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Kalb oder Schwein, Kaiserliches und Sauereien
Ich hätt’ gerne eine Eitrige mit einem Buckel, einem Kinderschiss und einem 16er Blech.“ Für diese Bestellung bekommt man an keinem Ort der Erde etwas zu Essen. Außer an einer beliebigen Imbissbude in Wien. Aber auch nur dann, wenn man Wiener ist und die Bestellung im Originalakzent an einer Würstelbude aufgibt. Spricht man sie in irgendeiner anderen österreichischen, schweizerischen oder, Gott bewahre, deutschen Klangfarbe aus, bekommt man nicht nur nichts zu essen, sondern wird des „Pflanzens wollens“, also der Verarschung bezichtigt, als „Piefke, greisliger“ identifiziert, der sich „zupfen soll“. Keine gute Idee also, denn das Benutzen ordinärer Ausdrücke ist in Wien ausschließlich den Wienern vorbehalten und sie verteidigen ihr Heimatprivileg nicht nur, sondern kultivieren es geradezu, um den Gästen zu zeigen, wer der Herr im Haus ist. Schimpfen und beschimpfen, die Welt und Umwelt mit der eigenen Sprache ins Ekelhafte, ins Abstoßende zu ziehen, darin sind die Wiener ungeschlagen. Aber auch in der unterwürfigen und daher brandgefährlichen Form der Höflichkeit im tatsächlichen Sinn des Höfischen: Etwas katzbuckelig, gerne mit hinter dem Rücken gekreuzten Fingern vorgebracht. In diesem, und bitte nur in diesem, Code hat der Gast zu sprechen, während der Wiener fluchen und schimpfen und sauen darf, wie es ihm gerade gefällt. So hat der Gast an der Imbissbude folgendermaßen zu bestellen:
„Bitte, ich möchte sehr gerne eine Käsekrainer mit einer Semmel, mit einem Klecks süßem Senf und einer Dose Ottakringer Bier.“ Das Getränk heißt 16er Blech, weil die Traditionsbrauerei im 16. Wiener Gemeindebezirk liegt; der Rest erklärt sich von selbst, wenn das Gericht auf dem Pappteller liegt.
Einen noch größeren Fehltritt erlaubt sich allerdings, wer am Würstelstand ein paar Wiener bestellt. Dann lieber Eitrige mit 16er Blech verlangen, denn auch wenn alle Gäste rund um den Stand Wiener Würstel verzehren, niemals, niemals, darf man sie bestellen. Knurren und fauchen ist noch die mildeste Reaktion der Standlbetreiber. Im ärgsten Fall wird man mit einem Hagel von wilden Flüchen davongejagt, und das umso wahrscheinlicher, je weiter sich der Stand von den Touristenmeilen entfernt befindet. Einen Hotdog darf man bestellen, zumal am berühmten Stand direkt an der Oper, ein Würstel, einen Knacker, eine Bockwurst gar (für deren Bestellung es wiederum in Bayern Beschimpfungen hageln würde), aber niemals ein Wiener Würstel. Wer es richtig machen will und seinen Snack mit einem angemessenen Katz-buckel über die Theke gereicht bekommen möchte, der bestellt Frankfurter Würstchen mit Senf.
Das liegt keineswegs daran, dass die Wiener ein Problem damit haben, ihre schöne und auch kulinarisch hochwertig bestückte Stadt mit profanen Lebensmitteln in Verbindung zu bringen. Das Wiener Schnitzel etwa lacht von der Speisekarte jedes wienerischen Lokals. Die Schnitzel müssen „so groß sein wie Abortdeckel und so fein wie Futlapperl“, formulieren die Wiener mit ihrer einzigartigen Attitüde: Sie müssen so groß sein wie Klodeckel und so zart wie Schamlippen. Wiederum ist nicht zu empfehlen, diesen Satz als Nicht-Wiener auszusprechen, auch wenn er zu jenen Sätzen gehört, die sich für den Rest des Lebens im Gehirn festsetzen. Man möchte nicht an ihn denken, tut es aber trotzdem, wenn das Gericht dann vor einem steht. Das ist genau so wie mit der Feststellung, das „Calamari Fritti“ auf Deutsch „Frittierte Arschlöcher“ sind, ein Bild, das unglaublich gut zu Wien passen würde, aber ihren Ursprung in teutonischen Betriebskantinen hat. Ordinär zu sein ist, auch wenn diese Tatsache den Wienern vielleicht nicht schmeckt, weder ihre Erfindung noch ihr Monopol, obwohl sie alles tun, um darin Weltmeister zu werden und dabei nicht einmal vor ihrem berühmtesten Gericht Halt machen.
