157972.fb2 Attentat auf Abraham Lincoln - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 4

Attentat auf Abraham Lincoln - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 4

»Keine Ausflüchte, Mann! Gehören Sie zum Begleitschutz?«

»Was für ein Begleitschutz?« fragte Jacob und wischte sich das Blut vom Kinn.

Kaum war er damit fertig, fing er sich einen neuen Stiefeltritt ein, der ihn zu Boden schleuderte. Danach fühlte sich seine Mundpartie völlig taub an.

»Was für ein Begleitschutz?« echote Quantrill, dessen Geduld sichtlich erschöpft war. »Der Geleitschutz von Lincoln natürlich, Mann!«

»Lincoln?« wiederholte Jacob undeutlich, weil ihm das Sprechen Mühe bereitete.

»Yeah, Bursche. Ich spreche von Abraham Lincoln, eurem Yankee-Präsidenten. Ist er mit dem Schiff untergegangen?«

Jacob sah Quantrill verständnislos an. In Slydes Augen glomm dagegen Verstehen auf, aber er versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen.

»Ich kenne Präsident Lincoln nicht«, sagte Jacob. »Ich bin erst seit ein paar Wochen in Amerika.«

Bevor Quantrill erneut zutreten konnte, meinte der Mann namens Frank: »Das könnte stimmen, Captain. Der Kerl spricht unsere Sprache so schauderhaft, wie selbst der schlimmste Yankee-Akzent nicht klingen kann. Scheint ein deutscher Akzent zu sein.«

Der Captain wandte sich wieder an Slyde, der die Zähne zusammenbiß, um die fast unerträglichen Schmerzen nicht zu zeigen, die von seinen Beinen aus durch seinen ganzen Körper strömten. »He, Lieutenant, was sagen Sie dazu? Kennen Sie auch keinen Mr. Lincoln?«

»Ich beantworte keine Fragen mehr. Als Kriegsgefangener habe ich das Recht dazu.«

Quantrill spuckte ihm ins Gesicht. »Meine Gefangenen haben keine Rechte!«

Er trat heftig gegen Slydes verletzte Beine. Der Schmerz steigerte sich zu einer riesigen Welle, die den Marineoffizier überrollte und ihm das Bewußtsein raubte.

»Weggetreten«, stellte Frank fest, der neben Slyde in die Knie gegangen war.

»Dann mußt du unsere Fragen beantworten, Adler!« sagte Quantrill und zog beide Revolver, die er auf Jacob richtete.

»Wo steckt Abraham Lincoln?«

*

Die zweispännige, geschlossene Kutsche rumpelte über eine holprige Straße in der Nähe des Ohio, in derselben Richtung, in die auch der breite Strom floß. Der bärtige Kutscher auf dem Bock trieb die Tiere an und achtete gleichzeitig darauf, mit den Rädern die tiefsten Löcher zu umfahren. Was nicht einfach war bei einer Straße, die fast nur aus tiefen Löchern bestand. Neben ihm hockte ein junger Mann, auf dessen Knien schußbereit ein modernes Henry-Repetiergewehr lag.

In der Kutsche saßen vier männliche Passagiere, von denen zwei, die sich gegenübersaßen, in eine angeregte Unterhaltung vertieft waren.

»Ich halte dieses Gehopse über Stock und Stein noch immer für großen Unsinn«, sagte der größere von ihnen, dessen markantes Gesicht von einem dunklen Kinnbart umrahmt wurde. »Wir hätten, wie ursprünglich geplant, mit dem Schiff fahren sollen.«

»Das war zu unsicher«, antwortete sein vollbärtiges Gegenüber, viel kleiner als der andere. »Daß Sie mit dem Schiff nach Cairo unterwegs sind, ist leider durchgesickert, Mr. President.«

Der Präsident der Vereinigten Staaten seufzte tief und fuhr mit der Hand über seinen Bart. »Erklären Sie mir eines, Allan. Wie kann etwas bis zu den Konföderierten durchsickern, von dem kaum in Washington jemand weiß? Meine Zusammenkunft mit General Grant ist streng geheim. Deshalb bin ich ja inkognito unterwegs.«

»Ja, leider«, seufzte Allan Pinkerton und sah besorgt aus dem Fenster, als rechnete er jeden Moment mit einem Überfall. »Mir wäre wohler, wenn wir eine Abteilung Kavallerie als Begleitung hätten.«

»Viel zu auffällig«, winkte Abraham Lincoln ab. »Außerdem finde ich das ständige Hufgetrappel und Säbelgerassel nervtötend. Man kann sich dabei nicht ungestört unterhalten.«

»Aber dann würde eine Unterhaltung vielleicht nicht so leicht gehört werden«, sagte der Gründer der Pinkerton-Detektivagentur und Kopf der US-Spionageabwehr.

Lincoln legte seinen Kopf schief. »Was wollen Sie damit sagen?«

»Auch wenn Sie nur wenige Leuten in Washington über Ihre Reise unterrichtet haben, ist es vermutlich einem zuviel zu Ohren gekommen. Jemandem, der Ihr Vertrauen zu Unrecht genießt.«

Lincoln sah nachdenklich aus dem Fenster und meinte dann: »Schätze, Sie haben recht, Allan. Und Sie haben durch Ihr Agentennetz erfahren, daß ein Anschlag auf die RAVAGER geplant ist?«

»Es sind nur Gerüchte. Aber Vorsicht ist in solchen Fällen stets geboten. Denken Sie nur an die Sache mit dem Zug vor zwei Jahren, Sir.«

Damals, im Februar 1861, hatten Pinkertons Agenten herausgebracht, daß ein Attentat auf den Zug verübt werden sollte, mit dem Lincoln von Baltimore zu seiner Amtseinführung nach Washington fahren wollte. Auf Pinkertons Rat hatte Lincoln einfach einen früheren Zug genommen und war dadurch dem Anschlag entgangen.

