158062.fb2 Der Fluch von Starcrest - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 3

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Aber weshalb sollten sie Schwarze töten, für deren Rechte sie angeblich eintraten?

Angeblich deshalb, weil sie dieses Ziel oft genug nur als Legitimation für Raubzüge mißbrauchten. Oder für persönliche Rachezüge, wie es Byron Cordwainer an diesem Morgen getan hatte.

»Als die Jayhawkers in die Sklavensiedlung ritten und unsere Hütten in Brand steckten, lief Lisa ihnen entgegen und schrie, sie sollten aufhören. Die Jayhawkers haben sie einfach über den Haufen geritten. Sie ist tot. Sie und ...«

Melvin brach mitten im Satz ab. Aus seinen Augen flossen keine Tränen, aber sein Schweigen bedeutete dasselbe.

Er mußte nicht weitersprechen. Custis wußte auch so, was er hatte sagen wollen. Lisa war schwanger gewesen. Mit seiner Frau hatte Melvin auch sein Kind verloren.

Custis dachte an Virginia und fragte Melvin nach seiner Geliebten.

»Die Jayhawkers haben sie mitgenommen.«

»Hat sie sich gewehrt?«

»Es sah aus, als wäre sie bewußtlos.«

Angst stieg in Custis auf.

»War sie etwa verletzt?«

»Das weiß ich nicht«, antwortete der schwarze Hüne.

Allmählich brannten die Feuer nieder. Die Nahrung ging ihnen aus. Starcrest, die stolze Plantage am Missouri, war nicht mehr.

»Wenn die Flammen verloschen sind, können wir sehen, was noch übrig ist«, sagte Melvin mit einem plötzlichen Anflug von Optimismus.

Custis sah ihn fragend an. »Wozu?«

»Um Starcrest wieder aufzubauen.«

Der Weiße schüttelte den Kopf und murmelte: »Starcrest wird nie wieder erstehen. Vielleicht war es ein Zeichen.«

»Ein Zeichen?«

»Vielleicht sind die Jayhawkers gemeine Mörder, die gleichwohl für die gerechte Sache streiten.«

»Das müßte ich wohl eher sagen, Master Custis.«

Melvin hatte recht. In einer anderen Situation hätte Custis jetzt laut gelacht.

Aber es war auch eine seltsame Situation, in der sich die Vereinigten Staaten zur Zeit befanden. Obwohl der Staat Missouri zur Union gehörte, war hier die Sklavenhaltung weiterhin erlaubt. Präsident Lincoln hatte die Sklaverei nur in den Südstaaten für abgeschafft erklärt, um die Sklavenstaaten der Union nicht zu verprellen. Jetzt, im Krieg, konnte er sich das nicht leisten.

Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis die Sklaverei überall in den Vereinigten Staaten verboten sein würde. Das wurde Custis auf einmal klar, als er die Plantage in Flammen aufgehen sah. Wozu etwas wieder aufbauen was sich selbst überlebt hatte?

»Starcrest ist nicht mehr«, sagte der Weiße bitter. »Mit dem heutigen Tag sind alle Schwarzen, die meinem Vater gehörten, freie Menschen.« Er sah Melvin an. »Das gilt auch für dich.«

»Dann möchte ich bei Ihnen bleiben, Master Custis.«

»Warum?«

»Um Jagd zu machen auf Cordwainer und seine Jayhawkers.«

»Liest du etwa meine Gedanken?« »In unserer Lage kann es keinen anderen Gedanken geben.«

Custis wollte Melvin sagen, daß er recht hatte. Aber die Schmerzen in seiner Brust wurden unerträglich und rissen ihn in ein finsteres Loch, das nur ein Gutes an sich hatte: Es brachte Vergessen mit sich.

*

Über ein halbes Jahr später, Ende Juni 1863.

Die großen Flüsse brachten ihnen kein Glück. Dieser Gedanke bewegte Jacob Adler, während er und seine Freunde in dem unbequemen, mit einer löchrigen Plane bespannten Kastenwagen durch das vom Dauerregen aufgeweichte Land geschaukelt wurden.

Zwischen ihm und seinem Freund Martin Bauer saß Irene Sommer und hielt ihren kleinen Sohn Jamie an ihre runde Brust. Der Säugling hatte Hunger und scherte sich nicht darum, daß er und seine Mutter keinen eigenen, abgetrennten Raum zu Verfügung hatten.

Auf der PRIDE OF MISSOURI hätten sie diesen Raum gehabt. So hieß der Heckschaufelraddampfer, mit dem die deutschen Auswanderer von St. Louis aus den Missouri heraufgefahren waren, um in Kansas City Anschluß an einen Oregon-Treck zu bekommen.