In Wien hat die populäre, lokale, einzigartige und gerne auch vulgäre Ausdrucksweise einen Namen: Schmäh. Nicht zufällig kommt sie von schmähen, also Dinge schlechtreden. Ein guter Schmäh ist ein guter Spruch, und wer ihn auf den Lippen hat „tut Schmäh führen“. Wenn beim Bier der Schmäh rennt, also ein pointierter, einzigartiger Spruch dem anderen folgt, ist die Stimmung „Hammer“, wie der Piefke es im vergleichbaren Code sagen würde. Schmäh ist aber nicht einfach Gerede. Schmäh kann auch eine Lüge sein, eine Münchhausengeschichte. Wer etwas Unglaubliches berichtet, dem wird geraten, doch bloß nicht solchen Schmäh zu erzählen. Da die Wiener aber Meister sind im Schmäh führen und oft mit ihren Geschichten durchkommen, ist der Schmäh in letzter Konsequenz auch ein Trick, ein Kniff, ein Winkelzug. Dies zu begreifen braucht es intensiven und daher auch gelegentlich schmerzlichen und demütigenden Kontakt mit Wienern. Die Ehre, ihren Schmäh auch anerkannt führen zu dürfen, kann sich kein Fremder jemals erarbeiten, schon allein deshalb nicht, weil er stets eine innere Distanz zur wienerischen Seele behalten wird, was sich daran zeigt, dass er immer eine Millisekunde zuckt, wenn jemand Fisolen statt grünen Bohnen kauft, statt Tomaten Paradeiser oder zehn Deka Extra statt hundert Gramm Kalbfleischwurst. Denn dass ihm etwas als Wienerisch angerechnet wird, verzeiht der Wiener nicht. Er kennt nur Selbstverständlichkeit.
Wenn überhaupt ein Wiener dieses Kapitel bis hierher gelesen hat, wird er spätestens jetzt weiterblättern, denn nun geht es um Klischees und Lokalkolorit, zwei Begriffe, die er hasst, weil die Fremden dies an Wien lieben und er selbst damit nichts zu tun haben will.
Tatsächlich aber lebt Wien, und das können die Wiener so lange und mit dem besten Schmäh der Welt bestreiten, wie sie wollen, von seinen Klischees. Da wird ein unglaubliches Gedöns gemacht um die Kaffeehauskultur, um die Kaiserin Sisi und ihre Paläste, die Sachertorte, die Habsburger, den Opernball, die Fiaker, das Burgtheater, den Heurigen, die Würstelstände, die Torten beim Demel und die Manner-Schnitten. Um das Morbide - gleich mehrere Museen, von der Pestgruft im Stephansdom, der mumiengefüllten Michaelergruft über das Bestattungsund Kriminalmuseum bis zur Anatomischen Sammlung, stellen Leichenteile aus. Würden all diese Dinge mit einem Schlag aus der Stadt verschwinden, bliebe von ihr vor allem museale Prachtbauten. Um noch eins draufzusetzen steht auf dem Parkplatz vor dem Zentralfriedhof ein Würstelstand, dessen Betreiber besonders unfreundlichen Schmäh führt und selbstverständlich keine Wiener Würstel verkauft. „Wolln’s a Eitrige?“, fragt er statt dessen, klatscht ohne die Antwort abzuwarten eine fetttriefende, seit viel zu langer Zeit auf der Grillplatte liegende Wurscht in ein Vortagsbrötchen.
