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»Nicht die Spur von Ahnung, Sir. Habe nur läuten hör'n, daß es Bekannte von Mr. Schelp sein soll'n.«
»Die Frau auch?«
Der Seemann zuckte mit den Schultern und spuckte einen Teil des Priems über die Reling hinunter ins brackige Hafenwasser.
»Weiß nicht, Sir. Wird wohl so sein.«
Obwohl die Frau vollkommen verhüllt war, erschien sie Jacob wie eine alte Bekannte.
Und - täuschte er sich, oder blieb sie tatsächlich kurz stehen, um ihm einen Blick zuzuwerfen. Er konnte sich nicht helfen, ein eisiger Schauer lief dabei seinen Rücken hinunter.
»Aye, Sir, ist'n kalter Wind«, nickte der Seemann, der das Erschauern des Deutschen falsch deutete. »Haben zu lange hier gelegen. Das gute Wetter ist vorbei. Machen Sie sich aufn gehörigen Seegang gefaßt!«
Jacob hörte eine vertraute Stimme von achtern und sah sich um. Piet Hansen stand auf der Brücke und gab durch ein hartledernes Sprachrohr die Befehle, um die Bark zum Auslaufen vorzubereiten. Jacob wollte ihn jetzt nicht stören und seine Aufmerksamkeit wieder den neuen Kajütenpassagieren zuwenden.
Doch sie waren bereits unter Deck verschwunden. Der Kutscher verließ die ALBANY. Die Planke, über die er gegangen war, wurde eingezogen.
Der Gedanke an die schwarzgekleidete Frau und ihre Begleiter verblaßte. Das Auslaufmanöver nahm Jacobs Aufmerksamkeit gefangen.
Die Ankerkette wurde ins Vorschiff gezogen. Ein plumpes Dampfboot setzte sich vor die Bark und wurde mit zwei starken Seilen an ihrem Bug vertäut.
Schon einmal hatte er miterlebt, wie die ALBANY von einer Dampfbarkasse in tieferes Gewässer gezogen wurde, damals in Hamburg. Doch da hatte er nichts gesehen, weil er als blinder Passagier unter einem Rettungsboot verborgen lag.
Jetzt wanderte sein Blick zwischen dem kleinen, aber starken Schraubendampfer und der zusammenschrumpfenden Hafenstadt hin und her.
Es war seltsam, aber er fühlte wenig Erleichterung, endlich unterwegs nach Kalifornien zu sein. Eine Ungewisse Vorahnung ließ ihm die Zukunft so düster erscheinen wie der dicke Rauch, der aus den beiden niedrigen Schornsteinen des Dampfers in den bewölkten Himmel aufstieg. Die ALBANY glitt direkt in den fast schwarzen Dunst hinein.
*
Im Hauptquartier der Garnison von Fogerty, am Abend dieses Tages.
Das unerwartete Klopfen an der Tür ließ Captain Henry Stout zusammenfahren. So sehr, daß Flüssigkeit aus dem fleckigen Glas schwappte und seinen blauen Uniformrock benetzte.
Wieso bloß?
Nur weil er sich einen kleinen Schluck genehmigte?
Er kam sich immer wie ein Verbrecher vor, wenn er die Schublade aufzog, die Whiskeyflasche herausnahm und sich einen Doppelten eingoß. Die einzige Freude seiner öden Tage hier am Ende der Welt.
»Ja?« brüllte der kleine, untersetzte Garnisonskommandant. »Was gibt's?«
»Ein Mr. Herbert will Sie sprechen, Captain.«
Es war die durchdringende Kommandostimme von First Sergeant Henderson.
»Kenne ich nicht«, antwortete der Captain durch die geschlossene Tür. »Was will er zu so später Stunde?«
»Weiß ich auch nicht genau, Sir. Hat wohl was mit dem Schiff zu tun, das heute nach Frisco ausgelaufen ist.«
»Die ALBANY?«
»Yes, Sir.«
»Und?«
»Mr. Herbert meint, vielleicht seien Spione an Bord gewesen.«
»Spione?«
Das ließ Captain Stout aufhorchen.
Er kippte den Rest Whiskey in sich hinein, stellte Flasche und Glas zurück in die tiefe Lade, setzte sich gerade hin und knöpfte eilig den blauen Rock zu.
»Right, Sergeant, schicken Sie den Mann herein!«
In Begleitung eines grobschlächtigen Mannes erschien ein Junge, genauso blond wie der Erwachsene. Sie waren unverkennbar Vater und Sohn.
Der Fleischer John Herbert erzählte von den beiden Golddollars, die Mrs. Herbert in der Jackentasche ihres Sprößlings gefunden hatte. Erst hatte dieser sich verstockt gezeigt, als der Vater ihn um Rechenschaft über seinen unerwarteten Reichtum ersuchte. Aber ein paar saftige Ohrfeigen der kräftigen Fleischerhand hatten Frankie Herberts Zunge gelöst. Jetzt mußte er seinen Bericht dem Captain gegenüber wiederholen.
Stout hörte mit wachsendem Interesse zu. Die Gedanken in seinem Kopf überschlugen sich fast. Noch während der Junge seinen umständlichen Bericht ablieferte, versuchte der Offizier, die Sache richtig einzuschätzen.
Natürlich konnte alles ganz harmlos sein. Vielleicht war es tatsächlich nur eine Liebesbotschaft.
Aber vielleicht hatte auch John Herbert recht, der etwas von Spionen der gottverdammten Südstaaten-Rebellen faselte.
Yeah, dachte Stout, vielleicht waren es Spione. Oder etwas in der Art.
Ein Wort geisterte durch seinen Kopf: Blockadebrecher!
Wenn es so war, würde es dann nicht negativ auf ihn zurückfallen, daß er die ALBANY aus dem Hafen hatte entkommen lassen?
Er hatte das Schiff sogar noch durch seine Männer bewacht! Würde es nicht besser sein, nichts weiter zu unternehmen?
Aber gerade das war es wohl, was ihm den ungeliebten und unbedeutenden Posten weitab der Kampflinien eingetragen hatte. Immer hatte der Offizier Henry Stout zu lange gezögert. Andere hatten Entscheidungen getroffen und lobende Erwähnungen in den Personalakten gesammelt. Seine Altersgenossen aus West Point hatten viel höhere Ränge inne als er und befehligten große Truppenteile. Sie sammelten Ruhm und Ehre im Krieg. Und er, Henry Stout, saß hier in Fogerty und bewachte einen Hafen, für den sich niemand interessierte als ein paar goldsüchtige Glücksritter!
Er sah seine Chance. Wenn die ALBANY tatsächlich ein Blockadebrecher war und er zu ihrem Aufbringen beitragen konnte, würde er vielleicht nicht mehr lange hier sitzen und aus lauter Frust den Whiskey in sich hineinschütten.
Er sprang auf, und seine Schultern strafften sich.
»Sergeant«, bellte er den reglos im Raum stehenden Henderson an. »Sofort Eiltelegramme ans Hauptquartier in San Francisco und an das dortige Navy-Büro. Die ALBANY ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Blockadebrecher und unter allen Umständen aufzubringen!«
*
Auf dem Pazifik, ein paar Stunden später. »Müssen wir wirklich wie Diebe in der Nacht hier herumschleichen?« fragte Captain Abel McCord unwillig seine Begleiterin.
Er sprach im Flüsterton.