142425.fb2 Ang?lique, die Rebellin - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 9

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»Meine letzte Karte .«

Diesmal ihre Freiheit zu erobern, würde noch schwieriger sein als dem Harem Moulay Ismaëls zu entfliehen. Damals hatte ihr ihre Weiblichkeit gute Dienste geleistet. In die Schatten zu entkommen, der Nacht, der Stille Vertrauen zu schenken, die Verteidigungsmittel der wehrlosen Tiere zu übernehmen, die in ihren Verstecken mit der Farbe der Erde verschmelzen, den Beistand der Natur für sich zu fordern - das waren Listen, die diesmal nicht zum Ziel führen würden.

Eine so dicht gewobene, solide Macht wie die des Königs von Frankreich zu brechen, erforderte den Eklat, den Lärm, den Trotz der offenen Herausforderung, eine männliche, zu allem entschlossene Kraft.

Die Trompeten von Jericho würden nicht genügen. Wo in diesem einem einzigen Herrn unterworfenen Königreich war der zu finden, der das Schwert der Rebellion erhob?

Ihrer Welt, ihrem Rang, ihren Standesgenossen wiedergegeben, wurde es Madame du Plessis-Bel-lière klar, daß sie keine Freunde besaß. Keinerlei Bereitwilligkeit zur Beteiligung, die Freundschaft, Leidenschaft oder zumindest doch gemeinsamer Ehrgeiz hätte bewirken können, war zu erhoffen. Mit welcher Geschicklichkeit hatte es dieser junge König verstanden, die Ehrerbietung aller auf sich zu ziehen! Nicht einer der stolzen Herrn, der sich nicht vor ihm neigte. Sie rief sich ihre Namen wie die von Gespenstern ins Gedächtnis: Brienne, Cavois, Louvois, Saint-Aignan ... Lauzun war im Gefängnis. Er würde noch Jahre dort bleiben, würde es gealtert und freudlos verlassen .

Auf der schmalen, von einer Brüstung aus weißem Stein umrundeten Plattform stehend, befragte Angélique den Horizont.

»Wirst du mich behüten, mein Land?«

Der Schiefer der spitzen Türmchen glänzte unter der sengenden Sonne wie spiegelndes Metall. Aber der von den Sümpfen her wehende Wind trug feuchten Hauch herauf und ließ die Wetterfahnen knarren. Im reinen Himmel zog ein Falke mit weit ausgebreiteten Flügeln seine Kreise.

Der Wald begann hinter Plessis, Davor breitete sich das Grün des Parks und der Felder, und zur Linken, sehr fern, wie schwebend zwischen Himmel und Erde, halb Wolke, halb Traum, erstreckten sich die Sümpfe des Poitou.

Von ihrem Turm aus vermochte Angélique kein Lebenszeichen zu erkennen. Denn diese Wildnis mit ihren im Schatten der Baume sich verbergenden Feldern bot dem sie betrachtenden Auge den stetigen Anblick wogender, lichtglänzender Laubkronen, der auch den Wald kennzeichnete. Dort, wo das ländliche Leben sich am tätigsten regte - in den von Kastanien überwölbten Meiereien und den verlorenen Dörfern, deren Glockengeläut die dichte Wand der Bäume nicht zu durchdringen vermochte -, sah man nur eine grüne, von schwarzen Furchen durchzogene Wildnis, die die felsigen Schrunde verrieten, durch die sich die eisigen Wasser der Vienne, Vendée und Sèvre ergossen.

Steile, rosige Felswände, klaffende Wunden im Fleisch der Erde, durchzogen von Grotten, in denen das Licht der Fackeln unter der Salpeterschicht ok-kerfarbene oder schwarze Umrisse enthüllte, die, wie man sagte, von Geistern gezeichnet worden waren. Das Kind Gontran hatte sie damals gesehen. Seine Schwester Angélique, Fee dieser Zauberhöhlen, hatte sie ihm gezeigt. Aber da er sie allein betrachten wollte, verjagte er das kleine Mädchen, und Angélique hatte rachsüchtig andere Entdeckungen für sich behalten.

Aus der unsichtbaren Ebene, der Domäne des Getreides, dem Einfallstor der Invasionen, wand sich die alte römische Straße. Ihre graue, mit großen Steinplatten geschuppte Schlange drang in die Wildnisfestung ein, die einstmals die gallische Heimat der Pikten geschützt und den Legionen Cäsars lange Zeit widerstanden hatte.

Im Norden schlossen sich an den Forst von Nieul die Wälder von Fontevrault, Scevolle, Lancloître, Châ-tellerault und, zwischen Vienne und Creuse, die von La Guerche und Chantemerle. Im Osten und Süden dehnten sich die Sümpfe des Nebels, die Sümpfe der Charente, Einsamkeit der Heide, unzugängliches Gestrüpp, feuchte, schlammige Erde ...

