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Nach langem erschöpfendem Ritte traf Maxtla auf zusammenbrechendem Tiere in Otoño ein und berichtete von Tejadas Gefangennahme. Man machte ihm mit dem bekannt, was man wußte, mit dem, was man getan hatte - keine Spur war von Alonzo gefunden - das Wasser mußte seinen Leichnam bergen.
Der Indio lauschte ernst und sagte dann: "Du, kleines Canoa auf dem Fluß?"
"Ja, da sind mehrere für die Fischer."
"Gut, mir geben. Mörder kommen von Wasser, dort nachsehen."
Der unermüdliche Mann wurde von einem jungen Arbeiter der Hacienda zum Flußufer gebracht, wo ein Canoa indianischer Arbeit lag. Maxtla sandte den Mann zurück, bestieg das Boot und ruderte langsam das Ufer des hier sanft dahinströmenden Flusses entlang nach der Stelle zu, wo der Pfad mündete, an dessen Ausgang der Neger Caldas erwartet hatte.
Mit allen Instinkten des Wilden begabt, war Maxtla in den blutigen Kämpfen der Parteien zu einem unvergleichlichen Krieger nach indianischer Weise geworden.
Während er so langsam dahinruderte, mit funkelnden Augen das Schilf und die Bambusstauden durchforschend, gewahrte er bald eine Stelle, an der ein größeres Boot sich den Weg zum Lande erzwungen haben mußte. Unschwer war das erkennbar.
Maxtla trieb sein leichtes Canoa an derselben Stelle an das Land.
Deutlich waren hier Fußspuren zu sehen, die sich dem weichen Boden tief eingeprägt hatten. Mit großer Vorsicht stieg Maxtla aus und betrachtete die Spuren aufmerksam. Das Schilf, das hier wuchs, war ringsum zerstampft, auch erkannte der Indianer deutlich, daß die Insassen des Bootes sich hier einen Weg durch das Schilf gebahnt hatten, auf dem sie auch wieder zum Wasser zurückgekommen waren.
Maxtla ging diesem Wege vorsichtig nach. Durch Weidengestrüpp gelangte er in hochstämmigen Wald. Hier hatte, das war deutlich zu erkennen, die Machete gearbeitet, um Bahn durch Schlingpflanzen und Unterholz zu brechen.
Maxtla ging den Spuren immer nach. Der Weg führte den Feldern zu.
Nach einiger Zeit traf er auf eine zerstampfte Stelle des Bodens, zerrissene Büsche und Schlingpflanzen.
Er ging weiter und kam auf den Pfad, den Caldas gekommen.
Hier sah er wieder stark zertretenen Boden dicht an dem Pfade.
Er betrat diesen, doch waren die Leute der Hacienda hier so hin und her gelaufen, daß keine Spur mehr zu erkennen war. Er ging auf der anderen Seite in den Wald, doch hier hatte kein Menschenfuß geweilt.
Zurückkehrend gewahrte er eine Stelle, an der fünf Leute ruhig dicht beieinander gestanden hatten und zwar hinter einem dichten Busche von Farnkraut. Unweit davon fand sich die erste Stelle, an der der Boden in so auffälliger Weise zerstampft war.
Maxtla suchte an Blättern und Halmen nach Blutspuren, doch nichts zeigte sich dem Auge.
"Es waren fünf Männer," murmelte der Indianer, "und sie haben dem arglosen Jünglinge einen Lasso oder einen Poncho übergeworfen und ihn dann in die Büsche gezerrt. Er hat sich gewehrt, der Sohn Don Pedros - aber er hatte fünf gegen sich und war machtlos. Hier ist ihm auch die Büchse losgegangen."
Wieder suchte er emsig nach Blutspuren, fand aber auch jetzt keine.
"Sie haben ihn lebend nach dem Flusse geschleppt."
Er ging auch den tiefen Spuren nach. Eine Gruppe Stechpalmen zeigte einige Wollfasern, ein Poncho mußte die Dornen gestreift haben.
Die Fußspuren, die roh und formlos dem Waldboden eingeprägt waren, ließen nur auf die Fußbekleidung schließen, wie sie allgemein von den Leuten der niederen Klassen getragen wurde.
