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DANZIGER GOLDWASSER

Neuer Glanz in alten Gassen

Der kleine Engel auf dem Likörgläschen lacht. Im dem Kelchlein tanzt Goldflitter in der Sonntagnachmittagssonne, auf der Langen Gasse jagen kleine Mädchen bunt schillernden Riesenseifenblasen hinterher, unter dem Bogen des Grünen Tors sitzt eine Ziehharmonikaspielerin. Die Stuckgesichter an den Fassaden, all die Löwenköpfchen und Cherubime dösen gemütlich vor sich hin, vom Langen Markt her flanieren die Touristen und die einheimischen Kleinfamilien zur Mottlau, an jedermanns Handgelenk baumelt eine kleine silberne Digitalkamera, und von irgend einem der Altstadttürme weht, bimmelimmelimm, ein liebliches Glockengespiel herüber.

Beschaulich ist das Wort, das einen sonnigen Sonntagnachmittag in Danzig beschreibt. All die bummelnden Besucher, all die herausgeputzten Häuserzeilen, die summenden Straßencafes, das Kopfsteinpflaster, Neptun dreizackschwingend in seinem Brunnen und hochgetürmtes Softeis auf kleinen Waffelhörnchen - wie in einem riesigen Puppenhausmuseum ist das Leben in der Altstadt. Vor dem wuchtig-finsteren Krantor sitzen die alten Männer und fischen in der Mottlau, ein voll besetztes Ausflugsschiff zur Westerplatte tuckert an ihnen vorbei, drüben in der Speicherstadt hocken Studenten auf dem hölzernen Kai und streicheln ein graues Kätzchen, das sich eben angeschlichen hat. Danzig erfüllt mit planvoller Absicht alle Erwartungen, die man an die Stadt haben könnte. In der Marienkirche dreht sich mit ehrwürdiger Ruhe die astronomische Uhr aus der Renaissance um eine mit einer Marienskulptur gezierte Nabe. In der Marienstraße bieten die Goldschmiede in ihren Kellerläden und die Händler an ihren sonnenschirmbeschützten Ständen die schönsten Bernsteinarbeiten der Ostseeregion an. Im „Café Goldwasser“ gibt es außer Capuccino, Minz-Frappé oder Bier natürlich auch Danziger Goldwasser in einem geschliffenen Likörgläschen, das ein lachender Engel ziert. Es ist dickflüssig wie Öl, scharf wie ein Hustenbonbon, aromatisch wie ein Kräutertee und altmodisch süß obendrein. Perfekt passt es zu Danzig, der schmucken Hansestadt mit den schmalen, hohen Kaufmannshäusern, deren Fassaden so edelfein sind, deren Geschichte so lang und deren Anmutung so nostalgisch.

Man wünscht sich, diese Atmosphäre destillieren und mit nach Hause nehmen zu können. Das ist möglich, wenn man im „Café Goldwasser“ oder auch sonstwo ein „exklusives Souvenir“ erwirbt, eine Flasche des altehrwürdigen Luxuslikörs in einem roten Samtbeutel etwa oder in einem Geschenkkarton zusammen mit zwei geschliffenen Gläschen mit Engelsdekor. Auch kann man, wenn man so viel davon überhaupt erträgt, die Nettigkeit des Nachmittags verlängern, indem man um die Ecke ins „Restaurant Goldwasser“ geht und sich mit Blick auf Schiffe und Speicherstadt gegrillten Zander servieren lässt, als Digestif noch ein Goldwasser und dann in den „Apartments Goldwasser“ satt und glücklich nächtigt.

