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»Ihr habt von jetzt an noch genau fünf Minuten, um das Haus zu räumen. Wenn das nicht geschieht, lasse ich einen der Männer hier töten. Vielleicht den Bankier, dessen Tresor jetzt leer ist. Vielleicht Ihren Bruder, Major. Vielleicht aber auch den Burschen hier, in dem eh nicht mehr viel Leben steckt.« Quantrill sah kurz auf Codys reglosen Körper. »Die Reihenfolge werde ich mir noch überlegen. Danach wird alle fünf Minuten einer der Männer sterben, bis das Haus leer ist. Das ist kein Scherz!«
Er klappte den Deckel der Uhr wieder zu, verstaute das goldene Kleinod in seiner Westentasche, wendete sein Pferd und ritt gemächlich in die schmale Gasse hinein, die direkt auf den Platz vor dem Cordwainer-Haus mündete. Der Flaggenreiter, Jasper mit dem Braunen und Cody sowie die Männer mit den Gefangenen folgten ihm.
Hickok und Byron Cordwainer gingen wieder in Deckung.
»Sie kennen Quantrill«, sagte der Major zu dem Kundschafter. »Was halten Sie von seinem Ultimatum?«
Hickoks Gesicht war ernst. »Er hat bestimmt nicht geblufft. Quantrill ist so gnadenlos wie eine Klapperschlange. Und genauso gefährlich.«
Averill Cordwainer sah seinen Sohn flehend an. »Byron, du mußt auf seine Bedingungen eingehen! Sonst tötet er Ellery!« »Was für Bedingungen?« fragte der Major. »Quantrill verlangt von uns die bedingungslose Kapitulation. Darauf lasse ich mich nicht ein, niemals! Es muß einen Weg geben, den verfluchten Buschräubern zu entkommen. Vielleicht, wenn es dunkel ist.«
»Du willst Ellery sterben lassen?« fragte der alte Cordwainer entsetzt.
»Und Ihren Schwiegervater?« fügte Hickok hinzu. »Und Cody, der sein Leben für uns alle aufs Spiel gesetzt hat?«
Byron Cordwainers Züge verhärteten sich. »Es muß sein! Andernfalls sterben wir alle!«
»Das ist nicht unbedingt gesagt«, widersprach Hickok. »Zwar ist Quantrill grundsätzlich nicht zu trauen. Aber er hat seine Launen im Schlechten wie im Guten. Wenn wir Glück haben, fühlt er sich an sein Versprechen gebunden und verschont uns - und die Frauen.«
»Und wenn wir Pech haben?« fragte Byron Cordwainer skeptisch.
»Dann sterben wir«, antwortete der Scout in einem Tonfall, als habe er nur verkündet, draußen zögen Wolken auf.
»Nein!« stieß der Mann in der Offiziersuniform zwischen seinen zusammengepreßten Zähnen hervor. »Niemals!« Er griff nach seinem Karabiner und wollte ihn auf dem Fensterbrett in Anschlag bringen.
Hickok riß ihn zurück. »Was haben Sie vor, Mann?«
In Byron Cordwainers tiefliegenden Augen flackerte wilde Entschlossenheit auf, die an Wahnsinn grenzte. »Quantrill die einzige Antwort geben, die ihm gebührt!«
»Das werden Sie nicht tun!« sagte der Kundschafter.
»Doch, das werde ich!« Blitzschnell riß der Major den Karabiner hoch und richtete ihn auf Hickok. »Und Sie werden mich nicht daran hindern!«
Ein Schuß krachte. Die Detonation hallte laut im Zimmer wider.
Byron Cordwainer schrie auf und sah erschrocken auf seine blutende Rechte.
Hickok war mit einem Sprung bei ihm, riß ihm die Waffe aus der Hand und sah zu Martin hinüber, der seinen rauchenden Revolver in der Linken hielt und ihn auf den rechten Unterarm gestützt hatte. »Danke, Freund. Sie sind ein verflucht guter Schütze.«
Der Deutsche grinste ein wenig verlegen. »Aber nur bei einem unter hundert Schüssen.«
»Hauptsache, es ist der richtige Schuß«, meinte der Scout und sah auf Cordwainers blutende Hand, die von Martins Kugel gestreift worden war.
»Also gut!« erscholl von draußen die Stimme des Guerillaführers. »Wenn ihr den Kampf wollt, könnt ihr ihn haben. Als erstes wird der verletzte Junge dran glauben, dann ist er wenigstens von seinen Schmerzen erlöst.«
Hickok warf den Karabiner des Majors zu Martin hinüber, stand auf und zeigte sich mit erhobenen Händen am Fenster. »Warten Sie, Quantrill. Das war ein Mißverständnis. Wir ergeben uns und verlassen uns darauf, daß Sie Ihr Wort halten.«
»Ein Mißverständnis?«
»Ja, eine Meinungsverschiedenheit.«
»Zwischen wem?«
»Zwischen mir und dem Major.«
»Dann ist der Major jetzt tot, nehme ich an?«
»Nein, seine Hand blutet nur ein wenig.«
Sie hörten Quantrills schallendes Lachen. Dann rief der neue Herr von Blue Springs: »Verlaßt das Haus einzeln, nacheinander, mit erhobenen Händen!«
*
Sobald die Verteidiger das Cordwainer-Haus verließen, wurden sie von Quantrills bewaffneter Schar in Empfang genommen und nach verborgenen Waffen durchsucht. Dabei sprangen die Guerillas nicht gerade sanft mit ihren Gefangenen um.
Martin mußte ein paar harte Schläge und Tritte einstecken, als die Guerillas den Deutschen erkannten, der ihnen mit seinem Freund bei ihrem Attentat auf Abraham Lincoln in die Quere gekommen war. Auf Martins Verletzung nahmen sie keine Rücksicht.
»Genug jetzt«, befahl Quantrill, als ihn das rüde Spiel, das seine Männer mit dem Deutschen trieben, langweilte. »Bringt ihn zu seinem Freund, damit sie gegenseitig ihre Wunden lecken können.
»Was habt ihr mit Jacob angestellt?« fragte Martin, aber er erhielt keine Antwort.
»Die Frauen sind noch oben«, sagte Hickok, der das Haus als erster verlassen hatte, zu Quantrill.
»Warum kommen sie nicht raus?«
»Weil zwei kleine Kinder bei ihnen sind. Eins ist gerade erst geboren worden.«
»Wer ist die Mutter?« fragte Custis Hunter, der sich mit Melvin nach vorn gedrängt hatte.
»Major Cordwainers Frau.«
Custis' Gesicht verdüsterte sich bei dieser Nachricht.
»Also gut«, meinte Quantrill. »Die Frauen können einstweilen im Haus bleiben.«
»Garantieren Sie für Ihre Unversehrtheit?« fragte Hickok.
Der Guerillaführer blickte ihn mit einer Spur von Befremden an. »Das habe ich doch schon gesagt!«
Als Hickok Doc Hatfield aus dem Haus treten sah, bat er: »Darf der Arzt sich um Cody kümmern?«
Quantrill grinste. »Er darf sich um alle kümmern - sobald meine Männer versorgt sind.«
»Aber dann kann es für Cody zu spät sein!«
Der uniformierte Reiter zuckte mit den Achseln. »Was geht das mich an?«