Er gelangte wieder an das Wasser.
"Sie haben ihn lebend in das Boot gebracht."
Sein scharfes und geübtes Auge, das unablässig den Boden und die Umgebung durchforschte, stieß auf eine Stelle dicht am Ufer, die den Abdruck eines Stiefels zeigte, undeutlich, aber unverkennbar eines Stiefels.
Er forschte weiter und fand dessen vollen, deutlich erkennbaren Abdruck. Der Mann mußte im Boote gestanden und nur einen Augenblick das Ufer betreten haben, als man Alonzo brachte.
Der Indianer zischte leise.
"Bei den Unsichtbaren, es ist die Spur des Mannes, dem der Alguacil folgte, der zu den Piratas gehört."
"Sie haben Don Alonzo auf das Wasser geschleppt. Warum? Als Gefangenen? Welchen Wert hatte der Sohn Don Pedros für die Piratas? Um ihn in das Wasser zu versenken und so jede Spur zu verwischen. Armer Jüngling - ich kann dir nur das Totenlied singen. Du wärst groß geworden unter deinem Volke, Sohn Don Pedros. Du gingst zu früh dahin in das Land der Geister."
Er trat in das Canoa und ruderte still und traurig den Fluß hinab bis zu der Stelle, wo es gelegen hatte.
Am Lande blieb er stehen und blickte zur Erde nieder, dann hob er das Haupt empor, und eine eherne Entschlossenheit prägte sich in dem dunklen, von dem straffen schwarzen Haar umrahmten Gesicht aus. "Ich kann dich rächen, Sohn Don Pedros, dich und deinen Vater, der gütig gegen den armen Indio war, und ich will es tun, sie sollen alle sterben oder die Götter meines Volkes sollen mich in die ewige Nacht schleudern."
Er ging zurück und berichtete, was er ermittelt hatte, sprach auch seinen Verdacht aus, daß die Flußpiraten hier verderbenbringend eingegriffen hatten.
Die Mitteilungen des erfahrenen und Alonzo so ergebenen Mannes löschten den letzten Funken der Hoffnung in den Herzen der beiden tief betrübten Männer aus.
Es war ihnen jetzt kein Zweifel mehr, daß man ihren Liebling in den Fluß versenkt habe, um jede Spur zu tilgen.
"Es ist dem furchtbaren Manne in Bogotá sein finsterer Anschlag doch geglückt, o Gott, wo ist deine Gerechtigkeit?" stöhnte in bitterem Schmerze Don Vincente.
"Lästere nicht, Bruder, und zweifle nicht an Gottes Güte. Hat er den Jüngling vor der Zeit zu sich gerufen, so entsprach es einer ewigen Weisheit und er weilt jetzt in des Himmels Seligkeit. Wir dürfen nicht murren."
Nach einiger Zeit sagte der Indianer: "Maxtla jetzt schlafen gehen, er müde. Dann geben ihm gutes Pferd, geben ihm Büchse, geben ihm etwas Geld, er reiten."
"Du sollst alles haben, aber was willst du beginnen?"
"Ihr haben Don Alonzo lieb? Wie?"
"Du siehst es wohl."
"Maxtla ihn auch lieb. Maxtla gehen töten seine Feinde. Holen ihn ein mit Pferd, Pferd schneller als Boot, Fluß machen Windung, Pferd gerade aus!"
"Die Rache ist mein, spricht der Herr," sagte mit tränendem Auge abwehrend der Geistliche.
"Frommer Vater beten, das gut, Maxtla Chibchakrieger, rächen seinen Freund, das gut."
"Du wirst auch dein Leben verlieren."
"Kann nur einmal sterben, Tod nicht fürchten. Maxtla geht, Ihr von ihm hören."
Er ging hinaus und suchte seine Schlafstätte auf.
Als er am anderen Morgen sein Pferd bestieg, war außer den beiden Vivandas auch die bleiche Elvira da.
Man hatte ihr, um sie vor Verzweiflung zu bewahren, gesagt, daß Alonzo gefangen sei, und daß der Indianer ausziehe, ihn zu befreien.
