158002.fb2 Bruderkampf: Richard Bolitho, Kapit?n in Ketten - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 17

Bruderkampf: Richard Bolitho, Kapit?n in Ketten - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 17

XVII In Schlachtformation

Zehn Minuten nach dem Trommelsignal war die Phalarope klar zum Gefecht. Die Decks waren gesandet, Eimer mit Wasser standen in Reichweite jeder Kanone. Über dem Schiff lag eine sonderbare, alles beherrschende Stille, nur durch das unruhige Schlagen der Segel und das Rauschen der Bugwelle unterbrochen.

Bolitho legte die Hand über die Augen und betrachtete die unirdisch orangefarbene Glut der Sonne, die sich durch den nicht endenwollenden Dunst kämpfte. Das Krachen und Bellen der Geschütze war mit jeder Minute unregelmäßiger und sporadischer geworden. Während sich die Entfernung zwischen der Phalarope und den anderen Schiffen verringerte, drangen neue Laute herüber. Sie klangen bösartiger und doch irgendwie persönlicher. Bolitho hörte das scharfe Knattern von Gewehren und Pistolen, und Stahl klirrte gegen Stahl, übertönt von den Schreien der um ihr Leben kämpfenden Männer.

Okes wischte sich das Gesicht mit dem Handrücken und stieß hervor:»Dieser verdammte Nebel! Nicht zu sehen, was vorgeht.»

Bolitho sah ihn kurz an.»Er ist ein Gottesgeschenk, Mr. Okes. Sie haben zu viel zu tun, um uns zu bemerken. «Er winkte zum Rudergänger hinüber.»Einen Strich nach Steuerbord. «Danach ging er zur Querreling und blickte zu dem hochschauenden Herrick hinunter.

«Lassen Sie die Geschütze laden. Aber erst auf mein Kommando hin ausrennen.»

Die Kanoniere schoben Kartuschen in die Mündungen und stießen glänzende runde Kugeln hinterher. Die erfahreneren Geschützmeister nahmen sich die Zeit, jede Kugel beinahe liebevoll zu tätscheln und in der Hand zu wiegen. Die erste Salve sollte ein voller Erfolg werden.

«Doppelte Ladungen!«hörte er Herrick rufen.»Und Kartätschen, Jungs. Diesmal wollen wir es ihnen geben!»

Ein kräftigerer Windstoß schob den Dunst, der die Schiffe einhüllte, beiseite. Bolithos Lippen verzogen sich zu einem schmalen Strich. Mit dem Heck zur schnell heransegelnden Phalarope lag eine französische Fregatte. Neben ihr erkannte er die kleine Witch of Looe. Die Brigg hatte Schlagseite und war beinahe bis zur Unkenntlichkeit havariert. Ein Mast fehlte bereits, den anderen schienen nur noch die Reste des stehenden Gutes zu halten. Er dachte an ihren Kommandanten, den jungen Leutnant Dancer, dem er an Bord des Flaggschiffs begegnet war. Er staunte über den Schneid oder den vergeudeten Mut, der Dancer veranlaßt hatte, sich mit einem Gegner einzulassen, der ihm dermaßen überlegen war. Seine kleinen Knallbüchsen gegen die noch rauchenden Zwölfpfünder!

«Sie haben uns entdeckt, Sir«, sagte Okes. Er schluckte schwer, als etwas wie ein tierisches Knurren über das Wasser drang.»Mein Gott, sehen Sie bloß!»

Das zerschmetterte Deck der Witch of Looe schien von französischen Seeleuten überschwemmt. Während der treibende Pulverqualm einen Augenblick aufriß und die Sonne das Gemetzel beschien, sah Bolitho die kleine Gruppe, die das Achterdeck der Brigg noch verteidigte. In wenigen Minuten würde auch sie überwältigt sein.

Die Stückpforten der dem Gefecht abgewandten Seite der französischen Fregatte öffneten sich plötzlich, und die Kanonen wurden rumpelnd ausgefahren. Die feindliche Fregatte bleckte die Zähne.

Bolitho achtete nicht auf das Siegesgeschrei, das auf der französischen Fregatte ertönte, sondern konzentrierte sich völlig auf den ständig schmaler werdenden Streifen Wasser zwischen der Phalarope und dem Feind. Keine Kabellänge mehr, und kein Schiff in der Lage zu feuern. Der Bug der Phalarope zeigte fast haargenau auf das Heck des anderen Schiffs. Behielt sie den Kurs bei, würde der Bugspriet durch die Heckfenster stoßen. Auf der einen Seite des Franzosen lag mit Schlagseite die durchsiebte Witch of Looe, auf der anderen warteten die französischen Kanonen auf ein weiteres Opfer.

«Steuerbordbatterie ausrennen!»

Bolitho beobachtete, wie sich seine Leute in die Taljen legten. Quietschend und knarrend rollten die Kanonen die leichte Neigung des Decks hinauf, und die Rohre schoben sich durch die Pforten.

Von dem französischen Schiff drangen wüste Rufe herüber, unmenschliche Töne des Blutrauschs. Die Männer der Phalarope blieben kalt und wachsam. Ihre Augen blinzelten nicht, als die pockennarbigen Segel des Feindes immer höher über dem Bug aufwuchsen.

Bolithos Hände umspannten die Reling, während er langsam sagte:»So, Mr. Herrick, und nun schicken Sie Ihre Leute hinüber zur Backbordbatterie. «Er bemerkte die verdutzten Blicke und setzte kurz hinzu:»In einer Minute lege ich nach Steuerbord um und schere neben die Witch of Looe. Sie liegt tief im Wasser. Unsere Breitseite streicht über sie hinweg.»

