Züge. Ihre Miene war die eines zu Tode erschreckten Kindes ...
Ganz an ihr Entsetzen verloren, bemerkte sie den Zustand nicht, in den sie die beiden Elenden versetzt hatten. Ihre Korsage war geöffnet, ihr Hemd zerrissen. Aus der verschobenen Haube lief das Haar auf ihre Schultern und halbnackten Brüste. Von einem Streifen Sonnenlicht getroffen, gewannen die langen, blaßgoldenen Locken einen kostbaren Glanz, den ihre weiße Haut noch betonte, auf der das Blut Spuren zurückgelassen hatte. Blut, das nun schwarz zu werden begann, befleckte auch ihren Barchentrock ...
»Seid Ihr verletzt?«
Die Stimme des Kaufmanns klang leise und wie abwesend. Er sah nicht nur die Blutspuren auf ihrer Haut ... Gierige Finger hatten auf diesem perlmuttern, jäh enthüllten Fleisch ihre Eindrücke zurückgelassen. Hatten es vielleicht auch gemeine Lippen berührt? Bei diesem Gedanken fühlte der Kaufmann von neuem eine Woge mörderischen Wahnsinns in sich aufsteigen. Dieser Körper, an den zu denken er sich untersagte, wenn diese Frau mit ungezwungenen, graziösen Bewegungen in seinem Haus umherging, dieser Körper, der sich unter den schweren Falten der Röcke bewegte und dessen erregende Reize die starre Korsage umschloß, ihn hatten diese Schweine beschmutzen wollen.
Was er selbst nie gewagt hatte, nicht einmal in Gedanken, sie hatten es getan. Sie hatten sie entblößt, hatten ihre schönen, edel geformten Beine enthüllt, Beine, wie man sie nur an den Statuen der Göttinnen sah.
Niemals würde er den Anblick von der Schwelle der Einfahrt aus vergessen, als er auf dieses Bild der Gewalt und der Wollust gestoßen war: eine von zwei Strolchen überwältigte, schamlos zurechtgelegte Frau. Und sie war es gewesen! .
»Ihr seid verletzt?«
So hart war seine Stimme, daß sie Angélique aus ihrer Benommenheit riß. Die kraftvolle, schwarzgekleidete Silhouette Maître Bernes schob sich zwischen sie und die blendende Sonne, zwischen sie und das Schreckensbild.
Sie drängte sich an ihn, ihr Gesicht verbergend, in der Dunkelheit der Schulter Schutz und Vergessen suchend.
»Oh, Maître Gabriel! . Ihr habt getötet . Ihr habt zwei Menschen getötet . meinetwegen . Was wird geschehen? Was wird aus uns werden?«
Er schloß seine Arme um sie und preßte sie an sich.
»Weint nicht, Dame Angélique.«
»Ich weine nicht . Ich fürchte mich vorm Weinen .«
Aber die Tränen quollen ihr aus den Augen, ohne daß sie ihrer bewußt wurde, und feuchteten den Spitzenkragen ihres Beschützers. Mit ihren Händen, ihren Nägeln klammerte sie sich an ihn. Er beharrte:
»Ihr habt mir nicht geantwortet ... Ihr habt mir nicht gesagt, ob Ihr verletzt seid.«
»Nein ... ich glaube nicht.«
»Dieses Blut?«
»Es ist nicht das meine ... es ist ... von dem an-dern.«
Ihre Zähne begannen aufeinanderzuschlagen.
Die Hand des Kaufmanns streichelte das weiche Haar mit den Goldreflexen.
»Beruhigt Euch . meine Freundin, meine liebste Freundin .«
Er besänftigte sie wie ein Kind, und sie ergab sich seiner geduldigen Stimme und dem vergessenen, köstlichen Gefühl, von einem Mann beschützt zu werden.
Jemand hatte sich zwischen sie und die Gefahr gestellt, hatte sie verteidigt, hatte für sie getötet. Sie löste sich weinend aus ihrer Erstarrung, gegen den unverletzlichen Schutzwall gedrückt, der ihr - sie wußte es nicht, warum - die Schulter des Polizisten Desgray ins Gedächtnis zurückrief. Das schreckliche Erlebnis, durch das sie eben gegangen war, verwischte sich. Die Wellen von Abscheu und Angst, die sie durchliefen, ließen nach, Ihr überstürztes Atmen erstickte sie nicht mehr und begann, einen normalen Rhythmus anzunehmen.
Plötzlich dachte sie: »Ich bin in den Armen eines Mannes, und ich fürchte mich nicht.« Es war wie die Ankündigung einer Genesung, die sie nicht mehr erhofft hatte.