"O, rette ihn, guter Indio, und ich will dir alles geben, was ich habe."
"Sennorita, jungen Adler der Anden lieb? Wie -"
"Ja, sehr lieb," erwiderte Elvira weinend, "er ist mein Bruder."
"Sennorita beten zu Donna Maria, ihr gewiß gütig sein."
Und davon ritt der Indianer der Mündung des Ocoa zu. -
Tejada wurde gefangen eingebracht, benahm sich aber höchst trotzig und leugnete jede Mitschuld an Alonzos Verschwinden als gänzlich sinnlos.
Der Meta, der nach der Aussage des fremden Chibcha die Pirateninsel bergen sollte, ist ein mächtiger Nebenfluß des Orinoko.
Sein Wasser ist da, wo er den Ocoa aufgenommen hat, trübe, sein Stromlauf öfter von Inseln und Felsen durchsetzt. Schilf, Bambus, Weide umsäumen die Ufer, die wie alle Gewässer der Llanos von dichten, hochstämmigen, mehr oder minder breiten Wäldern eingefaßt werden.
Gewaltige Alligatoren sonnen sich auf flachen Sandinseln, der Riesenotter läßt oftmals sein seltsames Gebell hören, und das Geheul der Brüllaffen hallt an den Stromufern wieder.
Die Wasserläufe sind die wichtigsten Lebensadern der Llanos, denn diese vermitteln den Verkehr mit dem Orinoko und so mit dem Ozean und geben Gelegenheit, die Produkte des fruchtbaren Bodens in den Welthandel zu bringen. Leichter war es damals, viel leichter, die Bodenerzeugnisse dem Meere zuzuführen, als die Einfuhr von Europa zu gewinnen, deren Transport die Strömung der Flüsse ernste Hindernisse bot, ehe das Dampfschiff in Gebrauch genommen wurde, das siegreich mit der Strömung kämpft.
Freilich befuhren Dampfer auch schon damals den Orinoko, doch waren seine Zuflüsse, auch wo sie schiffbar waren, nur auf Segel- und Ruderboote angewiesen.
Der gewaltige Orinoko mit seinen Felsen, seinen Stromschnellen verschlang alljährlich manches reich beladene Boot, manches Floß auf seinem oberen Laufe.
Dumpfe Gerüchte liefen um von Flußpiraten, die den reichbeladenen Booten und Flößen auf dem einsamen Strome Gefahr brächten, aber sichere Kenntnis von einer so unheimlichen Tätigkeit hatte man nicht, und jeder Versuch, Gewißheit zu erlangen, war mißglückt.
Unterhalb der Mündung des Icaho, eines wenig bedeutenden Flußlaufes, erhob sich mitten im Strome eine langgestreckte Insel, deren schroffe Felseneinfassung umsomehr der Schrecken der Schiffer war, als die durch ihre Lage bedingte Einschränkung des Fahrwassers dieses schneller zu ihren Seiten strömen ließ und verdächtige Klippen sich unter der Oberfläche erhoben.
Diese Insel, die hinter ihrem Felsengürtel Baumwipfel zeigte, vermieden alle Schiffer ängstlich.
Auf viele Leguas hin waren die Ufer des Flusses hier unbewohnt, und man mußte weit in die Llanos reiten, um einen Rancho zu finden.
Hätten die Fischreiher, die hie und da auf den hohen Bäumen der Ufer saßen, erzählen können, so würden sie von dem seltsamen Gebaren eines roten Mannes berichtet haben, der bald in einem kleinen Canoa versteckt im Schilfe liegend, bald hoch oben im Laube eines Baumes hockend, die Insel zu beobachten schien.
Mit stürmender Eile war Maxtla den Ocoa entlang geritten und hatte manche seine Windungen abgeschnitten. Er sagte sich, daß sein gutes Pferd das Boot, dessen Insassen Alonzo überfallen hatten, trotz dessen Vorsprung bald überholt haben müsse. Wiederholt hielt er am Ufer an, wo Häuser standen und Furten waren und erkundigte sich bei den Leuten seiner Farbe nach dem Boote, dessen Gestalt er gut im Gedächtnis hatte, fragte, ob sie es gesehen hatten. Keiner konnte ihm davon berichten.
