142425.fb2 Ang?lique, die Rebellin - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 67

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Dieses dumpfe Geräusch, das noch immer heraufdrang, war das heimliche La Rochelle, durchklungen von dem ihm verbündeten Meer und dem Gesang der Psalmen, die sich im 16. Jahrhundert aus seinen unterirdischen Kellern erhoben, in denen sich die ersten Anhänger der calvinistischen Sekte vereinigten.

Es war das Echo des gnadenlosen Kampfes, den sich in diesen Mauern zwei unversöhnliche Widersacher geliefert hatten und der an Tagen der Verfolgung mit derselben Bitterkeit, denselben von beiden Seiten beschönigten Verbrechen wiederauflebte.

Wie konnte man jemals dem Blut, der Furcht entrinnen?

Honorine lag mit ausgebreiteten Armen auf dem Bauch, die Stirn gegen die kalten Fliesen gedrückt, wie ein kleines Tier, das ohne Hoffnung den Tod erwartet.

»Sie hat Euch den ganzen Tag gesucht«, erklärte Abigaël. »Sie schien uns ängstlicher als gewöhnlich. Sie spähte unter die Möbel. Sie verlangte, daß wir die Fenster und Türen öffneten. Sie rief Euch nicht, aber zuweilen stieß sie einen Schrei aus, der uns weh tat.«

»Wir boten ihr Näschereien an. Sie wollte sie nicht.«

»Ich habe ihr mein Holzpferd gegeben«, erklärte Laurier, »aber sie mochte nicht damit spielen.«

»Vielleicht ist sie krank?«

Mit sorgenvollen Mienen standen sie um das kleine Bündel herum, das ausgestreckt auf dem Boden lag. Ihre Betroffenheit wuchs noch, als sie den Zustand entdeckten, in dem sich Angélique ihnen darbot.

»Aber was ist Euch geschehen?« rief Tante Anna.

»Nichts Ernstliches.«

Sie hob ihre Tochter auf, drückte sie heftig an sich.

»Ich bin ja da, kleines Herz. Ich bin ja da.«

»Honorine hat gefühlt, daß ich mich in Gefahr befand«, dachte sie. »Deshalb war sie unruhig.«

Honorine war in der Gefahr geboren. Ihr Instinkt ließ sie das lautlose Nahen des riesigen, düsteren Tieres erkennen. Sie mußte es immer spüren, geduckt hinter den viereckigen Scheiben der Fenster.

An den Hals ihrer Mutter geklammert, forderte sie gebieterisch, daß man die Holzläden vorlegte, um die Nacht auszuschließen. Jedermann beeilte sich, ihrem Verlangen nachzukommen; erst dann fand sie sich bereit, ihre Umklammerung zu lösen und zu lächeln. Ihre Mutter war da, und aus den Spiegelungen der Scheiben war das schwarze, grausame Antlitz des Unheils verschwunden.

Man setzte sie auf ihren Stuhl und brachte ihr ihren Grießbrei. Angélique entfernte sich, um ihr Kleid zu wechseln, eine Schürze aus gestärkter Leinwand umzubinden und ihr in Unordnung geratenes Haar unter einer neuen Haube zu bergen.

Maître Gabriel plauderte halblaut mit Pastor Beau-caire und dessen Neffen, ebenfalls Pastor und Flüchtling aus den Cevennen. Er war eines Tages aufgetaucht, seinen kleinen, vierjährigen Sohn Nathanaël an der Hand führend.

Auch das Kind war an diesem Abend da, und die beiden Zwillinge der Familie Carrère vervollständigten die häusliche Runde, denn die Nachbarn hatten der Geburt des elften wegen die zehn Kinder des armen Advokaten unter sich aufgeteilt.

Entzückt, der Mittelpunkt eines so zahlreichen Hofes zu sein, wurde Honorine gesprächig.

»Mama«, fragte sie, als Angélique zurückkehrte, »wo ist der schöne Herr, der mir das goldene Spielzeug geschenkt hat?«

»Welcher schöne Herr?« forschte Maître Gabriel.

»Welches goldene Spielzeug?« erkundigte sich Tante Anna argwöhnisch.

Angélique hätte es lächerlich gefunden zu heucheln. »Monsieur de Bardgane war so liebenswürdig, dem Kind ein Geschenk zu machen.«

Inmitten eines eisigen Schweigens beschäftigte sich Honorine damit, in ihren Brei mit dem Löffel Gräben zu ziehen. Sie war in tiefgründige Überlegungen versunken.

»Ich möchte so gern einen Vater haben wie ihn«, sagte sie endlich mit enthusiastischem Lächeln.

Seit einiger Zeit suchte sie verzweifelt nach einem Vater für sich. Zuerst hatte sie ihr Auge auf den Pastor Beaucaire geworfen, aber dieser hatte sie schnöde enttäuscht. »Mein liebes Kind, ich liebe dich wie eine Tochter, aber ohne zu lügen könnte ich dir nicht sagen, daß ich dein Vater bin.«

Der Wasserträger, für den sie eine zarte Neigung empfand, lehnte eine solche Verantwortung gleichfalls rundweg ab.

Nun tastete sie offensichtlich die Möglichkeiten für Monsieur de Bardagne ab, aber der Augenblick schien schlecht gewählt.

Angélique zog es vor, sie in die Küchennische zu schaffen und zu Bett zu bringen.

Doch Honorine verfolgte ihren Gedankengang weiter:

»Ist er nicht mein Vater?«

»Nein, mein Liebstes.«

»Wo ist mein Vater dann?«

»Weit fort, sehr weit fort.«

»Auf dem Meer?«

»Ja, auf dem Meer.«

»Dann werde ich ein Schiff nehmen«, sagte Honorine.

Ihre Lider schlossen sich über der Vision einer wundersamen Reise, und sie schlief ein, von ihren Gefühlsaufwallungen erschöpft.

Angélique beschäftigte sich mit der Abendmahlzeit. Sie mußte dem Einerlei ihrer täglichen Pflichten nachgehen, um ihre Angst beherrschen zu können. Sie hatte Monsieur de Bardagne seit seinem Heiratsantrag nicht wiedergesehen und ihm nur einen Brief geschickt, der ihn zur Geduld mahnte.

Jedermann setzte sich zu Tisch und schickte sich an, die dampfende Miesmuschelsuppe zu löffeln, als die Glocke des Portals anschlug.

Sie sahen sich im Licht der Kerzen mit gespannten Gesichtern an. Die Glocke ertönte ungeduldig von neuem. Maître Gabriel erhob sich.

»Ich werde gehen«, sagte er. »Wenn wir nicht antworten, wird es verdächtig wirken.«

»Nein, ich gehe«, warf Angélique ein.

»Schicken wir Rebecca.«

Aber Rebecca fürchtete sich, ohne zu wissen, warum.

»Laßt mich gehen«, beharrte Angélique, indem sie ihre Hand auf den Arm des Kaufmanns legte. »Daß Eure Magd öffnet, ist durchaus üblich. Ich werde erst durch das Guckloch sehen und Euch dann benachrichtigen.«

Durch das Guckloch erkundigte sich eine Stimme:

»Seid Ihr es, Dame Angélique? Ich möchte Euch sprechen.«

»Wer seid Ihr?«