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Flatternd hoben sich die Augenlider des Russen, und er starrte verwirrt in Bremers Nagetiergesicht.
»Was. was ist los?«
»Adler und sein Kumpel haben euch ordentlich was auf die Glocke gegeben«, grinste Bremer. »Was habt ihr gegen die beiden?«
»Ist eine alte Rechnung«, antwortete Petrov. Plötzlich klärte sich sein Gesicht ein wenig auf, als er den anderen erkannte. »Du bist doch der, der uns den Dutch verkauft hat!«
»Richtig, Seemann. In bezug auf Adler haben wir gemeinsame Interessen. Wer ist Adlers Begleiter?«
»Er heißt Brown, Elihu Brown«, antwortete der Russe mit verzerrtem Gesicht. »War Harpunier auf der LUCIFER.«
»Da ihr auf der LUCIFER gesegelt seid, seid ihr jetzt wohl arbeitslos. Wenn ihr gutes Geld verdienen wollt und euch nicht davor scheut, die Finger ein wenig zu beschmutzen, kommt heute abend zum Golden Crown und fragt nach Louis Bremer. Wir reden dann über alles weitere.«
»Ja«, stöhnte Petrov und faßte vorsichtig an seinen schmerzenden Kopf.
Bremer stand auf und ging in die Richtung, in der Adler und Brown verschwunden waren. Es machte nichts, daß er sie weder sah noch hörte. Der Harpunier hatte ja das Ziel genannt: Auf zur Dean Street!
*
Die Witwe Victoria Marsh, der das Boarding-House an der Dean Street gehörte, zeterte mit einem weißhaarigen Neger namens Nelson, der für sie arbeitete und für die gröbsten Arbeiten zuständig war. Augenblicklich fegte er die düstere, muffige Eingangshalle. Aber trotz der Düsternis fanden die aufmerksamen Augen der Witwe Marsh noch genügend Schmutz, zuviel nach ihrer Ansicht.
»Yes, Ma'am«, nickte der Kopf des Alten immer wieder, und er fegte ungerührt in seiner gemächlichen Art weiter.
»Alter Dummkopf!« schnaubte die Frau, als sie die beiden eintretenden Männer erblickte. Ihre Augen weiteten sich.
Das war verständlich, denn Jacob Adler und Elihu Brown mußten bei jedem Betrachter Zweifel hervorrufen, abgerissen, schmutzig und blutbeschmiert, wie sie waren.
»Schleppt mir nicht noch mehr Dreck in die Bude!« schnarrte die dürre Frau. »Bei Nelsons Art zu fegen dauert es sonst bis Weihnachten, den Boden einigermaßen sauber zu kriegen.«
Dann aber erkannte sie den Deutschen, der seine Unterkunft bei ihr für eine Woche im voraus bezahlt hatte.
»Ach, Sie sind's! Wo haben Sie denn die ganze Zeit gesteckt, Mr. Adler?«
»Bin zur See gefahren, aber unfreiwillig. Sind Miß Sommer und ihr Kind hier?«
»Nein.« Die Witwe Marsh sah verwundert aus. »Weshalb fragen Sie mich das, Mr. Adler? Sie selbst sind doch mit den beiden weggegangen!«
»Sie meinen, vor zwei Tagen?«
»Da habe ich Sie alle zum letzten Mal gesehen. Ich habe mich schon gefragt, ob Sie vielleicht weitergezogen sind. Aber Ihre Sachen sind ja noch hier.«
»Wir sind getrennt worden«, erklärte Jacob. »Ich suche Miß Sommer und ihren Sohn verzweifelt. Haben Sie eine Ahnung, wo ich sie finden könnte?«
Zu Jacobs großer Enttäuschung schüttelte die Frau den Kopf.
»Nein, nicht die geringste.«
»Kennen Sie einen Louis Bremer?«
Es schien Jacob, als husche ein Schatten über das Gesicht der Frau. Aber bei dem schwachen Licht, das durch die kleinen Fenster in die Halle fiel, mochte er sich täuschen.
Jedenfalls verneinte sie wieder.
Er beschrieb den Mann und fügte hinzu: »Er war an dem Morgen hier, als Miß Sommer und ich das Haus verließen.«
»Mag sein, aber ich habe ihn nicht gesehen.« Die Witwe Marsh blickte scharf den Schwarzen an. »Du etwa, Nelson?«
»No, Ma'am.«
»Da hören Sie's«, seufzte die Frau.
»Haben Sie schon vom Hai gehört?« fragte der Deutsche weiter.
»Was für ein Hai denn?«
»Der Hai von Frisco!«
Die Frau schluckte, sagte dann aber schnell:
»Keine Ahnung, wer oder was das sein soll. Du vielleicht, Nelson?«
»No, Ma'am.«
Victoria Marsh wirkte plötzlich sehr abweisend.
»Ich habe noch zu tun. Oder wollen Sie noch etwas wissen, Mr. Adler?«
»Nein, im Moment nicht. Falls Miß Sommer doch noch auftaucht, soll sie hier auf mich warten.«
»Ich werde es ausrichten«, versprach die Witwe Marsh. »Falls ich sie sehen sollte.«
Es klang fast wie: >Aber ich glaube nicht daran.< Dann verschwand sie durch einen Gang ins Innere des Hauses.
Jacob führte Elihu in den großen Schlafsaal der Männer, wo eine enge Pritsche neben der anderen stand.
Es war nicht gerade komfortabel. Aber eine gute und preiswerte Unterkunft war in diesen Tagen in San Francisco so leicht zu finden wie ein Mensch ohne sündige Gedanken.
Und das Boarding-House der Witwe Marsh konnte mit dem nicht zu unterschätzenden Vorteil aufwarten, daß es sauber war.
Die Witwe achtete auf Sauberkeit und auf Ehrlichkeit. In anderen Häusern wären Jacobs Sachen nach zwei Tagen längst nicht mehr da gewesen. Hier war alles unberührt, aber es war auch nicht viel. Das einzige von Wert war der SharpsKarabiner, den er an sich nahm.
»Willst du auf die Jagd gehen, Jake?« fragte der bärtige Seemann.
»Ja, vielleicht auf Haifischjagd.«
»Ist übrigens komisch, was die Frau eben gesagt hat.«