Es geht aber auch anders, nämlich im Code der Wiener Freundlichkeit, auf den in gepflegten Lokalen viel Wert gelegt wird. „Küss die Hand“ hört man zwar nur noch selten, aber „die Dame, der Herr“, und „sehr gerne“, auch wenn eben nur ein Bier bestellt wurde. Besonders viel Freundlichkeit und besonders gute Schnitzel bietet der „Figlmüller“, den wirklich nur jene Wienbesucher als teure Touristenklitsche schmähen, die nur einmal im Leben drei Tage Stadtbesichtigungstour gebucht haben. Morgens das Sisi-Museum in der Hofburg, nachmittags Schloss Belvedere und am frühen Abend den Stephansdom - ohne dabei Wien zu hören, zu fühlen, zu schmecken.
Des Figlmüllers Fluch und Segen ist seine Lage in der Wollzei-le, mitten im Zentrum, und sein Ruf für sein ausgezeichnetes Schnitzel. Aber es ist wirklich, wirklich ausgezeichnet. Das Lokal ist von jedem anständigen Innenstadthotel aus gut zu Fuß zu erreichen, weshalb natürlich viele Gäste von außerhalb da sind, aber auch ebenso viele Wiener. Figlmüller hat aus dem Fluch eine Tugend gemacht und erklärt das Wesen des Wiener Schnitzels so: „Wiener Schnitzel gibt’s bekanntlich viele, in allen Formen, Farben und Größen, vom Kalb, vom Schwein oder vom Huhn, mit Pommes frites, oder Erdäpfel, oft auch verzehrt mit Ketchup und so weiter. Jedes Lokal hat seine Stärken und so ist das Schnitzel wohl die Stärke bei Figlmüllers. Nur die besten, persönlich ausgewählten Bauern liefern das Fleisch, die Brösel der ,Kaisersemmel‘ werden speziell für den Figlmüller gemahlen und wer glaubt, die Schnitzel würden in einer Friteuse heraus gebacken, der irrt schmählichst. Reines Pflanzenöl als Zutat und eine wohl temperierte Pfanne, dann die hauchdünn geklopften Schnitzel nicht mehr als 30 Sekunden heraus backen und voila, fertig! Außerdem wird das Öl nach 3 bis 4 Durchgängen natürlich entsorgt. Der ganze Schmäh liegt also in der Vorbereitung, denn wäre das Fleisch zu dick, so müsste es natürlich länger ins Öl bis es ,durch‘ ist. Es wird also offensichtlich, dass der überaus gute Ruf des Figlmüller Schnitzels nicht nur vom Lob verschiedener bekannter Persönlichkeiten abhängt, sondern tatsächlich die ganz spezielle, raffinierte Zubereitung verantwortlich ist.“
Dem ist nichts hinzuzufügen, und die Schnitzel beim Figlmüller halten, was der wohlgeführte Werbeschmäh verspricht. Pommes gibt es natürlich nicht dazu, sondern Kartoffelsalat und frische Zitronenspalten. Was der Figlmüller und auch der gemeine Wiener gerne verschweigen ist die Tatsache, dass ihr kostbares Schnitzel gar nicht in Wien erfunden wurde, sondern durch den Krieg seinen Weg an die Donau fand. Mit dem Kaffee war es vorher genauso gegangen: Die Türken hatten bei der Belagerung Wiens einige Säcke davon zurückgelassen und nachdem die Wiener festgestellt hatten, dass es kein Kamelfutter war, machten sie sich daran, das fremde Gut zu assimilieren und das Ergebnis als ureigene Kreation der Stadt in die Welt zu tragen, als Melange und kleinen Braunen, Einspänner, Verlängerten und wie die Spezialitäten nicht alle heißen.
