158063.fb2 Der Gefangene der Aimar?s - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 13

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Zwölftes Kapitel.Naëva

    Alljährlich, sobald die Regenzeit vorüber war, fand in Naëva ein Markt statt, der die Leute von weit her anlockte. Da kamen die Hacienderos von den Flüssen, die Llaneros aus der Steppe, von den Bergen die Ackerbauer und Viehzüchter, die Indianer aus den Anden und der Ebene, um zu kaufen und zu verkaufen, Geschäfte zu besprechen und zu erledigen und Neues aus dem Lande zu erfahren.

    Selbstverständlich fehlten Händler aller Art nicht, die den Landleuten und den Indianern ihre mannigfaltigen Waren anboten, von der Büchse bis zum Kinderspielzeug herab, oder Käufe mit ihnen abschlossen.

    Dieser Zusammenschluß vieler Leute aus der Ferne wie aus der Umgebung nahm daneben den Charakter eines Volksfestes an, dessen Freuden nicht selten außer durch Vergnügungen aller Art auch durch Wettrennen, Preisschießen oder andere Wettkämpfe erhöht wurden.

    Sennor Vivanda, der regelmäßig zu dem Markte in Naëva zu erscheinen pflegte, hatte diesmal darauf verzichtet und für die Geschäfte seinen Administrator und Alonzo mit der Repräsentation der Familie beauftragt. Sennor Vivanda hatte den Jüngling schon wiederholt nach Naëva genommen, um ihn in größerem Kreise bekannt werden zu lassen. Auch hatte der ernste junge Mann durch seine vornehme und doch bescheidene Haltung, seine Meisterschaft in allen körperlichen Übungen sich rasch die aufrichtige Zuneigung aller erworben, mit denen er in Berührung kam. Er galt für einen Anverwandten der Vivandas.

    Der Sennor wollte in diesem Frühjahr wieder einmal mit seinem Liebling die Berge aufsuchen. Der Schreck, den Elvira durch das Auftauchen des Jaguars erlitten, hatte sie mehrere Jahre verhindert, nach den Anden zu gehen, doch diesmal hatte sie selbst den Wunsch danach ausgesprochen. Alonzo hätte sie am liebsten begleitet, doch Sennor Vivanda hatte ihm vorgestellt, daß seine Anwesenheit in Naëva umso wichtiger sei, als der Tag nahe, wo der Kampf um seine ererbten Rechte aufgenommen werden solle, daß hierfür eine Bekanntschaft mit den Bewohnern der Ebene wie mit denen der Berge vorteilhaft sein werde. Daß Alonzo nicht der Mann war, um Freundschaft oder Wohlwollen sich zu erwerben, wußten die Herren Vivanda wohl, aber auch ebensogut, daß seine Persönlichkeit sich leicht die Herzen der Menschen gewann. So sollte Alonzo als Vertreter des Hauses Vivanda auf der Versammlung der einflußreichsten Grundbesitzer des Departementos Cauca erscheinen und sich später nach den Bergen aufmachen, um dort mit Sennor Vivanda und Elvira einige Tage zu verbringen.

    Alonzo hatte seinen väterlichen Freunden Mitteilung von seiner Begegnung mit Eugenio de Valla gemacht, ihnen auch nicht verhehlt, wie sehr der sanfte Forscher sein Herz gewonnen hatte.

    Die beiden Herren waren von diesem Zusammentreffen in hohem Grade betroffen gewesen, doch mit nachdrücklichem Ernst hatte ihm der Sennor erklärt, daß ein Freundschaftsbund mit dem Sohne des Ministers unmöglich sei, die hierfür sprechenden Tatsachen würde er, sobald es Zeit sei, erfahren.

    Alonzo hatte sich zu seinem Leidwesen schon Ähnliches sagen müssen. "Wie traurig," dachte er, "der Naturalista war ein solch herziger kindlicher Bursche."

    Einige Tage nachdem Sennor de Vivanda mit Elvira nach den Bergen aufgebrochen war, machte sich Alonzo in Begleitung des Administrators und gefolgt von einigen Peons der Hacienda auf den Weg nach Naëva.

    Das kleine Städtchen, dessen Behausungen vorwiegend aus Adobeziegeln aufgeführt und mit Stroh gedeckt waren, lag lieblich, in das Grün von Manga, Caibabäumen, Palmen und Bananen eingebettet, am Ufer eines Wasserlaufes. Fernhin erhoben sich im Westen die höher und höher ansteigenden Anden.

    Alonzo fand das Städtchen bereits überfüllt von Fremden. Eine größere Zahl derer, die durch Handelsinteressen hierhergeführt wurden, hatte sich in Wagen und roh hergestellten Zelten und Hütten niedergelassen.

    Für ihn war freilich längst ein Haus gemietet worden.

    Ein buntes Gemisch zeigte sich dem Eintretenden. Die reichen Grundbesitzer der Llanos, die Landleute aus den Bergen, die rauhen Montaneros waren da, Kaufleute vom Meta, vom Orinoko und aus den Städten des Nordens, Pferde- und Rinderhirten in ihrer wilden malerischen Tracht, Indianer aus den Pueblos in den Bergen und von den Flußläufen, die verkaufen und kaufen wollten, Neger und Mulatten, zu allen Diensten brauchbar. Auch Spieler und Raubgesindel hatten sich eingefunden, denen eine besonders für den Jahrmarkt eingerichtete berittene Polizei auf die Finger sah.

    In dem kleinen Städtchen herrschte ein Leben und Treiben, wie es nur ein auf kurze Zeit berechneter Zusammenfluß von Leuten, die besondere Interessen verfolgen, hervorrufen kann. Alonzo wurde bei seinem Einreiten jubelnd von einer Schar junger Leute, Söhne von Hacienderos der Llanos, begrüßt und selbst die graubärtigen Vaqueros schmunzelten, als sie ihn in der ihm eigenen stolzen und noch anmutigen Haltung erblickten; sie hatten ihn alle gern, den mannhaften Jüngling, dessen vornehme Gemessenheit doch nichts Verletzendes an sich hatte.