In der Nacht zu fahren war zwar möglich, doch gehörte dann ein genauer Kenner des Stromlaufes an das Steuer. Leicht konnte es aber auch sein, daß die Gleichgültigkeit der Leute sie verhindert hatte, ein Fahrzeug wahrzunehmen, das eilig, ohne anzuhalten, den Fluß am Tage herabkam.
Auf seinen Kriegsfahrten im Norden am Magdalenenstrome und auf den Lagunen hatte Maxtla gelernt, ein Canoa auch unter schwierigen Stromverhältnissen zu handhaben.
In Cabuyaro hatte er sein Pferd einem Posadero zur Pflege übergeben und sich ein Boot gekauft. Mit diesem war er den Fluß hinabgegangen bis zu der ihm von seinem Stammesgenossen Huatl bezeichneten Insel.
Maxtla ließ sich, vorsichtig nach Dunkelwerden anlangend, im Schilfe nieder und lag auf der Lauer.
Daß die Insel bewohnt war, wurde, trotz aller Vorsicht dieser Bewohner, dem scharfäugigen Indianer bald klar, der von der Höhe eines Baumes aus den dünnen Rauch bemerkte, der sich von Zeit zu Zeit über den Baumwipfeln erhob. Nicht minder klar erkannte er, daß die Insel eine geschützte Anlegestelle haben müsse, obgleich er diese noch nicht hatte erkunden können, da er am Tage selbst die größte Vorsicht beobachten mußte.
In jeder Nacht lag er auf dem Wasser, indem er sein leichtes Canoa oberhalb der Insel an einer die Oberfläche wenig überragenden Felsspitze festlegte, an der einige Büsche wuchsen, die im Notfall selbst am Tage Deckung gewährten.
Vier Nächte hindurch lag er so mit der Geduld einer Rothaut, die auf den Todfeind lauert. Schon nahte sich zu Ende der vierten der Morgen, als er Ruderschläge oberhalb seiner Stellung vernahm. Bald erkannte er zu seiner grimmigen Freude das erwartete Boot.
Es kam rasch stromab.
Er lag im Canoa und lugte durch die Büsche.
Als das Boot sich in gleicher Höhe befand, ließ er in täuschender Nachahmung den Schrei des Adlers der Anden vernehmen. War Huatl an Bord, so wußte dieser, daß ein Chibcha aus dem Hochgebirge ihm zurief, denn der Adler der Anden kam wohl selten hier in die Niederung.
Begierig schaute er dem Boote nach, welche Stromseite es wählen würde, und ließ, als er erkannt hatte, daß es die rechte einschlug, sein Fahrzeug in derselben Richtung treiben, indem er das Ruder steuernd einsenkte und ihm so die Richtung nach dem Ufer zu gab. Es war hell genug, daß er das größere Boot erkennen konnte, während das seine, das so niedrig auf dem Wasser lag, auch für scharfe Augen unbemerkt bleiben mußte.
Schon war das Boot fast an der Insel vorbei, als er zu seinem Erstaunen gewahrte, wie es wendete und nun stromauf ging, unter kräftigen Ruderschlägen gegen die Strömung ankämpfend.
Maxtla war jetzt dicht am Ufer und so das Canoa auf dem dunklen Hintergrunde des Waldes gar nicht zu sehen. Allgemach kam das fremde Boot wieder auf gleiche Höhe, worauf es plötzlich zwischen zwei Felsspitzen der Insel verschwand. Also dort war die Anlegestelle. Des Indianers Auge hielt die Felsen fest, zwischen welchen der Weg genommen worden war.
Er wiederholte den Adlerschrei und ließ sein Fahrzeug in das Uferschilf laufen, gerade der Stelle gegenüber, wo das Boot zwischen den Felsen verschwand. Vorsichtig ging er an das Land, vorsichtig erkletterte er einen Ceibabaum, doch erkannte er von hier aus nur, daß zwischen der äußeren Felsumgürtung und einer inneren Felserhebung eine Wasserfläche sein müsse, die wohl als Hafen diente und nur stromauf zugänglich sein mußte.