Die Legende besagt, dass Joseph Wenzel von Radetzky, Feldmarschall der Habsburger, das Ur-Schnitzel während seiner Zeit als Generalkommandant der österreichischen Armee im Königreich Lombardo-Venezien kennenlernte, also zwischen 1831 und 1851. Während er damit beschäftigt war, die Einigung Italiens und die nationalistischen Aufstände niederzubügeln, ließ es sich der alte Kämpe auch gut gehen und genoss in Mailand die „Cotoletta Milanese“, in Bröseln gewendete und in Olivenöl herausgebackene Kalbskoteletts. Diese selbst sollen ein Relikt aus dem Renaissance-Venedig gewesen sein, denn dort hatte man 1514 verboten, Speisen mit Blattgold zu überziehen, was den Damen und Herren gar nicht hatte schmecken wollen. Flugs hatten sich die Köche der dekadenten Herrschaft eine neue Form des Vergoldens einfallen lassen, nämlich das Panieren in Brotbröseln und Frittieren, wie sie es aus Spanien kannten. Radetzky, Freund des guten Lebens, erwähnte seine neue Leibspeise sogar in einem strategischen Bericht aus Mailand. Die Legende sagt weiter, die Wiener Hofküche habe Radetzky vor seiner endgültigen Rückkehr explizit darum gebeten, das Rezept aus Mailand mitzubringen. Radetzky, das ist übrigens derselbe, dem Strauss zum Dank für seine Leistungen den berühmten Marsch komponierte. Da wäre es einfach zu schön, wenn der beliebte Feldherr auch für das beliebte Schnitzel verantwortlich zu machen wäre. Seit Feldherren und k.u.k.-Romantik aber nur noch Folklore sind und im wahren Leben nichts mehr gelten, mehren sich die Stimmen, dass es sich bei der Geschichte mal wieder nur um einen Schmäh handelt. In Wirklichkeit sei das Wiener Schnitzel natürlich sehr wohl in Wien erfunden worden, genauso wie das Wiener Backhendl, das schon seit Urzeiten in Bröseln gewälzt und frittiert werde.
Man habe es nämlich gar nicht nötig, Speisen zu importieren und als Eigenkreationen auszugeben. Da wird Wien wieder einmal seinem Klischee gerecht, sehr sorgfältig zwischen Wienerischem und Zugereistem zu unterscheiden: Fremdspeisen werden auch mit Fremdnamen betitelt, so wie Palatschinken (Pfannkuchen) und Gulasch ja auch ihre ungarischen Namen behalten haben. Zwischen Tschuschen, Piefken und Wienern wird penibel unterschieden und was kein Wiener ist, darf sich auch nicht so nennen, genauso wenig, wie er Schmäh führen oder 16er Blech bestellen darf.
Die Mailänder sind nicht so empfindlich, wenn es um den Export und die Variationen ihres Koteletts geht - ob nun die Wiener ein Schnitzel draus machen oder deutsche Kantinenwirte eine Piccata alla Milanese. Italienische Küchenhistoriker behaupten allerdings, das Cotoletta Milanese sei eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, 1855 beschrieben vom Kochbuchautor Giuseppe Sorbiatti als „Costoline di vitello fritte alla Milanese“, ein Kalbsschnitzelchen, das erst in Ei und dann in Brotkrümeln gewälzt wird. 1891 präzisierte Pellegrino Artusi, ein anderer Kochprofi, dass es dazu eine würzige Sauce aus Schinkenstreifen, Petersilie, geriebenem Parmesan und, wenn möglich, einem Hauch von Trüffeln geben sollte. Andere Köche warten mit immer neuen Definitionen und Variationen auf, mal mit mehr, mal mit weniger Käse, dafür vielleicht mit Muskat, in Brühe gegart statt frittiert, bis am Ende eigentlich keiner mehr weiß, was jetzt ein Cotoletta alla Milanese ist, oder ob es nicht vielleicht doch Costoletto oder gar Piccata heißt. Den Mailändern ist es egal, Hauptsache, man sieht beim Essen gut aus.