Das könnte das Ende der Geschichte sein, sofern man am nächsten Tag wieder abreist und nur goldenwässrige Erinnerungen an Danzig und Fotos von blattgoldverzierten Fassaden mitnimmt. Tatsächlich nämlich ist nichts von all diesem Zauber ganz echt. Denn Danzig und Goldwasser tun, als hätte sich in der Altstadt seit dem Barock nichts verändert, als hätte man einfach nur das Gläschen ab und zu spülen, das Kopfsteinpflaster ausfegen und die Fassaden dann und wann neu streichen müssen. Tatsächlich aber sind all diese ehrwürdigen Gebäude Neubauten. Das hören die Danziger nicht gerne, aber Tatsache ist, dass Danzig zwar eine uralte Stadt ist, im Zweiten Weltkrieg aber dem Erdboden gleichgemacht wurde. 1945 waren 90 Prozent der Gebäude in der historischen Altstadt zerstört. Die Polen, Kummer gewohnt, ließen sich auch diesmal nicht unterkriegen, schnappten sich alte Fotos, Stiche und Gemälde und bauten ihre auf sowjetisches Anraten in Gdansk umbenannte Stadt so wieder auf, wie sie vorher war. Sogar noch schöner, denn die müffelnden Kellerlöcher, die bröselnden Hinterhöfe, die schlecht auf den Putz getackerten Stromleitungen, die man in manch anderer, von Kriegen weniger betroffenen Barockstadt findet, haben die Restauratoren nicht berücksichtigt. Nur das Schöne, das wahre Alte, das Wichtige hat man nachgebaut, die Löwenköpfchen an den Fassaden fein ausgearbeitet, den Stuck-Ornamenten die perfekte Dynamik gegeben, den Statuetten auf den Firsten des Langen Markts das beste Weiß verpasst, an den richtigen Stellen der fein geschwärzten schmiedeeisernen Fenstergitter Blattgold aufgetragen. Ein besseres Danzig haben sie aufgebaut, ein historisches, aber auch ein historisierendes; eines, das seine Schönheiten präsentiert und leicht konsumierbar macht, ein Danzig, das mit sich selbst protzt, das beeindrucken möchte, das benutzerfreundlich ist, verkehrsberuhigt, voller Lokale und kleiner Läden, die auch am Sonntag für den geneigten Flaneur geöffnet haben, und sicherheitsbedacht, denn sogar unter dem ehrwürdigen Krantor lugt das runde Auge der CCTV-Überwachungskamera hervor.

Von Disneyland unterscheidet sich die Danziger Altstadt nur durch zwei Dinge: Danzig hatte ein historisches Vorbild, das an gleicher Stelle stand, an der die heutige Altstadt steht -und es gibt dort im Gegensatz zu Disneyland die Bettler-Banden aus Südosteuropa, die mit weinerlicher Stimme und herbem

Körpergeruch die schillernden Wohlfühlblasen der Gäste zum Platzen bringen. Dass man Disneyland als Unkultur und Danzig als Kulturstadt wahrnimmt, liegt an den minderwertigen Baumaterialien der Vergnügungsparks und an der fehlenden Tradition des ersten Disney-Standorts Anaheim.

Es hätte nicht mehr Investitionen und EU-Gelder gekostet, die Danziger Altstadt in Anaheim nachzubauen, aber ach, welche Unkultur! Wiederaufbau gilt nur am Originalschauplatz. Auch wenn die meisten ehemaligen Danziger Bürger entweder tot oder in den Westen vertrieben waren, wurde Danzig eben nicht in Westdeutschland wieder aufgebaut, sondern in Polen, wo es schon immer war. Dass der Hauptzweck dieses Ensembles - historisches Empfinden und Traditionsbewusstsein in allen Ehren - heute ebenso wie in Disneyland der Konsum und das Amüsement sind, wird niemand bestreiten, der einmal ein Gläschen Goldwasser auf der Langen Gasse getrunken hat. Es mag sich nun empören wer will, aber nach 1955 nachgebauter Wilder Westen in Anaheim oder nach 1945 aufgebauter HanseBarock in Polen, sind genau genommen nur verschiedene Facetten von Entertainment. Insofern passt das Goldwasser sehr gut zur neuen Danziger Altstadt, war doch auch dieses süße Getränkchen wie all die netten Häuschen und Türmchen ein ursprüngliches Gewächs der Stadt, bis es der Zweite Weltkrieg davonfegte.

In den über tausend Jahren ihrer Geschichte produzierte die Stadt Danzig unzählige Sagen, Legenden, Anekdoten und Erzählungen, auch über das Goldwasser. Eine besagt, dass es entstand, als die Vergolder in der reichen Ostsee-Hansestadt gerade besonders viel zu tun hatten. Hier ein Stuckgesims, da einen Spiegel für Madame, dort eine Fassade. Sie kamen mit der Arbeit kaum nach und reinigten abends die Pinsel, mit denen sie das Blattgold auftrugen, in Alkohol. Viel Arbeit, viele Pinsel, viel Alkohol mit Goldflitter. Irgendjemand kam bei einem Feierabendfest auf die Idee, das Goldwasser einfach dekadent auszutrinken.

