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Hansen klärte ihn über das Problem auf.
»Wir dürfen gar keine Passagiere mitnehmen!« verlangte McCord. »Daß die ALBANY einige Auswanderer nach Fogerty gebracht hat, geschah nur zur Tarnung der Fahrt. Aber auf der weiteren Reise können wir keine Zeugen gebrauchen!«
»Das sagen Sie mal den Männern und Frauen da draußen, denen nichts auf der Welt so wichtig ist, wie möglichst schnell nach Kalifornien zu kommen«, brummte Hansen. »Die werden Sie auf der Stelle lynchen, Captain.«
»Und was werden die Leute machen, wenn wir sie an Bord nehmen, aber nicht San Francisco anlaufen?« fragte McCord.
»Wahrscheinlich werden sie meutern«, gab Hansen zu. »Wenn man sie nicht rechtzeitig in Schach hält. Wie auch immer, dann haben wir es nur mit etwa hundert Menschen zu tun. Hier in Fogerty sind es weit über tausend. Außerdem würde es den Verdacht von Captain Stout, der die hiesige Garnison kommandiert, erregen, wenn ich plötzlich verkünde, daß niemand von den Goldsuchern an Bord darf.«
»Ich stimme dem Käpten zu«, sagte Arnold Schelp. »Wir sollten uns möglichst unauffällig verhalten, bis wir auf See sind.«
»Das ist richtig«, sagte die Frau in einem Tonfall, der wie eine Entscheidung klang.
Der Offizier in Zivil und der Mexikaner ordneten sich ihr unter, was Schelp und Hansen mit einigem Erstaunen zur Kenntnis nahmen.
Wer war die Frau in Schwarz, daß ihr Wort solches Gewicht besaß?
Weder der Kapitän noch der zwielichtige Geschäftsmann glaubten, daß >Smith< ihr richtiger Name war.
»Daß wir nicht San Francisco anlaufen, habe ich mir schon gedacht«, sagte Schelp und beugte sich vor. »Aber welchen Hafen laufen wir an?«
»Gar keinen Hafen«, antwortete Abel McCord und zog ein großes, dickes Papier aus der Innentasche seines Rocks, um es auf dem gemaserten Holztisch zu entfalten.
Es war eine Landkarte, die den Westen und Südwesten Nordamerikas sowie Mexiko zeigte. Die Karte war zerknittert, mehrfach eingerissen und mit Flecken übersät, also häufig benutzt worden.
Zielsicher stieß der Captain einen Finger auf eine bestimmte Stelle der Karte und verkündete den beiden Deutschen:
»Gentlemen, hier liegt das Ziel unserer Reise!«
Neugierig blickten Hansen und Schelp auf die Landkarte.
»Im Golf von Kalifornien?« fragte Schelp schließlich mit gekräuselter Stirn. »Ich hatte gedacht, mit der Regierung der Konföderierten Staaten von Amerika ein Geschäft zu machen, nicht mit der von Mexiko.« Nach einem Seitenblick auf den Mexikaner fügte er hinzu: »Mit welcher mexikanischen Regierung auch immer.«
Don Emiliano Maria Hidalgo de Tardonza straffte seinen drahtigen Körper und erklärte:
»Senores, seien Sie versichert, daß es bald nur noch eine mexikanische Regierung gibt. Und die wird eng mit den Konföderierten Staaten zusammenarbeiten. Sind Sie über die politische Lage in Mexiko unterrichtet?«
»Ich denke schon«, nickte Schelp.
Als Geschäftsmann mußte er wissen, was in der Welt vor sich ging. Politik und Wirtschaft waren zwei Beine ein und desselben Körpers.
Allerdings waren die Verhältnisse in Mexiko derzeit einigermaßen verworren: Im Jahre 1858 trat Benito Juarez, ein Mann mit Indioblut in den Adern, die Präsidentschaft an und entmachtete weitgehend das alte Feudalsystem der adligen Großgrundbesitzer. Er ließ sich vom Kongreß diktatorische Vollmachten übertragen und setzte die Rückzahlung aller Auslandsschulden aus.
Daraufhin sandten Frankreich, England und Spanien ein gemeinsames Expeditionskorps nach Mexiko, um Juarez zur Ordnung zu rufen. Schnell wurde jedoch klar, daß der außenpolitischen Abenteuern stets aufgeschlossen gegenüberstehende französische Kaiser Napoleon III. seine eigene Ziele verfolgte und eine neue Monarchie auf den Trümmern der zusammenstürzenden mexikanischen Republik errichten wollte. England und Spanien zogen deshalb ihre Truppen aus Mexiko zurück.
Napoleon aber verfolgte sein Ziel weiter, und seine Truppen rückten im Juni 1863 in Mexico City ein. Benito Juarez und seine Armee wurden immer weiter in den Nordwesten Mexikos abgedrängt.
