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»Es ist besser so«, beschied die Frau, die wie stets von Kopf bis Fuß schwarz verhüllt war.
»Aber warum? Schließlich ist es unsere Ladung. Hm, jedenfalls dann, wenn wir sie bezahlt haben. Wir haben ein Recht darauf, sie in Augenschein zu nehmen. Warum kontrollieren wir sie nicht ganz offen?«
»Weil ich nicht das sehen will, was dieser Stutzer Schelp uns zeigt. Ich will mir selbst aussuchen, wo wir unsere Stichproben machen.«
»Yeah«, sagte McCord im zerdehnten Texas-Akzent. »Jetzt verstehe ich.«
Die beiden Menschen blieben vor einer Luke stehen, die das Zwischendeck von dem großen Frachtraum trennte, der den unteren Schiffsteil bildete und fast gänzlich unterhalb der Wasserlinie lag.
McCord rüttelte an der Luke, aber sie war verschlossen.
»Soll ich sie aufbrechen?« fragte er und legte die Rechte auf das Stemmeisen, das in seinem Gürtel steckte.
»Versuchen wir es erst mal hiermit.«
Die Frau zog einen Ring mit mehreren Schlüsseln zwischen den Falten ihres Kleides hervor. Schon der zweite paßte, und klackend sprang das große Schloß auf.
»Woher?« staunte der Captain.
»Von einem Maat, der fünf Golddollars unwiderstehlich fand.«
Sie gingen die steile Treppe hinunter. Nur wenig Wasser stand in den Ecken und Bodenausbuchtungen. Die Pumpen der ALBANY arbeiteten gut.
Die Frau übernahm die Blendlaterne und zeigte auf mehrere Kisten, die dann McCord mit dem schweren Eisen aufbrach. Jedesmal fiel die Inaugenscheinnahme des Inhalt zur vollen Zufriedenheit der beiden auf.
Keiner der beiden bemerkte, daß dabei ein kleines ovales Messingschild von einer Kiste abplatzte und zu Boden fiel. Die anderen Kisten waren nicht mit diesen Schildern versehen. Man hatte die Schilder entfernt, bevor die Kisten in Hamburg auf die ALBANY verladen worden waren. Helle Flecken auf dem Holz verrieten die Stellen, wo sie gesessen hatten.
Fast zärtlich strich die in schwarzem Leder steckende Hand der Frau über den kalten Stahl in einer der großen Kisten, als die Schwarzgekleidete plötzlich hart gegen das Holz gedrückt wurde.
Sie spürte McCords kräftige Hände an ihrem Leib abwärts wandern und ihre Röcke hochheben. Schnell schob die Frau in Schwarz die Blechblende über die Linse der Laterne, und im Laderaum wurde es finster.
Die Welt bestand nur noch aus Geräuschen. Das Klatschen der Wellen, die gegen den Schiffsrumpf schlugen. Das Ächzen und Knarren der Planken und der Kisten, die zwar gut vertäut waren, aber doch jede Bewegung der Bark nachvollzogen. Und das immer schnellere Keuchen des Südstaatlers, der sich über die Frau beugte und ihren Leib mit solcher Gewalt gegen die Kiste drückte, daß deren Rand schmerzhaft in ihren Bauch stach.
Sie biß die Zähne zusammen und ließ es geschehen. Wenn sie keine Umstände machte, würde es um so schneller vorbei sein.
Was waren schon die paar Minuten in der Nacht, die sie sich Abel McCord hingab? Der Captain setzte sein Leben bei dieser Mission aufs Spiel.
Sie ihres natürlich auch. Aber es bedeutete ihr nichts mehr, seitdem sie vom Schicksal ihres Mannes erfahren hatte.
Endlich war der Südstaatler fertig. Er stand noch eine Minute über die Frau gebeugt, bis er neue Kraft gefunden hatte. Dann ließ er von ihr ab und zog seine Hose hoch.
Er griff nach der Laterne, die sie noch in der Hand hielt. Wie er den Lichtstrahl aufflammen ließ, hatte sie ihre Röcke bereits wieder geordnet. Kein Zoll ihrer Haut war mehr zu sehen, als das Licht auf sie fiel.
Sie zuckte zurück, als McCord die freie Hand nach ihrem Gesichtsschleier ausstreckte.
»Was soll das, Abel?« fragte sie erschrocken.
Sein breites Gesicht drückte wilde Entschlossenheit aus. Sie hatte sich getäuscht. Seine Erregung war noch nicht abgeklungen, sondern hatte sich nur auf eine andere Ebene verlagert.
