157972.fb2 Attentat auf Abraham Lincoln - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 8

Attentat auf Abraham Lincoln - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 8

Jetzt nickte der Blonde. »Ja, und meine Freunde ebenfalls. Ich heiße Chris, Chris Rodenberg.« Dann stellte er seine drei Kameraden vor.

»Ihr habt jetzt genug Förmlichkeiten ausgetauscht!« fuhr ein vollbärtiger Mann namens Cord Hamker dazwischen. Er war einer der beiden Männer mit den Musketen und trug sein Käppi tief in die Stirn gezogen. »Wir sollten hier verschwinden, ehe uns jemand sieht.«

Irene wußte nicht, was sie von den vier Männern halten sollte. Sie schienen nicht zu denen zu gehören, die auf das Ruderboot geschossen hatten, und doch ging von diesem Hamker eine gewisse Feindseligkeit aus.

Immer wieder wanderte ihr Blick zu den Käppis der Männer, auf denen vorn ein Aufnäher mit den Buchstaben >GRV< prangte. Irgendwo hatte sie das schon einmal gesehen, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern.

»Du hast recht, Cord«, sagte der zweite Bewaffnete, ein untersetzter Mittvierziger namens Fred Glaser. »Unsere Verfolger werden mit ziemlicher Sicherheit das Flußufer absuchen. Und das ist verdammt gut einsehbar.«

»Verfolger?« fragte Irene verwirrt. »Was für Verfolger?«

Die vier Männer blickten sich und dann die junge Frau betreten an.

»Unser Regiment«, antwortete schließlich der junge Chris Rodenberg. »Wir sind Deserteure.«

*

Die USS RAVAGER war fast vollständig im Ohio versunken. Lediglich ein paar Wrackreste, die auf die Sandbänke geschwemmt worden waren, ragten aus dem Wasser hervor und erinnerten an das Drama, das sich an dieser Stelle abgespielt hatte. Sie und die Leichen der erschossenen Matrosen, die im flachen Wasser am Ufer lagen. In der Luft schwebte der Geruch von Rauch und Tod.

William Clarke Quantrill saß auf seinem Braunen, sog diesen Geruch tief ein und genoß ihn wie schon oftmals zuvor, wenn er einen erfolgreichen Überfall durchgeführt hatte. Er vermittelte dem Partisanenführer das Gefühl von Macht und Stärke, das der äußerlich so unscheinbare Mann so sehr brauchte.

Er kämpfte nicht aus Überzeugung für den Süden, sondern weil es sich so ergeben hatte. Ursprünglich hatte er sich einmal gegen die Sklaverei ausgesprochen, aber die Umstände hatten ihn auf die Seite der Konföderierten verschlagen. Hier war er ein mächtiger und gefürchteter Mann geworden. Ein Mann, der einen weithin bekannten Namen trug. Das hatte er sich schon immer gewünscht, und deshalb blieb er auf dieser Seite.

Er war viel zu intelligent, um ein Niemand zu sein, ein einfacher Schullehrer. Deshalb war er vor acht Jahren in den Westen gegangen, hatte das Abenteuer gesucht, Erfolg und Reichtum. Immer wieder war er mit dem Gesetz in Konflikt geraten, und die Anschuldigungen reichten von Mord bis Pferdediebstahl, was in gewissen Gegenden als gleich schwere Verbrechen betrachtet wurde. Jetzt endlich konnte Quantrill alles tun, was er schon immer gern getan hatte - unter dem Deckmantel des Krieges.

Als seine Männer in einer langen Kolonne an ihm vorbeizogen, mußte Quantrill innerlich lachen. Wahrscheinlich war jeder von ihnen mehr für den Süden eingenommen als ihr Anführer, der ihnen gegenüber natürlich den glühender Verfechter konföderierter Ideale spielte.

Da war sein Unterführer, der wilde, vollbärtige Bloody Bill Anderson, der den Trupp geführt hatte, der den Ohio flußabwärts mit dem Floß abriegeln sollte. Der Mann, der schnell mit Messer und Beil zur Hand war und seinen Sattel wie seinen Gürtel gern mit den Skalps getöteter Feinde schmückte, worauf er in seiner Verkleidung als Nordstaatenoffizier natürlich verzichten mußte. Vor dem Krieg war Andersen zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder auf Raubzug gegangen. Jetzt führte er seine Raubzüge unter dem Schutz einer von der konföderierten Regierung offiziell anerkannten Partisanentruppe durch. Er war Quantrill in seinen Motiven, die so gut wie nichts mit Idealismus zu tun hatten, vielleicht noch am ähnlichsten.