Wiener reagieren mit giftigem Schmäh, wenn das Schnitzel nicht den Abortdeckel- und Futlapperl-Kriterien entspricht oder wenn sich unter der Panade gar Schweinefleisch statt eines aus der Schale geschnittenen Kalbsschnitzels einschleicht. Das heißt dann nämlich Schweinsschnitzel gebacken. „Geh’ bitte, heeeaaaans“, wo käme man denn da hin, wenn man das verwechselte. Variationsmöglichkeiten werden konsequent ausgeschlossen, auch bei der Original-Sachertorte, um deren Originalität, Ursprung und Nomenklatur erbitterte Kleinkriege und Rechtsstreite geführt wurden, denn auch da muss Ordnung sein, man ist ja schließlich nicht in Italien. Man achtet auf Tradition und Geschichte, ehrt seine historischen Helden mit Märschen und Torten wie der Eszterhazy-Schnitte oder eben dem Radetzky-Marsch.
Was in Wien erfunden oder kultiviert und damit zu einzigartiger Blüte geführt wurde, wird auch in Wien reglementiert, sonst wäre es ja nicht mehr wienerisch. Damit scheint klar zu sein, dass das Wiener Würstel gar keine Wiener Erfindung gewesen sein kann, sondern von irgend jemand anderem den Wiener Stempel aufgedrückt bekommen hat. Deshalb distanzieren sich die Wiener vom Wienerle genauso wie von Schokoladentorten, die irgendeine Piefke-Hausfrau aus Niedersachsen zusammengerührt hat, denn die würde in Wien ja auch niemand OriginalSachertorte nennen - auch nicht nennen dürfen.
Ausgerechnet ein Piefke soll aber das Wiener Würstchen erfunden haben, so sagt eine in Deutschland gepflegte Legende. Danach schipperte der fränkische Metzger Johann Georg Lahner um 1800 auf der Suche nach neuen Ufern die Donau hinunter und blieb in Wien hängen. Im Gepäck hatte er das uralte, wohl noch aus dem Mittelalter überlieferte Rezept für Frankfurter Würstchen, einer groben Schweinewurst, die er in der Lehre in Frankfurt am Main kennen gelernt hatte. In Wien, wo es zu der Zeit zwar schon Sachertorte, aber noch kein Wiener Schnitzel gab, man aber stets hungrig war auf Extravaganzen, perfektionierte er sein Rezept: Er mischte Schweine- und Rindfleisch und drehte es so lange durch, bis er ganz feines Brät hatte, das er in ebenso feine Schafsdärme füllte, brühte und zart räucherte. Seine Frankfurter, verkauft im bis heute bürgerlichen Wiener Viertel Josephstadt, waren der Renner: bei Bürgern, bei Hof und in den Salons der Künstler. Das ist keine Legende mehr. Johann Nestroy, Franz Schubert, Johann Strauß, Adalbert Stifter, sie alle ließen sich das Würstel schmecken, während sie ihren Zeitgenossen künstlerische Denkmäler setzten, ihnen Ehrenmärsche komponierten oder auch mit Bosheit und Schmäh auf die Wiener Seele blickten, die gar nicht so lieb und herzig ist, wie sie tut.
Kaiser Franz Joseph I. soll das Würstel zu seiner Leibspeise erklärt haben. Obwohl das wahrscheinlich wieder eine Legende ist, zeigt es, dass die Wiener mit dem Würstel an sich gar kein Problem hatten. Kaisers liebstes kleines Gabelfrühstück reiste zu Weltausstellungen nach Paris und Chicago und weil auch dort jeder das Würstel aus Wien liebte, brühten und räucherten bald Metzgereien rund um die Welt Plagiate der Wiener Würstel. Die Österreicher und insbesondere die Wiener blieben aber stur beim Frankfurter, was schon allein deshalb seltsam ist, weil das erst importierte, aber dann vor Ort perfektionierte Schnitzel ja auch Wiener Schnitzel heißt. Und was erst recht seltsam ist, weil das Würstchen ja nicht einmal importiert, sondern tatsächlich erst in Wien erfunden wurde. Denn in Frankfurt war es verboten gewesen, Schweine- und Kalbfleisch zusammen in einen Darm zu stecken, ebenso wie sich in die Panade des Wiener Schnitzels kein Schwein einrollen darf. Daran, dass Lahner ein Piefke war, kann es auch nicht gelegen haben, denn der erhielt das Wiener Bürgerrecht und wurde gar am Zentralfriedhof begraben.
