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»Ihre vielleicht«, knurrte der alte Seebär unwillig. »Meine bestimmt nicht! Ich bin froh, wenn ich die Fracht endlich löschen kann.«
Das Lächeln verschwand von Driscolls Gesicht. Es war sowieso kein freundliches Lächeln gewesen.
Der Soldat stützte seine Hände auf der Tischplatte auf und beugte sich so weit vor, daß seine Stirn fast die des Kapitäns berührte.
»Ihre persönliche Befindlichkeit ist in keiner Weise maßgebend, Kapitän Hansen«, sagte er im scharfen Ton. »Halten Sie sich immer vor Augen, daß Ihr Kriegsgerichtsverfahren nur aufgeschoben ist, aber noch nicht aufgehoben. Das wird es erst sein, wenn unsere Mission beendet ist. Erfolgreich beendet! Um diesen Erfolg zu garantieren, muß ich darauf bestehen, daß Sie den rot eingezeichneten Kurs genau befolgen.«
Driscoll legte eine Hand auf die Nußholzverschalung des Chronometers, bevor er fortfuhr: »Und geben Sie sich keinen Illusionen hin, mich täuschen zu können, Käpten. Ich kann mit diesen Instrumenten ebensogut umgehen wie Sie. Ich werde den Kurs der ALBANY nachprüfen!«
Hansen versuchte gar nicht erst, seinen Unwillen zu verhehlen. Er konnte aus seinem Herzen keine Mördergrube machen und sagte und zeigte stets, was er dachte. Sein zerfurchtes Seefahrergesicht wirkte wie ein Gewitter, das auf den Soldaten herniederging. Der aber ließ sich davon nicht beeindrucken.
»Und was sage ich meinen Männern?« fragte Hansen. »Sie werden merken, daß die ALBANY so orientierungslos durch den Pazifik kreuzt, als sei die Ruderanlage demoliert.«
»Sagen Sie die Wahrheit«, schlug Driscoll zu Hansens Verblüffung vor.
»Die Wahrheit?« ächzte der Kapitän. »Die kenne ich selbst nicht so genau.«
»Sagen Sie, es sei eine Order der Navy. Die ALBANY fährt diesen Kurs, um mögliche Verfolger zu verwirren und abzuschütteln.«
Hansen bohrte seinen Blick forschend in Driscolls breites Gesicht und fragte lauernd: »Und? Stimmt das?«
Die Miene des Soldaten blieb unbewegt.
»Je weniger Sie wissen, Käpten, desto weniger können Sie verraten.«
»Wem sollte ich hier etwas verraten, Captain Driscoll? Wir sind allein auf hoher See.«
»Wir sind im Krieg«, meinte Driscoll düster. »Da kann es immer unangenehme Überraschungen geben.«
Wie zur Bestätigung seiner Worte hallten in diesem Augenblick Schüsse durch das Schiff. Immer und immer wieder.
Schreie mischten sich in das heftige Geknatter. Hektische Befehle. Und das Geheul Verwundeter oder Sterbender.
Levander Driscoll erbleichte und stieß einen Fluch aus.
Seine rechte Hand fuhr zur Hüfte, riß die Klappe des Lederholsters auf und zog einen Navy Colt heraus.
*
An Bord der LUCIFER.
»Das tut gut«, seufzte Jacob, als die Hände des kleinen, dürren Jock Moulder mit sanfter Geschicklichkeit über seinen Rücken strichen und die zerschundene, brennende Haut mit einer kühlenden Paste einrieben.
Moulders Hände waren jetzt frei wie die von allen Shanghaiten. Nach seiner Machtdemonstration schien Kapitän Raven zu glauben, die Männer ausreichend eingeschüchtert zu haben.
Und so war es wohl auch. Kreuzbrav standen die Entführten in einer ordentlichen Reihe vor dem Achterdeck, wo John Raven und Cyrus Stanford einen nach dem anderen in die Musterrolle eintrugen.
Jacob lag bäuchlings unter dem Großmast und bemühte sich, ruhig und kräftig durchzuatmen, um rasch wieder zu Kräften zu kommen.
Er schämte sich, daß sein Körper nach der Strafe derart geschwächt war.
Gewiß, es war eine harte Strafe. Aber er hatte schon von Schiffen gehört, auf denen aufsässigen Mannschaftsmitgliedern noch viel mehr Peitschenhiebe verabreicht wurden.