»Ich will endlich dein Gesicht sehen!« keuchte er mit der Stimme und den Augen eines Besessenen. »Ich halte es so nicht länger aus. Zeig es mir!«
Er wollte den Schleier wegreißen, aber die linke Hand der Frau schlug seinen Arm beiseite. Ihre Rechte verschwand in den Falten des schwarzen Kleides und kehrte mit einem vierläufigen Sharps Derringer zurück, den sie auf McCords Brust richtete.
Ohne zu zögern zog sie den Hahn zurück und sagte scharf:
»Wenn Sie mich auch nur anrühren, McCord, schicke ich Sie zur Hölle!«
Ihre Stimme und ihre ganze Haltung ließen den Captain keine Sekunde an der Ernsthaftigkeit der Drohung zweifeln.
»All right, Sie haben gewonnen«, brummte er und bückte sich nach dem Stemmeisen, das er auf den Boden gelegt hatte, bevor er sich der Frau genähert hatte.
Äußerlich war Abel McCord völlig ruhig. Aber innerlich brodelte er.
Lange würde er die fortlaufende Kette von Demütigungen nicht mehr hinnehmen. Deutsche, Mexikaner und diese geheimnisvolle Frau, die das Oberkommando ihm vor die Nase gesetzt hatte - sie alle machten sich über ihn, einen Offizier der Konföderation, lustig!
Nicht mehr lange!
*
Die Tage auf See vergingen für die Passagiere der ALBANY in rasch ermüdender Eintönigkeit.
Das einzige, was sich änderte, war das Wetter. Es wurde von Tag zu Tag schlechter. Manchmal wurde der Himmel so düster, daß sich der Tag kaum von der Nacht unterschied.
Immer wieder peitschten Sturmwinde das Schiff. Und Regenböen waren der Meinung, der Pazifische Ozean rings um den schlanken Segler sei noch nicht genug Wasser.
Die Passagiere sahen nichts als tiefgrauen Himmel und hellgraues Meer, wenn sie sich einmal an Deck wagten. Meistens dauerten diese Ausflüge nicht sehr lange und endeten damit, daß sich die Landratten weit über die Reling beugten, um ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen.
Nach sieben Tagen Fahrt wurden die Menschen allmählich unruhig. Einige waren der Meinung, man müßte San Francisco endlich erreicht haben.
Kapitän Hansen ließ verlauten, das schlechte Wetter haben die Bark vom Kurs abgebracht, und der schwere Seegang behindere ihr Vorankommen.
»Komisch«, bemerkte Jacob zu Irene. »Ich hätte nicht gedacht, daß der alte Piet sein Schiff so aus dem Ruder laufen läßt.«
Der alte Piet?
Nein, das war Hansen ganz und gar nicht. Er benahm sich gegenüber Jacob und Irene fast wie ein Fremder. Wenn er fünf Worte mit ihnen wechselte, war das schon viel.
Arnold Schelp zeigte sich aufgeschlossener, gab aber nicht mehr als unverbindliche Plattitüden von sich.
Das Zusammenleben mit den O'Faolains und den Connors verlief unerwartet harmonisch und tröstete die beiden Deutschen über Piet Hansens Schweigsamkeit ein wenig hinweg.
Die anderen Kajütenpassagiere, die beiden Männer und die Frau in Schwarz, ließen sich kaum blicken. Ihr Essen nahmen sie in der eigenen Kajüte oder zusammen mit Schelp und Hansen in der des Kapitäns ein. Wenn die beiden Männer mal an Deck erschienen, blieben sie für sich oder hielten sich an Schelp und Hansen.
Nur einmal sah Jacob, der auf dem Vorderdeck stand und sich angeregt mit dem aus dem Westfälischen stammenden Schiffszimmermann unterhielt, die von Kopf bis Fuß schwarze Gestalt auf dem Achterdeck stehen. Er bildete sich ein, daß die Frau zu ihm herübersah. Aber wegen des Schleiers blieb das eine bloße Vermutung.
Jacob gab sich einen Ruck und durchmaß das Deck der ALBANY mit den schnellen, großen Schritten, die er sich angewöhnt hatte, als der junge Geselle Jacob Adler drei Jahre lang durch Deutschland streifte, um seine Fähigkeiten als Zimmermann bei verschiedenen Meistern in verschiedenen Städten zu vervollkommnen. Ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen wollte er die Frau ansprechen und fragen, ob sie sich kannten.