    "Sei willkommen, Don Alonzo."

    "Gut, daß du da bist."

    Und sie schüttelten ihm die Hand.

    "Wo ist Sennor Vivanda?"

    "Und Donna Elvira?"

    "Weißt du schon, Don Alonzo, daß wir um die Wette reiten wollen? Don Sylvio hat einen silbernen Becher ausgesetzt."

    "Du reitest doch mit?"

    "Die Montaneros, die ja nicht reiten können, wollen ein Schießen veranstalten."

    Also durchkreuzten sich die Fragen, als die jungen Leute Alonzo zu seiner Behausung begleiteten, und waren erst zufrieden, als er Auskunft gegeben und vor allem zugesichert hatte, daß er sich am Wettrennen beteiligen wolle.

    Alonzo war augenscheinlich sehr beliebt unter den Llaneros.

    Vor der überfüllten Posada standen, als Alonzo mit seinen Begleitern vorüberritt, der ehrenwerte Haciendero Molino alias Tejada, der es für seine Zwecke vorteilhaft gefunden hatte, Naëva zur Zeit des Jahrmarkts aufzusuchen, in der Hoffnung, bei einem großen Zusammenstrom von Leuten leichter und unverdächtiger Nachforschungen nach dem jungen Alcantara anstellen zu können.

    Hinter ihnen stand Maxtla, der Indianer, und schaute mit einem Blicke zu Alonzo empor, in dem für einen Augenblick Staunen mit Freude gemischt war, um gleich darauf wieder dem gleichgültigen Ausdruck zu weichen, der dem roten Mann in diesen Landen eigen ist.

    "Wer ist der junge Mann?" fragte Tejada, der sich bei dieser Zusammenkunft von Bewohnern des Landes als Bogotaner ausgegeben hatte, einen neben ihm stehenden Vaquero.

    "Sennorito de Vivanda, Sennor, einer der reichsten Erben des Landes," war die Erwiderung.

    "Gutes Blut darin, man sieht's an Miene und Haltung, ein echter Caballero."

    "Da sagt Ihr wahr."

    Maxtlas dunkle Augen folgten Alonzo, solange seine Gestalt zu erblicken war.

    Als Alonzo am Nachmittage seine Behausung verließ, um einige Besuche bei angesehenen Grundbesitzern zu machen, wie ihm von seinem Pflegevater empfohlen war, vernahm er eine Stimme: "O, Don Alonzo!" und vor ihm stand mit einem von inniger Freude belebten Gesicht Eugenio de Valla. "Welches Glück! Wie freue ich mich, Euch zu sehen -", er gewahrte im ersten Augenblicke gar nicht, daß Alonzos Antlitz trotz des warmen Strahles, der in seinen Augen aufleuchtete, eine fast eisige Haltung annahm.

    Alonzo war bei diesem unerwarteten Wiedersehen bewegter, als er es sich selbst eingestehen mochte, wozu die unverhohlene Freude Don Eugenios nicht wenig beitrug.

    "Auch ich freue mich, Euch wohlbehalten wieder zu sehen, Sennor," erwiderte er mit vollkommener Höflichkeit, doch gemessen.

    "Ich habe immerwährend Eurer gedacht und darauf gesonnen, wie ich Euch etwas Freundliches erweisen könnte -"

    "Ihr legt einem kleinen, ganz selbstverständlichen Dienste zu großes Gewicht bei, Sennor - Ihr seid mir keinen Dank schuldig."

    Jetzt fühlte der so freudig überraschte und erregte Eugenio doch, mit welcher Kälte ihn der Mann begrüßte, dessen er so freundschaftlich gedachte, ja daß er ihm nicht einmal den Vornamen gab, sondern sich auf das formelle Sennor beschränkte.

    Er sah in das ernste unbewegte Gesicht Alonzos und seine Miene wurde traurig.

    Er fand dort nichts von dem Gefühl, das ihn belebte. Das war Eugenio sehr schmerzlich.

    "Ich bin auf dem Wege in die Anden," sagte er dann, "um dort meine Studien fortzusetzen. Sennor Pinola, in dessen Begleitung ich mich befinde, wollte schon heute abend reisen, aber nun möchte ich noch gern länger hier weilen."

    "Ihr werdet hier gewiß manch ungewohnte Erscheinung aus den Llanos wie aus den Bergen erblicken. Ich selbst bin leider während meiner Anwesenheit hier so beschäftigt, daß ich es unmöglich finden werde, Euch etwas von meiner Zeit zu widmen."

    Bei dieser kalten und ganz unverdienten Zurückweisung traten Eugenio fast die Tränen in die Augen, aber er zwang sie zurück und sagte mit unverkennbarem Schmerze: "Das tut mir herzlich leid, Sennor Vivanda. Ich werde Euer Bild im Herzen bewahren und von einem gütigen Geschick erhoffen, daß es mir Gelegenheit gibt, meinen Dank für Eure Hilfe in Todesnot einst abzutragen. Lebt wohl, Sennor."

    Tief gekränkt wandte Eugenio sich ab und verschwand gleich darauf in der Menge.

    Mit einem Blicke, der erkennen ließ, wie teuer der Sohn de Vallas seinem Herzen geworden, und wie schwer es ihm ankam, ihn so scheiden zu lassen, sah ihm Alonzo nach. Aber er war der Sohn des Mannes, von dem er mehr ahnte als wußte, daß er an der grauenvollen Tragödie im Tale der drei Quellen schuldvoll beteiligt war, und er war der Anweisung Sennor Vivandas eingedenk. Nur die eiserne Kraft seines Willens und die Energie, mit der er sich beherrschte, hatte seine kalt abweisende Haltung ermöglicht. Der Tag der Vergeltung nahte und dieser mußte jede Rücksicht weichen.

