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Die anderen sahen den Scout fragend an.
»Schießpulver und Munition«, erklärte Hickok. »Aus dem Depot von Liberty.«
Der Major wiederholte Hickoks Befehl, brüllte ihn den Männern zu, die ihn zu ihren Kameraden weitertrugen.
Die Fahrer auf den Böcken trieben die Zugpferde mit lauten Schreien und Peitschenhieben an, ließen die Gespanne mit immer größerer Geschwindigkeit auf die Stadt zurasen.
Die Entfernung zu den Wagen betrug nur noch hundert Yards, als Hickok den Feuerbefehl gab.
Die Kugeln ließen rings um die Wagen den Boden aufspritzen. Die Gespanne fuhren so schnell, daß viele Schüsse zu weit hinten angesetzt waren.
Jacob hatte auf eins der vorderen Zugtiere des Gespanns gezielt, das eine halbe Wagenlänge vor dem anderen fuhr. Sein ihm fast unheimliches Talent für Schußwaffen bestätigte sich auch diesmal. Das Pferd wieherte laut und wäre gestürzt, wäre es nicht angeschirrt gewesen. Aber die drei anderen Pferde rissen es weiter mit sich.
Als das hinter dem getroffenen Pferd laufende Tier ebenfalls von einer Kugel erwischt wurde, brach das Gespann nach rechts aus und bot den Verteidigern seine Breitseite dar. Hastig lud Hickok, der für den zweiten Treffer verantwortlich war, den Robinson-Karabiner nach, zielte genau auf eins der Pulverfässer und zog ruhig den Abzug durch.
Der Wagen explodierte wie zuvor der im Guerilla-Lager. Der Flammenhauch war so gewaltig, das er sogar die Männer hinter den Barrikaden streifte und ihnen für Sekunden die Luft zum Atmen raubte. Auch einzelne, zum Teil brennende Trümmerstücke regneten auf die Stellungen der Verteidiger herab. Der vom Bock geschleuderte Fahrer wurde regelrecht in der Luft zerfetzt. Über den Resten des Wagens stieg ein großer Pilz aus schwarzem Rauch in den Himmel.
Die Männer hinter den Barrikaden konnten sich nicht lange über diesen Erfolg freuen.
Obwohl zwei seiner Zugtiere getroffen wurden, hatte es der Fahrer des zweiten Wagens geschafft, sein Gespann bis kurz vor die Stellung der Verteidiger zu lenken. Jetzt stieß er sich vom Bock ab, landete auf dem Boden, rappelte sich auf und lief davon, um Deckung vor der bevorstehenden Explosion zu finden.
Cordwainer legte seinen Colt an und schoß die Trommel leer. Seine Kugeln trafen beide bislang unverletzten Zugpferde. Das brennende Gefährt geriet ins Schlingen und stürzte schließlich um. Aber es war zu spät. Sein Ladung schlitterte mitten in die Barrikaden und flog dort in die Luft.
Der Lärm der explodierenden Pulverfässer und Munitionskisten übertönte die Detonationen vom Westende der Stadt, wo es ebenfalls ein Wagen geschafft hatte, die Barrikaden zu erreichen.
Um Jacob, Hickok und Cordwainer herum brach die Hölle aus. Verwundete und verstümmelte Menschen schrien, rannten ziellos umher.
Jacob spürte einen sengenden Schmerz an seiner linken Wange. Eine der Kugeln aus den unter lautem Geknatter explodierenden Munitionskisten hatte einen großen Fetzen Haut aus seinem Gesicht gerissen. Einen Zoll weiter nach rechts, und die Kugel hätte mitten in sein Gesicht getroffen.
Als er einen der Fuhrkutscher erblickte, der die Reisenden von der PRIDE OF MISSOURI nach Blue Springs gebracht hatte, vergaß er seine Verletzung. Der Mann lief schreiend die Main Street hinab, lichterloh brennend, wie eine lebendige Fackel.
Jacob ließ den Karabiner fallen, sprang auf, rannte ihm nach und rief immer wieder, der Mann solle sich hinwerfen. Aber der in Flammen stehende Fuhrmann hörte nicht auf ihn. Ihn regierten nur noch die Panik und der Schmerz.
Der Deutsche holte das Letzte aus sich heraus und erreichte den brennenden Mann, dessen Kräfte schwanden und der ins Torkeln geriet. Jacob warf sich auf ihn und riß ihn mit sich zu Boden, wo er den schreienden Kutscher hin und her wälzte, um die Flammen zu ersticken.
Als die letzte Flamme erloschen war, lag der grausam entstellte Mann reglos unter Jacob. So sehr dich der Deutsche auch bemühte, er konnte bei ihm kein Lebenszeichen mehr feststellen. Beim Anblick der starken Verbrennungen durchzuckte Jacob der Gedanke, daß es so für den Mann vielleicht sogar besser war.
Kaum war der Explosionslärm verklungen, den die tödliche Fracht des brennenden Wagens ausgelöst hatte, da hörte Jacob neue Detonationen von den Barrikaden: Schüsse. Vermischt mit Schreien und Hufgetrappel.
Er sah auf. Quantrills Männer galoppierten durch die Lücke, die in die Barrikaden gerissen worden war, und schossen auf alles, was sich bewegte.
Einer trieb sein Tier direkt auf Jacob zu.
*
»Was. ist. das?« fragte Virginia gequält, als draußen an den Rändern der Stadt die Wagen explodierten.
