158063.fb2 Der Gefangene der Aimar?s - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 15

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Vierzehntes Kapitel.Der Vater Don Eugenios

    Sennor Carlos de Valla ging langsam, in tiefes Sinnen verloren, in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Die düster zusammengezogenen Brauen deuteten an, daß seine Gedanken nicht freundlicher Natur waren.

    Carlos de Valla, einer alten spanischen Familie entsprossen, hatte eine Laufbahn hinter sich, deren größerer Teil das Licht zu scheuen hatte.

    Früh der Erbe eines großen Vermögens geworden, hatte er dieses in unerhörter Weise verschleudert und war zum Bettler geworden. Da begann die Erhebung der Kolonien im Norden Südamerikas gegen das Mutterland Spanien, und de Valla stellte sich auf die Seite der spanischen Unterdrücker und war bald als Offizier, bald als Führer einer unabhängigen Freischar tätig.

    Als die Aufständischen Sieg auf Sieg errangen und Spanien Sterns in jenen Landen sank, sagte de Valla sich rechtzeitig von den spanischen Machthabern los und trat auf die Seite der sogenannten Patrioten. Der endlich folgende Friede ließ ihn tief bis in die Gesellschaft eines Tejada und seiner Genossen sinken, deren wenig ehrenvolles Dasein er teilte. Aber rüchsichtslos wie er war, jedes Mittel gut heißend, das er geeignet fand, seinem maßlosen Ehrgeiz förderlich zu sein, dabei begabt und von feinen Umgangsformen, gelang es ihm während des folgenden Bürgerkriegs, der nicht nur Verwirrung im gesamten staatlichen und bürgerlichen Leben, auch eine Korruption in moralischer Beziehung herbeiführte, eine immer glänzendere Rolle im öffentlichen Leben zu spielen und schließlich zu einer Machtstellung zu gelangen, die einen Mantel über sein dunkles Vorleben breitete.

    So grimmig de Valla, der mit eiserner Hand im Sinne der Aristokratenpartei das Land beherrschte, von wirklichen Patrioten gehaßt wurde, eine Tatsache, die er gut genug kannte, so wagte man doch nicht, gegen ihn vorzugehen; er war gefürchtet und verstand mit Meisterhand das divide et impera anzuwenden und die Parteien gegeneinander auszuspielen. Das Ziel seines Ehrgeizes war, die höchste Würde des Staates zu gewinnen; der Präsident war alt und kränklich, und gelang es de Valla, seine Gegner in Schach zu halten, so war bei einer neuen Präsidentenwahl die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit gegeben, daß er dessen Nachfolger wurde.

    Bot sich aber in dem Träger eines so hoch verehrten Namens wie der d'Alcantaras, seinen Gegnern ein gemeinsamer Mittelpunkt, so wurde ihre Feindschaft wirklich gefährlich für seine weiteren Pläne, abgesehen von den Beschuldigungen, die man gegen ihn schleudern konnte.

    Tejada war ein zu jedem Verbrechen fähiger käuflicher Schurke und de Valla traute ihm nicht, mehr schon dem braunen Maxtla, den er als Indianer und ehemaligen Soldaten für Geld zu jedem Bubenstück fähig hielt. Er hatte den Mann auf den Gütern Don Pedros vorgefunden und bald ein brauchbares und gehorsames Werkzeug in ihm erkannt.

    Der Name Alcantara, den Tejada in so beängstigender Weise vor de Valla auftauchen ließ, verursachte ihm peinliche Unruhe - besonders da der Bandit den Aufenthaltsort von dessen zeitigem Träger verschwieg. Daß der ihn selbst nicht kannte, ahnte de Valla nicht. Kurze Zeit nach Tejadas Erscheinen hatte er an einen seiner in den Llanos lebenden Vertrauten geschrieben und diesen zu Nachforschungen nach einem angeblichen Alcantara, der der Gefangenschaft der in den Bergen hausenden Indios bravos entgangen sein sollte, anzustellen.

    Weder von diesem, noch von Tejada war Nachricht eingelaufen. Auch von Eugenio, seinem Sohne, vermißte er seit geraumer Zeit jede Botschaft.

    Ein Klopfen des Kammerdieners unterbrach diese Gedankenreihe. Auf des Gebieters: Entra! trat der Mann ein und überreichte auf silbernem Teller ein Schreiben.

    "Soeben von einem Espreso aus den Llanos gebracht."

    Der Minister nahm das Schreiben und winkte dem Diener zu gehen.

    Während er las, erschien auf dem eben noch freundlichen Gesicht ein Ausdruck rücksichtsloser Härte.