Inzwischen war so gut wie sicher, daß Napoleon den Habsburger Fürsten Ferdinand Maximilian, jüngerer Bruder des österreichischen Kaisers Franz Joseph, mit Hilfe des mexikanischen Adels und der jesuitisch beherrschten Geistlichkeit zum Kaiser von Mexiko machen wollte. Schon im vergangenen Jahr war Maximilian nach der Einnahme von Mexico City dort zum Kaiser ausgerufen worden. Jetzt mußte der neue Kaiser nur noch in sein Reich kommen, um das hohe Amt anzutreten - falls die Juaristen es zuließen.
»Was ich Ihnen jetzt mitteile, ist streng vertraulich«, fuhr Don Emiliano fort. »Darf ich mich auf Ihr Stillschweigen verlassen?«
Die beiden Deutschen nickten.
»Maximilian wird bald in Mexiko eintreffen«, erklärte der Mann im blauen Rock. »Mit Unterstützung der französischen Truppen und der mexikanischen Armee wird er Juarez schlagen und das Land zu neuer Blüte führen.«
»Das ist sicher sehr schön für Sie«, erwiderte Schelp ein wenig gelangweilt. »Aber was hat das mit uns zu tun?«
»Präsident Lincoln unterstützt Juarez«, sagte Don Emiliano. »Lincoln befürchtet, wenn Mexiko erst einmal unter seinem neuen Kaiser erstarkt ist, wird es Texas zurückfordern.«
»Dabei wollen wir es gar nicht hergeben«, meinte Abel McCord. »Weder an die Yankees noch an die Mexikaner.«
»Selbstverständlich soll Texas weiterhin zu den Konföderierten Staaten von Amerika gehören«, versetzte Don Emiliano rasch. »Aber wir befürchten, Lincolns Regierung wird sich nicht mit unserer Absichtserklärung zufriedengeben. Unsere Informanten melden Vorbereitungen der Union für eine Eroberung von Texas.«
»Ich verstehe«, lächelte Schelp.
»Wenn Lincolns Truppen an der Grenze zu Mexiko stehen, könnte das zu einer Stärkung von Benito Juarez führen. Die Monroe-Doktrin, nicht wahr, Don Emiliano?«
Der Mexikaner nickte säuerlich.
»Si, Senor Schelp. Die Monroe-Doktrin, auf die sich die Union beruft, lehnt jedweden äußeren Einfluß auf den gesamten amerikanischen Kontinent ab. Sie könnte ein Vorwand für Lincoln sein, seine Truppen zur Unterstützung von Juarez über den Rio Grande del Norte zu schicken.«
»Um das zu verhindern, unterstützen Sie wiederum die Konföderierten«, entwirrte Schelp das politische Geflecht.
»Si«, sagte der Mexikaner wieder, sichtlich erfreut darüber, daß der Deutsche die Sache verstand.
»Und wie geschieht das?« fragte Schelp.
Nicht der Mexikaner antwortete, sondern die Frau in Schwarz:
»Wir benötigen Ihre Lieferung zur Verteidigung von Texas. Allerdings wird es immer schwieriger, Hilfsgüter ins Land zu bringen. Der Norden hat in jüngster Zeit leider eine Menge strategisch bedeutsamer Siege errungen. Texas verfügt über keinen offenen Hafen mehr. Ein Teil der Küste wird von den Yankees besetzt gehalten. Der Rest wird von ihrer Marine blockiert. Deshalb gehen wir über Land.«
Das schwarze Leder ihres behandschuhten Fingers wanderte auf der Landkarte in Ost-West-Richtung durch den Norden Mexikos, über den Rio Grande nach Texas hinein.
»Diesen Weg«, erklärte sie. »Die ALBANY wird eine bestimmte Bucht südlich von Guaymas anlaufen. Dort warten ausreichend Wagen und eine bewaffnete Eskorte auf die Lieferung, die Captain McCord und ich nach Texas begleiten werden.«
»Kein ungefährlicher Weg«, befand Schelp und gesellte seinen Zeigefinger zu dem der Frau. »Ich denke, Juarez sitzt hier im Norden Mexikos!« »Lassen Sie das unsere Sorge sein, Senor Schelp«, warf sich Don Emiliano in die Brust. »Die kaisertreuen Truppen werden diesen größenwahnsinnigen Indio schon im Zaum halten. Vielleicht gibt es gar keinen Juarez mehr, wenn die ALBANY die Küste von Sonora erreicht.«
Schelp zuckte mit den Schultern.
»Wie auch immer, mein Problem ist es nicht. Ich werde bei Lieferung bezahlt, nicht wahr?«
Nur kurz blickte er Captain McCord an. Dann verweilte sein Blick auf dem verschleierten Gesicht der Frau. Er spürte, daß sie dem Offizier befahl, wenn Schelp auch die Zusammenhänge nicht verstand.
»Natürlich, Mr. Schelp«, versicherte sie. »So wie besprochen.«
»Es war auch besprochen, daß ich bei der Kontaktaufnahme mit dem Verbindungsmann eine Anzahlung in Höhe von zwanzig Prozent erhalten soll.«