    Machtvoll schüttelte er die Gedanken, die ihn überkamen, ab und machte seine Besuche. Überall wurde er mit herzlicher Freundlichkeit aufgenommen. Er hörte da von einflußreichen Männern Worte des Unmuts gegen den allmächtigen Minister schleudern, der durch den schwachen Präsidenten mit eiserner Gewalt das Land beherrschte.

    Er hörte da, daß nur die Furcht, von neuem die Furie des Bruderkriegs zu entfesseln, die besten Männer abhielt, die Waffen gegen diese Regierung zu erheben, die die Entwicklung des Landes hemmte und jede freiheitliche Regung unterdrückte. Er hörte auch mit bitteren Worten die dunkle Vergangenheit de Vallas und seine geschickte, aber charakterlose Mantelträgerei den sich bekämpfenden Parteien des Landes gegenüber erwähnen. Doch vernahm er auch, daß de Vallas Regiment, gestützt auf die Unterstützung der Farbigen aller Schattierungen, besonders der Indianer, überaus machtvoll sei, wie daß auch einflußreiche Kreise der weißen Bevölkerung zu ihm hielten.

    Alonzo galt auch in diesen Kreisen für einen nahen Verwandten und mutmaßlichen Erben Sennor Vivandas.

    Mit tiefer Rührung hörte er auch seines Vaters erwähnen, mit der Achtung, die dem Sohnesherzen so wohl tut.

    Im Herzen bewegt schied er von den Herren.

    Es war mittlerweile dunkel geworden. Doch die Nacht war lau.

    Häuser und Posaden waren überall hell erleuchtet, die Leute saßen auf der Straße, plauderten, sangen zur Gitarre ihre Lieder und schmausten.

    Auch das Lager, das sich um die kleine Stadt gebildet hatte, war erleuchtet und belebt.

    Hier bewegten sich vorwiegend Farbige und die kleinen Besitzer von den Llanos.

    Alonzo war von allem, was er bei seinen Besuchen vernommen hatte, erregt und schlenderte zu dem kleinen Orte hinaus in das Treiben des Lagers.

    Er bemerkte nicht, daß ihm ein Indianer im Poncho vorsichtig folgte.

    Alonzo betrachtete sich das bunte Treiben, die Händler, die unter roh gefertigten Zelten immer noch bemüht waren, bei mangelhafter Beleuchtung Geschäfte zu machen, und den Indianern ihre bunten Waren anzupreisen. Hie und da warf ein am Boden brennendes Feuer Licht in weiterem Kreise um sich.

    Während Alonzo in der Nähe eines solchen Feuers stand, hörte er hinter sich Worte in der Sprache der Aimaràs. Jäh überrascht, gelang es ihm nur mit Mühe, seine Ruhe zu bewahren und den aufsteigenden Grimm, den die Laute seiner Peiniger in ihm aufsteigen machten, zu bändigen.

    "Es ist genug," sagte die Stimme, "wir wollen weiter und sind mit Sonnenaufgang an den Bergen."

    "Laß uns noch bis morgen bleiben, es ist schön hier bei den weißen Leuten."

    "Es sind viel Chibchas hier und man könnte uns erkennen."

    Langsam hatte sich Alonzo umgewandt und sah das von dem Feuer hell beleuchtete Antlitz Guatis vor sich und neben ihm das Tucumaxtlis, des Kaziken. Die Aimaràs trugen die einfache Tracht der umwohnenden friedlichen Indianer.

    Der Blick Guatis, der hoch und kräftig aufgeschossen war, begegnete seinem funkelnden Auge.

    Alonzos Hand zuckte - er fühlte das leidenschaftliche Bedürfnis, die Kehle des Kaziken zu fassen, trotzdem er unbewaffnet war -, da stürmte singend und johlend eine Schar betrunkener Neger einher, die umstehenden Indianer machten eilig den Trunkenen Platz, einen Augenblick entstand Verwirrung - und die beiden Aimaràs waren in der Dunkelheit verschwunden - einem Trugbilde gleich. Aber Alonzo hatte ihre Laute vernommen, ihre ihm nur zu wohl bekannten Gesichter gesehen - ihn täuschte kein Trugbild.

    Ob sie ihn erkannt hatten? Möglich -, denn der Indianer Augen sind scharf und ihr Gedächtnis treu. In der Nacht und unter dem Zusammenschluß Fremder nach den Aimaràs zu suchen, wäre vergebliches Beginnen gewesen. Dennoch beschloß er, sofort den ersten Alguacil, dem die Marktpolizei oblag, aufzusuchen und ihm Kenntnis von der Anwesenheit der Aimaràs zu geben.

    Doch mußte er sich gleich darauf sagen, daß dies nur mit Vorsicht geschehen könne, wenn er sich nicht verraten wollte.

    Während er, überlegend, welche Schritte er tun sollte, um der Aimaràs habhaft zu werden, zwischen einigen dunklen Bäumen der Stadt zuschritt, vernahm er plötzlich ein leise gesungenes einfaches Lied, wie es die Maultiertreiber singen, wenn sie mit ihren Tieren gehen.

    Eine Flut von Erinnerungen stürmte plötzlich bei diesen Klängen, die er seit seiner Knabenzeit nicht mehr vernommen hatte, auf ihn ein, und er blieb lauschend stehen.

    Vor sich sah Alonzo plötzlich schattenhaft eine dunkle Männergestalt und vernahm in gebrochener Sprache die Worte: "Alonzo, der Sohn Don Pedros, kennt noch das Lied seiner Kinderjahre?"

    Alonzo erschrak und fragte hastig: "Mann, wer bist du?"

    "Dein Freund, Don Alonzo, dem dein Vater einst Gutes getan," war die Erwiderung des Mannes, der nicht genauer zu erkennen war, doch sicher ein Indianer sein mußte. "Ich wollte nur wissen, ob du der Sohn Don Pedros warest, nun weiß ich es. Nenne deinen Namen hier nicht, und hüte dich; du hast Feinde hier, nicht unter den Roten, unter den Weißen. Hüte dich vor dem Manne mit dem Gesicht des Raubvogels."   

