158050.fb2 Das Phantom der Rocky Mountains - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 2

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»Da hängt Andrew, an dem Strauch«, sagte er und zeigte auf die Stelle, von wo der verängstigte Junge hilflos zu ihnen heraufstarrte.

»Seile!« rief Jacob zu den Planwagen hin. »Bringt uns zwei starke Seile!«

Er mußte sehr laut rufen, weil die durch den zurückgerollten Conestoga verwundeten Ochsen qualvoll ihren Schmerz hinausschrien.

Noah Koontz erbarmte sich seiner Tiere. Er löste sich aus den Armen seiner Frau und der fünf Kinder, trat vor die Trümmer seines Wagens und erschoß die vier Ochsen, denen nicht mehr zu helfen war, aus nächster Nähe mit seinem alten Kipplaufrevolver. Jetzt besaß er nur noch vier Ochsen. Selbst die konnte er erübrigen, ohne Wagen.

Sam Kelley, der kräftige, dunkelhäutige Schmied, brachte zwei dicke Hanfseile heran und band sie an der Kupplungsdeichsel von Abner Zacharys Conestoga fest. Dann führte er die Seile um einen hüfthohen, kegelförmigen Felsen am Rand der Schlucht herum, etwa an der Stelle, an der Andrew abgestürzt war.

Aaron wollte sich das Ende eines Seils um die Brust binden, aber Jacob, der Hut, Jacke und Waffengurt abgelegt hatte, nahm es ihm aus der Hand.

Aaron sah den Deutschen mit umwölkter Stirn an. »Was soll das, Adler? Wir haben wenig Zeit!«

Jacob nickte und begann sich das Seil umzubinden.

»Ich weiß. Aber ich werde gehen!«

»Warum? Andrew ist mein Bruder! Ich habe meinem Vater versprochen, ihn zurückzubringen!«

»Sie sind zu aufgeregt«, sagte Jacob sachlich und zog den Knoten auf seiner Brust fest. »Sehen Sie sich nur Ihre Hände an, Zachary. Lassen Sie mich lieber gehen!«

Aaron sah auf seine Hände, die er mit gespreizten Fingern vor sich hielt. Es stimmte, sie zitterten beträchtlich.

»Ich.«, begann er, brach dann aber ab, weil ihm die Worte fehlten.

»Sie können sich bedanken, wenn ich mit Ihrem Bruder zurückkomme«, sagte Jacob und sah dann die anderen Männer an. »Laßt mich jetzt runter, möglichst vorsichtig, aber auch möglichst schnell!«

Er hielt sich mit den Händen an dem Seil fest und stützte sich zugleich mit den Füßen an der steilen Wand ab.

Über ihm ließen Martin, Aaron, Sam Kelley und weitere Helfer Stück für Stück das Seil herunter.

Und unter ihm bangte Andrew Zachary um sein Leben, während er mit aufgerissenen Augen zu dem langsam näherkommenden Retter aufsah.

Jacob kam das Ganze wie ein Alptraum vor, der den Treck völlig unerwartet getroffen hatte. Im Nachhinein war die Reise fast zu reibungslos verlaufen, nachdem der Angriff der Outlaws am Big Blue River zurückgeschlagen worden war.

*

Bis zum Big Blue allerdings war es ein an Aufregungen und Strapazen reicher Weg gewesen, den der dreißig Wagen starke Treck von Kansas City aus durch die weiten Ebenen der Prärien hinter sich gebracht hatte. Er hatte vornehmlich mit zwei Feinden zu kämpfen gehabt.

Der eine Feind war ein fast zwei Wochen dauerndes Unwetter gewesen. Der sturmgepeitschte Regen hatte das Land aufgeweicht und die Wagen so stark im Schlamm versinken lassen, daß sie den Big Blue statt nach zwei erst nach drei Wochen erreicht hatten. Und dabei war der Treck sowieso schon spät dran. Am Big Blue, der normalerweise leicht zu überqueren war, hatten die Auswanderer ratlos vor einem durch das Hochwasser angeschwollenen, reißenden Strom gestanden.

