158060.fb2 Der Eine-Million-Dollar-Zug - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 16

Der Eine-Million-Dollar-Zug - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 16

Andersons Füße lagen auf einem kleinen Glastisch, und die großen Sternsporen an seinen schmutzverkrusteten Stiefeln zerkratzten die empfindliche Platte; jedesmal, wenn er die Füße bewegte, ratschten die Sporenspitzen mit einem häßlichen Kreischen über das Kristallglas. Aus dem Bartgestrüpp um seinen Mund lugte der qualmende Stummel einer teuren Henry-Clay-Zigarre hervor, schon so weit niedergebrannt, daß der wuchernde Bart jeden Augenblick Feuer zu fangen drohte. In einer Hand hielt er lässig eine Whiskeyflasche, die er hin und wieder zum Mund führte, ohne den Zigarrenstummel herauszunehmen.

Neben ihm saß George Todd mit lang unter den Glastisch gestreckten Beinen und geschlossenen Augen und zog genüßlich an einer Henry Clay. Vor ihm auf dem Tisch standen eine halbleere Bourbonflasche, mehrere Gläser und eine offene, elfenbeinbeschlagene Kiste mit den 35-Cent-Zigarren.

Quantrill war der einzige Mann in dem Salon, der keinen entspannten Eindruck machte. Er saß mit konzentriertem Gesichtsausdruck etwas abseits in einem Ohrensessel und hatte eine Kladde auf den Knien liegen, in die er ab und zu etwas mit einem Kohlestift eintrug.

Als Clement und Custis eintraten, schaute er gerade auf und sagte zu Anderson: »Du solltest den Whiskey nicht in dich reinschütten, als sei es Wasser, Bill. Für das, was noch vor uns liegt, brauchen wir klare Köpfe.«

Bloody Bill spuckte den noch brennenden Rest seiner Zigarre im hohen Bogen durch den halben Raum. »Mach dir um mich keine Sorgen, Captain. Eine Flasche haut Bill Anderson nicht um. Ich habe den ganzen Tag gekämpft und bin durch den Kugelhagel dieser verdammten Jayhawkers geritten. Jetzt will ich auch etwas von unserem Sieg haben. Schlimm genug, daß wir uns nicht so austoben können wie sonst.«

»Wenn die Stadt aussieht wie ein Schlachtfeld, können wir unseren Plan vergessen«, erwiderte Quantrill. »Wenn wir hier alles erledigt haben, könnt ihr mit Blue Springs machen, was ihr wollt. Aber nicht eher!«

»Was für ein Plan?« fragte Custis, der schräg hinter Quantrills Sessel stand.

Der Captain beugte sich vor und drehte sein täuschend unschuldiges Gesicht zu ihm herum. Seine blauen Augen leuchteten auf. »Ah, Custis. Schön, daß du kommst, um den Sieg mit uns zu feiern.«

Als Arch Clement gehen wollte, sagte Quantrill: »Bleib ruhig hier, Archie. Unser spendabler Bankier hat genug Vorräte für uns alle gehortet.« Er zeigte auf den Tisch: »Bedien dich! Das gilt auch für dich, Hunter.«

Clement fingerte eine Zigarre aus der Kiste, biß die Spitze ab und spuckte sie in eine Ecke, entflammte ein Zündholz an einem Bücherregal und schmauchte dann genüßlich die Henry Clay.

Aber Custis bediente sich weder bei den Zigarren noch beim Whiskey. Er wollte sich einen kühlen Kopf bewahren, sich durch nichts ablenken lassen.

»Ich möchte mit Ihnen übers Geschäft sprechen, Captain«, machte Custis unmißverständlich seinen Standpunkt klar und trat um Quantrills Sessel herum.

Der Guerillaführer legte die Stirn in Falten. »Über das Geschäft? Wir sind keine Kaufleute, Hunter, wir sind Soldaten. Soldaten, die heute einen großen Sieg errungen haben, an dem du nicht ganz unbeteiligt bist. Darauf solltest du stolz sein, Junge.« Junge! Der Ausdruck hallte lange in Custis nach. Quantrill mochte Mitte Zwanzig sein, vielleicht ein oder zwei Jahre älter. Jedenfalls kaum älter als Custis, den er herablassend als »Junge« bezeichnete.

»Ich möchte wissen, weshalb wir in Blue Springs sind«, beharrte der Sohn des ermordeten Plantagenbesitzers.