Seit einer geschlagenen Woche regnete es unaufhörlich. Die PRIDE OF MISSOURI hatte ihre Bestes gegeben, um gegen den aufgewühlten Strom anzukämpfen. Das Schiff hatte sich gegen die immer stärker werdende Strömung gestemmt und sich dreimal unter Mühen von Sandbänken gelöst, die sich erst seit kurzem an ihrem Platz befanden. Aber als ein riesiger Felsbrocken, der wohl durch abgetragenes Land gelöst worden und schließlich in den Fluß gerollt war, dem Schiff den halben Rumpf aufschlitzte, gab der entnervte Kapitän auf. Immerhin besaß die Reederei den Anstand, allen Passagieren eine Wagenfahrt nach Blue Springs und von dort aus die Zugfahrt nach Kansas City zu bezahlen.

Nein, die Flüsse brachten den deutschen Auswanderern wirklich kein Glück. Erst die Entführung des Flußdampfers ONTARIO auf dem Ohio, dann der Anschlag von Quantrills Südstaaten-Guerillas auf das Kanonenboot USS RA VAGER, und schließlich das verhängnisvolle Wettrennen zwischen den beiden großen Mississippi-Steamern QUEEN OF NEW ORLEANS und QUEEN OF ST. LOUIS, bei dem die NEW ORLEANS unter tragischen Umständen gesunken war.

Fast war Jacob froh darüber, wieder festes Land unter sich zu haben. Wenn die Schaukelei in dem knarrenden, quietschenden Wagen auch zuweilen schlimmer war als das Schlingern eines Schiffes. Und viel weniger Wasser gab es hier in der weiten Prärie auch nicht.

Pausenlos trommelte der Regen auf die über gebogene Stangen gespannte Plane, und durch unzählige Löcher tröpfelte er ins Innere des zum Menschentransporter umgewandelten Frachtwagens. Mehr als ein Dutzend Menschen drängten sich mit ihrem Gepäck auf der Ladefläche zusammen, und kaum einer konnte von sich sagen, nicht klitschnaß zu sein.

Immer wieder mußten die Passagiere aussteigen, weil der Wagen im Matsch feststeckte und die vier Ochsen im Joch es trotz aller Anfeuerungsrufe und aller Peitschenhiebe des graubärtigen Kutschers nicht schafften, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Dann mußten die Männer anfassen und schieben, während die Frauen vor Nässe bibbernd danebenstanden, falls sie es nicht vorzogen, auch mitanzufassen, wobei sie sich wenigstens etwas aufwärmen konnten.

An die dreißig Wagen zählte der lange Treck, der heute morgen von dem kleinen Ort Wolverton am Missouri aufgebrochen war, um die Passagiere der PRIDE OF MISSOURI zur Bahnstation nach Blue Springs zu bringen.

Jetzt war es bereits Nachmittag, doch das Ziel würde man wohl erst nach Einbruch der Dunkelheit erreichen.

Zur Linken floß der Blue River und überflutete, vom Dauerregen gespeist, seine Ufer. Der Zufluß des Missouri, dessen Quelle in Blue Springs lag, verdankte seinen Namen dem ungewöhnlich blauen Wasser, das gar nicht aussah wie die braune Schlammbrühe des Missouri, der letzterer seinen Spitznamen >Big Muddy< verdankte.

Jedenfalls sollte das Wasser im Blue River normalerweise blau aussehen. Derzeit unterschied es sich kaum von den Fluten des Missouri. Der über die Ufer getretene Fluß hatte soviel Land mit sich gerissen, daß er jetzt besser >Brown River< geheißen hätte.

»Ob wir jemals nach Kansas City kommen?« fragte Irene zweifelnd, als Jamie gesättigt war und sie ihm sanft auf den Rücken klopfte, damit er sein Bäuerchen machen konnte.

Jacob sah sie irritiert an. »Weshalb denn nicht?«

»Weil immer wieder etwas dazwischenkommt. Nur Unglücksfälle und andere Katastrophen bis jetzt, auf der ganzen Strecke.«

Irene schienen ähnliche Gedanken zu beschäftigen wie Jacob.

»Alles hat einmal ein Ende, auch das Unglück«, versuchte Jacob die junge Frau zu beruhigen. »Was soll auch noch geschehen? Sobald wir Blue Springs erreichen, steigen wir in den nächsten Zug nach Kansas City und sind schneller da, als du es dir jetzt träumen läßt.«

Irene lächelte dankbar. »Deine aufmunternden Worte machen mir Mut, Jacob. Gebe Gott, daß sie die Wahrheit treffen.«

»Bestimmt«, brummte Martin mit leicht heiserer Stimme. »Soviel Pech und Aufregungen, wie wir seit unserer Ankunft in New York schon gehabt haben, reichen normalerweise für ein ganzes Leben.«