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Treibstoff für die Motorrad-Fiesta in Andalusien
Jerez de la Frontera ist eine gähnend fade Stadt mitten in Andalusien. Im Sommer ist dort eine riesen Hitze, so dass alles Gras zu gelbem Pulver verdorrt, im Winter ist dort gar nichts, und im Frühjahr ist die große Neuigkeit, dass die Störche angeflogen kommen um ihre Nester zu bauen. In Jerez gucken Fuchs und Hase zu, wenn am MiniFlughafen die Chartermaschinen direkt vor die Terminalhütte fahren, die Türen aufklappen und die Gäste dann einfach über den Platz ins Gebäude tapern. Vor der Tür setzen sie sich in ihre Mietwagen und kommen erst wieder nach Jerez, wenn der Charterflieger sie nach Hause bringen soll. Falls sie dann überhaupt in Jerez Zentrum waren, können sie von jeder Menge Flachbungalows berichten, einer unbedeutenden Kathedrale, einem ebenso unbedeutenden Schloss. Geschwärmt wird von Sevilla, von Cadiz, von Granada, Cordoba und Malaga, alles locker in Auto-Reichweite. Aber Jerez? Kann man getrost vergessen.
Damit das nicht so bleibt, denkt sich Jerez einiges aus: Ein jährliches Flamencofestival gibt es zum Beispiel, ein Pferdefestival und ein Herbstfestival ohne besonderes Thema. Nur einmal im Jahr ist in Jerez wirklich etwas geboten, wenn auf der Rennstrecke Circuito de Jerez, weit außerhalb der Stadt, Moto GP gefahren wird. Früher war sogar die Formel 1 mit einem Rennen dort zu Gast, jetzt sind es noch die Motorräder, die dort ihre Meisterschaftsrunden drehen. Wenn das Wochenende des „Großen Preis von Spanien“ ansteht, rollen Biker zu Hunderttausenden aus Spanien, Frankreich und Portugal herbei, um Teil dieses Spektakels zu sein. Nicht jeder hat überhaupt eine Eintrittskarte für die Vorläufe und Rennen in der 125er, 250er und Moto-GP-Klasse. Am Renntag an die Strecke zu kommen ist ohnehin nicht leicht, denn auch Autofahrer wollen das Rennen sehen. Da ansonsten in Jerez nichts los ist, ist die Polizei jedes Jahr wieder heillos überfordert von dem Ansturm. Manchmal kommen nicht einmal mehr Motorräder durch. Kilometer- und stundenlang staut es sich durch die andalusische Pampa. Wenn man dann mal da ist, an seinem Platz an der Strecke, sieht man aus ordentlicher Distanz sehr bunte, sehr laute Motorräder sehr schnell die Kurven kratzen. Man muss Glück haben, wenn man eine Videoleinwand im Blick hat, auf der Standings und Rennergebnisse angezeigt werden. Besser man hat einen Taschenfernseher dabei oder eine der seltenen Karten für die VIP-Lounges über der Start-und Zielgerade. Da fast keiner etwas davon hat, entwickelt das Rennwochenende seine eigene Dynamik, wird zum Motorradfest anlässlich des großen Rennens. Laute Partymusik spielt auf der Fanmeile vor der Strecke, schon während morgens die 125er ihre Rennrunden drehen, wird dort getanzt und ordentlich Cerveza gepichelt. Auf den Campingplätzen rund um die Strecke liegen palettenweise leere Bierdosen, vor den Zelten sitzen entsprechend rotäugige und bleichgesichtige Zombies, die noch überlegen, warum sie da sind, wegen des Rennens oder wegen der Party.
Auf dem Campingplatz und an der Strecke ist jedoch alles nur Vorglühen für den Abend. Da rockt Jerez und sogar noch der Nachbarort El Puerto de Santa Maria, in dem ansonsten ganzjähriges Schlummern angesagt ist. Tausende strömen auf die Straßen, um entweder ihr eigenes Motorrad vorzuführen oder zumindest den schicken, papageienbunten Lederkombi, oder aber um Motorräder und Menschen in Lederkombis zu bestaunen. Die schmalen Straßen sind voller Fußgänger, aber die Mopeds fahren trotzdem in die Menge, es wird begeistert und respektvoll Platz gemacht. Den meisten Applaus bekommt derjenige, der die Maschine am effektvollsten aufheulen lässt. Als Held gefeiert wird jeder, der einen Burnout wagt, den Reifen so lange durchdrehen lässt, bis er völlig auf die Straße radiert ist und die Menge in einer beißenden Wolke Gummidampf steht. Dafür gibt es großen Jubel und Schulterklopfen. Alle Lokale sind rappelvoll, auf manchen Tischen wird spät in der Nacht getanzt. Viele Wirte haben einen provisorischen Straßenverkauf eingerichtet, an dem es Gambas gibt und Bier aus Plastikbechern. Leergefutterte Gambaspanzer und zerknüllte Becher liegen haufenweise in jeder Ecke. Mancher klettert auf einen Laternenmasten und schüttet aus Jux einen ganzen Becher voll über die tobende Menge. Viele Männer sind da, aber auch Frauen, schöne Frauen. Die sind aber angesichts der geballten Maschinenmacht an diesen Abenden uninteressant. Die bierseligen Kerle schwärmen von der erotischen Ausstrahlung, die so manches Motorradheck für sie entwickelt. Der Motorradcorso reißt nicht ab, kommt aber auch nicht wirklich voran, es wird geschubst und gerempelt, gejubelt und gekreischt, und wer vor lauter Bier und Begeisterung kotzt, versucht bloß keine der teuren Maschinen zu treffen.