"Alonzo, der Sohn Don Pedros, kennt noch das Lied seiner Kinderjahre?"

Leute kamen von der Stadt her mit Fackeln und der Mann war im Schatten der Bäume verschwunden. Alonzo stand wie ein Träumender da. Die Erinnerung an seine Kinderzeit, die Nennung seines Namens, die Warnung des Unbekannten, das Auftauchen der Aimaràs, das ihm die schrecklichste Zeit seines jungen Lebens zurückrief -. Alles zog verwirrend durch sein Gehirn.

    "O, da steht Don Alonzo," ließ eine muntere Stimme sich vernehmen, "und treibt Astronomie. Wir suchen dich, Hermano, komm mit uns, wir wollen die alten spanischen Lieder singen und vergnügt sein."

    Er sah einiger der jungen Leute vor sich, mit denen er bekannt war, die von indianischen Peons, die Fackeln trugen, begleitet waren.

    In der Erregung seiner Seele hatte er wenig Lust, sich der munteren Gesellschaft anzuschließen, doch konnte er nicht gut ablehnen, ohne die jungen Leute zu verletzen, und ging mit, hoffend, daß er den Aimaràs noch einmal, und zwar unter vorteilhafteren Umständen, begegnen oder den Alguacil sehen werde.

    Die jungen Leute suchten eine im Felde errichtete Tienda auf, wo der an den Abhängen der Kordilleren gezogene Wein verschenkt wurde. - Auf dem Wege dorthin begegnete er dem Administrator Vivandas, den er als erfahrenen und zuverlässigen Mann erkannte, der fest im Vertrauen seines Herrn stand.

    Alonzo ging einige Schritte mit ihm, sprach über einige gleichgültige Dinge und äußerte dann: "Wenn ich einige von den Montaneros vorhin recht verstand, Don Sebastian, treiben sich unter den Indios auch einige der Räuber aus den Anden umher. Ist das nicht gefährlich? Sollte man der Polizei nicht Anzeige machen?"

    "O, Sie meinen Aimaràs, Don Alonzo? Die sind alljährlich hier, sie kommen hierher um Munition und Waffen zu kaufen; im übrigen sind sie ungefährlich."

    "Glauben Sie? Ich hörte, es seinen gefährliche Bandidos?"

    "Ja, sie bestehlen die angesiedelten Indios, selbst die Montaneros von Zeit zu Zeit."

    "Aber, daß man sie dann hier duldet?"

    "Sie sind schwer von Indio reducidos zu unterscheiden, wenn sie Spanisch sprechen, auch fürchten die christlichen Bergindianer sie anzugeben, um nicht ihrer Rache zu verfallen."

    "Aber ermorden sie nicht auch von Zeit zu Zeit Weiße? Sie sollen uns doch tödlich hassen."

    "In einer einsamen Bergwildnis möchte ich keinem von der Bande begegnen, aber hier haben sie nur die Absicht, ihre Einkäufe zu machen, und entfernen sich dann schleunigst wieder. Jeder Versuch, ihrer habhaft zu werden, wäre ganz aussichtslos, und im Falle es gelänge, noch mehr jedes Prozeßverfahren gegen sie. Waren Aimaràs hier und wurden sie als solche erkannt, so dürfen Sie versichert sein, daß sie bereits auf ihren flinken Tieren dem Gebirge zueilen."

    Alonzo sah ein, daß der Administrator recht hatte, und war selbst erfahren genug, um einzusehen, daß jeder Versuch, sich des Kaziken und Guatis zu bemächtigen, fruchtlos sein werde, wenn nicht der Zufall sie ihm in die Hände lieferte. Hatten sie auch ihn erkannt, dann waren sie gewiß schon auf dem Heimwege.

    In der luftigen Tienda, die er mit seinen Gefährten betrat, ging es munter her, doch sah man keinen Betrunkenen, denn der Spanier ist mäßig im Genuß geistiger Getränke und Farbige wurden hier, wo weiße Caballeros saßen, nicht geduldet.

    Alonzo mit seinen Gefährten nahm an einem der roh gefertigten Tische Platz und bald herrschte die fröhlichste Stimmung unter den jungen Leuten, nur Alonzos Ernst ließ sich nicht verscheuchen, doch daran waren seine Gefährten gewöhnt.

    Mitten durch das Gespräch hindurch hörte Alonzo hinter sich den Namen seines Vaters nennen. Mit großer Vorsicht änderte er seinen Sitz so, daß er die, die in seinem Rücken saßen, sehen konnte.

    Er erkannte einige Hacienderos des Landes und zwischen ihnen einen Mann mit einer adlerartigen Physiognomie, die sich durch starken Schnurr- und Knebelbart auszeichnete. Sein Anblick überraschte Alonzo, er hatte dieses Gesicht gesehen -, aber wo? Der Mann schien seines Vaters Namen genannt zu haben, denn er sagte jetzt: "Ich habe unter Don Pedro gedient, Caballeros, als es gegen Venezuela ging - o, ein glorreicher Capitano. Ein Jammer, daß er so früh ein Ende finden mußte."

    Das Gesicht des Mannes hatte etwas an sich, das Alonzo abstieß. Dennoch bewegte es ihn, einen Kriegsgefährten seines Vaters vor sich zu sehen und diesen rühmen zu hören.

    "Bei uns in Bogotá," fuhr der Mann mit der Habichtsnase fort, "liefen einmal Gerüchte um, ein Sohn Don Pedros sei der Mörderfaust entgangen und die Freude darob war allgemein; leider scheint es sich nicht bewahrheitet zu haben."

    "Nein," sagte einer der älteren Hacienderos, "bei jenem furchtbaren Gemetzel im Tale der drei Quellen ist niemand verschont worden -, Don Pedro und die Seinigen sind bei den Heiligen droben."

    Alle bekreuzten sich.

    "Was gäbe ich, was gäben wir alle darum, wenn noch einer seines Blutes lebte."

    Die anderen schwiegen und mochten so denken wie er -, auch der Redende versank in Schweigen.