Der zweite, viel gefährlichere Feind wurde Oregon Tom genannt und hieß eigentlich Thomas Bidwell. Er war der Scout, der den Treck nach Oregon führen sollte. Aber er führte ihn ins Verderben, in die Hände einer fünfzigköpfigen Outlaw-Horde. Deren Anführer, der zwielichtige Geschäftsmann Jed Harper, hatte es auf die 80.000 Dollar abgesehen, die Alan Clayton ohne Wissen der übrigen Auswanderer mit sich führte. Zum Glück für die Auswanderer hatte Marshai Bowden Webb aus Kansas City mit einem dreißigköpfigen Aufgebot die Outlaws vertrieben. Aber neun Auswanderer hatten ihr Leben lassen müssen, und neun Kreuze am Ufer des Big Blue zeugten davon.

Webb hatte Clayton und das gestohlene Geld mit zurück nach Kansas City genommen. Thomas Bidwell war tot, in Notwehr erschossen von Jacob. Jed Harper und seine zwei Handlanger, der riesenhafte Hoss und der magere Skinny, waren zusammen mit dem Großteil der Outlaws entkommen.

Dank Jacobs Einfall, Halteseile über den Big Blue zu spannen, konnte der Treck trotz der starken Strömung übersetzen. Nach einer kurzen Rast in dem kleinen Ort Manhattan ging die Fahrt durch die Prärie weiter, zur großen Erleichterung der Auswanderer ohne schwerwiegende Zwischenfälle.

Auch das Wetter hatte sich seit Erreichen des Big Blue schnell gebessert. Sobald das aufgeweichte Land von der kräftigen Julisonne getrocknet worden war, konnte die tägliche Meilenzahl erhöht worden. Gnadenlos trieben Abner Zachary und seine Söhne Menschen und Tiere an, um die verlorene Zeit gutzumachen. Schließlich galt es, die Rocky Mountains noch vor Einbruch des Winters zu überqueren, wollte man nicht Gefahr laufen, im Schnee steckenzubleiben und zu verhungern, wie es vor knapp zwanzig Jahren vielen Angehörigen des berüchtigten Donner-Trecks widerfahren war.

Das morgendliche Wecken wurde um eine Stunde vorverlegt, auf drei Uhr. Die Mittagsrast wurde gekürzt. Abends rollten die Wagen, bis der letzte Sonnenstrahl hinter den allmählich näherrückenden Bergen verschwunden war. So gelang es, an einigen Tagen fast dreißig Meilen zurückzulegen, das Doppelte der durchschnittlichen Tagesleistung eines Trecks. Allerdings nur solange, wie das Land flach war und den schweren Wagen keine Hindernisse wie Flußläufe oder Schluchten in den Weg legte.

Als der Südarm des Platte River überquert werden mußte, war das für die Auswanderer nach den Erfahrungen am Big Blue fast eine Routineangelegenheit. Sie schafften es an einem Nachmittag und fuhren am nächsten Morgen weiter, folgten dem nördlichen Platte, der sie zum Fort Laramie brachte.

Hier, am Fuß der Rockies, wurden noch einmal die Vorräte ergänzt. Die fast zweihundert Männer, Frauen und Kinder des Trecks gönnten sich trotz ihrer Zeitnot sogar einen ganzen Tag Rast, um sich zu erholen und sich auf den schwersten Teil ihrer Reise vorzubereiten: die Überquerung des gewaltigen Gebirgszugs, der sich auf einer Länge von dreieinhalbtausend Meilen vom Yukon in Alaska bis zum Rio Grande del Norte an der Nordgrenze Mexikos erstreckte.

Von nun an wurde der Weg beschwerlich, und die Reisegeschwindigkeit verringerte sich zusehends. Denn während das Felsengebirge auf der anderen Seite, zum Pazifik hin, in mehreren Abstufungen sanft abfallen sollte, stieg es auf seiner östlichen Seite steil an. Mit Disziplin und Umsicht und zahlreichen Entbehrungen arbeiteten sich die Auswanderer durch die auf ihren Gipfeln schneebefleckten Laramie Mountains vorwärts, ließen sich von keinem Berg, keiner Schlucht und keinem Gebirgsfluß abschrecken.