»Um es diesen verfluchten Jayhawkers zu zeigen!« dröhnte Anderson über den Tisch und nahm seine Stiefel mit einem langgezogenen, gänsehauterzeugenden Kreischen von der Glasplatte. »Und das haben wir, wenn ich mich in der Stadt so umsehe.«

»Aber das ist doch nicht alles«, meinte Custis, den Blick auf Quantrill gerichtet. »Sie haben doch noch mehr vor, Captain. Sie sprachen eben von einem Plan.«

»Das stimmt«, antwortete Quantrill mit einem verschwörerischen Grinsen, beugte sich erneut vor und füllte ein Glas bis zur Hälfte mit dem edlen Kentucky-Bourbon aus Armstrong Lawrences Beständen. Nachdem er einen Schluck genommen hatte, fuhr er fort: »Die Eroberung von Blue Springs ist nicht das Ziel unseres Raids gewesen, sondern nur eine Etappe. Der wichtigste Schlag erfolgt morgen mittag, wenn der erste reguläre Zug auf der neuen Bahnstrecke nach Kansas City hier eintrifft. Wir werden brave Bürger spielen und den Zug mit Beifall willkommen heißen. Aber sobald er im Bahnhof ist und die Räder stillstehen, schlagen wir zu!«

»Ein Zugüberfall also«, murmelte Custis versonnen und sah dann wieder den Guerillaführer an. »Aber wieso dieser Umstand mit dem Bahnhof und dem Überfall auf Blue Springs. Wir hätten den Zug auch auf freier Strecke anhalten und ausnehmen können.«

»Das wäre eine ziemlich blutige Angelegenheit geworden«, entgegnete Quantrill kopfschüttelnd. »Verlustreicher noch als unser Angriff auf die Stadt, wenn ich mir den auch leichter vorgestellt hatte. Der Zug wird nämlich von einer starken Armeeabteilung begleitet werden, um die wertvolle Fracht zu bewachen. Auf freier Strecke hätten uns die Blaujacken unter mörderisches Feuer genommen. Aber hier im Bahnhof werden sie sich sicher wähnen. Wir dringen einfach in den Zug ein und überrumpeln sie.«

»Ich verstehe«, sagte Custis und nickte leicht. »Was hat der Zug so Wertvolles geladen?«

Quantrill bereitete es Vergnügen, ihn auf die Folter zu spannen. Genüßlich schluckte er den Rest der rotbraunen Flüssigkeit aus seinem Glas hinunter, bevor er antwortete: »Unsere Brigade und andere Einheiten haben in den vergangenen Monaten mit solchem Erfolg im Grenzgebiet zwischen Kansas und Missouri operiert und den Nachschub der Blaujacken gestört, daß die Soldaten in Kansas City schon ein halbes Jahr ohne Sold sind. Sie stehen kurz vor einer Massenmeuterei, haben mir meine Späher berichtet. Die Yankees denken, den ausstehenden Sold mit der neuen Eisenbahn sicher durchbringen zu können. Meine Gewährsleute sagen, das Geld kommt morgen mit dem ersten regulären Zug.«

»Warum nicht mit einem Sonderzug der Armee?« fragte Custis.

»Weil das zu auffällig wäre.«

»Wie groß ist der Betrag, über den wir sprechen?«

Quantrill sprach langsam, jede Silbe betonend: »Eine Million Dollar in gutem Yankee-Geld.«

Als Little Archie das hörte, wäre ihm fast die Zigarre aus dem Mund gefallen.

Custis sah nacheinander forschend in die Gesichter von Todd, Anderson und Quantrill, weil er argwöhnte, gerade das Opfer eines üblen Scherzes zu werden. Aber er las in den Mienen keinen verborgenen Spott, keine mühsam zurückgehaltene Schadenfreude.

»Eine Million«, wiederholte er gleichwohl fassungslos. »Das ist unglaublich!«

»Nein«, widersprach der Captain. »Das ist der ausstehende Sold für Kansas City und die kleineren Stützpunkte in der Umgegend. In einem halben Jahr hat sich einiges angesammelt. Der arme General Ewing ahnt noch nicht, daß seine Soldaten ihr Geld niemals sehen werden. Dafür wird es unserer Kriegskasse zugute kommen. Mit dem Betrag können wir eine ganze Armee ausrüsten!«

Als Custis von Quantrill aufgefordert wurde, auf den bevorstehenden Coup ein Glas zu trinken, kam er dem nach. Er wollte Solidarität mit den Guerillas demonstrieren und nicht unnötig ihr Mißtrauen wecken.

