158051.fb2
Und darüber, daß er deutsch sprach.
»Wer. wer sind Sie?« fragte Irene zögernd.
»Ich frage, Sie antworten, Irene!«
Irene!
Daß der Unbekannte sie mit ihrem Vornamen ansprach, verlieh seinen Worten eine seltsame Vertrautheit.
Als würden sie sich kennen.
Aber das war es nicht allein.
Diese Stimme!
Irene glaubte, sie schon einmal gehört zu haben.
Kannte sie den Mann tatsächlich?
Bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, fragte er: »Was suchen Sie in San Francisco?«
»Wir sind gestern hier angekommen.«
»Warum?«
»Ich suche meinen. meinen Verlobten.«
Offiziell waren sie gar nicht verlobt. Aber da sie sich das Eheversprechen gegeben hatten, kam es dem gleich.
»Carl Dilger?« fragte die seltsam vertraute Stimme.
»Ja, Carl. Ich habe gehört, er sucht in Kalifornien nach Gold.«
»Und Ihr Freund Jacob Adler, was will er hier?«
»Er begleitet mich und meinen Sohn.«
»Ah, er spielt also immer noch den barmherzigen Samariter.«
Sarkasmus schwang in diesen Worten mit, aber auch Verachtung und Haß.
Der unheimliche Fremde kannte sie also beide.
Doch woher?
»Und der andere, dieser Bauer, Martin Bauer - was ist mit ihm?«
Er kennt uns alle! durchfuhr es Irene.
Plötzlich glaubte sie zu wissen, mit wem sie es zu tun hatte. Anfangs war sie nicht darauf gekommen, weil sie den Mann für tot hielt.
Aber konnte das sein?
Er?
War er denn nicht gestorben?
Vor ihren eigenen Augen!
»Ich habe Sie nach Martin Bauer gefragt!« ermahnte sie der Mann. »Ist er auch in Frisco?«
»In Frisco?« Irene schüttelte den Kopf. »Nein, er ist in Oregon geblieben. Er hat sich dort niedergelassen.«
»In Oregon also«, brummte er leise und fuhr lauter fort: »Sie scheinen ja weit herumgekommen zu sein. Bei Gelegenheit müssen Sie mir davon erzählen. Jetzt muß ich mich um andere Dinge kümmern. Da das Schicksal so freundlich war, uns wieder zusammenzuführen, muß ich die Gunst der Stunde nutzen.«
»Sind Sie es?« fragte Irene und nannte den Namen des Mannes, den sie bis zu dieser Stunde für tot gehalten hatte.
»Ein Name ist Schall und Rauch, umnebelnd Himmelsglut, meine Gute, das wissen Sie doch.« Der Mann sprach mit einem meckernden Lachen. »Aber nein, verzeihen Sie. Ein Dienstmädchen hat natürlich nicht den Faust gelesen.«
Irene überging die scharfe Spitze. Sie war bedeutungslos gegenüber ihrer Sorge.
Wenn ihre Vermutung hinsichtlich der Identität ihres Gegenübers stimmte, schwebten sie alle in höchster Gefahr: Jamie, sie selbst und Jacob.
Jacob!
Was war mit dem Freund, der tief in ihrem Herzen noch viel mehr war als ein bloßer Freund, geschehen?
Was hatte der Mann, der von jenseits ihrer schwarzen Binde mit Irene sprach, mit ihm angestellt?
Sie öffnete die zitternden Lippen und erkundigte sich nach Jacob Adler.
»Eigentlich wollte ich Sie beide hier begrüßen. Leider ist etwas dazwischengekommen. Aber ich hoffe, Sie bald mit Herrn Adler vereinen zu können.« Er seufzte tief. »Wirklich, ich würde mich sehr darüber freuen!«
Die Art, wie er das sagte, überzeugte Irene, daß die Freude sehr einseitig ausfallen würde.
Trotzdem war sie über die Mitteilung erleichtert. Sie hatte schon das Schlimmste befürchtet. Nun wußte sie, daß Jacob lebte.
So sehr sie sich jetzt auch seine Nähe wünschte, viel mehr als die von Carl Dilger, so innig hoffte sie, ihr unheimlicher >Gastgeber< - Entführer war wohl der passendere Ausdruck -, möge ihn nicht in seine Hände bekommen.
Sie war erleichtert, als dieser sagte: »Ich habe noch zu arbeiten. Buster, bring Miß Sommer in ihr Quartier zurück!«
Jetzt hatte er englisch gesprochen.
Buster mußte der Name des riesigen Negers sein. Irene spürte seinen festen Griff wieder an ihrem Arm.
Gleichwohl fühlte sie sich erleichtert, als sie den Raum verließ.