Zu gleicher Zeit verspürte sie Scham. Sie fühlte die Nacktheit ihrer Haut unter den warmen Händen und wurde sich der Unordnung ihrer Kleidung bewußt.
Ihre feuchten Augen hoben sich verstohlen und be-gegneten dem Blick Maître Gabriels. Sein Ausdruck ließ sie erröten, und sie entwand sich ihm. »Verzeiht«, murmelte sie. »Ich war wie von Sinnen.«
Er ließ es zu, daß sie sich löste.
Mit fiebrigen Händen versuchte Angélique, Brust und Schultern mit den Fetzen ihrer Korsage zu bedecken. Durch ihre Verwirrung behindert, gelang es ihr nicht. Er war es, der ihr helfen mußte und den herabgeglittenen Träger, das abgerissene Bändchen fand. Sie errötete noch mehr.
»Regt Euch nicht auf. Diese Tiere haben Euch schrecklich zugerichtet«, sagte er. »Mit diesen Fetzen werden wir zu keinem befriedigenden Ergebnis kommen. Es wird das beste sein, dieses Mieder in die Brennesseln zu werfen . Aber jetzt müssen wir uns beeilen .«
Seine Stimme wurde förmlich, und Angélique, die der Richtung seines Blicks folgte, entdeckte den Soldaten Anselme, den Wächter vom Laternenturm, der sie von der Höhe des Walls aus beobachtete.
Während nicht endender Minuten dehnte sich die stumme Spannung an beiden Enden des Gäßchens. Dann schien sich der Soldat entschlossen zu haben. Er setzte sich in Bewegung und stieg mit schweren Schritten die steinernen Stufen hinunter.
Seinen Wildschweinskopf unter dem stählernen Helm wiegend, kam er auf sie zu. Das Hämmern seiner Stiefel und seiner Hellebarde auf den Pflastersteinen hallte laut durch die Gasse. Der Kaufmann betrachtete seine bloßen Hände, als frage er sich, ob sie noch Kraft genug hätten, diesen neuen, bewaffneten Feind niederzuzwingen.
»Gute Arbeit, Freund«, brummelte der Soldat mit seiner rauhen Stimme. »Ich hab’ von da oben aus das Ende mit angesehen. Ohne Euch zu schmeicheln, Maître Berne, Ihr habt tüchtige Fäuste ...«
Mit dem Ende seiner Pike berührte er eine der beiden Leichen.
»Die beiden da kenn’ ich ... Dreckskerle sind’s. Baumier bezahlt sie dafür, daß sie die Frauen und Töchter der Protestanten belästigen. Die Ehemänner oder Väter kommen dazwischen, es gibt Streit, und schon hat er die schönste Gelegenheit, ein paar Hugenotten mehr ins Gefängnis zu sperren ... Mir schmeckt das nicht.«
Auf seine Waffe gestützt, in der Haltung, in der er gewöhnlich seine Gespräche zu führen pflegte, fuhr er fort:
»Was soll man anderes tun als abschwören, wenn man wie ich den Wippgalgen und die Ruten hinter sich hat? Ich bin ein armer Soldat, und man muß leben. Aber das ist noch lange kein Grund, meine Brüder von früher zu verraten. Macht schnell, laßt das Aas da verschwinden . Ich habe nichts gesehen.«
Er wandte ihnen den Rücken und kehrte mit schwerfälligen Schritten zu seinem Posten auf dem Wall zurück.
»Schaut in den Hof«, befahl Maître Berne Angélique. »Ich möchte nicht, daß meine Gehilfen etwas davon erfahren. Wenn Ihr niemand seht, öffnet das Magazin zur Linken.«
Der Hof war glücklicherweise verlassen. Angélique riß die Tür des Schuppens auf, den er ihr angegeben hatte. Der scharfe Geruch der Salzlake benahm ihr den Atem.
Wieder bei Maître Berne angelangt, sah sie, daß er dem Erwürgten das Wams abgestreift und es dem anderen um den Kopf geschlungen hatte, um Blutspuren zu verhindern. Trotz dieser Vorsichtsmaßnahme bemerkten sie beim Transport des Leichnams mit Schrecken, daß ihre bespritzten Schuhe rote Flecke auf dem Pflaster des Hofs hinterließen. Sie legten die Leiche in den Schuppen und hasteten zurück, um die andere zu holen.
»Wir werden sie im Salz vergraben«, murmelte der Kaufmann. »Es ist nicht das erstemal. Es ist ein gutes Versteck. Das Salz konserviert sie, und wir können in Ruhe auf die beste Gelegenheit warten, sie verschwinden zu lassen.«