    Das Schreiben lautete: "Euer Excellenza habe ich die Ehre auf das Gehorsamste mitzuteilen, daß jemand der den Namen d'Alcantara für sich in Anspruch nimmt oder sich gar auf eine Abstammung von Pedro d'Alcantara beruft, hier nicht existiert. Dieser Name würde in den weitesten Kreisen bekannt sein. Indessen ist es gelungen zu ermitteln, daß auf der Sennor Vivanda gehörenden Hacienda Otoño am Ocoa sich seit fünf Jahren ein junger Mensch befindet, der unter sehr eigenen Umständen dort aufgetaucht ist und bei seinem Erscheinen, wie ich vorsichtig von Leuten der Hacienda erkundet, mangelhaftes Spanisch neben einem indianischen Dialekte sprach. Vermittelt wurde die Bekanntschaft des Menschen mit den Vivandas durch einen gewissen Gomez, eine anrüchige Persönlichkeit, der seitdem verstorben ist. Der junge Mann führt indessen den Namen Alonzo Vivanda und gilt allgemein für einen entfernten Anverwandten des Hauses. Das ist alles, was ich zu ermitteln vermochte und mich beeile, Euer Excellenza auf das Ehrerbietigste mitzuteilen."

    Das war der Inhalt des Schreibens seines Gewährsmannes.

    "So," sagte de Valla mit einem grimmigen Lächeln, "also die Vivandas halten den jungen Panther in Gewahrsam, um ihn zu passender Zeit auf mich loszulassen? Gut, wenigstens weiß ich jetzt, wo der Feind im Hinterhalte liegt. Überfallen wollen wir uns nicht lassen. Sie waren mir nie gewogen, die Herren Vivanda, weder der Haciendero noch der Cura. Sie haben großen Einfluß dort auf die Llaneros und unter ihrem Schutze ist das Auftreten eines d'Alcantara wirklich gefährlich. Es kann nichts helfen, dieser junge Mensch muß unschädlich gemacht werden, ehe das Land sich zur Präsidentenwahl rüstet."

    Er klingelte. Der Kammerdiener erschien.

    "Ist Don Ignacio anwesend?"

    "Ja, Excellenza."

    "Schick ihn her."

    "Das ist der rechte Mann," sagte de Valla vor sich hin.

    Gleich darauf trat ein noch junger Mann ein mit nicht unschönen aber verlebten Gesichtszügen, dessen Haltung zeigte, daß er sich einmal in guter Gesellschaft bewegt haben mußte, wie auch seine Kleidung noch eine schäbige Eleganz zur Schau trug.

    Der Minister maß ihn mit scharfem Blick und Don Ignacio senkte die Augen.

    "Deine Verhältnisse sind etwas zerrüttet wie ich höre," sagte de Valla.

    "Leider ist es so, Excellenza."

    "Auch hat man allerlei Anklagen gegen dich erhoben."

    "Es gibt Verleumder, deren böse Zunge nichts scheut, nicht einmal die höchsten Personen des Staates," entgegnete der Mann nicht ohne Frechheit.

    Nach einer Weile fragte de Valla: "Ich habe einen Auftrag für dich, der dir tausend Pesos abwerfen und die gegen dich erhobenen Anklagen, von denen einige recht bedenklich sind, verstummen machen würde."

    "Excellenza befehle."

    "Es gehört eine feste Hand und ein entschlossener Sinn dazu."

    "Excellenza weiß, daß ich beides besitze."

    "Ja, ich weiß es, und darum habe ich dich ausersehen, dein späteres Geschick hängt von meinem Wohlwollen ab."

    "Ich bin Euer Excellenza dienstwilliger Knecht."

    "Es lebt da in den Llanos ein Mensch, der für unser Staatswesen sehr gefährlich werden kann."

    "Euer Gnaden bezeichne ihn mir, ich bin ein guter Patriot und werde die Gefahr, die dem Lande droht, beseitigen."

    Langsam sagte der Minister: "Du findest auf der Hacienda Otoño am Ocoa, die Sennor Vivanda zu eigen, einen jungen Mann, der sich Don Alonzo Vivanda nennt; von ihm droht dem Lande Unheil."

    "Es ist mir Pflicht, dieses abzuwehren."

    "Ich habe schon einen vertrauten Mann nach ihm ausgeschickt, doch konnte ich diesem damals nicht sagen, wo der gefährliche Mensch sich aufhielt und unter welchem Namen. Ich wußte wohl, daß er in den Llanos weilte, aber nicht mehr. Meines Abgesandten Schweigen läßt mich fürchten, daß er ihn vergebens sucht. Ich bin jetzt, wie du siehst, besser unterrichtet und deine Aufgabe ist leichter. Melde mir, daß die Gefahr für den Staat beseitigt ist und du erhältst tausend Pesos und darfst auf meinen ferneren Beistand zu deinem Emporkommen rechnen."