Herricks Stirnrunzeln machte einem Ausdruck offener Bewunderung Platz.»Aye, aye, Sir.»

Bolithos Stimme riß ihn aus seinen Gedankengängen.»Ruhe! Die Franzosen brauchen nicht zu merken, was wir vorhaben.»

Die Geschützbedienungen krochen zur entgegengesetzten Seite hinüber. Die heiseren Drohungen der Stückmeister dämpften ihre Erregtheit.

Näher und näher. Ein paar Musketenkugeln pfiffen harmlos über ihre Köpfe hinweg, aber aufs Ganze gesehen wartete der französische Kapitän ab. Beide Schiffe waren gleich stark bestückt, und er konnte hoffen, daß der Bug und Vormast der

Phalarope die ersten Schläge abbekommen würden. Sein Schiff trieb langsam im Wind, und die längsseits liegende Witch of Looe minderte das Schaukeln und Schlingern, wofür die französischen Kanoniere dankbar waren. Schwaches Hurrarufen wurde von neuerlichem Musketenfeuer übertönt.

«Die Leute der Brigg jubeln uns zu, Sir«, stotterte Proby.

Bolitho tat, als höre er nicht. Ein einziger Irrtum, und sein Schiff würde zu Kleinholz zerhackt werden. Fünfzig Yards, dreißig Yards. Bolitho hob die Hand. Quintal hockte sprungbereit. Eine Hand lag auf der Schulter eines Matrosen an den Brassen.

«Jetzt!«befahl Bolitho.

Proby griff mit in die Speichen des Rades, und unter dem Kreischen der Blöcke begannen die Rahen herumzuschwenken. Die Segel klatschten protestierend, reagierten aber auf Wind und Ruder.

«Ausrennen!«Eiskalt verfolgte Bolitho, wie die Backbordkanonen über die gesandeten Planken quietschten.»Feuert, was die Rohre hergeben!»

Bolitho hämmerte auf die Reling und zählte ungeduldig jede Sekunde. Einen Augenblick lang glaubte er, den Kurswechsel falsch angesetzt zu haben. Doch während er atemlos wartete und kaum hinzuschauen wagte, schwang der Bugspriet gemächlich über das hohe Heck des Franzosen und hätte fast eine Gruppe Matrosen von den Schutznetzen gefegt.

Herrick rannte von einer Kanone zur anderen, um darauf zu achten, daß auch bestimmt jeder Schuß saß. Er hätte sich die Mühe sparen können. Während die überraschten französischen Kanoniere verwirrt von der anderen Seite herübergerannt kamen, schlugen die ersten Schüsse krachend in den Rumpf der französischen Fregatte. Die Phalarope erbebte, als sie gegen die Witch of Looe stieß, zog aber weiter an der kleinen Brigg vorbei, während ihre Geschütze Feuer und Tod spien, hinweg über die Köpfe der verdutzten Enterer und die der restlichen Briggbesatzung.

Bolitho zuckte zusammen, als sich die Neunpfünder auf seinem Achterdeck an dem Getöse zu beteiligen begannen. Das französische Schiff antwortete noch immer nicht. Bolitho hatte richtig ve rmutet. Die Kanonen starrten so untätig in die Schläge der Phalarope, weil ihre Bedienungen mit auf die Witch of Looe geentert waren.

Große Teile des Schanzkleids der französischen Fregatte wurden aufgerissen. Zersplitterte Planken wurden wie von unsichtbarer Hand hochgeschleudert. Eine Axt blitzte auf, und Bolitho rief:»Sie wollen klarkommen. «Er zog den Säbel.»Hinüber, Jungs. Enterer vorwärts!»

Die Phalarope kam längsseits der Witch of Looe langsam zum Stehen. Ihr Bug verfing sich in den herabgestürzten Tauen und Spieren der Brigg. Bolitho rannte die Laufplanken auf der Backbordseite hinunter und kletterte auf das schräg liegende Deck der Witch of Looe hinüber. Zuerst folgte ihm niemand. Doch dann sprangen die wartenden Matrosen unter lautem Gebrüll hinter ihm über das Schanzkleid.

Die Franzosen sahen sich zwischen dem wilden Geschützfeuer und den wieder aufflackernden Aktionen der Briggbesatzung eingezwängt. Die meisten ergaben sich und hoben die Hände, doch Bolitho stieß sie beiseite. Sein hocherhobener Degen wies seinen Leuten den Weg.»Vorwärts, Jungs! Wir nehmen die Fregatte. «Sich mit den Enterern zu befassen, dazu blieb später noch Zeit genug.

Der Widerstand auf dem von Schüssen zerfetzten Deck der Fregatte war wild und entschlossen. Wüst verzerrte Gesichter schwammen an Bolitho vorbei, als er sich seinen Weg zum Heck bahnte. Immer wieder rutschte er auf der dicken Blutschicht aus, die das Deck wie frische Farbe überzog.

Das Oberdeck des Feindes war im Augenblick des Angriffs voller Menschen gewesen. Zur normalen Bemannung kamen die Enterer, die von der Witch of Looe zurückkommandiert worden waren, und die Kanoniere, die der plötzliche Kurswechsel der Phalarope überrascht hatte. In dieses verfilzte Durcheinander von Leibern war die volle Kraft der Breitseite geschlagen. Alle Zwölfpfünder der Backbordbatterie hatten gefeuert, dazu die Achterdeckgeschütze, jede Kanone mit Doppelkugeln und breit streuenden Kartätschen geladen. Das Deck des Franzosen sah aus, als habe ein Irrer ganze Fässer voller Blut ausgegossen. Sogar die unteren Segelbahnen waren rotgefleckt, und über dem zersplitterten Schanzkleid und den hochkant stehenden Kanonen hingen zerfetzte Körperteile.

