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»Es war auf der PERSIA. In der letzten Nacht, bevor wir San Francisco erreichten. Wir standen an der Reling. Carl beugte sich zu weit vor - und plötzlich war er weg.«
»Und die Goldmine?« fragte Jacob weiter. »Wie ist Dilger an sie gekommen?«
»Er hat sie gewonnen.«
»Gewonnen?«
»Ja, beim Kartenspiel, beim Vingtetun.«
»Und nach dem Tod Ihres Freundes haben Sie beschlossen, sich die Mine unter den Nagel zu reißen, wie?«
»Ja«, antwortete Pape kleinlaut. »Andere haben immer Glück. Warum nicht auch mal ich?«
»Eine seltsame Entschuldigung«, meinte Jacob. »Überhaupt ist das eine seltsame Geschichte. Wieso kamen Sie beide mit dem Schiff aus New York, wenn Dilger eine Goldmine hier in Kalifornien gehört?«
»Die Männer in der Mine arbeiten auch ohne die Anwesenheit des Besitzers. Carl reiste nach New York, um seiner Braut eine Nachricht zu hinterlassen, wo sie ihn finden kann.«
»Und deshalb mußte er persönlich nach New York?«
»Er hoffte, seine Braut dort vielleicht zu finden oder zumindest Nachricht von ihr zu erhalten. Wir hörten in der Einwanderer-Registratur, daß Irene Sommer in Amerika angekommen ist. Carl beauftragte eine Detektivagentur mit der Suche nach ihr. Dann schifften wir uns auf der PERSIA ein.«
Jacob kam nicht dazu, weitere Fragen zu stellen. Die vier Gefangenen horchten auf, als sie hörten, wie der Riegel draußen zurückgezogen wurde. Mit leisem Knarren und Quietschen wurde die Tür geöffnet.
Gegen das vom Gang hereinfallende Licht zeichnete sich die massige Gestalt eines Mannes ab, der in einer Hand einen länglichen Gegenstand trug: ein Messer mit langer Klinge.
»Jetzt... massakrieren sie uns...!« rief Pape mit bebender Stimme.
Jacob handelte. Es schien nur einer der Gangster zu sein. Darin sah er seine Chance. Darin und in dem Umstand, daß bei Jacob und Twain im Gegensatz zu den beiden anderen Gefangenen nur die Hände gefesselt waren, nicht aber die Beine.
Schon als er den Riegel hörte, hatte der Zimmermann sich halb erhoben. Jetzt sprang er ganz auf und stürmte mit gesenktem Kopf auf den Unbekannten zu. Da er die Hände nicht einsetzen konnte, mußte er den Kopf als Waffe benutzen. Er sah aus wie ein angreifender Stier.
Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder traf ihn das Messer, oder Jacob traf vorher den Mann mit dem Messer.
Nein, falsch, das tatsächliche Geschehen bot eine dritte Möglichkeit: Der Mann mit dem Messer wich zur Seite aus.
Jacob schoß an ihm vorbei, verlor das Gleichgewicht und fiel gegen eine Wand, wo er zu Boden rutschte.
Der Unbekannte stand jetzt über ihm, das Messer noch in der Rechten und sagte: »Keine Angst, Mr. Adler. Ich bin's doch nur. Ich will Ihnen helfen.«
Jacob kannte die Stimme. Er blickte auf, direkt in das grobe Gesicht über sich.