Anders schon John Kellerman, der kleine, bebrillte Sprengstoffexperte. Er hatte ein Waffengeschäft in einer kleinen Ortschaft bei Lexington, Missouri, geführt. Als er Waffen und Munition an Befürworter der Sklaverei verkaufte, nahmen das die Sklavereigegner zum Anlaß, sein Haus niederzubrennen. Seine Frau starb in den Flammen. Jetzt kämpfte Kellerman wirklich für die Sklaverei, und wenn auch nur, um sich an deren Gegnern zu rächen. Quantrill war es egal.

Der junge, erst zwanzig Lenze zählende Missourier Frank James dagegen verteidigte mit glühendem Herzen das Recht der Südstaaten auf ihre Eigenständigkeit. Schon bei Kriegsbeginn hatte er als Angehöriger der Konföderierten Miliz gekämpft und war dann zu Quantrill gestoßen.

Manchmal wurde der hochgewachsene, schweigsame Mann dem Partisanenführer etwas zu moralisch, aber er war ein hervorragender Reiter und Kämpfer.

Reiten und Kämpfen konnte auch Franks kleiner Bruder Jesse, den Quantrill erst gar nicht in seine Truppe aufnehmen wollte, weil er gerade mal sechzehn Jahre zählte. Aber der hitzköpfige Jesse hatte sich unbedingt an den Yankees rächen wollten, die seiner Familie so viel Unbill bereitet hatten. Auf der Suche nach Frank waren die Jayhawkers, eine Quantrills Truppe ähnliche Partisaneneinheit des Nordens, auf die elterliche Farm gekommen, hatten den verstockten Jesse ins Gefängnis geworfen und seinen ebenfalls schweigsamen Stiefvater am nächsten Baum aufgehängt. Jesses Mutter konnte ihren Mann gerade noch rechtzeitig abschneiden, bevor er sein Leben aushauchte. Als Jesse im Gefängnis nicht redete, wurde er wieder freigelassen. Dafür sperrten die Jayhawkers dann seine Mutter und seine Schwester Susan ein. Beide wurden mißhandelt und mißbraucht und erst wieder freigelassen, als sich Susan die Schwindsucht eingefangen hatte. Als Quantrill Jesse wegen seines Alters ablehnen wollte, hatte Anderson ihn unter seine Fittiche genommen. Quantrill bereute das nicht, denn heute, bei seiner Feuertaufe, hatte der haßerfüllte Jüngling seine Kämpfernatur unter Beweis gestellt. Außerdem schien er nicht von den moralischen Skrupeln seines Bruders infiziert zu sein.

Ebenso rücksichtslos im Kampf wie Jesse James war der ungeschlachte, rotbärtige Cole Younger, ein Vetter der JamesBrüder. Auch er hatte ein gutes Motiv, die Yankees zu hassen. Sie hatten seinen Vater erschossen, obwohl dieser mit der Union sympathisierte. Vielleicht hatten sie einen anderen triftigen Grund für ihre Tat gehabt. Quantrill wußte es nicht.

Dem Guerillaführer war nur wichtig, daß ihm seine Leute alle so bedingungslos gehorchten wie Anderson, Kellerman, Younger und die James-Boys. Wenn sie für die Sache des Südens - die echte oder die angebliche - durchs Feuer gingen, taten sie es auch für ihn. Quantrills Name wurde bekannter und gefürchteter, und damit wurde er - in seinen eigenen Augen -ein immer bedeutenderer Mann.

Er wäre vor Stolz fast geplatzt, als er den Auftrag erhielt, mit einem Trupp seiner Freischärler hinter die feindlichen Linien vorzustoßen und dort Abraham Lincoln entweder zu entführen oder zu liquidieren.

Jetzt allerdings war er sich nicht sicher, ob er seinen Auftrag bereits ausgeführt hatte. Am liebsten hätte er den ganzen Flußabschnitt mit Flößen absuchen und alle Leichen bergen lassen, um Lincolns Anwesenheit auf dem Kanonenboot definitiv festzustellen oder auszuschließen. Aber dazu fehlte ihm die Zeit. Über kurz oder lang mußte die RAVAGER vermißt werden. Die Yankees würden starke Suchverbände ausschicken, denen sein kleiner Haufen nicht gewachsen war.

Aber er war absichtlich mit relativ wenigen Männern zu dieser Mission aufgebrochen. Je weniger sie waren, desto größer waren ihre Chancen, unentdeckt im Feindesland zu operieren.

Wenn sie den Fluß nicht absuchen konnten, mußten sie die Wahrheit aus ihren beiden Gefangenen herauskitzeln. Bloody Bill Anderson war genau der richtige Mann dafür. Wenn er sie nicht zum Sprechen brachte, schaffte es niemand. In Quantrills Versteck würden die beiden einem eingehenden Verhör unterzogen werden.