Ein französischer Offizier, der aus einer Kopfwunde blutete und dessen schmaler Säbel fast bis zum Heft voller Blut war, stellte sich Bolitho in den Weg. Bolitho hob seinen Degen, doch der Franzose parierte den Schlag. Sein Gesichtsausdruck wechselte von Angst zu Frohlocken. Bolitho wollte Raum gewinnen, aber die ringsum kämpfenden Leute engten seine Bewegungsfreiheit ein. Er konnte den Degen nicht schnell genug heben. Er sah den Franzosen ausholen, hörte den Stahl herabsausen und wartete auf den Hieb. Statt dessen verzerrte sich das Gesicht des Franzosen vor Schreck. Denn ein kampfbesessener Seesoldat brach durch die Menge, sein aufgepflanztes Bajonett wirkte wie ein Speer. Der Franzose holte nach dem neuen Gegner aus, aber es war zu spät. Der Seesoldat stieß mit solcher Wucht zu, daß sein Bajonett den Franzosen an der Heckreling festnagelte. Der Seesoldat brüllte im Blutrausch auf und stemmte dem Franzosen den Fuß auf den Leib, um sein triefendes Bajonett herauszureißen. Der französische Offizier sackte langsam zusammen, sein Mund schnappte wie der eines sterbenden Fisches. Der Seesoldat stierte ihn an, als sähe er ihn zum ersten Mal, und stieß nochmals zu.

Bolitho packte ihn beim Arm.»Um Gottes willen, Mann, es reicht!«Der Seesoldat schien nicht zu hören. Dann, nach einem verdutzten Blick in das Gesicht seines Kapitäns, warf er sich von neuem verbissen und haßerfüllt in den Kampf.

Der Kapitän der Fregatte lag auf dem Achterdeck, ein junger Leutnant hielt ihn bei den Schultern. Jemand band eine Aderpresse um den zerschmetterten Stumpf seines Beins. Der Kapitän war kaum bei Bewußtsein.

«Streichen Sie die Flagge, Kapitän!«rief Bolitho.»Streichen Sie die Flagge, solange noch ein paar von Ihren Leuten am Leben sind. «Er erkannte seine eigene Stimme nicht. Die Hand, die den Degengriff umklammerte, war schweißnaß. Er mußte an den Seesoldaten denken und wußte, wie schnell auch ihn der Blutrausch packen konnte.

Der französische Kapitän brachte eine schwache Geste zustande, und der Leutnant stieß hervor:»Wir streichen die Flagge, M'sieur. Wir streichen.»

Selbst nachdem die weiße Flagge an Deck flatterte und die Leute Mann für Mann vom Geschäft des Tötens zurückgerissen worden waren, brauchten die Männer der Phalarope Zeit, um zu begreifen, daß der Kampf gewonnen war.

Dancer von der Witch of Looe gratulierte Bolitho als erster. Er blutete aus mehreren Wunden. Einen Arm hatte man ihm mit einem Tampen über der Brust festgebunden. Die gesunde Hand streckte er Bolitho entgegen, als er über das zersplitterte, blutbefleckte Deck auf ihn zuhinkte.»Danke, Sir. Das war Rettung in höchster Not!»

Bolitho schob den Degen in die Scheide.»Ihr Schiff wird sinken, fürchte ich. «Seine Augen glitten über die zerfetzten Segel der französischen Fregatte.»Aber Sie haben es teuer verkauft.»

Dancer schwankte und griff nach Bolithos Arm.»Ich wollte Sir Robert benachrichtigen. Die Franzosen sind ausgelaufen, Sir. «Er kniff die Augen zusammen und versuchte, seine Gedanken zu ordnen.»Vor drei Tagen stießen de Grasses und Rodneys Flotten aufeinander. Nach einem kurzen Treffen auf weite Entfernung brach de Grasse die Schlacht ab. Ich habe versucht, die Franzosen im Auge zu behalten, und heute morgen entdeckte ich die gesamte Flotte nordwestlich von Dominica. «Er hob den Kopf.»Ich glaube, es ist Sir George Rodney gelungen, die Franzosen wieder zu stellen, aber genau weiß ich es nicht. Diese Fregatte erwischte mich, ehe ich das Geschwader wieder erreichen konnte. «Er lächelte kläglich.»Und nun habe ich nicht mal mehr ein Schiff.»

Bolitho legte die Stirn in Falten.»Haben Sie genug Leute, um diese Fregatte als Prise zu bemannen?»

Dancer blickte Bolitho verwundert an.»Aber es ist Ihre Prise,

Sir.»

«Nun, die finanzielle Seite der Angelegenheit können wir später diskutieren, Leutnant. «Bolitho lächelte.»Inzwischen schlage ich vor, Sie scheuchen die Gefangenen nach unten und laufen, so schnell es Ihnen diese Segelfetzen erlauben, auf einen sicheren Hafen zu. «Er sah durch den Qualm nach oben.»Der Wind hat bereits auf Südost gedreht. Damit kommen Sie von der bevorstehenden Schlacht klar.»

Herrick stolperte über die Leichen heran. Der Degen baumelte ihm am Handgelenk. Er salutierte.»Wir haben eben die Cassius gesichtet, Sir.»