Auch eine andere Sage basiert auf dem Reichtum der Danziger Hansekaufleute. Nach einem besonders guten Geschäftsabschluss am Hafen feierten sie eines Tages auf dem Langen Markt, ließen den Neptunbrunnen mit Wein füllen, damit auch die ärmeren Bürger etwas vom Handelserfolg hätten. Ein besonders übermütiger Pfeffersack warf Goldmünzen in den Brunnen und verkündete, dass jeder sie behalten dürfe, der sich beim Herausfischen nicht nass mache. Neptun selbst, die mächtige Brunnenfigur, soll, der Dekadenz überdrüssig, mit seinem Dreizack die Goldstücke zerschlagen haben. Der Wein und die Goldstücke kamen daraufhin in ein Fass und wurden schamhaft im Keller des Gasthauses „Zum Lachs“ verwahrt. Als die Pest erneut ausbrach, öffnete der Wirt das Fass und gab das Goldwasser erfolgreich als Heilmittel aus.

Ob und was davon stimmen mag - 1598 jedenfalls erhielt der aus den Niederlanden stammende Gastronom Ambrosius Vermöllen das Danziger Bürgerrecht und gründete umgehend eine Likörfabrik. In Danzig ungern gehörte Zungen behaupten, er habe das Rezept für das Goldwasser schon aus den Niederlanden mitgebracht, vielleicht von den Vergoldern in Amsterdam inspiriert. Aber die Firmenchronik vermerkt, dass Vermöllen erst 1606 das Rezept für Danziger Goldwasser niederschrieb, streng geheim natürlich. 1706 zogen Vermöllens Erben, reich geworden, in die repräsentative Breite Gasse um, in das Haus „Zum Lachs“, gekennzeichnet durch ein steinernes Hausschild mit einem Lachs. Der Fisch bedeutete Glück und Wohlstand und wurde zum Markenzeichen der Brennerei. Ein gleichnamiges Gasthaus gehörte ebenfalls dazu. Mit der Gründung der deutschen Freistadt Danzig standen die Tore in den Westen weit offen und die Likörfabrik „Der Lachs“ eröffnete 1922 eine Filiale in Berlin. Sie blieb stehen, als 1945 Danzig kurzfristig vom Erdboden verschwand und mit dem Leben auch der Lachs aus deren Altstadt verschwand. Die Berliner Fabrik bestand weiter, das Goldwasser auch, bis 1971 die „Hardenbergsche Kornbrennerei“ den Betrieb übernahm. Seitdem wird das original Goldwasser nach Vermöllens Rezept im niedersächsischen Nörten-Hardenberg hergestellt und, seit sich der eiserne Vorhang hob, lastwagenweise nach Polen gekarrt. Dort kaufen es deutsche Touristen, um es im Gepäck wieder zurück in den Westen zu schleppen, oder sie bestellen es es im geschliffenen Gläschen. Etwa im Restaurant „Pod Lososiem“ in der Ulitza Szeroka in Danzig, das die Familie Robakowski 1976 eröffnete - im wiederaufgebauten Haus „Zum Lachs“. Mit all dem Stuck, den schweren, dunklen Möbeln, den goldgeränderten Gläsern, den Hummerplatten, ledergepolsterten Stühlen und Vertäfelungen wurde hier die Vorkriegs-Atmosphäre des gediegenen Bürgertums herbeigezaubert, bewusst und mit Stolz, zur Unterhaltung derer, die Goldwasser nicht für ein altmodisches Relikt halten. George Bush Senior war schon da, Margaret Thatcher, Vaclav Havel, Gerhard Schröder und sogar Johannes Paul II. durften die Robakowskis schon bewirten. Doch auch im schicken „Café Ferber“ in der Langen Gasse wird das Likörchen ausgeschenkt, es ist bei den Jüngeren Kult geworden, man trinkt es nach den Bruschetti, während man im Designersessel lümmelt und das Lounge-Jazz-Gedudel von sich abperlen lässt. Für die jüngere Generation ist Goldwasser so etwas wie Jägermeister für deutsche Jugendliche um die Jahrtausendwende war: Ein Gebräu aus alter Zeit, das streng schmeckt und Kopfschmerzen verursacht, das zu trinken aber irgendwie Kult ist. Kult ist letztlich nur ein vergoldetes Wörtchen für gelungenes Marketing.

