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»Da habt ihr mehr erlebt als wir«, meinte daraufhin Luke. »Wir haben hier nur rumgesessen und die Eichhörnchen gezählt.«
Der Ritt ging weiter. Mit Erstaunen registrierte Jacob beim Näherkommen, daß die Felsen nicht den Weg versperrten, wie er bisher angenommen hatte, sondern diesen nur einengten und zwei natürliche Wachtürme bildeten, von denen aus der Zugang zu dem Canyon, in den es jetzt hineinging, bequem von zwei Männern verteidigt werden konnte. Die Felsen hatten eine rötliche Farbe wie die Felswände, die zu beiden Seiten der Schlucht hoch aufragten.
Der Canyon war sehr schmal und gewunden. In der Mitte floß ein kleiner Bach, der die hier lagernden Männer mit Wasser versorgte. Zu beiden Seiten des Baches hatten sie ihre weißen Zelte aufgeschlagen, zwischen denen an einem provisorischen Mast das Sternenbanner der Union flatterte. Quantrill hatte wirklich an alles gedacht. Wer zufällig in den Canyon kam, würde nicht daran zweifeln, daß hier ein Trupp Nordstaatenkavallerie lagerte.
Zwei weitere Wachen erwarteten sie zwischen den Zelten. Diesmal übernahm Andersen es, von dem Überfall auf die RAVAGER zu berichten.
Die Freischärler stiegen ab und verstauten ihre Ausrüstung. Die Gefangenen wurden in ein Zelt am Ende des Lagers gebracht. Jacob nahm an, daß es in dieser Richtung keinen Ausgang aus dem Tal gab, so daß sie bei einer Flucht durch das ganze Lager gemußt hätten. Aber an eine Flucht war nicht zu denken. Nicht mit Lieutenant Slydes verletzten Beinen.
Jacob bereitete seinem Mitgefangenen ein möglichst bequemes Lager und war gerade damit fertig, als zwei Männer gebückt ins Zelt traten, den Deutschen einfach an den Armen packten und ihn ins Freie zogen.
»Was soll das?« fragte Jacob, als sie ihn draußen auf den Boden fallen ließen.
»Aufstehen und mitkommen!« herrschte ihn einer der Männer an. »Der Captain will dich sprechen.«
Jacob begleitete die beiden Männer in die Mitte des Lagers, wo Quantrill, Anderson und ein paar andere Männer auf Steinen und Holzkisten Platz genommen hatten. Die meisten der übrigen Freischärler hatten einen großen Kreis gebildet und warteten neugierig auf das Schauspiel, das ihnen geboten werden sollte. Ein paar Schritte vor dem Guerillaführer blieb Jacob stehen.
»Wie sieht es aus, Dutch?« fragte Quantrill, ohne eine Miene zu verziehen. »Hast du dich endlich entschlossen, uns die Wahrheit zu sagen?«
»Ich werde Ihnen die Wahrheit sagen«, versprach Jacob und meinte es ehrlich.
Quantrills Gesicht hellte sich ein wenig auf. »Sehr schön. Dann erzähl uns von Abraham Lincoln.«
»Ich weiß nichts über diesen Mann. Außer natürlich, daß er Präsident dieses Landes ist.«
Ein paar der Männer lachten, aber die meisten sahen eher finster drein.
Auch über Quantrills weiches Gesicht huschte ein Schatten, doch er bekam sich schnell wieder in die Gewalt. Offenbar wollte sich der Anführer keine Blöße vor seinen Männern geben.
»Du scheint mir ein rechter Spaßvogel zu sein, Dutch. Aber wir bringen auch Spaßvögel zum Singen.« Er wandte seinen Blick nach rechts, auf seinen bärtigen Unterführer. »Bill, gib dem Vogel ein wenig Sprachunterricht!«
»Gern«, sagte Andersen, erhob sich ohne Hast und trat auf Jacob zu.
Ohne Vorwarnung hämmerte er seine rechte Faust gegen Jacobs Kopf. Der Gefangene taumelte und fiel hin.
Anderson trat über ihn, sah auf ihn herab und lachte dröhnend. »Na, wie war das für den Anfang?«
»Sie sind sehr gut«, meinte Jacob, dessen getroffenes Ohr sich so heiß anfühlte wie die Feuerbüchse eines
Dampfschiffkessels. »Jedenfalls dann, wenn es darum geht, einen Gefesselten zu schlagen.« Er hob seine mit starken Stricken gebundenen Hände hoch.
»Ob du gefesselt bist oder nicht, das macht für mich keinen Unterschied, Mann!«
»Probieren Sie es doch aus«, sagte Jacob ruhig und sah den Unterführer dabei herausfordernd an.
Anderson warf einen unsicheren Blick auf Quantrill. Der gab durch eine lässige Handbewegung zu verstehen, daß er mit allem einverstanden sei.
Bloody Bill Anderson zückte sein großes Bowiemesser und ließ es dicht vor Jacobs Gesicht im Sonnenlicht funkeln. Der Gefangene bemühte sich, keine Regung zu zeigen. Mit einer ruckartigen Bewegung durchschnitt Anderson Jacobs Fesseln. Dann trat der Guerilla-Lieutenant zwei Schritte zurück, behielt aber das Messer in der Hand.
»Ich habe kein Messer«, sagte Jacob, als er aufstand. Das stimmte; sein Klappmesser war ihm von den Partisanen abgenommen wurde.
»Pech für dich, Dutch«, meinte der >blutige Bill< mit einem gemeinen Grinsen. »Machst du dir jetzt etwa in die Hose?«
Jacob schüttelte den Kopf. »Ich bin ja kein Feigling. Kein Feigling, der ein Messer braucht, um gegen einen Unbewaffneten zu kämpfen.«
Die Männer johlten vor Freude über die Herausforderung. Andersons Grinsen erstarb.