Mit mehr als einmonatiger Verspätung passierte der Treck den Independence Rock am Sweetwater River. Das gewaltige Gestein verdankte seinen Namen, >Unabhängigkeits-Felsen<, dem Umstand, daß viele Wagenkolonnen hier am Unabhängigkeitstag vorbeizogen und diesen Festtag in der romantischen Umgebung des Felsens begingen. Für Abner Zachary und seine Leute, die erst am Unabhängigkeitstag von Kansas City aufgebrochen waren, bestand kein Grund zum Feiern. Nur kurz bewunderten sie die Hunderte, vielleicht sogar Tausende von Namen, die in den Stein geritzt oder gemeißelt waren. Namen von Männern und Frauen, Namen aller nur erdenklichen Nationalitäten. Niemand von Abner Zacharys Begleitern verewigte sich hier. Die Zeit drängte.

Endlich erreichte der Treck den South Pass an der Wind River Range, die höchste zu überquerende Stelle der Rockies. Im Gegensatz zu den vielen unwegsamen Strecken, die der Wagenzug auf seiner langen Reise zu überwinden hatte, war der South Pass geradezu gemütlich zu nennen, fast eine Enttäuschung für die inzwischen an Herausforderungen gewöhnten Pioniere. Viele hatten sich den Paß als eine zerklüftete, nur schwer zugängliche Felsenschlucht vorgestellt. Statt dessen bot sich den Menschen ein überaus leicht passierbarer, sanft geschwungener Wiesenbuckel dar, der leicht und undramatisch nach Westen abfiel.

Hier oben spürten die Auswanderer erstmals den kalten Hauch des nahen Winters, der sie zu noch größerer Eile ermahnte. Nachts wurde es so bitter kalt, daß sie sich nicht dick genug in Decken packen konnten. Sogar am hellen, sonnenbeschienenen Tag stießen die Menschen auf zugefrorene Wasserlöcher. Sie hackten große Eisstücke heraus und füllten mit ihnen ihre Wasserfässer auf.

Wegen des nahen Winters nahmen die Auswanderer nicht die südwestliche Route, vorbei am alten Fort Bridger, das die Mormonen sechs Jahre zuvor bei ihrer Konfrontation mit der amerikanischen Regierung niedergebrannt hatten, um es nicht den US-Truppen in die Hände fallen zu lassen. Dieser Trail war zwar sicher zu befahren und gut mit Wasser und Weidegründen versehen, aber er bedeutete einen gewaltigen Umweg, weil der Treck einen großen Bogen schlagen mußte.

Abner Zachary entschied sich für den kürzeren Trail, Sublette's Cutoff, benannt nach einem wagemutigen Mountain Man, der diesen Weg als erster Weißer zurückgelegt hatte. Die fünfzig Meilen lange Hochebene zog sich schnurgerade von Westen nach Osten. Aber das graslose, von der heißen Sommersonne verbrannte Land bot Mensch und Vieh keine Nahrung, noch nicht einmal Wasser. Das nächste Gewässer, der Green River, lag jenseits der Hochebene. Der beschwerliche Weg durch tiefe Schluchten, enge Spalten voller Geröll und ausgetrocknete Alkaliseen entsprach schon eher dem, was die Pioniere am South Pass erwartet hatten.

Trotz der wild zerklüfteten, unüberschaubaren Landschaft geriet der Wagenzug keinen Moment in die Gefahr, vom Weg abzukommen. Der Trail war deutlich markiert durch die Hinterlassenschaften früherer Trecks: sonnengebleichte Knochen und zerfressene, aufgedunsene Tierkadaver, zerbrochene Wagen, zurückgelassener Hausrat. Und einmal sogar der höhnisch grinsende Schädel eines Menschen, den zu begraben seine Gefährten keine Zeit oder keine Kraft gehabt hatten. Vielleicht hatte er auch noch gelebt, als die Wagen mit seinen Leuten an ihm vorbeirollten, hatte ihnen nachgestarrt, bis der Tod ihn von seiner Einsamkeit erlöst hatte.

Auch Abner Zacharys Treck büßte einige Ochsen, Maultiere und Pferde ein. Aber die meisten Tiere und die Menschen hielten durch. Schließlich, am Ende der öden Hochebene, witterten die Tiere das Schmelzwasser aus den Schneeregionen im Green River und waren nicht mehr zu halten. Erst am Fluß kam der Treck zum Stehen. Mensch und Tier labten sich an den kühlen, frischen Fluten. Die schwierige Abkürzung lag hinter ihnen. Sie hatten neunzig Meilen eingespart, ein Zeitgewinn von einer Woche!