    Jetzt durchzuckte es Alonzo wie ein erleuchtender Blitz. - Das war das Gesicht des Mannes, der ihm vor fünf Jahren im Walde begegnete, ehe er das Tal der drei Quellen betrat, des Mannes mit dem blau gestreiften Poncho, der, wie er fest glaubte, den tödlichen Schuß auf Gomez abgegeben hatte.

    Der Mann hatte damals einen Vollbart getragen, aber Alonzo hatte das beobachtende Auge des Wilden, dem nichts entging; das war der Mann.

    Jetzt erschienen ihm seine Äußerungen in einem ganz anderen Lichte. Auch die Warnung des Indianers fiel ihm ein.

    Weshalb sprach der Mann hier von seinem Vater? Alonzo wußte, daß Ursache vorhanden war, seine Abkunft zu verbergen, wenn er auch nicht genau die Gefahren erkannte, die ihn bedrohten - und jetzt stimmten ihn die Äußerungen des Fremden mißtrauisch.

    Er wandte sich wieder zu seinen Gefährten, horchte aber trotzdem nach dem anderen Tische hinüber, doch vernahm er nichts, was seinen Verdacht, daß er in dem Manne einen Feind zu sehen habe, verstärken konnte. Doch unzweifelhaft war es ihm, daß er ihn gesehen, ehe der tödliche Schuß auf Gomez fiel. Er gewahrte auch, daß der Fremde die Gesellschaft der jungen Leute mit verstohlener Aufmerksamkeit beobachtete und sich nach deren Namen erkundigte. Er nahm sich vor, den Mann im Auge zu behalten.

    Nach einiger Zeit brach die Gesellschaft der jungen Leute auf und Alonzo suchte sein Haus auf.

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Alonzo wäre am liebsten gleich den Bergen zugeritten, doch mußte er sich Sennor Vivandas Anweisung, sich in den Kreisen der einflußreichen Landbevölkerung zu bewegen, folgen und tat es auch mit vielem Anstande.

    Wenn er die Stadt oder den Markt außerhalb überschritt, durchforschte sein scharfes Auge die Gruppen der Eingeborenen, doch kein Gesicht stieß ihm auf, das an die Züge der Aimaràs erinnerte.

    Am darauffolgenden Tage fand das Wettrennen statt, an dem nur die Söhne reicher Hacienderos teilnehmen konnten, weil nur auf großen Gütern Rassepferde gezüchtet wurden.

    Dieses Wettrennen war für die jungen Caballeros stets ein Hauptvergnügen, konnten sie doch in Gegenwart der Sennoras und Sennoritas ihre Reiterkünste zeigen.

    Von den Veranstaltern des Wettrennens wurde stets eine höfliche Einladung an die Landleute aus den Bergen gerichtet, am Rennen teilzunehmen, die eines ironischen Beigeschmackes nicht entbehrte, denn diese waren weder in Bezug auf Pferdematerial, noch was ihre Reiterkunst betraf, den Bewohnern der Llanos gewachsen. Sie wurde stets abgelehnt und die Montaneros rächten sich dann durch eine Einladung zu ihrem Wettschießen mit der Büchse, von dem Llaneros wohlweislich zurückblieben.

    Das war so uralter Brauch, der die fröhliche Geselligkeit nicht beeinträchtigte.

    Die Reiterspiele begannen.

    Für die Damen und die älteren Herren waren Sitze im Schatten von hochragenden Bäumen hergerichtet und die gesamte Bevölkerung des Lagers war versammelt.

    Die Spiele begannen mit einem Ringstechen, es folgten die Künste, die im plötzlichen Herumwerfen eines Pferdes bestanden, das Nehmen von Hindernissen, staunenswerte Leistungen der Vaqueros im Lassowerfen. Alles bejubelt von den Zuschauern.

    Alonzo nahm nicht daran teil, er hatte im verflossenen Jahre Siege davongetragen.

    Sein Auge durchforschte die zuschauende Menge.

    Dann aber kam der Glanzpunkt des Festes, das Rennen der jungen Caballeros auf ungesatteltem Pferde. Hieran, was die höchste Reitergeschicklichkeit erforderte, hatte Alonzo versprochen teilzunehmen und zu diesem Zwecke ein von ihm zugerittenes Pferd, einen Fuchs, mitgebracht.

    Siebzehn junge Leute aus guter Familie ritten. Es galt, die rauhe ungeebnete Bahn entlang zu sprengen, einen Pfahl zu umkreisen und zurückzujagen. Vor der Damentribüne war der Zielpunkt.

    Die schlanken Gestalten der Reiter nahmen sich gut aus auf den prächtigen Pferden und es war ein malerisches Bild, als sie jetzt auf ein gegebenes Zeichen abritten.

    Das Terrain war nicht günstig, es zeigte Büsche und Vertiefungen, und eine Hauptschwierigkeit war, den fest eingerammten Pfahl zu umkreisen.

    Einige der Reiter stürmten vor, um die ersten am Wendepunkt zu sein, denn dort entstand oft große Verwirrung.

    Alonzo ritt auf seinem herrlichen Fuchs als letzter.

    Dahin galoppierte die Schar der jugendlichen Reiter. Drei Pferde stürzten, zwei Reiter wurden abgeworfen, ehe nur der erste den Pfahl erreichte. Als dieser eben umgebogen hatte, trafen die drei zunächst folgenden so hart an dem Pfahl aufeinander, daß dem einen das Bein an dem Holze verletzt wurde, so daß er das Rennen aufgeben mußte, und das Roß eines anderen zu Boden geworfen wurde.

    Die nächsten kamen ziemlich glatt um den Pfahl herum, als letzter Alonzo.

    Kaum aber hatte der Reiter den Pfahl hinter sich, als er seinem Fuchs zuflüsterte: "Vorwärts, mein Liebling!" und nun die ganze Kraft und Schnelligkeit seines Pferdes zeigte. Vor ihm stürzten Reiter, Pferde strauchelten und blieben zurück. Noch liefen sieben Pferde vor ihm. Im Nu hatte er vier überholt und nur noch drei vor sich, freilich die besten Renner. Die Aufregung der Zuschauer war ganz unbeschreiblich, als jetzt diese vier dem Ziele nahten.