Für welchen Einsatz hatte sie das Schicksal in die vertraute Landschaft der Bäume und des Wassers zurückgeführt, die ihre Seele geformt hatte?

Welche Lektion sollte sie lernen, die zu begreifen sie sich weigerte?

Welche Wahrheit sollte sie entdecken, die dieses alte, von den einander folgenden Wogen der Zivilisationen überflutete Land seit ihrer Kindheit vor ihr verborgen hatte?

Dolmen, jene geheimnisvollen antiken Steinmonumente, erhoben sich in den Tiefen der Wälder, Menhirs reihten sich in den Heiden, düstere, wie Reliquienschreine verzierte Kapellen standen zu Ehren örtlicher Heiliger an allen Kreuzwegen, in friedlicher Nachbarschaft mit den Ruinen römischer Tempel, deren Götter zu bekämpfen sie errichtet worden waren.

Diese beiden Undurchdringlichen, Wald und Sumpf, waren es gewesen, die sich im Jahre 732 den entfalteten Bannern der arabischen Horden und während des Hundertjährigen Kriegs den Einfallen der hungrigen Engländer entgegengestellt hatten.

Land, starrend von den von Zauberinnen oder Rittern erbauten düsteren Wehrtürmen der Abteien, aus denen man die bösen Geister hatte austreiben müssen.

Land der Religionskriege. Die verfluchte Stätte von La Châtaigneraie war nicht fern, wo katholische Truppen 1562 an die hundert zum Gebet versammelte Männer, Frauen und Kinder umgebracht hatten, und in der Gegend von Parthenay erinnerte man sich noch heute des protestantischen Reiters Puyvault, dessen Lieblingsgericht Frikassee aus Mönchsohren gewesen war.

Land der Aufstände und Räubereien: unter Richelieu hatten die »Barfüßler« die Steuereinnehmer massakriert, und unter Mazarin waren die »wie Aale durch die Wasserläufe flitzenden« Sumpfleute vergeblich von den Soldaten des Königs verfolgt worden.

Als Angélique noch ein Kind gewesen war, schien es ihr, daß alle, die von außerhalb kamen, Fremde, ja Feinde seien. Sie hatte ihnen argwöhnisches Mißtrauen entgegengebracht. Sie hatte ihr Eindringen gefürchtet und die durch sie verursachte Störung der geheimen, köstlichen, nur ihr und den ihren bekannten Ordnung des Landes ihrer Kindheit.

Heute drängte sich ihr dasselbe Gefühl auf. Der vor ihren Augen ausgebreitete Horizont konnte sie nicht so verraten, daß er die mit ihrer Verhaftung beauftragten Sendboten des Königs von Frankreich passieren ließ.

Die Soldaten, die am Fuße des Schlosses Wache hielten, waren wenig zahlreich. Das Poitou würde schon dafür sorgen, daß sie verschwanden, wenn das Signal dazu gegeben würde, ebenso wie die Rotten, die durchs Land zogen, um die Protestanten zu quälen. Man hatte bereits Erstochene in den Gräben gefunden, und die Frauen der Dörfer Morvay und Melles hatten sie mit glühender Asche empfangen, als sie zur Messe geschleppt werden sollten. Geblendet hatten sich die Soldaten zurückziehen müssen und waren jämmerlich wieder in ihrem Quartier in Plessis erschienen.

Der Herzog Samuel de La Morinière und seine Brüder Hugues und Lancelot, hugenottische Grandseigneurs, waren in die Grotten der Furt von Santis geflüchtet, nachdem sie den Dragonerleutnant getötet hatten, der ihr Schloß besetzen sollte.

So begannen die unvermeidlichen Schlußsätze der Erzählungen ihrer Amme Fantine mit gegenwärtigen Bildern lebendig zu werden; »Da die Soldaten großen Schaden anrichteten, flüchteten sich die Landleute in die Wälder ...« Oder auch: »Der arme Ritter, der der Rache des Königs entfliehen wollte, zog sich in die Sümpfe zurück, wo er sich zwei Jahre lang von Aalen und Enten nährte .«

Sobald die Dämmerung sank, würde der Ruf eines Horns über die Wildnis hallen. Nicht, um das Ende einer Jagd anzuzeigen, sondern um geheimnisvolle Botschaften zwischen den gejagten Hugenotten und ihren Glaubensbrüdern zu vermitteln. Einer von ihnen, der Baron Isaac de Cambremont, bewohnte nicht fern von Plessis ein altes, verfallenes Schloß, dessen schwarzer Donjon sich gegen den roten Himmel abhob. Von fern her kam Antwort auf seine Signale, und zuweilen hörte man unten Montadour beunruhigt fluchen. Seitdem der verdammte ketzerische Patriarch La Morinière in die Wälder gegangen war, war es mit den Bekehrungen nicht mehr weit her. Zwar waren die Tempel verriegelt und versiegelt, aber es bestand nicht der leiseste Zweifel, daß sich diese vermaledeiten Nachtschmetterlinge an unzugänglichen Orten verkrochen, um ihre Choräle zu singen.

