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»Ich hab dem Dutch nur erklärt, daß er noch lange Freude an seinem kaputten Rücken ham wird«, sagte Moulder eilig.
»Das wird er«, kicherte Petrov mit heftigem Nicken. »Jeder einzelne Schmerz wird ihn daran erinnern, daß man seinen Vorgesetzten bedingungslos zu gehorchen hat.«
Das sadistische Lächeln, das Petrovs schiefe Lippen umspielte, verschwand wieder und machte einem dienstlichsachlichen Ausdruck Platz.
»Ihr beide müßt euch noch in die Musterrolle einschreiben. Beeilt euch!«
»Aber der Dutch kann bestimmt noch nich' laufen«, wandte Moulder ein.
Der Steuermannsmaat hob die Hand mit dem Knüppel.
»Wenn er nicht weiß, wie man läuft, werde ich es ihm einprügeln!«
»Es wird schon gehen«, sagte Jacob.
Seine Hände umklammerten die Wanten am Fuß des Großmastes, und er zog sich nach oben. Dort stand er ein wenig unsicher.
Die beiden erfahrenen Seeleute Moulder und Petrov fingen das Schlingern der LUCIFER mit leicht gespreizten Beinen mühelos ab.
Jacob aber mußte sich erst wieder daran gewöhnen. Trotz der kühlenden Paste, die Moulder großzügig auf seinem Rücken verteilt hatte, war der Schmerz ziemlich stark. So stark, daß der Deutsche kurzzeitig vergessen hatte, wie man sich auf einem fahrenden Segler bewegte.
Moulder hob Jacobs Hemd und Jacke auf und legte beides ganz vorsichtig über die Schultern des viel größeren Mannes.
Der blickte den wieselhaften Seemann dankbar an. Es tat gut, besonders in dieser Lage, daß es nicht nur Schurken wie Raven, Stanford, Petrov und Frenchy gab, sondern auch aufrechte, verläßliche Männer wie Moulder und Elihu Brown.
»Los jetzt!« schnaubte der Steuermannsmaat. »Käpten Raven wartet nicht gern.«
Er drückte seinen Knüppel in Jacobs Rücken, um den hünenhaften Deutschen in Richtung Achterdeck zu schieben. Daß Jacobs Wunden dabei wieder aufbrachen, kam dem verschlagenen Russen gewiß nicht ungelegen.
Tatsächlich waren Jacob und Jock Moulder, abgesehen von dem noch unter Deck liegenden Elihu Brown, die letzten, die sich noch in die Musterrolle eintragen mußten.
Der dicke, ledergebundene Foliant lag auf einer Kiste vor Kapitän Raven, der sich auf einem grob zusammengezimmerten Schemel niedergelassen hatte.
Schräg hinter dem Kapitän stand Cyrus Stanford und musterte Jacob mit brennendem Haß in den tiefliegenden Augen.
»Du siehst mir aus wie ein echter Seemann, Kerl«, sagte John Raven zu Moulder. »Du bewegst dich mit der Sicherheit eines Mannes über das Schiff, der die meiste Zeit seines Lebens nichts als ein paar gischtumspülter Planken unter den Füßen gehabt hat.«
»Aye, Käpten.« Moulder lächelte, schien erfreut zu sein, daß Raven ihn so richtig einschätzte. »Bin Seemann gewesen, immer schon. Auch schon auf Walfang gewesen. Jock Moulder is' mein werter Name.«
Raven nickte zufrieden und zeigte auf das schwere Buch.
»Dann trag deinen Namen ein, Jock Moulder, oder mach dein Zeichen.«
»Hierher!« schnarrte der Erste Steuermann und legte die Kuppe des Zeigefingers an die entsprechende Zeile der Musterrolle.
Ohne zu zögern, griff der wieselhafte Moulder nach dem Bleistiftstummel und malte mit fast heiliger Andacht ein sich in einem Kreis befindendes Kreuz in die Zeile.
