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»Ja«, antwortete der Major.
»Warum zeigt er sich dann nicht? Hat der Anführer der berüchtigten Jayhawkers etwa Angst?«
Der Mann in der blauen Uniform wollte aufstehen, da rief Haley leise: »Nicht, Major. Das ist bestimmt eine Falle. Die verfluchten Rebellen veranstalten diesen Zirkus nur, um Sie auszuschalten.«
»Wenn es eine Falle ist, Brock, wird es auch Quantrill erwischen. Nimm ihn aufs Korn und verpaß ihm ein drittes Auge, wenn sich irgend etwas Verdächtiges tut.«
Grinsend brachte der Hufschmied mit dem am rechten Ohr blutigen Kopfverband seinen Karabiner in Anschlag und legte den Lauf aufs Fensterbrett. »Das wird mir ein Vergnügen sein, Major.«
»Aber nicht voreilig schießen«, ermahnte ihn Hickok. »Wir haben nichts davon, wenn die Schwarze Brigade wie ein hungriger Heuschreckenschwarm über das Haus herfällt.«
Byron Cordwainer lehnte sein Gewehr gegen die Wand und erhob sich, bis er in voller Größe vor dem offenen Fenster stand. »Hier bin ich, Quantrill.«
»Sie sind Cordwainer?«
»Ja, ich bin Major Cordwainer.«
»Es ist mir eine Ehre, Major«, sagte der Guerillaführer mit einem hämischen Unterton. »Sind Sie jetzt endlich bereit, meine Kapitulationsbedingungen entgegenzunehmen?«
»Was für Kapitulationsbedingungen?«
»Sie ergeben sich auf der Stelle und bleiben dafür am Leben.«
»Das sind keine Kapitulationsbedingungen, das ist eine Erpressung.«
Quantrill lachte laut und stützte sich in überlegener Zufriedenheit auf sein Sattelhorn. »Sie haben wohl kaum eine Wahl, Major.«
»Doch, die habe ich. Meine Männer und ich können weiterkämpfen!«
»Wenn ich richtig informiert bin, haben Sie Frauen im Haus«, meinte Quantrill. »Wollen Sie die nicht schonen? Wenn Sie sich jetzt ergeben, werde ich die Unversehrtheit der Damen garantieren.«
»Und wenn nicht?« fragte Byron Cordwainer. »Werden sich Ihre ehrlosen Banditen dann an den Frauen vergreifen?«
»Meine Männer sind keine Banditen, sondern Soldaten!«
»Soldaten, die über wehrlose Frauen herfallen?«
»Sie vergessen die Strapazen, die hinter meinen Leuten liegen und an denen Sie nicht so ganz unschuldig sind, Major. Da ist es wohl verständlich, wenn meine Leute auch ein bißchen Spaß haben wollen.«
Hickok stand auf und stellte sich neben Cordwainer ans Fenster. »Ihre Worte wären eine Verhandlungsbasis, wenn man Ihnen trauen könnte, Quantrill. Aber Sie sind genauso ehrlos wie Ihre Männer.«
»Wen haben wir denn da?« meinte der Mann in der grauen Südstaatenuniform mit hochgezogenen Brauen. »Den Verräter!«
»Ich bin kein Verräter, sondern ein Kundschafter. Ich habe schon immer für die Sache des Nordens gekämpft.«
»Wie es aussieht, werdet ihr alle jetzt für die Sache des Nordens sterben«, erwiderte Quantrill, der nicht aus der Ruhe zu bringen war.
Die Männer oben im Haus spürten, daß er noch einen Trumpf auszuspielen hatte - mindestens einen. Die selbstgefällige Überlegenheit, mit der Quantrill auftrat, konnte nicht allein von der Macht seiner Männer und Waffen stammen. Da war noch etwas, eine unliebsame Überraschung, die der Guerillaführer für die letzten Verteidiger von Blue Springs bereithielt. Das lag so schwer und deutlich wahrnehmbar in der Luft wie die warme Feuchtigkeit des Sommerregens, der viele Tage lang auf das Land niedergegangen war.