Um sie zu überraschen, wollte er mit seinen Leuten einen Vorstoß in den Forst unternehmen, doch sie hatten Angst vor dem düsteren Labyrinth. Vergebens suchte er katholische Jäger zu überreden, ihm als Führer zu dienen.

Eine Vision verfolgte Angélique. Daß ein Reiter in vollem Galopp erschien und an das Tor des Schlosses klopfte: der König. Und daß er sie in seine Arme nahm, um ihr zuzuflüstern, was er keiner anderen Frau schrieb: »Meine Unvergeßliche ...«

Zum Glück war die Zeit vorbei, in der der König von Frankreich sich auf ein Pferd werfen und mit verhängten Zügeln zu seiner Geliebten ritt wie damals, als er noch in Marie Mancini verliebt gewesen war.

Ein Gefangener der Umstände auch er, mußte er warten, daß sie sich unterwarf, und vergeblich suchte er bei Monsieur de Breteuil einen Anlaß zur Hoffnung.

»Wird sie kommen, Monsieur?«

Der Höfling verneigte sich und suchte ein spöttisches Lächeln zu verbergen.

»Sire, Madame du Plessis ist noch mitgenommen von den schrecklichen Mühsalen ihrer Reise.«

»Hätte sie Euch nicht eine Botschaft anvertrauen können? Nährt sie noch gegen unsere Person blinden Groll?«

»Ich fürchte es, Sire.«

Der König unterdrückte einen Seufzer, sein Blick verlor sich in der spiegelnden Ferne der großen Galerie.

Würde er sie eines Tages reuig, gebrochen dort vor sich sehen?

Er zweifelte. Eine Ahnung warf ihm das Bild seiner schönen Gefangenen zurück, auf der Höhe eines Turms, behütet von schwarzen Bäumen und schlafenden Wassern.

Angélique lief zwischen den Bäumen dahin. Sie hatte Schuhe und Strümpfe ausgezogen, und das Moos tat ihren nackten Füßen wohl. Dann hielt sie inne, um aufmerksam und erregt zu lauschen. In einem Blitz der Erinnerung erkannte sie den Pfad, dem sie folgen mußte, und setzte sich von neuem in Bewegung. Rausch der Freiheit! Sie lachte leise. Es war so leicht gewesen, in den Keller des Schlosses hinabzusteigen und zwischen den Weinfässern die kleine Pforte wiederzufinden, Ausgangspunkt des unterirdischen Ganges, den jeder herrschaftliche Wohnsitz in seinem Innern zu bergen sich schuldig ist.

Der unterirdische Gang von Plessis hatte nichts gemein mit dem erstaunlichen Tunnel des Hôtels du Beautreillis in Paris, durch dessen mit den Abflußkanälen des antiken Lutetia verbundene Wölbungen man bis zur Vorstadt Vincennes gelangen konnte. In Plessis gab es nur ein stinkendes, feuchtes Loch, durch das sie sich auf allen vieren hatte schieben müssen. Im Buschwerk draußen auftauchend, hatte sie zwischen den Zweigen hindurch das Schloß und die Soldaten in roten Röcken bemerkt, die ihre Wachrunden gingen. Sie war jedoch ihren Blicken entzogen, und die Posten konnten nicht ahnen, daß die, über die sie zu wachen hatten, sie aus ein paar Schritten Entfernung beobachtete und dann, vorsichtig die Zweige des Gebüschs auseinanderbiegend, davonschlich.

Jenseits des dichten Gestrüpps von Baumtrieben und Buschwerk, Himbeersträuchern und wilden Rosen, das die Grenze des Waldes bildete, weitete sich dieser zu einer riesigen grünen Kathedrale mit Eichen- und Kastaniensäulen.