»Ich werde dir schon noch zeigen, wer ein Feigling ist«, zischte der vollbärtige Freischärler und machte gleichzeitig einen Satz nach vorn. Das Messer stieß er in die Richtung von Jacobs Bauch.
Aber der Deutsche sprang geistesgegenwärtig zur Seite und schleuderte seinem Gegner den Dreck ins Gesicht, den er mit der Rechten vom Boden gekratzt hatte.
Andersen heulte vor Wut und Verwirrung auf, als er von der
Dreckladung geblendet wurde. Er drehte sich wild im Kreis und fuchtelte mit dem Messer in der Luft herum, um den Gegner, den er nicht sehen konnte, von sich fernzuhalten. Mit der linken Hand fuhr er gleichzeitig über seine Augen, um sie vom gröbsten Schmutz zu befreien.
Jacob wartete nicht, bis er damit fertig war. Er packte mit beiden Händen Andersens Rechte und schmetterte sie gegen sein hochgerissenes Knie. Der Partisan stieß einen Schmerzenslaut aus und ließ das Messer zu Boden fallen.
Bloody Bill riß sich von Jacob los und taumelte ein paar Schritte zurück, um sich zu orientieren. Er konnte wieder sehen, zwinkerte dabei aber heftiger mit den Augen, als es Jesse James für gewöhnlich tat.
»Du hinterhältiger Bastard«, keuchte er. »Gleich wirst du die größte Tracht Prügel deines Lebens beziehen.«
»Tu dir keinen Zwang an«, antwortete Jacob äußerlich ruhig, innerlich aber bis zum Zerreißen gespannt. »Ich stehe hier und warte auf dich.«
Diesmal gelang es ihm nicht, Anderson zu einem unbedachten Angriff herauszufordern. Vorsichtig umkreisten sich die Kontrahenten, und nicht alle der Zuschauer gaben ihrem Unterführer die größeren Chancen. Gewiß, sie kannten seine Härte und Roheit, und mit seinem zotteligen Bart und dem langen Haar erweckte er den wilderen Eindruck. Aber Jacob war fast noch größer und breitschultriger als er, und die Ruhe des Deutschen verfehlte ihre Wirkung nicht.
Als zwei Minuten verstrichen waren und keiner der beiden einen Angriff startete, mußte sich Anderson die ersten höhnischen Kommentare seiner Kameraden gefallen lassen. Er sah wohl ein, daß er dabei war, seinen Ruf zu verlieren. Deshalb stieß er ein urzeitliches Gebrüll aus und stürmte auf Jacob zu.
Wieder wollte der Deutsche dem Angriff durch einen Schritt zur Seite ausweichen. Aber er stolperte über einen Stein, taumelte auf der Suche nach Gleichgewicht und wurde von dem Angreifer zu Boden gerissen. Die Luft wurde Jacob aus den Lungen gepreßt, als er auf den Rücken fiel.
Als er wieder zu Atem kam, war das nur von kurzer Dauer. Dann drückte ihm Anderson die Luft mit beiden schraubstockartig um Jacobs Hals gelegten Händen ab. Der junge Deutsche röchelte, rang nach Atem, versuchte den rittlings auf ihm sitzenden Anderson von sich abzuschütteln -alles vergeblich. Der Guerilla schien um keinen Preis der Welt von ihm ablassen zu wollen.
»Na, Dutch, wie fühlst du dich jetzt?« fragte Bloody Bill und setzte wieder sein gemeines Grinsen auf. »Schämst du dich etwa, daß du diesen Kampf verlierst? Du läufst nämlich ganz rot an.« Er lachte laut.
In diesem Moment hörte Jacob zu atmen auf. Sein Kopf fiel zur Seite, und seine Augen blickten glasig ins Leere.
*
Die doppelte Wärme, von außen und von innen, tat Irene gut. Die äußere Wärme kam von dem Feuer, an dem sie saß und über dem eine Kaffeekanne hing. Die innere Wärme kam von dem heißen Kaffee, der belebend durch ihre Kehle rann.
Irene trug einen Verband um den Kopf. Ihre Kleider lagen auf einigen Büschen, um in der Sonne zu trocknen. Die junge Frau war in eine große Decke gehüllt, unter der sich auch Jamie von Kälte und Nässe des unfreiwilligen Flußbades erholte. Sie genoß es, seine nackte Haut auf der ihren zu spüren. Mit der freien Hand führte sie ab und zu den blechernen Kaffeebecher zum Mund.
Das Lager der vier Deserteure befand sich in einer kleinen, von Buschwerk umstandenen Senke. Cord Hamker und Fred Glaser hatten sich aus Angst vor Entdeckung erst gegen das Anzünden des Feuers gesträubt. Aber Chris Rodenberg und der andere Mann, der Irene und Jamie aus dem Wasser gezogen hatte, ein dunkelhaariger Junge namens Henry Eimers, hatten darauf bestanden. Murrend hatten sich Hamker und Glaser gefügt.
Irene hatte gerade vom Untergang der RAVAGER berichtet, und die vier Männer sahen sie staunend an. Immer wieder stellten sie Fragen und schienen es nicht glauben zu können, daß ein Kriegsschiff der Union von Männern in blauen Uniformen angegriffen worden war. Irene vermochte das alles selbst kaum zu glauben, aber sie konnte nichts anderes tun, als ihren Rettern die Tatsachen zu berichten. Erklärungen hatte sie nicht.
»Wollen Sie mir auch erzählen, wie Sie hierhergekommen sind?« fragte sie zögernd. »Oder möchten Sie lieber nicht darüber sprechen?«