Er hielt sich den Tag über ruhig. Die Insel lag wie tot da. Einige Kähne und ein Floß, die von oben kamen, hielten sich von der gefährlichen Insel in ängstlicher Entfernung. Maxtla harrte geduldig. Einigen Mundvorrat führte er mit, so daß er keinen Mangel litt. So kam die Nacht heran.
Auch jetzt harrte der Indianer noch stundenlang, denn früh kommt die Nacht in jenen Breiten. Dann aber trat er im Canoa in den Strom. Ein starker Wind kam stromauf, half ihm gegen die Strömung anzukämpfen und übertönte durch sein Rauschen in den Bäumen das leichte Geräusch seines Ruders.
Er gelangte trotz der Dunkelheit zu den Felsen, war in ihrem Schutze in ruhigem Wasser und erkannte bald, daß hier ein gewundener Gang durch die felsige Einfassung der Insel führte. Er legte das Ruder nieder und stieß sein leichtes Boot an der Felswand, mit den Händen tastend, vorsichtig und geräuschlos weiter.
Nach einigen Windungen, die er sich genau merkte, trat er in ein ziemlich geräumiges Bassin, in dem schattenhaft erkennbar einige Kähne lagen. Er gewahrte Feuerschein am Ufer, der durch Büsche drang, sah auch die unteren Äste der Bäume erleuchtet und vernahm Stimmen, die schwach zu ihm drangen.
Er lauschte, ob nicht ein Mensch in den Booten sei, die vor ihm lagen, aber sein Ohr vernahm nichts. Kein Atemzug verriet die Nähe eines Lebenden. Er ruderte vorsichtig mit der Hand und trieb so in dem stillliegenden Wasser das Canoa ans Ufer.
Langsam kroch er an dessen grasigem, mit Büschen besetztem Rande hinauf und endlich gelang es ihm, einen Blick durch die Zweige zu werfen. Er sah auf einem ebenen, von Strauchwerk befreiten Platze einige niedergebrannte Feuer, an denen noch Leute saßen und rauchten, sah mehrere roh hergestellte Hütten und ein etwas größeres Haus, das aus festerem Material hergerichtet war. Er kroch weiter und gelangte, immer durch Büsche gedeckt, in den Schatten eines höher stehenden Kautschukbaumes. Da sah er - selbst das Herz des eisernen Indianers stand einen Augenblick still bei diesem Anblick - sah er im Scheine eines Feuers an einen Baum gelehnt - Alonzo sitzen.
Maxtla erkannte, daß Alonzo mit einem Lasso an den Baum gebunden war.
Die Freude des Indianers war grenzenlos - der Sohn Don Pedros lebte.
Er erkannte bald, daß der Weiße mit einem Lasso an den Baum gebunden war.
Der Jüngling sah zwar bleich, aber trotzig und hochmütig aus.
Maxtla betrachtete die Umgebung. Es war möglich, ungesehen in seine Nähe zu gelangen. Schon wollte er sich vorsichtig dahin schleichen, als er Stimmen in seiner Nähe vernahm.
Er beugte sich nieder und verschwand im Grase.
"Ich verstehe nicht, wie du uns mit einem Gefangenen belästigen kannst, Don Ambrosio," ließ sich gedämpften Tones eine tiefe Stimme vernehmen.
"Er ist sehr wertvoll, Capitano, und de Valla muß uns seinen Kopf mit fünfzigtausend Pesos abkaufen."
Es war der Mann, der von dem Alguacil verfolgt, von Tejada zum Morde Alonzos angespornt worden war, der hier sprach. Maxtla erkannte die Stimme, trotzdem er sie nur einmal gehört hatte.
"Was? Fünfzigtausend Pesos?"
"Der junge Mensch ist im Augenblicke eine wichtige Person in dieser glorreichen Republik. Ich sende morgen früh sichere Boten ab; sind in zehn Tagen nicht fünfzigtausend Pesos in guten Wertscheinen der Amerikanos in Cabuyaro an sicherer Stelle, kannst du ihn in den Orinoko tauchen, wenn der junge Mann sich dann nicht selbst auslöst."