    "Und wenn das Werk, während ich reite, um Euren Auftrag zu erfüllen, schon getan ist?"

    "Gleichviel, bringe mir nur die absolute Gewißheit, daß die Regierung von diesem Menschen nichts mehr zu befürchten hat, und du erhältst die Belohnung."

    "Ah, Excellenza sind immer ein vollendeter Caballero."

    "Hier hast du Geld," er händigte ihm eine Summe ein, "brauchst du ein Pferd oder Mulo, laß es dir vom Majordomo geben, und vor allem laß mich bald günstige Nachrichten von dir erhalten."

    "So rasch als meine Ergebenheit sie überbringen kann."

    "Geh, mein Sohn."

    Don Ignacio ging.

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Am anderen Tage traf mit einem Boten, der mehrere Pferde zu Tode geritten hatte, ein Brief Professor Pinolas ein, worin dieser berichtet, daß Don Eugenio von den räuberischen Aimaràs gefangen und in die Berge geschleppt worden war.

    Zum ersten Male in seinem Leben empfand der Mann, der rücksichtslos seinen Weg zur Höhe gesucht hatte, einen Schmerz, der sein Herz in jeder Faser erbeben machte. Wie sehr er den Jüngling liebte, fühlte er an der gewaltigen Erschütterung seines Innern, die selbst seine ehrgeizigen Träume verstummen machte. Eugenio in den Händen der Aimaràs, dieser fanatischen Feinde der Weißen? Das war der Tod seines Lieblings. Einem Wahnsinnigen gleich ging de Valla umher. Zugleich regte sich auf dem Grunde seiner verhärteten Seele etwas, das gewöhnliche Menschen Gewissen nennen. Den Aimaràs hatte er einst seinen gefährlichen politischen Gegner Pedro d'Alcantara überliefert, damit sie ihn in ihre unzugänglichen Berge schleppten, und unter den Messern dieser Bluthunde waren alle, auch unschuldige Kinder gefallen. Die Schuld war sein, so sehr er sich auch dagegen wehrte, sich das einzugestehen.

    Er schauderte doch zusammen, wie er jetzt des gräßlichen Ereignisses gedachte, das oft genug seinen Schlaf unruhig gemacht hatte. Gab es doch etwas wie Vergeltung? Wurde er gestraft, wie er gesündigt hatte? - Sollte sein Kind - sein Eugenio, der einzige Mensch, den er liebte, als Sühnopfer für seine Blutschuld dargebracht werden?

    Schaudernd erkannte er das Walten einer unerbittlichen Nemesis.

    Sein Eugenio - sein sanfter Liebling - in der Hand dieser Unmenschen? Er litt ganz unerhört unter den Vorstellungen, die ihn folterten. Niemand erkannte den ruhigen entschlossenen Mann in ihm wieder.

    Bote auf Bote flog auf eilenden Rossen nach dem Gebirge, unerhörtes Lösegeld wollte er zahlen - für seinen Eugenio - die Chibchas in den Bergen sollten gegen die Aimaràs aufgeboten werden - die Montaneros - nur mit Mühe ließ er sich zurückhalten, selbst aufzubrechen, um ihn zu befreien.

    Ja, er war so gewaltig von Gemütsbewegungen aller Art durchschüttelt, daß er selbst des gefährlichen jungen Menschen vergaß, dessen Existenz ihn mit Gefahr bedrohte.

    So vergingen dieser gemarterten Seele fünf grauenvolle Tage und schlaflose Nächte, die die Schatten der Ermordeten heimsuchten, die drohend ihn und das Bild seines Lieblings umschwebten.

    Die Pein wurde dem gequälten Manne umso unerträglicher, als er sie verbergen mußte.

    Da traf ein Correo ein mit Briefen an den Minister und dem fassungslosen Manne leuchteten - die Schriftzüge seines Eugenio entgegen.

    de Valla sank tief erregt in fassungsloser Freude in einen Stuhl und es kostete Zeit, ehe er im stande war, zu lesen.

    Und nun las er von dem schrecklichen Ende, das seinen Liebling in der Steppe bedroht hatte, vor dem ihm ein junger, dem Herzen des Jünglings unendlich sympathischer Mann bewahrte, er las, wie die räuberischen Indios Eugenio in die Berge geführt, wie derselbe junge Mann ihn mit Gefahr seines eigenen Lebens vor dem Mordstahl der Wilden gerettet, und daß dieser junge Mann, der zweimal das Leben Eugenios bewahrt hatte - Alonzo d'Alcantara, der Sohn Don Pedros war - derselbe Jüngling, nach dem er selbst, de Valla, die Mörder ausgeschickt hatte. Nichts hätte ihn mehr erschüttern können.