Angéliques Herzklopfen ließ nach, und entzückt durch das Gelingen ihres Ausbruchs begann sie zu laufen. Sie fand ihre Kräfte wieder. Die harte Lehrzeit, die sie auf den Pfaden Marokkos hinter sich gebracht hatte, ließ sie das Erklettern moosiger Felsen, den Abstieg über steile Hänge zu plätschernd dahinfließenden, von schwärzlichen Blättern halb verschütteten Rinnsalen kindisch leicht empfinden. Bald senkte sich der Wald in Schluchten, die in lichtere Täler mündeten, bald hob er sich zu mit Heidekraut überwucherten Plateaus. Angélique bewegte sich sicher in diesem Durcheinander von Licht und Schatten, Trockenheit und Feuchtigkeit, modrigen Gerüchen, die aus den Tiefen der Schluchten stiegen, und dem lebendigen, fast mittelmeerischen Hauch, der auf den Höhen zu spüren war, dort, wo die Knochenstruktur der Erde mit scharfen Felskanten die dünne, blühende Erdschicht durchbrach.

Angélique hielt von neuem inne. Vor ihr erhob sich der Fels der Feen in seiner von druidischen Eichen umstandenen Lichtung gleich einer gewaltigen Kultstätte mit einer mächtigen steinernen Platte, deren vier Träger die Jahrhunderte tief ins Erdreich hatten einsinken lassen.

Sie umschritt ihn, um sich zu orientieren. Jetzt war sie sicher, sich nicht mehr zu verirren. Dieser Teil des Waldes mit dem Fels der Feen, der Schlucht der Wölfe, der Quelle von Troussepoil, dem Kreuzweg der drei Eulen, an dem sich eine Totenlaterne erhob, war während ihrer Kindheit der Schauplatz ihrer Abenteuer gewesen. Wenn sie die Ohren spitzte, konnte sie, herangeweht durch den Wind, die schweren Schläge der Holzfäller des Weilers Gerbier vernehmen, die sich für den Sommer mit ihren langen Äxten unter den Bäumen einquartierten. Weiter östlich hausten Kohlenbrenner in ihren geschwärzten Hütten, bei denen sie zuweilen Käse gegessen und lange Holzkohlenstücke für Gontran erbettelt hatte.

Aber damals war sie von Monteloup aus hierhergekommen. Die Pfade von Plessis waren ihr weniger vertraut, obwohl sie oft genug das weiße Traumschloß samt seinem Teich umschlichen hatte, dessen Herrin sie jetzt war.

Mit der gleichen Geste wie damals am gleichen Ort schüttelte sie ihren Barchentrock, in den sich Zweigstückchen verhakt hatten, glättete sie ihr vom schnellen Laufen in Unordnung geratenes Haar, breitete es über die Schultern und lächelte darüber, daß sie diesen Riten, die sie damals um nichts in der Welt unterlassen hätte, noch immer die gleiche Wichtigkeit beimaß. Dann verließ sie mit vorsichtigen, langsamen Schritten die Lichtung und begann, eine in den Fels gehauene, mit Humus und Laub bedeckte Treppe hinabzusteigen. Der Besuch, den sie vorhatte, erforderte eine gewisse Feierlichkeit. Angélique hatte niemals ihre nackten Wildlingsfüße auf diese Treppenstufen setzen können, ohne von einer scheuen Schüchternheit befallen zu werden, die kaum in Einklang mit ihrem Charakter stand. Tante Pulchérie hätte sie nicht wiedererkannt. Allein den dunklen Geistern des Waldes bot sie das vollkommene Bild des braven kleinen Mädchens.

Der Pfad fiel rasch zwischen graugrünen Schrunden ab. Kleine Rinnsale liefen an der Flanke des Berges herab, begleitet von hohen purpurnen Fingerhüten. Auch sie verloren sich. Aus dem dicken, schlammig zersetzten Blätterteppich brachen noch Schwammpilze, deren klebrige, orangefarbene oder prächtig violette Kuppeln im Unterholz beunruhigend und geheimnisvoll leuchteten. Alles war da: die Angst, die unheilige Unruhe vermischt mit Abscheu, die Neugier und die Gewißheit, Zutritt zur anderen Welt, der Welt der Hexerei zu erlangen, die Macht und Herrschaft verlieh.

Angélique mußte sich jetzt an den Bäumen halten, so steil fiel der Abhang ab. Haarsträhnen fielen ihr in die Augen. Sie strich sie ungeduldig beiseite. Sie erinnerte sich nicht, daß dieser Ort so fern und unzugänglich gewesen war; dann seufzte sie erleichtert auf, da sie den ersten Schimmer des Lichts entdeckte, das die Sonne jenseits des Felsens durch die grüne Transparenz des Laubwerks warf. Ihre Hand tastete durch das Moos nach einem festen Stützpunkt im Gestein, und sie ließ sich auf eine winzige Plattform über dem Flußlauf gleiten, dessen Murmeln von un-ten heraufdrang.