"Und unsere Zuflucht verrät."
"Er weiß nicht, wo er ist, er lag gebunden, den Kopf verdeckt, im Raume, die ganze Reise über. Kommt das Geld, wie ich glaube, und der Gefangene ist für de Valla eine Person von äußerster Wichtigkeit, nun - hungrige Alligatoren hat der Fluß ja genug. Capitano, der Bursche, den das Glück mir in die Hand spielte, ist Gold wert. Der Dummkopf, der mich antrieb, ihn zu beseitigen, es war, wie ich später nach der Beschreibung, die ich von ihm gab, ein gewisser Tejada, ein Gauner, hatte keine Ahnung von der Bedeutung des jungen Menschen, sonst hätte er ihn teuer verkauft." Mit einem heiseren Lachen setzte der Sprecher hinzu: "Ich war klüger, ich habe ihn meinem Versprechen gemäß 'beseitigt' und nun soll er uns Geld einbringen, viel Geld."
"Nun gut, warten wir es ab. Du weißt, daß ich nicht für Gefangene auf dieser Insel bin."
"Das ist hier etwas anderes, er ist am Lande gefangen genommen, fern von hier und weiß nicht von wem, noch weiß er, wo er sich befindet."
Die beiden entfernten sich von dem Baume, den sie wohl aufgesucht hatten, um von den anderen nicht gehört zu werden; der mit der tiefen Stimme war, wie Maxtla bei vorsichtiger Erhebung des Hauptes erkannt hatte, ein Zambo.
Maxtla überlegte, ob er sofort einen Befreiungsversuch machen oder diesen auf später versparen sollte. Vor allem aber mußte der Gefangene über seine Anwesenheit unterrichtet werden, um Trost zu finden in der Gewißheit, einen Freund in der Nähe zu haben, und einen Befreiungsversuch unterstützen zu können.
Wie viel Leute hier anwesend waren, vermochte er nicht zu ermitteln, er sah nur wenige - doch in den Hütten mochten noch andere sein. Huatl erblickte er nicht.
Er kroch langsam, durch Büsche und Farnkraut gedeckt, weiter und gelangte endlich in die Nähe Alonzos, der starr vor sich hin blickte. Nicht nur Buschwerk und Sträucher, auch die Dunkelheit schützten ihn hier.
Von hier aus hatte Maxtla einen freieren Überblick über den nicht großen freien Raum, der, mäßig durch einige Feuer beleuchtet, von den unter Bäumen stehenden Hütten umgrenzt war.
An einem der Feuer saßen mehrere Farbige, darunter ein riesenhafter Neger, die eine Rumflasche unter sich kreisen ließen und dieser schon stark zugesprochen haben mußten. Einige saßen oder lagen, stier vor sich hin blickend auf der Erde, die anderen schwatzten und belachten allerlei Dinge. In einer der Hütten, deren Inneres erleuchtet war, schien gespielt zu werden, denn auf das Spiel bezügliche Ausrufe drangen zu des Lauschers Ohr.
An einem anderen Feuer saßen einige Weiße, Menschen mit wahren Galgengesichtern, tranken und rauchten.
Von dem durch den Alguacil Verfolgten und dem Zambo gewahrte Maxtla nichts, ebenso vergeblich sah er sich nach Huatl um.
Wachen waren nirgends ausgestellt, die Leute schienen sich hier in völliger Sicherheit zu fühlen; selbst dem Gefangenen, der freilich mit einem unzerreißbaren Lasso an den Baum, vor dem er saß, gebunden war, schien man keine Aufmerksamkeit zu schenken.
Da kam Maxtla der Gedanke, sofort einen Befreiungsversuch zu machen, vielleicht fand er ein zweites Mal die Gelegenheit weniger günstig.
Schon wollte er sich kriechend auf Alonzo zu bewegen, als er Huatl erblickte, der langsam an seinem Versteck vorbeischlenderte.
Als der Chibcha das Zischen der Felsennatter vernahm, das aus dem Grase zu ihm drang, zuckte er zusammen, und sein dunkles Auge richtete sich auf den Busch, hinter dem Maxtla lag.
