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*
»Alles an Deck! Fertigmachen zum Fang!«
Der Ruf wurde endlos wiederholt und drang bis in den hintersten Winkel des Walfängers.
Auch bis zu Jacob und Elihu Brown, die in ihren Kojen hockten. Beiden Männern ging es wieder einigermaßen. Das Fett, woraus auch immer es bestand, bewirkte wirklich Wunder.
»Sieht so aus, als ginge es los«, seufzte der bärtige Harpunier. »Hätte nicht gedacht, daß Raven so früh erfolgreich ist.«
»Ich habe es ihm und allen anderen an Bord auch nicht gewünscht«, meinte Jacob. »Nenn mich eine Unke, Eli, aber irgendwie glaube ich, Jocks Tod war nur der Anfang.«
Ein Schauer lief über Jacobs Rücken, als er an den Absturz des Seemanns vom Großmasttop dachte. Er sah ihn noch in unnatürlicher Haltung auf dem Dach der Kocherei liegen.
Jeder Knochen in Moulders Körper schien gebrochen gewesen zu sein. So fühlte es sich jedenfalls an, als Jacob und ein paar andere ihn von dem Schutzdach holten, damit er in eine Segeltuchplane eingenäht werden konnte.
Als Kapitän Raven bei der Bestattung die Bibel zitierte, klang das wie Hohn in Jacobs Ohren. Der Mann mit der Augenklappe, der sich selbst zum Gott über das Schiff und die Besatzung aufschwang, redete von der Furchtsamkeit, die jeder Mensch gegenüber dem Schöpfer empfinden sollte!
Dann glitt das Segeltuch mit der Leiche über eine breite Planke ins Meer. Jock Moulder wurde von dem Wasser verschluckt, auf dem er die meiste Zeit seines viel zu kurzen Lebens verbracht hatte.
»Komm schon, Jacob!« Ein kräftiger Schulter schlag des Harpuniers riß den jungen Zimmermann aus den Gedanken. »Wenn wir noch länger herumtrödeln, hat der dreimal verfluchte Stanford wieder 'nen Grund, seine Peitsche auf unseren Rücken tanzen zu lassen.«
Brown hatte recht, sie waren die letzten Männer im Mannschaftslogis. Alle anderen trampelten bereits über die Treppe an Deck. Rasch standen Zimmermann und Harpunier auf, um sich ihnen anzuschließen.
Oben erschollen bereits die Befehle des Kapitäns und seiner Offiziere: »Ladet die Geschütze!«
»Ausrüstung in die Fangboote!«
Noch einmal schlug Elihu Brown seine flache Hand auf Jacobs Schulter.
»Viel Glück, Junge. Und bleib am Leben!«
»Dasselbe wünsche ich dir, Eli. Ich kann schließlich an Bord bleiben.«
»Das muß nicht unbedingt ein Vorteil sein«, orakelte der bärtige Seemann und lief dann zu seinem Fangboot.
Es war ausgerechnet das Boot, das von Cyrus Stanford kommandiert wurde.
Jacob stand ruhig inmitten der Hektik. Noch gab es für ihn nichts zu tun. Als Gehilfe des Schiffszimmermanns kam er erst zum Einsatz, wenn die LUCIFER im Kampf beschädigt werden sollte.
Daß es einen Kampf geben würde, schien sicher. Das grüne Licht, auf das der Walfänger mit vollen Segeln zuhielt, füllte zusehends den Horizont aus.
*
An Bord der GREY SHARK.
Das stählerne Fischboot dümpelte antriebslos am Rand des Trümmerregens im Meer. Gerade außerhalb der Gefahrenzone, wo immer wieder brennende Splitter der von Explosionen erschütterten ALBANY zischend ins Wasser fielen.
Fasziniert und befriedigt verfolgte Lieutenant Alva Devane das infernalische Schauspiel. Er rief immer wieder seinen sich abwechselnd vor das Bullauge drängenden Männern zu, was er sah.
Gewiß, dies war nur ein kleiner Sieg für den Süden. Besser wäre es gewesen, die ALBANY wäre gar nicht erst in die Hände der Yankees gefallen, sondern hätte ihre für die Konföderierten bestimmte Fracht durchgebracht.
Aber vielleicht waren es gerade viele solcher kleinen Siege, die schließlich zum großen Sieg führten. Vielleicht war die Sache des Südens trotz aller Schwarzmalerei noch nicht verloren.
Zwar drangen die Nordstaatler immer tiefer ins Herz der Südstaaten ein.
Zwar erwies sich die Küstenblockade durch die US-Navy als höchst effizient und höhlte die Moral der Menschen im Süden immer stärker aus.
Doch solange es Männer wie ihn und seine Besatzung gab, die alles wagten für die Sache, an die sie glaubten, so lange konnte der Süden nicht untergehen!
Daran glaubte Devane fest.
Daran klammerte er sich.
Plötzlich sah er den hellen Fleck am dunklen Horizont.
Segel!
Sie wuchsen schnell.
»Bill, mein Fernrohr!« rief er nach unten.
Brixton reichte es ihm und fragte, was los sei.
»Ein Schiff kommt auf uns zu. Also war es doch eine Falle!«
»Was für eine Falle, Sir?«
»Die Leuchtraketen! So viele, wie da hochgehen, benötigt ein normales Schiff nicht. Die ALBANY war ein Lockvogel -für uns!«
Devane blickte durch das Fernrohr dem sich nähernden Segler entgegen.
»Seltsam«, murmelte er. »Sollte ich mich getäuscht haben?«
»Wieso, Sir?« erkundigte sich der kantige Maat.
»Es ist kein Kriegsschiff, sondern ein Walfänger«, antwortete der Kommandant des Fischbootes. »Wie auch immer, es ist ein Yankee-Schiff. Wir werden es versenken!«
»Aber wir haben keinen Torpedo mehr!« wandte Brixton ein.
»Dann rammen wir es einfach«, entschied Lieutenant Devane und rutschte ins Innere seines schmalen Gefährts. »Alles fertigmachen zum Tauchen!«
*
An Bord der LUCIFER.
Mit weit aufgerissenen Augen stand Jacob am Bug des Walfängers und starrte auf das entsetzliche Bild voraus.