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MUSKATNÜSSE

Marktkaufleute, Gewürzhändler und eine Krämerseele

Muskatnüsse? Sorry, die haben wir nicht.“ Ein Händler nach dem anderen lässt mich abblitzen, als ich durch den Souq, den traditionellen Markt, von Muttrah bummle. Pashminaschals und singende Kamele stehen dort in Reih und Glied, rosa Moschee-Wecker für einen Dollar und grob geschnitzte Buchstützen. Ich stöbere in einem Silberschmuckladen. Unter den hölzernen Dächern des Marktes ist das Licht gedämpft, die kleinen Läden quellen über vor Ware. „Sehen Sie, diese wunderschöne Kette“, säuselt der pakistanische Verkäufer, „echt antik! Über 200 Jahre alt“. Es hängt eine Münze mit einem Stempel aus dem Jahr 1952 daran, aber Märchen gehören im Orient zum Geschäft. Alles ist schön, wenn man es so sehen möchte, und der Zauber des Souqs liegt in der Kunst des Verkaufens, des Handelns und des Stöberns nach Schnäppchen. Ein mit Handschlag besiegeltes Geschäft ist perfekt, wenn Händler und Verkäufer gleichermaßen zufrieden sind. Ich wähle eine traditionelle schachtelförmige Kette, die aber mit kleinen vergoldeten Kirschen verziert ist. „Scheußlich“, wird später ein arabischer Bekannter sagen. Mir gefällt sie.

Das „ursprüngliche, unverfälschte Arabien“ versprechen die Touristenkataloge den Reisenden, die sich an die Südspitze der arabischen Halbinsel in das Sultanat Oman wagen. Luxus und Lokalkolorit am indischen Ozean. Das Öl und die kluge Investitionspolitik des Herrschers Sultan Qabus haben dem Land einen sanften Aufschwung beschert, der die Bürger zufrieden und weltoffen genug macht, um wohlsituierte Europäer unbehelligt reisen lassen zu können. Der Größenwahn der Boomtowns am Persischen Golf ist im Oman dagegen nicht ausgebrochen, denn dafür gibt es zu wenig Öl.

Wo könnte Arabien echter sein als im Souq, dem Markt, wo der Geist der alten Handels- und Seefahrerkulturen lebendig ist, und wo die alten Schlitzohren endlich feilschen können, bis die Sonne untergeht? Im Oman erfüllt ein solcher Souq, im Küstenort Muttrah gelegen, das Klischee besonders schön. Muttrah gehört de facto als Ortsteil zu Muscat, der Hauptstadt des Oman. Da muss es doch Muskatnüsse geben. Sagten zumindest alle Freunde vor meiner Abreise, damit ein Souvenir in Auftrag gebend. Du fährst nach Muscat? Bring eine Muskatnuss mit!

Auf dem Lebensmittelmarkt am Hafen dreht sich der Handel heute vor allem um Fisch. Kleine Holzboote haben direkt am Markt angelegt, neben der Landestelle liegt auf geflochtenen Matten der Fang des Morgens: Glänzende Thunfische, kleine Haie, feiste Kraken und haufenweise der handgroße Hammour, der lokale Lieblingsfisch. Und allerlei Fische in den Technicolor-Farben des indischen Ozeans. Die Händler sehen, dass ich nicht kaufen, sondern nur fotografieren will, bleiben versteinert auf ihren Holzhockern sitzen. Der Markt ist modern, die Verkaufsmatten liegen nicht auf dem Boden, sondern auf Betonsockeln, ein ordentliches Dach schützt vor der stechenden Sonne, und vorne, wo die Fische ausgenommen werden, gibt es fließendes Wasser, Kacheln und praktische Rinnen, in denen das Gekröse Richtung Meer schwimmt, wo schon die Möwen lauern. Das ist auf anderen Fischmärkten der Region nicht so, weshalb man sie schon lange bevor man sie sieht, riechen kann.

In der Halle daneben liegen die Beilagen bereit: frische Tomaten, Gurken, Okras, getrocknete Limetten. Über manchem Händlertisch hängen getrocknete Haifischflossen - „In Wasser gekocht in drei Minuten fertig“, sagt der Verkäufer, „mit Curry essen!“. Ein alter Mann bietet einen grünen Kaktus an, der aus fingerdicken, eckigen Strängen besteht, er bricht mir ein Stück ab, „für den Magen ist das, Madame, gut für den Magen!“ Es hat die Konsistenz von Radiergummi und schmeckt wie ein Kräuterbitter-Konzentrat. Muskatnüsse? Kennt hier keiner. Ob ich nicht vielleicht Pistazien wolle?