«Sehr gut. «Bolitho drückte Dancer die Hand.»Vielen Dank für die Nachrichten. Zumindest rechtfertigen sie, daß Sir Robert die ihm zugewiesene Station verlassen hat. «Er machte kehrt und kletterte über die sinkende Brigg auf sein eigenes Schiff zurück.

Tief in Gedanken schwang er sich über das Schanzkleid und ging die Gangway entlang. Die Kanoniere sahen zu ihm hoch. Die Scharfschützen der Seesoldaten, hoch in den Toppen, und die kleinen Pulveräffchen an der Magazinluke, alle starrten auf die schlanke, einsame Gestalt, die sich vor den zerrissenen Segeln des eroberten Franzosen abhob. Ein schneller, unglaublicher Sieg. Kein einziger Mann beim Angriff verletzt oder getötet, und nicht der geringste Schaden am Schiff selbst. Einige gute Leute waren beim Kampf auf der feindlichen Fregatte gefallen. Aber der Erfolg wog solchen Verlust bei weitem auf. Eine Fregatte als Prise erbeutet. Die Witch of Looe, wenn auch nicht gerettet, so doch gerächt. Und das alles in einer Stunde.

Doch von alledem dachte Bolitho nichts. Vor seinem geistigen Auge sah er die Seekarte und verfolgte darauf, wie die feindliche Flotte in unaufhaltsamem Drang auf die offene See hinausstrebte, direkt auf Jamaika zu.

Auf dem Hauptdeck ertönte eine Stimme. Bolitho drehte sich überrascht um.

«Drei Hurras, Jungs. Drei Hurras für unseren Kapitän!»

Während die ungestümen Rufe die Luft erzittern ließen, blickte Bolitho zum Achterdeck. Herrick und Rennie grinsten ihn unverhohlen an. Neale und Maynard schwenkten die Hüte gegen die Mannschaft auf dem unteren Deck. Es traf Bolitho völlig unvorbereitet, und er war verwirrt. Während die Hurrarufe in ein wildes Durcheinander übergingen, trat Herrick an Bolitho heran und sagte:»Gratuliere, Sir. Gratuliere.»

«Was ist heute bloß in die Leute gefahren?»

«Sie haben ihnen mehr als einen Sieg geschenkt, Sir. Sie haben ihnen ihre Selbstachtung zurückgegeben.»

Die Hurrarufe erstarben wie auf ein Signal hin, und Herrick sagte:»Die Leute möchten ein paar Worte von Ihnen hören,

Sir.»

Bolitho trat an die Querreling und ließ die Augen über die vertrauten Gesichter wandern. Diese Männer — seine Männer! Die Gedanken wirbelten wie Schatten durch sein Gehirn. Laß sie hungern, laß sie prügeln. Setze sie dem Skorbut aus, Krankheiten, einem hundertfachen Tod. Dennoch lassen sie dich hochleben. Er umklammerte fest die Reling und starrte über die Mannschaft. Er sprach leise, und die entfernteren Leute beugten sich vor, um ihn besser zu verstehen.

«Heute haben wir mit einer französischen Fregatte gekämpft und gesiegt. «Er sah, daß sich einige anstießen und wie Kinder grinsten.»Wichtiger ist mir jedoch die Tatsache, daß wir als geschlossene Einheit kämpften, so wie ein Schiff des Königs kämpfen sollte und auch muß. «Mehrere ältere Seeleute nickten, und Bolitho sammelte alle Kraft für das, was er ihnen zu sagen hatte. Es lag kein Sinn darin, die Leute bloß zum Kampf aufzurufen. Sie brauchten Führung. Es war ein Akt wechselseitigen Vertrauens. Er räusperte sich.»Seht ihr ein feindliches Schiff vor euch, und fliegen die Kugeln über eure Köpfe, kämpft ihr aus verschiedenen Gründen. «Seine Augen wanderten über die gebräunten, erwartungsvollen Gesichter.»Ihr kämpft aus Kameradschaftsgefühl, um euch gegenseitig zu schützen und um gefallene Freunde zu rächen. Oder ihr kämpft aus Angst. Aus einer Angst, die Haß gegen den Feind gebiert, der stets gesichtslos, aber immer gegenwärtig ist. Und vor allem kämpft ihr für euer Schiff. «Er machte eine weitausholende Geste.»Es ist unser Schiff und wird es bleiben, solange wir den Willen haben, für das zu leben und zu sterben, was recht ist.»

Hurrarufe ertönten, doch Bolitho hob den Arm. In seinen Augen lag plötzlich Trauer.»Das kurze Gefecht heute war nur der Auftakt. Ich kann euch nicht sagen, wie sich unsere kleinen Taten in den großen Schlachtplan einfügen, weil ich es nicht weiß. Ich weiß nur, daß die Pflicht von uns verlangt zu kämpfen, wie wir noch nie gekämpft haben.»

Die Leute folgten jetzt jedem Wort mit größter Aufmerksamkeit, und Bolitho fügte nur ungern hinzu, was noch gesagt werden mußte.»Heute früh war das Glück auf unserer Seite. Aber ehe der Tag zu Ende geht, werden wir weit mehr als Glück benötigen. «In diesem Moment erbebte die Luft durch ein dumpfes Rumpeln. Während die Mannschaft über die eroberte Fregatte hinweg in die Ferne starrte, verstärkte es sich zu einem dunklen, drohenden Grollen, es klang wie Donner über fernen Bergen. Bolitho fuhr fest fort:»Da drüben, Jungs, ist der Feind.»