»Dabei nehmen wir aber noch eine Menge von euch mit«, entgegnete Hickok. »Vielleicht euch alle!«
»Woher dieser Übermut?« wollte Quantrill wissen. »Etwa, weil ihr auf das Eintreffen von Hilfe wartet?«
Hickok kniff skeptisch die Augen zusammen, so daß er noch mehr wie ein Raubvogel aussah. Und Quantrill war die Beute, auf die er hinabblickte, die er fixierte, um sich im nächsten Augenblick auf sie zu stürzen. Wenn es ihm nur möglich gewesen wäre.
»Was für Hilfe?« stellte der Scout die Gegenfrage.
»Truppen aus Kansas City beispielsweise«, antwortete Quantrill mit gespielter Gleichgültigkeit. Aber man merkte ihm an, daß er sich insgeheim diebisch über etwas freute.
»Wie kommen Sie darauf?« fragte Byron Cordwainer. »Sie haben unseren Kurier doch erwischt - und ermordet!«
»Welchen Kurier meinen Sie?« fragte Quantrill mit Unschuldsmiene zurück. »Den Burschen, der den Schecken geritten hat?« Er wandte sich nach hinten. »Oder diesen hier?«
Aus einer schmalen Gasse trat ein Mann mit grausam wirkenden Gesicht, der einen Braunen am Zügel führte. Über dem Pferd lag der Körper eines Mannes, der sich nicht bewegte. Die Männer oben im Haus konnten nicht sagen, ob er tot war.
Hickok erkannte ihn sofort. Jetzt wußte er, wie Quantrills geheimer Trumpf aussah. Deshalb hatte sich der Guerillaführer die ganze Zeit über so diebisch gefreut. Er hatte mit seinen Gegnern gespielt wie eine Katze mit der in die Enge getriebenen Maus, der sie die Illusion ließ, noch eine Chance zu haben, bloß um sich an ihren aussichtslosen Rettungsversuchen zu weiden. Quantrill hatte gewußt, daß die Leute im Cordwainer-Haus auf Hilfe aus Kansas City warteten. Und er hatte auch gewußt, daß diese Hilfe niemals eintreffen würde, weil er den Kurier abgefangen hatte.
Nur abgefangen?
Oder auch getötet wie Gus Peterson, den ersten Kurier?
»Cody!« stieß Hickok hervor und dachte an seinen jungen Freund und all die Pläne, die er gehabt hatte.
Byron Cordwainer sah Hickok erschrocken an. »Das da unten ist Ihr Freund, der nach Kansas City.«
»Ja«, unterbrach ihn der Kundschafter. »Kein Zweifel.« Er hob seine Stimme und fragte: »Habt ihr ihn auch getötet?«
Quantrill sah den Mann mit den grausamen Gesichtszügen fragend an. Jasper schüttelte den Kopf.
»Er lebt noch«, antwortete Quantrill. »Aber nicht mehr lange, wenn er nicht schnell ärztliche Hilfe erhält. Der Doc ist doch bei euch, oder?«
»Das ist er«, bestätigte Hickok. »Schätze, eine Menge Ihrer Leute haben seine Hilfe ebenfalls nötig. Auf der Basis müßte sich verhandeln lassen.«
Quantrill schüttelte entschieden den Kopf. »Ihr habt uns nicht genug zu bieten, um zu verhandeln.«
»Wir haben den Arzt«, beharrte Hickok.
»Und wir haben die hier.«
Wieder gab der Guerilla-Captain den hinter ihm versteckten Männern ein Zeichen, und sie führten zwei gefesselte Gefangene auf den freien Platz vor dem Haus. Beide waren übel zugerichtet und bluteten aus mehreren Wunden, Einer der Männer war jung, großgewachsen und schlank, der andere alt, klein und grauhaarig.
»Ellery und Lawrence«, flüsterte Byron Cordwainer.
»Wer ist das?« erkundigte sich Hickok.
»Mein Bruder Ellery und mein Schwiegervater Armstrong Lawrence.«