Echtes, unvergoldetes Gdansk mit unkultigen Ecken gibt es außerhalb der Altstadt. Da stehen sie noch in Reih und Glied, die sozialistischen Plattenbauten, deren neue pastellfarbenen Anstriche den Anblick zwar erträglich machen, aber nicht über die betonstabile Realität hinwegtäuschen. Ebenso we-nig wie die spätsozialistischen Kästen in der Bahnhofsgegend, die sich schon ein wenig an Stahl-Glas-Architektur versuchen. Noch weiter draußen, in den Vororten Zaspe und Oliwa, stehen noch Gässchen aus der Vor-Vor-Kriegszeit, tief nachgedunkelte, backsteinerne Arbeiterunterkünfte in holprigen Kopfsteinpflasterzeilen. Hier sind keine netten Cafés oder Restaurants, hier sind im Wechsel mit alten und neuen Wohnblöcken glänzende Einkaufszentren, Super- und Baumärkte, Sporthallen. Schnaps gibt es nicht an den Kiosken, sondern nur in Schnapsläden oder in Schnapsabteilungen von „Carrefour“ und Co. Man trinkt „Lech“-Bier oder „Warka“, nicht das touristische niedliche „Zywieck“ mit den gezeichneten Volkstänzern auf dem Etikett. Goldwasser kann man auch kaufen, aber nicht das reimportierte Danziger vom „Lachs“, sondern von Wyboro-wa, einer Traditions-Wodkadestille aus Posen im Westen des Landes, 1823 gegründet. Die gehört inzwischen der französischen Großbrennerei „Pernod-Ricard“, da sie mit der Wende fast unters Rad gekommen wäre. Goldwasser ist ein gesamteuropäisches Produkt geworden, das vom Namen Danzigs profitiert, und Danzig wiederum ein wenig vom Goldwasser. Aber „Danziger Goldwasser“ ist so etwas wie das heiße Würstchen bei „Pluto’s Dog House“ in der Anaheimer Disneyland-Sektion „Toontown“. Schlecht schmeckt es nicht, aber es wird von fern herangefahren, um eine selbstgewählte Tradition zu bestätigen.

Jeder bekommt das Danzig, das er sich aussucht. Sozialismus-Spuren oder Freistadt-Charme, modernes junges Polen oder Hanse-Pracht. Ein Besuch in Danzig ist ein bisschen wie einer in Disneyworld, wo man sich ebenfalls entscheiden muss, ob man ins „Adventureland“ oder ins „Frontierland“ geht, oder doch als erstes in das „Sleeping Beauty Castle“. Alles sollte man einmal gesehen haben. Aber im Gegensatz zum Vergnügungspark hat Danzig echtes Gold zu bieten: Seine Bürger. Jene Bürger, die sich weder von Reichsdeutschen, noch von Nazis, noch vom Sozialismus kleinkriegen ließen, ihre Stadt vor allem für sich selbst wieder aufgebaut und zu dem gemacht haben, was sie heute ist. Die traditionsbewusst sind, soll heißen, sie suchen sich aus ihrer reichen Tradition bewusst das aus, was ihnen am besten gefällt, um es dann in vollen Zügen zu genießen und sogar die Welt daran teilhaben zu lassen. Nur weil dieses Gefühl für die eigene Stadt da ist, weil die Bürger in ihrer Stadt leben, auch mal betrunken durch die Gassen torkeln, Graffiti an die Wand schmieren, schweineschmalzige Piroggen essen, sich auf dem Hauptplatz mit dem Freund streiten und in der Ulitza Szeroka falsch parken, weil die Stadt also immer noch kein Freilichtmuseum, sondern ein Gebrauchsgegenstand ist, ist sie ein lebendiger, echter Ort und kein Vergnügungspark. Sie ist sogar eine schöne Stadt, weil sie von ihren Bürgern geliebt wird. Und ja, auch das Goldwasser gehört zu Danzig. Gerade, weil es einerseits altmodisch ist und andererseits trotzdem nicht seit Jahrhunderten am selben Fleck gebraut wird, sondern wie die Stadt selbst eine Geschichte von Vernichtung und Neuanfang hat. Keine Cola und kein „Adventureland“ können Danzig das Wasser reichen.