Plötzlich fuhr ihm ein warmer Windstoß über den Nacken. Bolitho schaute auf. Die niedrige Wand aus wallendem

Frühnebel begann sich aufzulösen. Für eine Minute waren die beiden Fregatten mit dem sinkenden Wrack der Witch of Looe eine Welt für sich. Auf der einen Seite der von Sonnenbahnen durchschossene Nebel, auf der anderen die offene See; hinter der scharfen Kimmlinie war die Nacht weggetaucht, und jetzt schimmerten über den Horizont die Bramsegel der Cassius wie rosafarbene Muscheln in der Morgensonne. Dann hob sich der Nebel, und ihre kleine Welt zerbrach.

Im Südosten machte Bolitho eine niedrige Landzunge der dunstverschleierten Künste von Dominica aus. Nach Norden zog sich die verstreute Inselgruppe der Saintes. Und dazwischen keine Spur von Horizont. Es war ein so gewaltiger und großartiger Anblick, daß niemand ein Wort sagen konnte. Von einer Seite zur anderen, so weit das Auge reichte, lag auf dem blauen Wasser eine geschlossene Linie von Schiffen. Zwischen den einzelnen, hochgetürmten Segelpyramiden schien nicht die kleinste Lücke zu klaffen. Das zunehmende Sonnenlicht beleuchtete das scheinbar unbewegte Panorama dieser Armada. Das Bild erinnerte Bolitho an ein altes Gemälde, das er als Kind gesehen hatte: ein Gemälde der gewappneten Ritter bei Agincourt. Er sah noch jetzt die mit Wappendecken und glänzenden Mantelsäcken geschmückten großen Pferde und die stolzen Wimpel und Banner, die an den Lanzen flatterten, als die Panzerreiter sich sammelten, um die dünne Linie der englischen Bogenschützen anzugreifen.

Fast verzweifelt sah er zu seiner von dem Anblick gebannten Besatzung hinunter.»Na, Jungs, was sagt ihr dazu?«Er deutete auf die schimmernde Phalanx.»Hinter dieser Flotte, fünftausend Meilen weit weg, liegt England. Und in unserem Rücken liegt Jamaika. «Er zeigte auf die Decksplanken.»Und unter uns sind tausend Faden Wasser. «Er beugte sich vor. Seine Augen blitzten plötzlich fordernd.»Was soll es also sein, Jungs?»

Das von neuem hörbare Geschützfeuer ging in der Woge wilder Hurrarufe unter, die über das Hauptdeck der Phalarope fegte. Die Männer an Bord der eroberten Fregatte stimmten mit ein. Selbst die Verwundeten, die nach unten geschafft wurden, riefen mit, obwohl manche Bolithos Worte nicht gehört hatten und auch gar nicht wußten, worum es ging. Es war, als würden alle Bitterkeit und alle aufgestaute Enttäuschung durch die mächtige Woge der Begeisterung fortgeschwemmt.

Bolitho drehte sich um. Herrick, der dicht neben ihm stand, bemerkte die sonderbare Traurigkeit und Ungläubigkeit in Bolithos Augen.»Nun haben Sie die Antwort, Sir!«sagte er hastig. Er war ebenso erregt wie die anderen und hätte am liebsten laut gejubelt.

Bolitho sah Herrick an, als wäre er ihm völlig fremd.»Sagen Sie, Mr. Herrick, haben Sie je eine Seeschlacht mitgemacht?«Er schwenkte die Hand gegen den Horizont.»Eine wie es diese sein wird?«Er wartete die Antwort nicht ab.»Ich ja. Da gibt es keine Siege durch tolldreisten Wagemut. Und es gibt kein Auf und Davon, wenn die Sache zu brutal wird. «Er verschränkte die Arme auf dem Rücken und sah blicklos an seinen Offizieren vorbei.»Der Qualm verdunkelt den Himmel dermaßen, daß man sich wie in der Hölle vorkommt. Sogar die Schiffe brüllen auf, wußten Sie das?«Seine Stimme wurde rauher.»Sie brüllen auf, weil sie in Stücke gefetzt werden, ganz wie die Narren, die sie bemannen.»

Er wandte sich um, als Fähnrich Maynard heiser meldete:»Signal vom Flaggschiff, Sir.»

Bolitho ging nach Luv und sah auf die schräg liegende Brigg hinunter. Die Wellen spülten schon über ihr Schanzkleid und griffen nach den zurückgelassenen Leichen.»Bestätigen Sie das Signal nicht, Mr. Maynard. «Und zu Herrick:»Klar von der Brigg. Fahrt aufnehmen!«Er sah zum Masttopp.»Kurs genau

Ost!»

«Und das Flaggschiff, Sir?«fragte Herrick.

«Sir Robert ist ein tapferer Gentleman, Mr. Herrick. Aber aufgrund seines Dienstalters ist er vorsichtiger als ich. «Er lächelte flüchtig.»Und seine Leute sind womöglich nicht so eifrig darauf aus, an einem so schönen Tag zu sterben. «Das Lächeln erlosch.»So, nun lassen Sie die Männer auf Stationen pfeifen, und sehen Sie zu, daß dieses verdammte Hurragerufe aufhört.»

Die Phalarope löste sich langsam von dem Wrack. Als auch die eroberte Fregatte die Enterhaken einholte, legte sich die Brigg auf die Seite. Das Wasser schoß gurgelnd in den zerschlagenen Rumpf, und die hochsteigenden Luftblasen waren rot gefärbt.