    Voran war Leon Castillo auf seinem Rappen. Jetzt aber entfaltete Alonzo seine ganze Reitergeschicklichkeit und trieb seinen Fuchs zu rasendem Laufe an. Bald hatte er nur noch den Rappen vor sich. Vierhundert Schritte trennten ihn vom Ziele und Castillo ritt wohl zwanzig Schritt vor ihm.

    Eine kleine muldenartige Vertiefung liegt vor den Reitern. Castillos Rappe, dessen Reiter ihm nicht rechtzeitig die Sporen gegeben, kommt mit den Vorderhufen hinein, aber wie ein Pfeil fliegt der Fuchs darüber hin.

    Alonzo hat die Führung und unter dem tosenden Viva! der Zuschauer, dem Tücherschwenken der Sennoritas geht er als erster durchs Ziel, zwei Pferdelängen hinter ihm ist der Rappe.

    Donna Juana de Mendoza überreichte dem stürmisch bejubelten Sieger den Lorbeerzweig und dem jungen Castillo einen schön verzierten silbernen Becher.

    "Das nächste Mal werde aber ich siegen, Don Alonzo!"

    "Gern will ich dir nachreiten, es war nur Zufall, daß ich als erster durchs Ziel ging."

    Freundschaftlich schüttelten sich die Sieger die Hände.

    Bald nahte eine Deputation der Bewohner der Berge und lud die edlen Donnas und Sennoras als Zuschauer beim Wettschießen ein, wer aber sich mit der Büchse versuchen wolle, sei willkommen in den Reihen der Schützen.

    Daß Alonzo die Büchse mit Meisterschaft handhabe, wußten nur wenige; bei den Zusammenkünften mit den Landleuten der Berge hatte er sich stets der Teilnahme am Preisschießen enthalten.

    Jetzt redeten ihm die, die wußten, wie er schoß, zu, der Aufforderung der Montaneros doch diesmal zu entsprechen, und Alonzo gab, eingedenk der Ermahnung, sich auch unter den Bergbewohnern Freunde zu suchen, ihrem Wunsche nach.

    Eilig wurde der Deputation mitgeteilt, daß Don Alonzo Vivanda um die Ehre bitte, sich am Wettschießen beteiligen zu dürfen.

    Dies erregte nicht geringes Erstaunen. Seit Jahren hatte es kein Llanero mehr gewagt, mit den trefflichen Schützen der Berge zu wetteifern -, doch hieß man selbstverständlich Don Alonzo willkommen.

    Alonzo ließ seine Büchse und seinen Kugelbeutel holen und begab sich, begleitet von seinen Freunden und gefolgt von einer stattlichen Zahl Hacienderos und deren Damen, nach den Schießständen der Schützen.

    Das Vorschießen war bereits beendigt. Das heißt mehr als hundert Schützen hatten nach einer Scheibe auf hundert Schritt Entfernung je sechs Schüsse abgegeben, doch nur wer unter diesen dreimal das Zentrum getroffen hatte, wurde zum Entscheidungskampfe auf eine dreihundert Schritt entfernte Scheibe zugelassen.

    Nur elf Bewerber um den Preis waren aus diesen hervorgegangen. Erfüllte Alonzo die Bedingung und traf dreimal das Zentrum der näheren Scheibe, durfte er sich zu den Elfen als Zwölfter gesellen.

    Die Ordner und Richter am Schießplatze empfingen den ehrerbietig sich ihnen nahenden Alonzo mit einem Lächeln. Sie sahen die Niederlage des Llaneros voraus.

    Über das Feld aber hatte es sich mit Windeseile verbreitet, Don Alonzo, der Sieger im Wettrennen, schießt mit den Montaneros, und alles war nach den Schießständen gelaufen. Auch Tejada, gefolgt von seinem indianischen Peon, hatte sich dort eingefunden.

    Alles war sehr begierig auf den Ausgang des Wagnisses, sich mit den berühmten Schützen der Berge messen zu wollen. Alonzo wurde mit den Bedingungen des Wettkampfes bekannt gemacht, nach denen er zunächst sechs Schüsse auf die nahe Scheibe abzugeben hatte, unter denen drei ins Schwarze treffen mußten, wenn er zum Hauptkampfe zugelassen werden sollte.

    An dem Schießstande weilten die Richter und die elf aus dem bisherigen Wettkampf als die Besten hervorgegangenen Schützen, die Alonzo mit ironischer Höflichkeit begrüßten und sich für die Ehre bedankten, daß er als Bewerber um den Preis in ihre Reihen trete.

    Alonzo erwiderte mit der ihm eigenen Ruhe, daß er sein Bestes tun wolle, um sich solch ausgezeichneter Schützen würdig zu zeigen.

    Er lud hierauf sorgfältig seine Büchse und auf das Zeichen des Ordners hin trat er vor und schoß rasch.

    "Zentrum" signalisierten die Leute von der Scheibe.

    Dies erregte nicht geringes Aufsehen, denn Alonzo hatte kaum gezielt. Doch dieser trat bereits mit der wieder geladenen Büchse vor. Der Schuß krachte.

    "Zentrum" zeigte man von der Scheibe an.

    Die Verwunderung war außerordentlich, ein Llanero, der so schoß? Zufall konnte dies nicht sein.

    Jetzt kam der dritte Schuß.

    Alles war gespannt auf den Erfolg.

    "Zentrum" zeigte die Scheibe an.

    Die Freude der Llaneros war maßlos und die Montaneros machten ernste Gesichter. Das war ja ein Schütze ersten Ranges, dieser junge Llanero.

    Tejada brummte vor sich hin: "In den Llanos hat der junge Mann das nimmermehr gelernt, so schießt man nur in den Bergen."