Mit einer ganz natürlichen Bewegung ließ sich Huatl hierauf in dessen Nähe nieder, den Rücken ihm zugekehrt.
Niemand war in der Nähe und die Gestalt des Indianers nur schattenhaft wahrzunehmen.
Des Chibcha Augen rollten unruhig suchend hin und her.
Leise drang es zu seinem Ohr in der Sprache der Chibchas aus dem Hochgebirge.
"Huatl hörte den Adlerschrei seines Bruders?"
Der Angeredete senkte bejahend langsam das Haupt.
"Maxtla ist gekommen, den Gefangenen zu befreien, er ist der Sohn seines Freundes."
Huatl, der sah, daß er ganz unbeachtet war, wandte langsam das Haupt nach dem Busche und flüsterte: "Maxtla ist sehr kühn, in die Höhle der Panther zu kommen; er wird sein Leben verlieren und den Gefangenen nicht befreien."
"Er wird ihn befreien, wenn sein Bruder ihm beisteht."
Der Chibcha schwieg.
"Huatl sehnt sich nach den Bergen, wo er aufgewachsen ist - er wird sie wiedersehen. Der Jüngling dort ist ein mächtiger Caudillo, darum haben sie ihn gefangen; er wird Huatl frei zurückkehren lassen zu den Seinen und ihm schöne Waffen, Ponchos, Mulos und Pferde geben, und Huatl wird, wenn die Unsichtbaren ihn rufen, zur Sonne gehen und sein Leib im Schatten der Felsen ruhen, die die Väter sahen."
"Was soll Huatl tun?" fragte der Mann, auf den die wohlberechneten Worte Maxtlas unzweifelhaft einen tiefen Eindruck gemacht hatten.
"Huatl wird dahin gehen, wo die Canoas liegen und sich in das Maxtlas legen; er wird es bereit halten, wenn Maxtla mit dem Jüngling kommt und ihm helfen, ihn über den Strom zu setzen. Huatl wird mit Maxtla gehen, er kann nicht länger unter den Piratas weilen."
"Sie haben Canoas und sind sehr geschickt auf dem Wasser."
"Wir werden sie blind machen. Huatl wird mit uns kommen und dann in seine Berge gehen."
Nach einiger Zeit erwiderte der Chibcha, in dem die Sehnsucht nach seiner bergigen Heimat sehr stark sein mußte, wie in den beiden Indianern die Lehren der christlichen Religion nur schwach nachwirkten: "Huatl wird tun wie Maxtla sagt."
Er erhob sich nach einer Weile und ging langsam den Hütten zu.
Die beiden Gruppen der Farbigen und der Weißen saßen noch um ihre Feuer. Alle schienen angetrunken zu sein, denn ihre Stimmen, wenn sie redeten, lallten nur. Der Lärm aus der erleuchteten Hütte dauerte an.
Langsam kroch Maxtla zu dem Baume, vor dem Alonzo saß.
Düster blickte der Jüngling vor sich hin, der so rauh dem Kreise der Seinen entrissen und in so qualvoller Weise gebunden auf dem Boden eines Kahnes liegend hierhergeführt worden war.
Er wußte nicht, was man mit ihm vorhatte, noch wo er sich befand; seinen Fragen hatte man die Vertröstung entgegengesetzt, daß er zeitig genug alles erfahren werde.
Er hatte längst erkannt, daß er in die Gewalt einer wohlorganisierten Räuberschar geraten war; daß seine Gefangennahme eine Fortsetzung des ihm geltenden Mordversuches sei, war ihm nicht zweifelhaft.
Es war die Hand des Todfeindes, die seit Jahren ihm drohte, die jetzt auf ihm lag.
Er dachte an Otoño, an die Angst seiner guten Pflegeväter, die Verzweiflung Elviras.
Gleich einem Blitze durchzuckte es ihn, als er jetzt hinter dem Baume hervor das Zischen der Bergnatter vernahm - die in der Niederung nicht heimisch war.
Es war dies ein von den Indianern der Anden oft gebrauchtes Verständigungszeichen.