Die Rahen kamen herum, und die Phalarope krängte leicht im

Wind. Bolitho hob das Fernrohr. Hinter der Cassius entdeckte er die Masttopps der Fregatte Volcano. Er fragte sich, wie ihr Kapitän auf diesen ehrfurchtgebietenden Anblick reagieren würde. Sir Robert Napier blieb noch immer Zeit, sich zurückzuziehen. Ein bestimmtes Signal, und sie waren aus aller Gefahr und zu stummen Zeugen verurteilt, wenn die Franzosen aus der Schlacht ausscherten und auf ihr Ziel lossteuerten.

Bolitho faßte seinen Entschluß.»Mr. Maynard, Signal an Flaggschiff. «Bolitho sah, daß Herrick Hauptmann Rennie einen Blick zuwarf und mit den Schultern zuckte, als ginge das Verhalten des Kapitäns über sein Begriffsvermögen.»Feind in Sicht.»

Bolitho achtete nicht auf die hochsteigenden Flaggen. Er ging auf dem Achterdeck hin und her. Die Augen der Abteilung Seesoldaten folgten seinen Bewegungen. Das war der entscheidende Augenblick. Sir Robert war ein alter Mann, die besten Jahre lagen hinter ihm. Der Versuch, die französischen Schiffe aufzuhalten, würde ihm bestenfalls einen Ruhm einbringen, den er nicht mehr erleben würde. Andererseits konnte die Aktion so nutzlos verlaufen, daß man sich ihrer nur mit einem Hohn erinnern würde, der seine ganze Laufbahn überschatten und verderben konnte.

«Flaggschiff hat bestätigt, Sir«, meldete Maynard.

Bolitho biß sich auf die Lippen und ging weiter auf und ab. Er hörte geradezu die heisere Stimme, mit der der Admiral seine Befehle erteilte. Und er konnte sich die Unsicherheit des Flaggschiffkapitäns vorstellen und die gedämpfte Zuversicht von Kapitän Fox auf der Volcano.

«Das Signal ist gerade noch zu erkennen, Sir«, rief Maynard, das Auge am Teleskop.»Flaggschiff an Volcano: Klar zum Gefecht.»

Das Wort zuckte wie ein Blitz über das Achterdeck und zu den an den Kanonen wartenden Männern hinunter. Wieder Hochrufe, wiederum aufgenommen von der Prisenbesatzung des französischen Schiffes. Bolitho erkannte Leutnant Dancer an der Heckreling und winkte, als die eroberte Fregatte die Rahen braßte und ihre zerfetzten Segel in den schwachen Wind drehte.

«Die Cassius setzt alle Segel, Sir«, sagte Herrick aufgeregt.»Mein Gott, welch ein Anblick!«Die plötzliche Aktivität des

Flaggschiffs schien ihn stärker zu beeindrucken als die Flotte in seinem Rücken.

«Lassen Sie alle Mann bewaffnen, Mr. Herrick«, befahl Bolitho.»Entermesser und Beile neben jede Kanone. Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir mitten im Kampf stehen.»

Maynard senkte das Fernrohr. Seine Stimme bebte, als er Bolitho anstarrte und meldete:»Vom Flaggschiff, Sir: Signal an alle. «Es klang, als kaute er an jedem Wort.»In Gefechtsformation!»

Bolitho nickte langsam.»Lassen Sie Segel bergen, Mr. Herrick. Wir wollen hier auf die Cassius warten. Der Wind wird gleich abflauen. Dominica wird den Wind ablenken, fürchte ich.»

Er ging zur Luvseite und hob das Glas. Die Linse schwenkte langsam von einer Seite zur anderen. In dem vergrößerten Ausschnitt sah er den schwachen Schein von Geschützfeuer, wehende Flaggen und schimmernde Segel, als ein mächtiges Schiff nach dem anderen schwerfällig in Formation steuerte. Er fühlte, daß ihm der Schweiß den Rücken herunterlief, wie damals nach dem Alptraum. Aber das hier war Wirklichkeit, und doch schwerer zu verstehen. Gott, welche Menge Dreidecker, an die sechzig vielleicht, britische und französische Linienschiffe, die aufeinander zuglitten und die erste, unerbittliche Begegnung suchten.

«Mr. Brock bitte zu mir!«Bolitho senkte das Fernrohr erst, als der Artillerieoffizier sich auf dem Achterdeck zur Stelle meldete.

«Mr. Brock, ich möchte beide Karronaden auf dem Vordeck haben. Nehmen Sie die besten Leute und achten Sie darauf, daß die Schlitten frisch mit Talg geschmiert werden. «Er schob das Fernrohr zusammen und sah den Artillerieoffizier fest an.»Die Karronaden sind die einzigen Waffen, die wir den Franzosen voraus haben. «Er sah auf das eine Geschütz hinab. Es war stumpfnasig, häßlich und ohne das gefällige Ebenmaß einer richtigen Deckskanone. Dafür jagte es jedoch dem Feind auf kurze Entfernung eine Ladung von achtundsechzig Pfund in den Leib, deren Wirkung verheerend war. Jeder der Schüsse überschwemmte alles, was sich in der Nähe befand, mit mörderischen, gußeisernen Kugeln. Jede Ladung besaß die todbringende Qualität von Kartätschen, zu denen noch die

Durchschlagskraft einer weitaus schwereren Waffe kam.

Bolitho ging langsam zur Querreling. Seine Blicke flogen über die sauberen Decks. Hatte er etwas vergessen? Brock und sein Kommando plagten sich fluchend mit den schweren Karronaden. Er beachtete es nicht. Seine Gedanken waren ganz und gar bei den bevorstehenden Aufgaben. Er mußte jedem Offizier, jedem Mann vertrauen. Versagten sie jetzt, lag es an ihm, dann hatte er irgendwann falsch geurteilt.