Vom Lebensmittelmarkt führt eine Promenade zurück zum Handwerker-Souq. Die Häuser ganz vorne am Wasser sind schneeweiß getüncht, die Holzbalkone herausgeputzt, sie sind Zeugen einer Zeit, als Muttrah tatsächlich der große Handelsumschlagplatz der Region war, als dort die Gewürzschiffe aus Indien anlegten, die Tabaklieferungen aus Sumatra, die Kaffee-Fähren aus Afrika, und die arabischen Dhows, die Holzschiffe, die den persischen Golf hinauf und hinunter segelten. Bestimmt, so träumt die sehnsüchtige Seele des europäischen Krämers, kamen hier von weit entfernten, nahezu geheimen Gewürzinseln die Muskatnüsse an, wurden auf Kamelrücken umgeladen und weit, weit transportiert, so weit, dass niemand mehr wusste, wie ihr ursprünglicher Name lautete, und man sie schließlich nach dem Hafen benannte, in dem man sie auf die Reise nach Europa geschickte hatte: Muscat.

Heute sollen die Touristen internationales Leben in die Stadt bringen und ein wenig von der Luft schnuppern können, die auch Sindbad dem Seefahrer um die Nase wehte, der der Legende nach aus Sohar stammt, ein paar Autostunden von Muscat entfernt - heute ein Mini-Ort, in dem sich Seeschildkröte und Winkerkrabbe gute Nacht sagen. Doch auch diese Orte haben etwas von den neuen Gästen, nicht nur die aufgeräumte Hauptstadt, denn Safaris erschließen heute auch die entlegeneren Orte des Landes.

Der Oman ist nicht urtümlicher oder moderner als andere Länder auf der arabischen Halbinsel, aber dafür gemütlicher. Die Bau-Protzerei der Golfstaaten, der Dreck und die entnervende Aufdringlichkeit nordafrikanischer Verkäufer, der ewige Beschiss - sie haben es noch nicht bis an diese Südspitze geschafft. Im Oman habe ich sehr ruhige Stunden erlebt. Ich habe den Krabben von Sohar zugesehen, wie sie sich bei Ebbe aus ihren Höhlen im Sand herausbuddeln und vor ihren Wohnlöchern kleine Wellenbrecher bauen. Auf dem Jebel Hafeet, einem beliebten Ausflugsberg mitten in der Wüste, habe ich mir am Imbiss-Kiosk eine Erdbeerlimonade geholt, den Sonnenuntergang bestaunt - und dabei festgestellt, dass ich das einzige weiße Gesicht auf dem Berg bin, was den anderen Leuten komplett egal zu sein schien. Am Strand von Muscat habe ich aufs Meer gesehen, mit den Zehen Muscheln umgedreht und mir versucht klar zu machen, dass man mit dem Schiff von hier schneller zu den Seychellen als nach Europa kommt und ich jetzt wirklich ganz schön weit weg bin von zu Hause. Und dass es hier keinen Menschen interessiert, wer in Deutschland welche Casting-Show gewinnt und welche Minister bei was auch immer geschummelt haben. Im Oman interessiert die Leute, wie es um die Wirtschaft in Indien steht, ob Benzin weiterhin billiger bleibt als Mineralwasser und was der iranische Präsident als nächstes vorhat.

„Sie kommen aus Deutschland!“, weiß der indische Gewürzhändler sofort, als ich in seinem recht großen, aber gut versteckten Laden nach Muskatnüssen frage. Inzwischen war ich, gefühlt, schon an jedem Gewürzstand im Oman und habe mir Weihrauch, Curry und Arabic Masala aufschwatzen lassen. Meine Freunde vergesse ich aber auch an den fernsten Orten nicht. Jaja, die Deutschen wollten immer diese Nüsse haben, sie seien wohl die einzigen, denen sie schmecken. Und übrigens auch die einzigen, in deren Sprache sie so hießen. „Nutmeg, so heißen sie auf Englisch, Madame. Und wissen Sie was: In der arabischen Küche werden sie kaum verwendet.“ Ich bin schockiert. Sogar an der kleinen braunen Würznuss zeigt sich der Eurozentrismus. Ich kaufte trotzdem zwei Tüten voll, muss ja niemand wissen. Sie sind ein tolles Souvenir, auch wenn sie aus Sri Lanka kommen und von einem indischen Händler exklusiv an eifrige Deutsche weiter verkauft werden. Außerdem habe ich beim Überreichen des Geschenks die prima Geschichte zu erzählen, dass es in Muskat - fast - keine Muskatnüsse gibt. Ein schönes Märchen aus dem Orient.

Ein besonders wichtigtuerischer Bekannter, dem ich nur die Geschichte und nicht mal eine Nuss spendiere, kann wie immer eine gute Story nicht auf sich sitzen lassen und schlägt tatsächlich nach, was es mit der Etymologie der Muskatnuss auf sich hat. Vom lateinischen „nux muscatus“, Moschusnuss, leite sich das ab, keineswegs von der Stadt Muscat, die man im übrigen auf Deutsch ja auch mit k und nicht mit c schreibe, und in diesem Sinne fände sich Muscat auch in zahlreichen anderen Sprachen, darunter Hebräisch und Finnisch. Der Bekannte macht schon lange keine Fernreisen mehr, sondern verbringt die Freizeit am liebsten in seiner Ferienwohnung im Harz. Kein Wunder, dass ausgerechnet diese Krämerseele der Muskatnuss den letzten Zauber nehmen musste.