»Kümmern Sie sich nicht darum«, riet ihr der Arzt, als er das desinfizierte Skalpell an ihren Bauch führte. »Denken Sie nur an das Kind!«
Konzentriert setzte Hatfield das Messer an, um die natürliche Öffnung zu erweitern. Das Kind lag quer, was bei hundert Geburten einmal vorkam.
Obwohl es nicht das erstemal war, daß er ein Kind auf diese Weise zur Welt brachte, stand ihm der Schweiß auf der Stirn. Es war gefährlich, und doch mußte er sich beeilen. Die Wehen brachten die geschwächte Frau fast um.
Gerade wollte er zum Schnitt ansetzen, als die Tür aufgestoßen wurde. Aus den Augenwinkeln nahm er einen Mann mit einem Revolver wahr.
Es war Martin, der in der linken Hand einen 44er De-Brame-Revolver hielt, den er sich von Avery Cordwainer geholt hatte, um bei der Verteidigung des Hauses zu helfen, falls es nötig sein sollte.
Der Hausherr, seine Frau und sein schwarzer Butler kamen hinter dem Deutschen die Treppe herauf, um hier im Obergeschoß in Stellung zu gehen. Unten war alles verbarrikadiert. Bis auf den Butler und Beth hatten alle Bediensteten das Haus verlassen; die Männer kämpften draußen an den Barrikaden, und die Frauen waren daheim bei ihren Familien, um zu beten.
»Was wollen Sie?« herrschte Hatfield den Störenfried an.
»Ihnen sagen, daß Sie sich beeilen sollen. Es sieht ganz so aus, als ließen sich Quantrills Männer nicht mehr lange zurückhalten. Ich glaube, sie haben die äußeren Barrikaden bereits durchbrochen.«
»Beeilen?« fragte der Arzt ungläubig. »Was, glauben Sie, tun wir hier? Einen Kuchen backen?«
»Ich. ich wollte nicht stören«, stammelte Martin verlegen.
»Das tun Sie aber«, erwiderte der Arzt. »Sehen Sie zu, daß Sie uns Quantrills Banditen vom Leib halten! Wir kümmern uns um Virginia!«
»Ja«, sagte Martin nur, ging hinaus und schloß die Tür, durch die gerade die Cordwainers neugierige Blicke werfen wollten.
Hatfield wischte mit einem Taschentuch den Schweiß aus seinem Gesicht. Dann beugte er sich wieder über die Schwangere und begann mit der Operation.
*
Für einen Augenblick war Jacob wie gelähmt. Er stand neben der von Brandwunden entstellten Leiche des Fuhrkutschers auf der Main Street und starrte den Reiter an, der auf ihn zujagte und ihn offenbar über den Haufen reiten wollte.
Der Freischärler war jung, ein paar Jahre jünger noch als der Auswanderer. Noch keiner von ihnen hatte richtig gelebt. Und doch sollte einer das Leben des anderen auslöschen, weil irgendwelche Politiker entschieden hatten, daß ihr Konflikt nur durch einen Krieg zu bereinigen war.
Als Jacob in dem jugendlich glatten Gesicht des Guerillas die grimmige Entschlossenheit las, sein Leben auszulöschen, fiel die Lähmung von ihm ab. Er zerrte den 44er aus dem Holster und wollte auf den anderen anlegen. Aber der war bereits zu nah. Jacob konnte sich nur noch mit einem Sprung hinter die nächste Hausecke vor den Hufen des Rappen in Sicherheit bringen.
Jacob erhob sich hinter dem Haus auf die Knie und spähte um die Ecke, den Revolver noch immer in der Rechten. Er sah, daß der Rebell sein Pferd gezügelt und herumgerissen hatte. Er hielt jetzt einen Revolver in der Hand und gab einen Schuß auf das Versteck des Deutschen ab. Zwei Handbreit über Jacobs Kopf fuhr das Geschoß splitternd in das Holz der Hauswand.
Jacob erwiderte das Feuer und jagte zwei Schüsse aus dem Dean-Harding-Revolver. Sie trafen den Reiter in die Brust und rissen ihn vom Pferd.
Er schlug auf dem schlammigen Boden der Main Street auf und rührte sich nicht mehr.
Der Deutsche wirbelte herum, als er dicht hinter sich Schüsse hörte. Keine zehn Yards von ihm entfernt sackte ein Mann zu Boden, der noch den Karabiner in den Händen hielt, mit dem er auf den Auswanderer gezielt hatte. Hinter ihm stand ein weiterer Mann, groß, mit einer roten Schärpe um den Leib, einen rauchenden Colt in der Rechten.
»Sie haben Glück gehabt, daß ich den Kerl gesehen habe«, sagte James Butler Hickok.
»Leider habe ich hinten keine Augen«, meinte Jacob.
»Das ist ein Manko in diesem Land.«
Hickok warf einen kurzen Blick zu den Barrikaden am Ortseingang. Das Abwehrfeuer der Verteidiger war fast erstorben. Wer nicht ein Opfer der Explosion oder der angreifenden Bushwackers geworden war, hatte die Beine in die Hand genommen und sich in den inneren Verteidigungskreis zurückgezogen. Byron Cordwainer, der zu den Überlebenden gehörte, hatte Vorsorge getroffen und Fuhrwerke bereitstellen lassen, die jetzt auf die Straßen gezogen wurden, um sie gegen die angreifenden Reiter zu versperren.