Die eifrigen, dichtgedrängten Gestalten unter jeder Gangway wirkten plötzlich völlig anders auf ihn. Bolitho hatte das Gefühl, als blicke er auf bereits Tote.

Bootsmann Quintal, der in die Hände spuckte und zu den Männern hinaufdeutete, die darauf warteten, das Schiff in den Kampf zu segeln. Farquhar, der, schlank und für sich, an seiner Batterie entlangging und die Augen über jede Waffe und jeden Mann wandern ließ. Und die Seeleute selber. Trotz des Eingepferchtseins braun und gesund. Einige Gesichter ihm bekannter als andere. Hier ein Mann, der sich auf Mola bewährt hatte. Dort einer, der im Gefecht mit der Andiron seinen Posten verlassen hatte. Bolithos Blicke glitten die Wanten hinauf zu den Leuten, die wie Allday noch in der Takelage arbeiteten, zu den Seesoldaten, die mit geladenen Gewehren hoch oben knieten.

Bolithos Augen kehrten zurück zum Achterdeck, zu den Neunpfündern und zu Neale, der neben einem riesigen bezopften Kanonier noch schmächtiger und kleiner wirkte, als er war. Und Proby, Old Proby, der wie eine Vogelscheuche aussah, als er die Arme schwenkte und den Rudergängern seine Befehle erteilte. In einem der Männer am Rad erkannte Bolitho den ältesten Matrosen an Bord, Old Strachan. Eine Kanone konnte er nicht mehr zu Brocks Befriedigung bedienen, doch am Ruder stand er noch immer seinen Mann, und selbst in der heftigsten Schlacht, das wußte Bolitho, würde Strachan nie versagen. Nicht weil er tapfer oder dumm war, sondern weil es Teil seines Lebens war. Des einzigen Lebens, das er kannte und für das er ausgebildet war. Bolithos Blick glitt zu Okes, der nervös die Degenscheide befingerte und ihn beobachtete. Bolitho hätte lieber Herrick an seiner Seite gehabt, aber Herrick würde genug mit den Batterien zu tun haben. Und außerdem war Okes jetzt Erster Leutnant, dachte er gereizt. Vibart war tot und kaum noch eine Erinnerung.

Vom Kajütniedergang aus musterte Stockdale das ernste Gesicht des Kapitäns. Er nickte leicht. Bolitho bemerkte es, reagierte aber nicht. Doch Stockdale war zufrieden. Der Kapitän wußte, daß sein Bootsführer da war, und das reichte Stockdale.

Dicht am Wind holten die drei Schiffe das Beste aus der schwächer werdenden Brise heraus und gingen in Linie, ganz so, wie sie es in der gnadenlosen Sonne viele Male unter den Augen des ewig nörgelnden Admirals geprobt hatten. Bolitho grüßte, als die Leinwand der Volcano sich blähte, und die Fregatte die Spitze übernahm. In ihrem Kielwasser folgte die Cassius. Und nach weiteren Flaggensignalen sagte Bolitho scharf:»Scheren Sie hinter dem Flaggschiff ein, Mr. Okes.»

Die Männer eilten an die Brassen. Bolithos Blicke suchten den Zweidecker. Die Cassius wirkte wie ein älterer, aber erfahrener Krieger. Die Doppelreihe ihrer Stückpforten öffnete sich, und die Geschützrohre schoben sich heraus.

Eine Stimme ertönte:»An Deck! Schiffe Steuerbord voraus. «Eine Pause, während alle zu der kleinen Gestalt auf der Großsaling hinaufschauten.»Zwei Linienschiffe. Und zwei Fregatten.»

Bolitho bemühte sich, seine Ungeduld zu beherrschen. Da die Phalarope am Schluß des kleinen Verbandes segelte, würde sie als letzte in den Kampf eingreifen. Bis dahin konnte alles entschieden sein, dachte er erbittert.

Die Segel killten kraftlos. Der Mann am Rad fluchte, weil er keinen Ruderdruck mehr spürte.»Der Wind springt nach Osten um, Sir«, sagte Proby düster.

«Gut. «Bolitho richtete sein Glas auf die feindlichen Einheiten. Die pausenlosen Abschüsse klangen lauter, aber die Hauptmacht der Flotten schien so weit entfernt wie zuvor. Eine Täuschung, natürlich.

Jenseits des killenden Großsegels der Cassius bekam Bolitho die gemeldeten feindlichen Schiffe kurz in den Blick: zwei große Schiffe, dicht in Linie, flankiert von zwei kleineren. Aber der abflauende Wind stellte nicht nur ihn, sondern auch seine Leute auf eine arge Probe. Sie waren, wie ihre Hurrarufe gezeigt hatten, bereit zu kämpfen oder ruhmvoll zu sterben. Doch dieses Warten, dieses quälende Warten zermürbte sie. Zu langsam näherte man sich der Kampfzone. So langsam, daß die anfänglich kampfbegeisterten Leute nun zu gelähmt schienen, sich zu bewegen oder die Augen von den rauchverhüllten Schiffen zu wenden.

«Ich gehe nach oben, Mr. Okes. «Ohne den schwitzenden Ersten auch nur anzusehen, eilte Bolitho über die Steuerbordgangway zu den Wanten des Großmastes. Selbst als jungem Fähnrich war Bolitho die Höhe nie gut bekommen. Aber nach einem hastigen Blick auf die schlaffen Segel machte er sich auf die lange Kletterpartie zur Marssaling. Als er sich in die Wanten schwang, starrte ihn ein Seesoldat wortlos an, ehe er wieder auf die im Kampf stehenden Verbände blickte. Die Luft vibrierte von Detonationen, und der Pulverqualm sowie der Rauch brennender Holzteile reizte die Nasenschleimhäute. Bolitho wartete, bis sein Atem wieder ruhiger ging, ehe er das Fernrohr auseinanderzog und über die langsam segelnde Cassius hinwegschaute.