Spätestens seit diesem Vorfall war Lincoln von Pinkertons Fähigkeiten als Detektiv und Agent restlos überzeugt. Er hatte Pinkerton zum Leiter des nordamerikanischen Geheimdienstes machen wollen, war damit aber aus politischen Gründen gescheitert. Also wurde ihm die im Kriegsgebiet neugegründete Spionageabwehr übertragen.

Pinkerton hatte sich als Leiter dieser Organisation schon mehrfach bewährt, jüngstens mit der Meldung, daß auf dem Ohio ein Anschlag auf den Präsidenten verübt werden sollte. Dabei konnte sich Lincoln wirklich nicht erklären, wer den Süden über seine Reise unterrichtet hatte.

Noch nicht einmal im Norden durfte viel davon bekanntwerden, weil er General Grant nicht diskreditieren und das Vertrauen der Soldaten in ihren General nicht unterminieren wollte. Aber die politische Front gegen Grant war immer größer geworden und bezeichnete den Oberkommandierenden des Tennessee-Departments als haltlosen Säufer und militärischen Nichtskönner.

Lincoln teilte diese Meinung nicht, hatte Grant ganz im Gegenteil für Höheres im Sinn. Aber der Präsident war unruhig geworden, weil es beim Kampf um Vicksburg einfach nicht voranging. Deshalb hatte er beschlossen, an die Front zu reisen und sich persönlich ein Bild von der Lage und von General Grant zu machen. In Cairo, wo der Ohio in den Mississippi mündete, sollte das Treffen stattfinden.

In Louisville hatte Lincoln seine Reise auf dem Fluß abgebrochen, als Pinkerton ihn mit der Nachricht von dem möglichen Attentat aufsuchte. Der Leiter der Spionageabwehr hätte es am liebsten gesehen, wenn der Präsident ganz auf die Weiterreise verzichtet hätte. Aber das war nicht Abraham Lincolns Art. Was er einmal angefangen hatte, führte er auch zu Ende.

Deshalb hatte er die Reise auf dem Landweg - zu Pinkertons Entsetzen - mit kleinem Gefolge fortgesetzt, um unerkannt zu bleiben. Bei dem Präsidenten waren nur sein Privatsekretär, der käsegesichtige Willard Marlow, der Kutscher Bob Lory, Allan Pinkerton selbst und zwei seiner besten Männer.

Lincoln fragte sich, ob er damit zu leichtsinnig gewesen war. Er sorgte sich nicht um sein eigenes Leben, sondern um seine Begleiter, die bei einem Überfall auf die Kutsche auch in Gefahr gerieten.

»Es wird schon gutgehen«, murmelte der Präsident versonnen und war sich gar nicht bewußt, laut gesprochen zu haben.

»Was meinen Sie, Sir?« fragte Marlow und sah von dem philosophischen Traktat auf, in dem er las, seit das Tageslicht hell genug dafür war.

»Nichts, Willard. Ich habe nur laut gedacht.«

»Sehen Sie, Mr. President, Sie machen sich dieselben Sorgen wie ich. Wir können nur hoffen, daß die Attentäter auf das Täuschungsmanöver mit der RAVAGER hereinfallen.«

»Hoffentlich war es richtig, das Schiff loszuschicken«, sagte Lincoln. »Was ist, wenn ihm etwas zustößt?«

»Lieutenant Slyde ist ein erfahrener Kommandant, der schon auf sein Schiff und seine Leute achtgeben wird.«

Pinkerton kniff die Lippen zusammen. Fast hätte er sich verplappert und auch von den drei Zivilisten gesprochen, die sich an Bord des Kanonenbootes befanden, um die Sache für mögliche Spione in Louisville glaubhafter zu gestalten.

Lincoln erfuhr besser nichts davon. Pinkerton kannte ihn gut genug, um zu wissen, daß der Präsident absolut nicht davon erbaut war, wenn andere für ihn den Kopf hinhielten. Es hatte schon einige Überredungskunst gekostet, ihm in Washington einen ständigen Leibwächter zur Seite zu stellen. Und wie Pinkerton gehört hatte, machte sich der Präsident immer wieder einen Spaß daraus, seinem Beschützer zu entwischen und ganz allein irgendwo unter der Bevölkerung aufzutauchen.

Lautes Getöse draußen riß den Detektiv und Geheimagenten aus seinen Gedanken. Reflexartig zuckte seine rechte Hand unter die Jacke und wollte den Revolver aus dem Schulterholster reißen, als die vier Männer in der Kutsche durcheinandergewirbelt wurden wie Spielwürfel in einem Knobelbecher.

Die Kutsche hatte die schlecht ausgebaute Straße verlassen und rumpelte mitten in einen Wald hinein. Die großen Räder sprangen über Steine und Baumwurzeln, bis das Gefährt sein Gleichgewicht verlor und auf die Seite stürzte. Ein Schmerzensschrei drang von draußen an die Ohren der vier Männer, von denen keiner ohne Blessuren davongekommen war.

Endlich kam Pinkerton dazu, seine Waffe zu ziehen. Aber wo war der Feind? Gab es überhaupt einen? Was war geschehen?

*

Bob Lory kannte die Straße am Ohio besser als seine drei Frauen, die er überlebt hatte. Er lenkte die Kutsche mit traumwandlerischer Sicherheit über die holprige Piste, als an einer Weggabelung plötzlich ein Einspänner auf die Straße fuhr und Lory den Weg abschnitt. Das einzige, was der bärtige Kutscher noch tun konnte, war, sein Gefährt von der Straße in den Wald zu lenken und zu versuchen, es möglichst rasch zum Stehen zu bringen.