    Er gewahrte nicht die leuchtenden Blicke seines Peons, mit denen er Alonzo anstarrte.

    Da Alonzo die Vorbedingung zum letzten Wettkampfe erfüllt hatte, rüsteten sich jetzt die zwölf erlesenen Schützen zum Schusse auf die Entfernung von dreihundert Schritten.

    Ein Schreiber war da, die Zahl der Ringe zu notieren, die absolute Mehrheit verlieh den Preis.

    Das Schießen begann; drei Schüsse hatte ein jeder.

    Während der Pausen unterhielt sich Alonzo mit den Preisrichtern, älteren Männern, die an dem Jüngling großen Gefallen fanden.

    Nicht nur der Bergbewohner hatte sich jetzt, wo die Entscheidung nahte, Aufregung bemächtigt, alle erwarteten mit leidenschaftlicher Begierde das Resultat.

    Es wurde von den jungen Leuten gut geschossen, doch nur einer von den zehn traf einmal das Zentrum. Dreihundert Schritte sind eine bedeutende Entfernung, um aus freier Hand nach dem Schwarzen in der Scheibe zu schießen.

    Jetzt waren nur noch Christiano Montez und Alonzo übrig geblieben.

Alonzo zielte und feuerte.

Don Christiano war ein junger hübscher Mann von liebenswürdigen Formen und galt als der beste Schütze weit und breit. Wie Alonzo aus den Gesprächen um ihn vernommen hatte, war seine Braut anwesend, in der Hoffnung, ihn als Sieger zu begrüßen. Alonzo vereinbarte mit ihm, nicht jeder solle drei Schuß nacheinander abgeben, sondern sie wollten Schuß um Schuß feuern.

    Don Christiano begann.

    Alonzo bemerkte ein errötendes Mädchengesicht, als er vortrat.

    Sorgfältig zielte der junge Montanero. Die Kugel entflog: Zentrum!

    Freudiges Gemurmel der Montaneros, Don Christiano war ihr Stolz.

    Mit gefälligem Anstand begab sich Alonzo auf den Schießstand. Krach - Zentrum!

    Eine lebhafte Bewegung gab sich ringsum kund. Das waren zwei Schützen!

    Wiederum schoß der junge Montez und zu grenzenlosem Jubel der Seinen zum zweiten Male Zentrum.

    Das machte so leicht keiner nach.

    Doch vor trat lächelnd Alonzo und auch seine Kugel saß im Schwarzen.

    Totenstille herrschte ringsum, die Erwartung war auf das Höchste gespannt -, selbst die Freunde Alonzos waren so erregt, daß sie kein Beifallszeichen fanden.

    Don Christiano trat vor; er war aufgeregt und seine Hand bebte als er anlegte.

    Ein guter Schuß - zehn Ringe.

    Als jetzt Alonzo vortrat, hätte man eine Nadel fallen hören können, solche atemlose Stille herrschte.

    Sorgfältig zielte Alonzo und feuerte.

    Begierig schaute alles nach der Scheibe.

    Neun Ringe -, die Kugel saß dicht neben der Don Christianos.

    Der junge Bergbewohner war Sieger und betäubender Jubelruf erhob sich ringsum, während Alonzo dem Rivalen mit freundlichem Händedruck gratulierte.

    "Nein, Sennor, ihr habt mich geschont, Euch gebührt der Preis, Ihr seid mir überlegen."

    "O, Don Christiano, wo denkt Ihr hin, ich werde einen solchen Schützen schonen! Nein, der Preis ist redlich von Euch verdient und ich bin stolz darauf, daß ich ihn dem besten Schützen der Berge fast streitig gemacht habe."

    Diese echte Höflichkeit gewann ihm im Sturm die Herzen, denn es waren nicht wenige unter diesen erprobten Schützen, die aus dem sorgfältigen Zielen Alonzos und dem Sitz der Kugel schlossen, daß er Christiano des Preises nicht berauben wollte.

    Beide wurden mit Lobsprüchen überhäuft und Christiano eine prächtige Büchse als Preis von den Richtern feierlich übergeben.

    Hellauf jubelten die jungen Llaneros, Alonzo war nur mit einem Punkte geschlagen geworden. Die Montaneros aber begrüßten herzlich und in schmeichelhafter Weise einen so seltenen Schützen.

    "Wo hat der Bursche so schießen gelernt?" brummte Tejada vor sich hin.

    Dieses Wettschießen, an dem ein Llanero so ruhmvollen Anteil hatte, diente sehr dazu, die Bewohner der Berge und der Ebene einander zu nähern und bald saßen sie in herzlichem Einverständnis miteinander in weitem Kreise, währen die Vorstände reichlich Erfrischungen herumreichen ließen.

    Alonzo saß neben Christiano Montez und dessen Braut, einem anmutsvollen Mädchen, die nicht wenig stolz auf den Erfolg ihres Verlobten war. Ihm sowohl wie Alonzo wurden donnernde Vivas gebracht.

    Eine überaus fröhliche und harmonische Stimmung herrschte unter der zahlreichen Gesellschaft.

    Lieder ertönten zu Gitarrenbegleitung und das junge Volk trat zu einem der so anmutigen nationalen Tänze an.

    Selbst die umherlagernden, sonst so trübsinnig dreinschauenden Indianer waren heiterer als sonst, besonders als man auch sie mit Fleisch und Schokolade bewirtete.

    Es war ein überaus anmutiges, buntes Bild, das die fröhlichen Menschen hier boten, und selbst der Himmel lachte freundlich hernieder. Die festliche Stimmung wurde plötzlich gestört, als um ein Gehölz ein Reiter hervorkam, der mit der letzten Kraft seines Pferdes, im Sattel wankend, in aller Eile den Festplatz zu erreichen strebte.

    "Seht da! Was ist das? Was bedeutet das?"

    "Ein zu Schanden gerittenes Pferd?"

    "Der Mann kann sich ja kaum im Sattel halten."

    Der Anblick dieses Reiters erregte Aufsehen und rief Unruhe hervor.