Unmöglich, die Frontlinie zu bestimmen. Die Hauptmacht des britischen und französischen Geschwaders lag praktisch dicht voreinander, Schiff an Schiff, Rahnock an Rahnock. Ihre Masten und Segel waren von Rauch und Pulverqualm verhüllt, der nicht abziehen konnte.

Bolitho richtete das Fernrohr auf einen anderen Punkt und wagte nicht, auf das Deck unter seinen baumelnden Beinen hinabzublicken. Plötzlich riß er die Augen auf. Die vom Ausguck kurz zuvor gemeldeten Schiffe scherten aus der Hauptkampfzone aus. Die beiden Linienschiffe waren durch eine kräftige Trosse miteinander verbunden. Er spähte durch die Takelage des Vorschiffs und sah, daß das geschleppte Schiff, ein großer Dreidecker, teilweise kampfunfähig war und Bugspriet und Fockmast verloren hatte.

Das schleppende, durch die schwere Last behinderte Schiff gierte von einer Seite zur anderen, die Segel blähten sich und fielen in dem flauen Wind dann wieder ein. Als es überholte, warf das Sonnenlicht merkwürdige Schatten über den hohen Rumpf und glänzte auf den Reihen der Kanonen, die zum Feuern ausgerannt waren. Bolitho nickte dem Ausguck zu.»Behalten Sie sie gut im Auge.»

Der Mann grinste.»Hab ja sonst nichts zu tun, Sir. «Er beugte sich vor, beobachtete Bolithos vorsichtigen Abstieg und setzte sich dann wieder wachsam zurecht. Während Bolitho die groben, schwingenden Webeleinen hinabkletterte, hörte er ihn summen.

Okes und Rennie warteten auf ihn neben dem Rad.»Zwei große Schiffe«, sagte Bolitho.»Eins beschädigt. Wahrscheinlich bei einer Kollision heute nacht. «Er rieb sich das Kinn.»Das schleppende Schiff führt eine Kommandantenflagge. WeißBlau. «Er lächelte und fragte Maynard:»Na, mein Junge, was sagt Ihnen das?»

Fähnrich Maynard ließ sein Fernrohr einen Augenblick sinken.»Gehört zur französischen Vorhut, Sir.»

«Richtig. «Bolitho ging zur Reling.»De Grasse ist um Transport und Versorgung bemüht. Mit Kriegsschiffen allein kann er Jamaika nicht angreifen. Er braucht Truppen und Nachschub und dazu Transportschiffe, wie wir sie bei Mola in Brand gesetzt haben.»

«Während die Flotten miteinander im Kampf stehen«, sagte Okes,»sollen seine Transporter sicher versuchen, hier durchzubrechen.»

Bolitho nickte grimmig.»Wiederum richtig. «Er schnippte mit den Fingern.»Ein Teil der französischen Vorhut ist detachiert, um den Transportern den Weg freizukämpfen. «Er sah zur schlaffen Leinwand hinauf.»Und nur drei Schiffe verlegen ihnen den Weg. «Dann wandte er sich an Rennie, der mit dem Degen lässig gegen seine polierten Schuhe schlug.»Wenn wir die Vorhut zum Abdrehen zwingen können, wird Sir George Rodney den Rest erledigen. «Er klatschte in die Hände.»Dann sitzen sie wie Kaninchen in der Falle.»

Okes betrachtete die Schiffe, die sich vor der Cassius langsam bewegten.»In diesem Fall sind die Kaninchen allerdings größer als die Jäger, Sir.»

Bolitho war jedoch bereits weitergegangen. Er blieb neben dem kleinen Trommelbuben stehen und sagte:»Nun spiel mal was auf deiner Pfeife, mein Junge. «Er sprach laut, damit ihn die Leute an den Neunpfündern verstehen konnten.

Der Trommelbube sah Bolitho unter dem Tschako hervor an und schluckte schwer. Seine Lippen waren bleich, ihm zitterten die Hände.»W-was soll ich denn spielen, Sir?»

Bolitho musterte die aufmerksamen, gespannten Gesichter.»Na, wie wäre es denn mit >Herzen fest wie Eiche<? Das kennen wir alle, nicht wahr, Jungs?»

Den Donner der Schlacht in den Ohren, nahmen die Matrosen der Phalarope die leise Melodie der Pfeife auf. Bolitho ging zur Luvseite zurück und hob das Fernrohr an die Augen. Selbst an Bord der Cassius hörte man vielleicht die Mannschaft der Phalarope singen und zog etwas Zuversicht aus den altbekannten Worten:»Den Kopf hoch, Freunde, zum Ruhme steuern wir. .»

Bolitho sah, wie die schwarze Rauchbank auf die drei britischen Schiffe zutrieb. Als wäre sie lebendig, dachte er kalt, während er die quirlende, von roten und orangefarbenen Blitzen durchzuckte Wand betrachtete. Doch er war dankbar für ihre Gegenwart. Zumindest verbarg sie die dahinterliegenden, grauenhaften Schreckensszenen.

Er sah zu seinen Leuten hinab. Im Augenblick spiegelten ihre Gesichter, was sie beim Singen empfanden. Sie würden nicht mehr lange zu warten brauchen.