Mit Tradition und Geschichte, mit dem Kaiser gar, lässt sich das Würstel in Verbindung bringen. Da müssten die Metzger doch eigentlich Prozesse und erbitterte Kleinkriege darum führen, wer das Original-Wiener-Würstel anbieten darf. Aber es regt sich nicht einmal Widerspruch dagegen, dass das Kaff Gasseldorf bei Ebermannstadt in der fränkischen Schweiz, das Lahner schon als junger Mann wurst- und grußlos verlassen hatte, sich als Ursprungsort des „Wienerla“ feiert, Lahner ein Denkmal errichtete und sich gar beim Deutschen Patentamt das Urheberrecht auf das „Wienerla“ eintragen ließ - Patent Nummer 304 291 27. Das müsste die Wiener Seele eigentlich so quälen, als würde man im ostdeutschen Radeberg ein Radetzky-Denkmal aufstellen und sich als Heimat des Wiener Schnitzels ausgeben. Von dem Geschäft, das sich die Wiener da entgehen lassen, ganz zu schweigen.
Das Wiener Würstel wurde sowohl in Wien erfunden als auch in Wien kultiviert. Analog zu anderen Wiener Spezialitäten müsste es also den Namen der Donaumetropole tragen. Doch das Wiener Würstel heißt in Wien weiterhin konsequent und trotzig Frankfurter, oder bestenfalls eben Würstel, vorzugsweise in der Kombination Würstel mit Saft. Das ist ein Paar Wiener in einem Teller voller scharfer Gulaschsauce, ein klassisches Restessen, das in keinem Beisl, also keiner Vorstadtkneipe fehlen darf. Wer noch weniger ausgeben will, steht am Würstelstand, und wählt außer zwischen Eitrigen und Frankfurtern noch zwischen stark geräucherter Waldvierteler, der kräftig gewürzten, groben Bosna-Bratwurst, der scharfen ungarischen Debreziner und der Burenwurst, einer groben, dicken, sehr würzigen Variante, die es gebraten und in Wasser erwärmt gibt. Alle diese Würste sind nach Orten außerhalb Wiens benannt, obwohl in Wien der Würstelstand kultiviert wurde: in Kriegszeiten, als kaum jemand Geld hatte, im Lokal ein Kalbsschnitzel zu essen und stattdessen im Stehen Schmäh führte wegen der schlechten Zeiten und wegen des Schmähführens an sich. So wuchsen rund um die Würstelstände finstere Anti-Kosmen zur hell erleuchteten Welt der Restaurants:. Hier Schnitzel, dort Burenwurst. Hier Stolz, dort Verachtung. Hier „Küss die Hand“, dort „Leck mich am Arsch“. Hier zarte Futlapperl - dort derbe „Burenheidl“ (Buren(vor)häutchen), wie die Burenwurst im Standl-Code heißt. „Ihr Hurenbeitl, kaufts Burenheidl!“, ein legendärer Schmäh, um das männliche Pendant zum Schnitzel unters Volk zubringen. Und da haben wir’s: Es ist der eigene Schmäh, der den Wienern das Wiener Würstel verleidet. Am Wiener Würstel möchte nie-mand gemessen werden. Erst recht nicht, wenn es gerne im Saft kommt. Die Ehre, ein Frankfurter Würstchen zu sein, überlässt man „sehr gern“ den Piefken, in stillschweigender Übereinkunft, ohne Diskussion. Wie schade nur für die Wiener und ihre seit Jahrhunderten kultivierte Gemeinheit, dass das heute nur denjenigen auffällt, die sich sehr lange, sehr intensiv und jenseits aller Schmerzgrenzen dem Schmäh aussetzen.