    Lange dauerte es, bis de Valla das Gleichgewicht seiner Seele soweit wiedergefunden hatte, um seine Gedanken ordnen zu können.

    Eugenio war gerettet - gleich einem sanften lindernden Balsam legte sich diese Kunde um seine Seele - gerettet - ja - aber was er seit langem nicht mehr kannte, die Qualen des wachgerüttelten Gewissens folterten ihn mit unerhörter Kraft - sein Liebling war gerettet von dem, den er kalten Blutes dem Tode durch Mörderhand geweiht hatte.

    Selbst diese verhärtete Seele beugte sich schaudernd vor dem Walten der Macht, die der Menschen Geschicke leitet. Zum ersten Male fühlte sich der Mann besiegt, ratlos - verzweifelnd - niedergeschmettert durch eine Fügung, die da Segen brachte, wo schwerer Schuld die Strafe folgen mußte. Eugenio gerettet durch den Sohn Don Pedros? Immer und immer wieder wälzte er das Ungeheuere durch seine Seele und konnte es nicht fassen.

    Und welche Bewunderung für seinen Retter atmeten die Zeilen Eugenios.

    War er schon gefallen unter dem Mordstahl? Der Retter? de Valla besaß eine eiserne Kraft und er zwang sich jetzt, seine Gedanken logisch zu ordnen. Auch in des verderbtesten Menschen Seele ist immer noch ein tiefversteckter Winkel, wo das Gute wohnt, und wenn es sich auch nur durch bittere Reue geltend macht.

    Alonzo durfte nicht sterben - jetzt nicht mehr. Brachte sein Dasein Gefahr für sein ehrgeiziges Streben, mochte es sein - gegen den Retter Eugenios konnte er die Hand nicht erheben.

    Er befahl, die beiden zuverlässigsten Staatskuriere zu augenblicklichem Dienst herbeizurufen und setzte sich an den Schreibtisch.

    de Valla schrieb mit zitternder Hand an Sennor Vivanda. Er schrieb ihm, wie er eben erfahren habe, daß ein Angehöriger seiner Familie seinem geliebten Sohne zweimal das Leben rettete und sprach seinen innigen Dank aus. Wie Eugenio ihm mitgeteilt hätte, nenne sich der Retter Alonzo d'Alcantara und gehöre vermutlich der Familie Pedro d'Alcantaras an. Sei dieses der Fall, so solle er ihm doppelt willkommen sein und könne in jedem Fall auf seine Dienste rechnen.

    Als der Correo, ein klug und sehr energisch aussehender Mann vor ihm stand, sagte er: "Ich habe dir eine Frage vorzulegen; kennst du Don Ignacio Caldas?"

    "Ja, Excellenza."

    "Gut. Du bringst in höchster Eile diesen Brief an Sennor Vivanda auf Otoño am Ocoa."

    "Es geschieht."

Der Correo mit der Botschaft des Ministers an Sennor Vivanda.

 "Siehst du auf deinem Ritt oder in Otoño oder dessen Nähe Don Ignacio, so sagst du ihm, daß der Befehl, den ich ihm gegeben, aufgehoben sei und daß er zugleich zurückkehren möge. Verstehst du?"

    "Zu Befehl."

    "Kennst du meinen Peon Maxtla?"

    "Ja, Excellenza."

    "Siehst du diesen, so sagst du ihm, aber insgeheim und ohne ihn öffentlich als meinen Diener anzuerkennen, das gleiche."

    Nach einigem Sinnen fuhr er fort: "Auf Otoño befindet sich ein junger Mann, Don Alonzo, dem ich sehr verpflichtet bin; diesem deute an und auch Sennor Vivanda, aber so, als ob es von dir ausginge, daß ihn Gefahr bedrohe, nahe Gefahr. Ich wünsche, daß der junge Mann allen Gefahren, die sein Leben bedrohen, entgehe, und ich werde dich doppelt belohnen, wenn du hierbei hilfst."

    "Eure Excellenza darf sich auf mich verlassen."

    "So reite."

    Der Correo verbeugte sich und verließ das Zimmer.

    Den zweiten der Staatsboten sandte er mit einem Schreiben an den Freund, der ihm Mitteilungen von Alonzo gemacht hatte, teilte diesem mit, daß er in Erfahrung gebracht habe, daß man dem Leben des jungen Mannes nachstelle und ersuchte ihn, alles aufzubieten, um ihn gegen solche Gefahr zu schützen. Auch dieser Correo bekam dieselben Aufträge für Don Ignacio und Maxtla wie der vorige, und ritt davon.

    Drei Tage später traf Eugenio in Bogotá ein, mit einer Träne im Auge bewillkommnete ihn sein Vater. Dieses Auge hatte jahrelang keine Träne mehr geweint.