Die Ordnungskräfte beugen sich der feiernden Meute, sie kapitulieren und gucken in die Luft. Die ganze Nacht vor dem Rennen geht das so. Wenn dann doch ein paar Leute nach Hause gegangen sind, haben die Maschinen mehr Platz, heulen die Motoren um so lauter auf, werden Runden gedreht mit Wildfremden auf dem Sozius, Donuts gefahren, Wheelies vorgeführt. Es ist ganz und gar großartig, besonders weil es kein organisiertes Volksfest ist, sondern weil die Leute einfach machen, worauf sie Lust haben. Keiner erklärt, dass das so oder so nicht ginge. Dass es eigentlich nicht geht, was da passiert, weiß jeder, aber weil es eben doch geht, ist die Stimmung so ausgelassen wie auf einem Piratenschiff, das gerade eine Goldfregatte gekapert hat.
Wer zwischen Mitternacht und Morgen noch einen Absacker an einer Bar haben möchte, macht den Fehler seines Lebens, wenn er einen Sherry bestellt, das weltberühmte Getränk, das aus Jerez kommt, nach Jerez benannt wurde, und das keiner mit Jerez in Verbindung bringt, erst recht nicht die Gäste und Wirte auf der Partymeile. „Das wollen sie nicht trinken“, sagt der Barmann, „Sie wollen einen Brandy“, und er spricht es nicht englisch „Brändi“ aus, sondern mit einem tiefen, gefährlichen A und einem noch gefährlicher rollenden R. „Brrrandi“. Er hat recht. Nach einem Qualifying-Tag und einer röhrenden Partynacht, was passt besser als ein scharfer und doch vollmundiger Weinbrand, der den Mund von Gummipartikeln reinigt und für die nackten Gambas im Bauch ein kleines Feuer anzündet.
Am Montag Morgen ist der ganze Zauber wieder vorbei. Die Motorradfahrer machen sich mit eingezogenen Köpfen und leise surrenden Maschinen auf den Heimweg. Jerez versinkt wieder in der Langweiligkeit. Jetzt, wo man nicht mehr auf die Strecke gespannt ist oder die anstehende Party, ist das Auge gerade offen genug, um die vielen, vielen Sherrykeltereien entlang der Straße zu begutachten. Alle bekannten Namen stehen da an niedrigen, schmucklosen, eher industriell wirkenden Lagerhäusern: Sandemann, Tio Pepe, Osborne, Domeq, Dry Sac haben hier ihre Hauptquartiere. Auf den gelb verbrannten Hügeln neben der Autobahn stehen als meterhohe eindimensionale Skulpturen die Wappentiere der Keltereien, in schwarzem Blech kilometerweit sichtbar: Die Flasche mit dem Hut, der Mann mit dem Mantel, der Bulle. Sherry. Wenn in Jerez einmal im Jahr das Leben tobt, ist der Süßwein vergessen, genauso wie der Flamenco und die dressierten Pferde. Dann gibt es Bier und Brandy, den mit dem Stier, und die wildeste Party Andalusiens.
Den ganzen gähnenden Rest des Jahres rührt man dort dann artig Süßwein zusammen, füllt Süßwein in Fässer, füllt Süßwein in Flaschen und verkauft ihn am Ende der Handelskette dann an niederländische und englische Rentner. Oder Pauschalurlauber in Malaga, die zwar Mühe haben, am Strand ein Malaga-Eis mit Wein und Rosinen zu finden, für die aber der Süßwein wirklich niemals ausgeht. Genau diese träumen dann an verregneten Tagen in ihren geblümten Wohnstuben vom Feuer des Südens und vom Temperament der Spanier, von einer endlosen Fiesta in der Sherrystadt Jerez. Wenn die wüssten ...