Eineinhalb Wochen später, der Treck hatte längst die kohlensäurehaltigen Quellen von Soda Springs passiert, erreichten die Auswanderer Fort Hall und frischten dort ihre Vorräte auf. Ein paar Meilen westlich des Forts, am Raft River, zweigte der California Trail vom Oregon Trail ab. Im Fort ging die Kunde von neuen Goldfunden in Kalifornien um, die fast so einträglich sein sollten wie die Funde während des großen kalifornischen Goldrausches, der vor fünfzehn Jahren ganze Heerscharen von Glücksrittern ins Land gelockt hatte. Viele der vorangegangenen Trecks hatten den Plan, nach Oregon zu reisen, aufgegeben und den Weg durch das unwirtliche Great Basin und über die Sierra Nevada genommen, um im Land des Goldes zu schnellem Reichtum zu gelangen.

Abner Zachary hielt nicht viel von solchen »haltlosen Spekulationen und gedankenvernebelnden Hirngespinsten«, wie er es nannte. Er ließ seinen Leuten kaum Zeit, über die Goldfelder Kaliforniens nachzudenken, trieb sie an, weiter den Oregon Trail entlang. Den California Trail ließ der Treck im wahrsten Sinne des Wortes links liegen. Zachary gab sich voller Zuversicht, das Gelobte Land in Oregon zu finden.

Landmarkierung nach Landmarkierung, Hindernis nach Hindernis blieb hinter der Wagenkolonne zurück. Früh am Morgen hatte der Treck den unheimlichen Geistercanyon durchfahren, ohne von den Geistern, deren Stimme man der seltsamen Echos wegen zu hören glaubte, belästigt worden zu sein.

Aber an diesem Oktobertag des Jahres 1863, hier an dem steilen, felsigen Hügel, schien sich das Schicksal des Predigers zu erfüllen - auf dem von ihm gewählten Oregon Trail. Nicht nur sein Schicksal, vielleicht auch das seines jüngsten Sohns.

*

Ängstlich sah Andrew Zachary nach oben, wo Jacob Adler langsam zu ihm abgeseilt wurde.

Viel zu langsam, wie Andrew fand.

Zu langsam für die Wurzeln des Strauches, an dem er hing. Sie gaben immer mehr nach, lösten sich Stück für Stück aus dem Erdreich der Steilwand, mit immer heftigeren Rucken, die in immer kürzeren Abständen erfolgten.

Zu langsam für Andrews Muskeln, deren Kraft allmählich erlahmte. Seine Schultern, seine Arme, seine Hände, seine Finger - alles schmerzte fast unerträglich. Je mehr er sich krampfhaft bemühte, nicht loszulassen, sich fest in den Strauch zu verkrallen, um so größer wurde der Schmerz.

Es mußte eine Erlösung sein, einfach loszulassen, die Muskeln zu entspannen und mit der Leichtigkeit einer Feder in die Tiefe zu schweben.

Andrew widerstand dieser Versuchung, indem er sich klarmachte, daß es kein sanftes Schweben sein würde, sondern ein schneller Sturz mit einem harten, tödlichendgültigen Aufprall auf den zerklüfteten Felsen unten in der Schlucht.

Er mußte aushalten, durfte seinen gequälten Fingern nicht erlauben, sich auch nur für den Bruchteil einer Sekunde auszuruhen.

Andrew richtete seinen Blick nach oben, auf Jacob Adler -seinen Retter, wie er hoffte. Angespannt verfolgte er jede Bewegung des jungen Deutschen. Der Sohn des Predigers konzentrierte sich völlig auf ihn, um so den eigenen Schmerz zu vergessen.

Andrew konnte nicht ahnen, daß außer seinen und den Augen der Auswanderer noch mehr Augen auf den Mann am Seil gerichtet waren. Auf ihn und auf den sich am Strauch festkrallenden Jungen. Die Besitzer dieser Augen verfolgten mit Interesse, was sich an der Steilwand abspielte. Aber ihre Hoffnungen galten nicht der Rettung des Jungen.