Quantrill gab seinem Braunen die Sporen und trieb ihn an die Spitze der Kolonne. Der siegreiche Feldherr, als der er sich fühlte, verließ den Ort der glorreich und ohne eigene Verluste gewonnenen Schlacht.

Nur der schale Geruch des Todes blieb zurück.

*

»Wie ist dein Name?« schnarrte der Sergeant. »Und woher hast du die Zivilkleidung?«

Erst jetzt wurde Martin bewußt, daß der Unteroffizier auf deutsch mit ihm sprach.

»Ich heiße Martin Bauer«, antwortete der deutsche Auswanderer verwirrt. »Meine Kleidung gehört mir. Warum wollen Sie das wissen?«

»Schnauze!« fuhr ihn der Sergeant an und versetzte ihm einen schmerzhaften Tritt in die Seite. »Deserteure haben keine Fragen zu stellen.« Er wandte sich an einen jungen Corporal. »Daniel, kennst du den Namen Bauer? Meines Wissens heißt keiner der Deserteure so.«

Der Corporal schüttelte den Kopf. »Ich kann mich weder an den Namen noch an dieses Sommersprossengesicht erinnern.«

Die übrigen Soldaten schlossen sich dem an. Und alle sprachen deutsch.

»Ich bin kein Deserteur«, sagte Martin. »Das muß eine Verwechslungsein.«

Während er sprach, überlegte er, wo er die Buchstaben >GRV< auf den Käppischildern schon einmal gesehen hatte.

Eine durch das Unterholz kommende Gruppe Soldaten enthob ihn der Antwort. Sie wurden von einem berittenen Offizier angeführt, dessen längliches, hartes Gesicht mit dem schwarzen Spitzbart er sofort erkannte. Er trug noch den angeberisch wirkenden Hut mit der langen weißen Feder, den er bereits in New York auf dem Kopf gehabt hatte.

Der Mann in der tadellos sitzenden Uniform war Hauptmann Gerber von den German Rifle Volunteers, einem New Yorker Freiwilligenregiment. Er hatte Martin und Jacob bei deren Ankunft im Auswandererdepot Castle Garden rekrutieren wollen und wäre mit seinen Männern fast handgreiflich geworden, als die beiden jungen Auswanderer nichts von ihm wissen wollten. Nur das Eingreifen eines Depotbeamten hatte eine handfeste Auseinandersetzung verhindert.

Der Hauptmann zügelte seinen Grauschimmel kurz vor Martin und dem Sergeant und fragte, was los sei.

»Wir haben einen der Deserteure gefaßt, Herr Hauptmann. Aber er weigert sich, uns seinen richtigen Namen zu nennen.«

»Das ist keiner der Deserteure«, stellte Gerber nach einem kurzen Blick auf Martin fest. Er wollte sich wieder an den Sergeant wenden, als er den Auswanderer erneut ansah und seine schwarzen Brauen zusammenzog. »Aber ich kenne den Mann. Irgendwo habe ich ihn schon gesehen. He du, wie ist dein Name, Bursche?«

»Martin Bauer.«

»Das sagt mir nichts«, meinte der Offizier nach kurzem Überlegen. »Aber dein Gesicht kenne ich, das ist sicher. Ich habe nämlich ein hervorragendes Gedächtnis, was Gesichter betrifft. Bei welcher Gelegenheit haben wir uns kennengelernt?«

»Wir kennen uns nicht«, log Martin. Er hatte das erste Zusammentreffen mit Hauptmann Gerber nicht in angenehmer Erinnerung und hielt es für besser, den Offizier im unklaren zu lassen.

Gerber schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Mein Gedächtnis täuscht mich bestimmt nicht. Wenn ich mich nur erinnern könnte. Einer meiner Rekruten bist du wohl nicht gewesen.«

Wieder zog er die Brauen zusammen und zugleich seine Stirn in Falten. Plötzlich hellte sich sein Blick auf, und ein unangenehmes Lächeln glitt über sein Gesicht.

»Natürlich, jetzt weiß ich es. New York, Castle Garden! Du und dein Freund, ihr habt euch geweigert, unserem Regiment beizutreten!«

Er stieg vom Pferd und übergab die Zügel einem Corporal. Dicht vor Martin blieb er stehen und sah auf ihn herunter.

»Ich habe mir sehr gewünscht, euch noch einmal wiederzutreffen. Ihr habt euch gegenüber unserer Uniform sehr respektlos verhalten. Den fehlenden Respekt werde ich dir jetzt beibringen.«

»Sie sollten mir lieber helfen«, sagte Martin und setzte sich auf.