    Der Tanz wurde unterbrochen, die Gitarren schwiegen; aller Augen waren auf den Reiter gerichtet, der vom Gebirge zu kommen schien.

    Das Pferd stürzte ermattet nieder -, der Reiter kam glücklich aus dem Sattel - und hinkte heran.

    Totenbleich stand Alonzo da; es war ein Peon Sennor Vivandas, der seinen Herrn in die Berge begleitet hatte, der dort herankam.

    Tiefe Stille hatte sich auf der Menschenmasse gelagert.

    "Don Alonzo -!" rief schwach der Peon. "Don Sebastian!" Dies galt dem Administrator.

    Jetzt traten beide vor.

    "Don Alonzo soll kommen zu Sennor -, Donna Elvira ist verschwunden - geraubt - fort -"

    Der Mann konnte vor Erschöpfung nicht weiter reden.

    Alonzo stand bleich aber bewegungslos gleich einer ehernen Bildsäule da, nur die Augen schienen zu leben und spiegelten die Erregung seines Inneren wider.

    Der Administrator war ein Bild des Entsetzens.

    Man gab dem Unheilsboten, der mit Alonzo und dem Administrator dicht von den Weißen umdrängt war, etwas Wein, worauf dieser berichtete, daß die Sennorita, gefolgt von dem Cazador(Jäger) der Hacienda, einen Spaziergang in den Wald gemacht habe. Hier seien sie plötzlich von roten Leuten überfallen, der Cazador schwer verwundet worden, Donna Elvira davongeführt. Alonzo, der Administrator und die in Naëva anwesenden Vaqueros sollen zu Sennor kommen, der krank darniederliege.

    Die Umstehenden lauschten dem Bericht mit sich steigernder Teilnahme.

    "Das sind die Aimaràs gewesen," rief ein junger Montanero, "es ist Zeit, daß mit diesen Räubern aufgräumt wird."

    Während der Administrator, der seine junge Herrin sehr liebte, wie alle auf Otoño, seine schmerzlich leidenschaftliche Erregung nicht zu verbergen vermochte, bewegte sich in Alonzos Angesicht kein Muskel.

    "Wann geschah das?" fragte er, und auch der Ton, in dem er sprach, zeigte jene erzwungene eiserne Ruhe, die sein Gesicht zur Schau trug.

    "Vorgestern abend."

    "Gut. Nehmen Sie sich des Burschen an, Don Sebastian, lassen Sie mir den Rappen satteln und die Vaqueros aufsitzen, Mundvorrat und Munition nehmen, wir wollen reiten."

    Der verzweiflungsvolle Administrator ging eilig zur Stadt zurück.

    Der Peon wurde ihm nachgeführt.

    "Wir begleiten dich, Don Alonzo," riefen die jungen Leute aus den Llanos, "wir wollen deine Elvira wieder holen."

    "Ja, ja, wir begleiten dich alle!"

    "Meine teueren Freunde," sagte mit derselben Ruhe Alonzo, "ich danke euch herzlich für eure Teilnahme; ich weiß, ihr würdet fechten gleich Löwen gegen das Mordgesindel, aber ihr seid der Berge und Felsen, der kalten Luft der Höhen nicht gewohnt, ihr würdet bald unterliegen."

    "Nimm uns mit, Don Alonzo," rief Christiano Montez, "wir kennen die Berge und haben schon lange ein Wort mit dem Raubgesindel dort oben zu reden. Wer ist dabei, Companeros?"

    Wohl an dreißig junge Leute, wettergebräunte, eisenfeste Gestalten, drängten sich herzu und erklärten ihre Bereitwilligkeit, zur Befreiung der Sennorita mitzuwirken.

    "Euer Anerbieten, ihr Freunde, nehme ich mit Dank an, denn nur Bergbewohner vermögen in jenen Schluchten mit den schlauen Wilden zu kämpfen. Ihr werdet euch ein Verdienst erwerben, wenn ihr die Hand erhebt, um eine Tochter des Landes diesen Schurken zu entreißen."

    "Ja, wir sind dabei."

    "Es ist unerhört, daß sie das gewagt haben."

    "Sie müssen gezüchtigt werden."

    "Das geht alle Montaneros an."

    So durchkreuzten sich die Stimmen.

    "So sattelt und laßt uns reiten."

    Augenblicklich begaben sich die jungen Bergbewohner zu ihren Reittieren, um sich für die Fahrt auszurüsten.

    Alonzo ging zur Stadt zurück und fand vor seiner Wohnung den Administrator und die Vaqueros zum Abreiten fertig.

    Er ging in sein Zimmer, kleidete sich in seinen Jagdanzug, nahm Kugelbeutel und Pulverhorn an sich, steckte die Machete in den Gürtel, warf den Poncho über, nahm die Büchse und erschien so zwischen seinen Leuten.

    Draußen fand er alle seine Freunde aus den Llanos und die älteren Hacienderos, die mit der innigsten Teilnahme die Schreckenskunde aufgenommen hatten.

    Die jungen Leute waren traurig, daß sie nicht mitreiten sollten, aber sie waren einsichtsvoll genug, sich zu sagen, daß sie, die im Sattel und der Hitze der Llanos aufgewachsen waren, hier gegen die Jäger der Berge zurückstehen mußten.

    Alle begleiteten Alonzo zur Stadt hinaus, zum Festplatz, wo fast alles versammelt stand, was hier zusammengeströmt war.

    Alonzo fand seine kleine Schar Montaneros bereits im Sattel.

    "Wer von den Sennores kennt den nächsten und besten Weg zu dem rauschenden Wasser?" Das war der Name eines Baches, der ungestüm in einzelnen Fällen aus den Felsen in die Ebene hervorbrach.

    Ein junger Mann meldete sich.

    "So führen Sie uns."

    Unter den Segenswünschen aller Umstehenden ritt Alonzo mit seinen Gefährten davon.

    Bald sank die Sonne über den Bergen und dunkle Nacht entzog sie den Blicken der ihnen Nachschauenden.