»Connor!« stieß er überrascht hervor. »Bartly, vermutlich. Gypo hätte nicht soviel an einem Stück geredet.«
»Stimmt, Mr. Adler. Gypo paßt draußen auf. Halten Sie still, damit ich die Fesseln durchschneiden kann.«
Als er seine Hände wieder bewegen konnte, fragte Jacob: »Was machen Sie hier, Bartly?«
»Auf Sie aufpassen. Eigentlich sollten Gypo und ich im Saloon aufpassen. Daß wir jetzt Gefangene bewachen sollen, gefällt uns nicht. Jemand zu fesseln und einzusperren, ist nämlich sehr unfreundlich. Als ich Sie vorhin erkannte, Mr. Adler, mußte ich Ihnen einfach helfen. Sie haben soviel für mich und meine Familie getan.«
Während Bartly auch die anderen Gefangenen von ihren Fesseln befreite, meinte Jacob: »Ich dachte, Sie wollten auf die Goldfelder. Warum sind Sie noch in der Stadt?«
»Um das Geld für Ausrüstung und Proviant zusammenzukriegen.«
Bret Harte war der letzte, der noch von seinen Fesseln befreit werden mußte, als ein Mann in den Raum trat, der Bartly Connor zum Verwechseln ähnelte: sein Zwillingsbruder Gypo.
»Männer kommen!« stieß er halblaut hervor, und das war für den schweigsamen Iren schon eine lange Ansprache.
»Wie viele?« fragte sein Bruder.
Gypo hob die Hand und streckte drei Finger aus.
»Vielleicht das Hinrichtungskommando«, sagte Twain.
Jacob wandte sich an Bartly und fragte ihn: »Seid ihr bewaffnet?«
»Nein, Miß Molly wollte das nicht.« Der kräftige Ire hob das große Messer, mit dem er gerade Harte von den Fesseln befreit hatte. »Bevor ich reinkam, habe ich mir das hier besorgt. Das ist alles.«
Von draußen waren Schritte und laute Stimmen zu hören.
»Sie sind gleich hier!« flüsterte Pape erschrocken. »Wir sind verloren!«
»Nur wer aufgibt, ist verloren«, widersprach Jacob. »Wir müssen alles auf eine Karte setzen und einen Ausfall wagen.« Wieder blickte er Bartly an. »Es ist nicht euer Kampf, Bartly. Seid ihr trotzdem dabei?«
»Für Sie tun wir alles, Mr. Adler.«
»Harte und Pape sind ziemlich mitgenommen«, stellte der Zimmermann fest. »Also liegt es an Ihnen, Twain, an Bartly, Gypo und mir. Die anderen sind gleich hier, wie man hört. Also los!«
Mit blanken Fäusten - nur Bartly trug sein Messer - stürmten die vier Männer nach draußen. Jacob als erster, dann Bartly, Gypo und schließlich Mark Twain.
Der Zeitpunkt war gut abgepaßt. Die drei anderen hatten gerade den Eingang zum Verließ erreicht und wunderten sich über die offene Tür und das Fehlen einer Wache. Es waren Claude Dana, Seamus Mulholland und Roy Laverty.
Jacob stürzte auf den ungläubig dreinblickenden Mulholland zu und hieb ihm ohne Vorwarnung die geballte Faust ins stoppelbärtige Gesicht.
Der tätowierte Mann taumelte zurück, und die Seemannsmütze rutschte von seinem kantigen Kopf. Mulholland fing sich wieder und zog einen Revolver.
Jacob sprang zu ihm und packte mit beiden Händen die Waffenhand des Tätowierten. Eine schnelle kräftige Drehung von Mulhollands Handgelenk in entgegengesetzte Richtung, und die Waffe fiel polternd auf den hölzernen Boden.
Aus den Augenwinkeln sah Jacob, daß seine Begleiter gegen Dana und Laverty kämpften.
Twain rang mit Laverty, der sein Messer gezogen hatte. Der kleine Ire stieß die leicht gebogene Klinge in den linken Arm des Gegners.
Der Journalist brüllte auf. Aber es klang mehr wie ein Wut-als ein Schmerzensschrei.
Seine rechte Faust traf Laverty mit solcher Wucht, daß der Mann mit dem Sommersprossengesicht mit dem Hinterkopf gegen die Wand prallte, dort zu Boden rutschte und reglos liegenblieb.
Dana gelang es, sich von den Connor-Brüdern zu lösen. Er zog seinen Revolver und gab schnell hintereinander zwei Schüsse ab.