Jacob sah ihm über die Schulter und stellte fest, daß mehr als die Hälfte der angemusterten Seeleute ihre Namen nicht schreiben konnten. Statt dessen gab es alle möglichen Zeichen: wellenförmige Linien, stilisierte Fische und Schiffe, Dreiecke, Rechtecke, Kreise und immer wieder Kreuze in den unterschiedlichsten Variationen.
»Und du, Mann aus Deutschland?« fragte Raven. »Du bist kein Seemann, das sehe ich sofort. Verfügst du über besondere Fähigkeiten, mit denen du dich an Bord nützlich machen kannst?«
»Ich bin Zimmermann.«
Jacob drehte den Kopf zur Seite, damit Raven den goldenen Ring sehen konnte, der im rechten Ohr des Deutschen steckte. Das Zeichen der Zimmermannszunft, das Jacob von seinem Vater, dem Zimmermannsmeister Heinrich Adler, nach Bestehen der Probezeit erhalten hatte.
»Ein Zimmermann, aber vermutlich kein Schiffszimmermann«, zeigte sich Cyrus Stanford skeptisch.
»Ich habe schon auf einem Schiff als Zimmermann gearbeitet!«
»So?« fragte Kapitän Raven interessiert. »Auch welchem?«
»Auf der Bark, mit der ich von Hamburg nach New York gekommen bin. Das war die ALBANY, die jetzt in Frisco vor Anker liegt.«
Täuschte sich Jacob?
Es kam ihm so vor, als tauschten der Kapitän und sein Erster Steuermann bei der Erwähnung der ALBANY bedeutungsvolle Blicke aus.
Aber es mußte ein Irrtum sein. Alles andere ergab keinen Sinn.
»Ich denke, der alte Esteban, unser Schiffszimmermann, kann eine Hilfe ganz gut gebrauchen«, meinte der Mann mit der schwarzen Augenklappe. »Kann sein, daß die LUCIFER einen Ersatzmast oder etwas ähnliches benötigt. Da sind vier Hände besser als zwei. Schreib dich also ein, Adler!«
Und Jacob schrieb sich ein.
Auch wenn Raven der Sache den Anschein der Freiwilligkeit verlieh, war Jacob doch bewußt, daß ihm keine Wahl blieb. Außer der, sich weiteren Peitschenhieben auszusetzen.
Und doch war es seltsam. Als der Kapitän ihn nach seinen Fähigkeiten fragte, wollte Jacob sein Licht nicht unter den Scheffel stellen. Er wollte anerkannt werden. Schließlich hatte er hart gearbeitet, um ein guter Zimmermann zu werden.
Drei Jahre lang war er in der Heimat auf der Walz gewesen. Doch als er zurückkam, war die erhoffte Freude schnell in Ernüchterung und Entsetzen umgeschlagen.
Seine Braut war mit einem anderen verheiratet.
Seine Mutter war tot.
Sein Vater und die Geschwister waren verschwunden, vermutlich nach Amerika ausgewandert.
Jacob wollte sie finden. Aber statt nach ihnen zu suchen, mußte er jetzt widerwillig Dienst auf diesem seltsamen Walfänger tun.
Moulder drängte sich an die Kiste, auf der die Musterrolle lag. Mit zusammengekniffenen Augen und gerunzelter Stirn starrte er auf das Papier. Immer näher kamen seine Augen dem dicken Buch.
»Stimmt was nicht, Seemann?« fragte Stanford rüde. »Willst dich wohl im Lesen üben, was?«
»Nein«, antwortete Moulder ernst und zeigte auf die hinterste Vertikalspalte. »Ich wunder mich nur, daß hier nichts eingetragen is'. Hier müßte doch stehen, wie hoch jeder von uns am Gewinn der Fahrt beteiligt is'.«
»Kluges Kerlchen«, grinste der Erste Steuermann wölfisch. »Meinst wohl.«
Stanford unterbrach sich, denn John Raven erhob sich von dem Schemel und straffte seine hagere Gestalt. Das zog die Aufmerksamkeit der Mannschaft auf sich.