Daß ihn, der er doch jung und stark war, schon die fünfundzwanzig Hiebe so mitgenommen hatten, führte er auf Stanfords besondere Kunstfertigkeit in dieser blutigen Tätigkeit zurück. Der Erste Steuermann des Walfängers hatte es nur zu gut verstanden, den Delinquenten so zu treffen, daß jeder Schlag die Wirkung von mehreren besaß.
Jock Moulder tauchte seine Hände wieder in den hölzernen Kübel und verteilte eine weitere dicke Schicht der gelblichen Paste auf Jacobs Rücken.
»Was ist das für ein Zeug?« erkundigte sich der Deutsche.
»Keine Ahnung. Sie ham Elihu Brown auch damit behandelt. Ich hab nach Walfett gefragt, aber das hatten'se nicht. Erstaunlich für einen Walfänger.« Seine Stimme wurde leiser, und er raunte: »Überhaupt is' auf diesem Schiff einiges seltsam.«
»Wieso? Was meinen Sie?«
»Ich hab mich ein wenig auf dem Kahn umgesehen, als ich das Fett holen ging. Ich war ja in meinem Leben schon auf mehreren Walfängern, aber solch einen hab ich noch nich' kennengelernt.«
Eine von Moulders schlanken, jetzt fettbeschmierten Händen zeigte mit ausgestrecktem Finger in Richtung Fockmast, vor dem sich das Schutzdach der Trankocherei erhob.
»Muß lange her sein, daß sie hier Wale gefangen ham, ziemlich lange. Hab mir kurz die Kocherei angesehen, die Kessel und auch den Kühlbehälter. Das sieht aus wie abgelegt. Als sei die ganze Anlage niemals auch nur mit einem Tropfen Walöl in Berührung gekommen. Nicht mal Feuerholz ham'se dort gelagert, um die Öfen im Fall eines Fanges schnell anheizen zu können.«
»Und?« fragte Jacob verständnislos.
»Wenn du keine verfluchte Landratte wärst, wüßtest du, was das bedeutet. Wenn ein Walfänger auf einen Wal oder eine ganze Bande von diesen Riesenviechern stößt, is' Eile geboten. Die Tiere müssen schnell zerlegt und zerkocht werden, damit man möglichst viele erwischt, bevor sie weiterziehen. Darauf is' man hier an Bord aber gar nicht vorbereitet.«
Er kicherte verächtlich und schnaubte: »Sie ham ja noch nicht mal leere Fässer an Bord!«
»Leere Fässer?« echote Jacob. »Wozu braucht man die?«
»Na, um das Walöl reinzufüllen«, antwortete Moulder und schüttelte den Kopf über soviel Unwissenheit der Landratte.
Jacob nickte. Jetzt verstand er. Und er machte sich seine Gedanken über John Raven und sein seltsames Schiff.
»Das alles ist sehr geheimnisvoll«, murmelte der Deutsche.
»Was?« fragte der Seemann, während er seine Hände an der bunten, viel zu weiten Kalikohose abwischte.
»Die Fahrt der LUCIFER, Jock. Sie haben ganz recht, es sieht nicht so aus, als wolle Kapitän Raven auf Walfang gehen. Aber was hat er dann vor? Schließlich hat er eine ziemlich große Mannschaft hier versammelt.« Bitter fügte er hinzu: »Und das zum Teil mit roher Gewalt!«
»Yeah, Kumpel, is' mir auch schon aufgefallen. Sind doppelt so viele Männer an Bord, als nötig wäre. Eine kleine Armee.« Moulder kicherte wieder. »Wirkt eh wie ein Kriegsschiff, die LUCIFER.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Mußt dich nur mal über die Reling beugen, wenn dein Rücken das wieder zuläßt. Dann siehst du die Stückpforten, neun auf jeder Seite. Hatte leider keine Zeit nachzusehen, ob auch Kanonen dahinter stecken.«
»Vielleicht war die LUCIFER früher mal ein Kriegsschiff«, suchte Jacob nach einer sinnvollen Erklärung.
»Vielleicht is' sie es jetzt noch, auf irgendeine Art und Weise«, erwiderte Moulder und streckte wieder seine Hand aus, erst zum Bug, dann zum Heck. »Ob im Bauch dieses Teufelsschiffes Kanonen stecken, weiß ich nich'. Aber an Bug und Heck ist je eine Drehbasse mit 'ner eisenrohrigen Lady aufgebaut. Zweiunddreißigzigpfünder, wenn ich mich nich' irre.«