Sobald er den Bourbon hinuntergespült hatte, verließ er das Haus des Bankiers, um Melvin mitzuteilen, worum es Quantrill in Blue Springs wirklich ging. Der Schwarze war erst genauso überrascht wie Custis.

»Eine Million Dollar«, flüsterte Melvin ergriffen, als er neben Custis zum Cordwainer-Haus zurückging. »Gibt es überhaupt soviel Geld?«

*

Um das Cordwainer-Haus herum war es ruhiger als auf dem Anwesen des Bankiers. Auch hier standen Wachtposten, um auf die Gefangenen zu achten, aber nicht in so großer Zahl wie vor Quantrills Hauptquartier. Und in dem Haus ging es ruhiger zu als in dem von Armstrong Lawrence. Die Frauen, die im Cordwainer-Haus geblieben waren, verhielten sich leise und unauffällig wie alle Bürger, die sich in ihren Häusern aufhielten. Nur nicht auffallen und Quantrills Unmut erregen, lautete die Devise.

Ein Guerilla stand vor dem Haupteingang des Herrenhauses, ein zweiter vor dem Hintereingang, ein dritter vor den Stallungen mit den Gefangenen. Zwei weitere Bushwackers patrouillierten ständig über das Anwesen.

Custis und Melvin hielten auf den Haupteingang zu und riefen dem Wächter, der seinen Karabiner hob, schon von weitem zu, er solle nicht auf sie schießen.

Grinsend ließ der bärtige, untersetzte Mann seine Waffe sinken, als er die beiden anderen erkannte, und meinte: »Ich schieße doch nicht auf unsere eigenen Männer!«

»Das ist nett von dir, Kamerad«, sagte Custis, als er und Melvin den Wächter erreicht hatten.

Noch während Custis sprach, streckte Melvin blitzschnell seine großen Hände aus und legte sie schraubstockartig um den Hals des Freischärlers. Der wollte einen Schrei ausstoßen, brachte aber nur ein ersticktes Gurgeln hervor.

Custis entriß ihm den Karabiner und schlug ihm den Kolben über den Schädel. Besinnungslos sackte der Südstaatler zu Boden.

Gerade noch rechtzeitig, denn in diesem Augenblick bogen die beiden Männer, die über das Cordwainer-Anwesen Streife liefen, um die Ecke. Custis und Melvin schlenderten ihnen entgegen und hielten sich so, daß die Guerillas ihren bewußtlosen Gefährten nicht sehen konnten. Der Weiße trug dessen Karabiner am langen Arm und lächelte den beiden Quantrill-Männern freundlich zu.

Als nur noch fünf Schritte zwischen beiden Gruppen lagen, riß er die Waffe hoch, schlug sie auf die Streife an und zischte: »Wer von euch schreit oder zur Waffe greift, wird umgelegt!«

Melvin war mit zwei langen Sätzen hinter die beiden gesprungen, hatte seinen Revolver aus dem Holster gerissen und zog ihn über die Hinterköpfe der Männer, die auf diese Weise ihrem Kameraden vor dem Haupteingang ins Reich der Träume folgten.

Custis und Melvin nahmen sich den Wachtposten vor dem Hintereingang und den vor den Stallungen auf ähnliche Art vor. Dann schoben sie den schweren Riegel zurück, der vor dem Tor lag, durch das man den Stall mit den Gefangenen betrat.

Letztere wunderten sich nicht wenig über den Besuch. Jim Hickok erholte sich als erster von der Überraschung und erkundigte sich nach seinem Freund Cody.

»Der Doc hat sich um ihn gekümmert«, berichtete Custis. »Er hat die Kugel aus der Schulter des Jungen erholt. Er muß noch eine ganze Weile liegen, kommt aber wieder auf die Beine, wenn keine Komplikationen eintreten. So hat es Hatfield gesagt.«

Hickok stieß erleichtert die Luft aus. »Dem Herrn sei Dank. Wills Mutter hätte mich umgebracht, wenn er nicht zurückgekehrt wäre.« Sein Raubvogelgesicht verdüsterte sich. »Aber noch ist nicht gesagt, daß er nach Hause zurückkehrt. Quantrill läßt selten Gefangene zurück - jedenfalls keine lebenden.«

»Sie sollten nicht so schwarz sehen«, meinte Custis.

»Immerhin sind wir gekommen, um Sie zu befreien.«

Die Augen der Gefangenen leuchteten auf.