Gleich darauf klang es in der Chibchasprache zu ihm; er bedurfte seiner ganzen Kraft, um seine Ruhe zu wahren, denn er glaubte die Stimme Maxtlas zu erkennen.
"Hört mich Don Alonzo?"
Alonzo war unter den Aimaràs durch eine furchtbare Schule gegangen, es gelang ihm auch jetzt, sich zu beherrschen und erst nach einiger Zeit vorsichtig und leise zu erwidern: "Ich höre eines Freundes Stimme."
"Kann der junge Adler die Flügel regen?"
Ja, es war Maxtla und er verstand, was der Indio meinte.
Zwar schmerzten ihn noch die so lange gefesselt gewesenen Hand- und Fußgelenke, aber die Glieder waren wieder brauchbar geworden.
"Ja, sie sind stark."
Alonzo schaute sich verstohlen um. Er wußte, in welcher Richtung der Hafen der Piraten lag; aber gerade da saßen die zechenden Farbigen und Weißen, obgleich die jetzt nicht gefährlich waren.
Aber es mochten wohl an die dreißig Mann hier versammelt sein, und der Zambo, der das Kommando über sie führte, war ein entschlossener, wachsamer Mann.
Alonzo hatte sich schon gewundert über die Sorglosigkeit, mit der man ihn behandelte und den Mangel an Wachsamkeit von seiten der Bandidos und daraus den Schluß gezogen, daß er sich auf einer Insel befinden müsse.
Wenn der kluge und tapfere Maxtla da war, welch ein Wunder hatte ihn hierhergeführt? So war Flucht gewiß möglich - er würde sie auch allein versucht haben, sobald die Gelegenheit sich bot. Sein Herz bebte jetzt in freudiger Erregung.
"Was soll ich tun?"
"Im Hafen liegt mein Canoa; wir müssen die Feinde blind machen und das Boot zu erreichen suchen."
"Wohl, Maxtla wird sagen, wie es geschehen soll."
Die im leisen Tone geführte Unterredung wurde unterbrochen durch das Herannahen des Zambo, dem ein Neger folgte. Maxtla verschwand im tieferen Schatten, und Alonzo saß ruhig mit ernstem, fast gleichgültigem Gesicht da.
"Folgen Sie diesem Mann," redete der Zambo Alonzo an, "er wird Sie in eines der Häuser führen."
Alonzo erhob sich mühevoll, es war klar, daß die Füße ihm den Dienst versagten, er wankte.
Der Neger löste den Lasso von dem Baum, hinter dem Maxtla lag, die Machete in der Hand.
Da erhob sich aus der Hütte, die erleuchtet war, wüstes Geschrei, und zur Türe heraus flog einem Ballen gleich ein Mann.
Die um die Feuer sitzenden Leute stierten stumpfsinnig nach jener Seite hin, der Neger, der Alonzo am Lasso hielt, mit gierigem Interesse. Ein Augenblick - und Alonzos Faust traf ihn mit so furchtbarer Wucht zwischen beide Augen, daß der Schwarze lautlos, wie ein Klotz, zu Boden sank. Mit einem Sprung war Alonzo hinter dem Baum und streifte den Lasso ab.
"Maxtla?"
"Hier! Mir nach!"
Und fort schlichen beide durch die Büsche, um mit Umgehung des Platzes das Canoa zu erreichen. Der wilde Lärm dauerte an.
Schon nahten sie dem Hafen, als eine gellende Stimme schrie: "El prisionero (Der Gefangene)!"
"Vorwärts," zischte Maxtla.
Schon standen sie am Wasser, vor sich das Canoa, Maxtla half Alonzo hinein, als der Zambo zwischen den Büschen erschien, der von allen Piraten allein Besinnung genug bewahrt hatte, um bei Entdeckung der Flucht Alonzos nach der einzig gefährlichen Stelle, dem Hafen zu laufen.
Mit Kraft stieß Maxtla das Boot in das Wasser, rief Huatl zu: "Rette ihn!" und wandte sich gegen den Zambo.
Huatl tauchte gegen den Willen Alonzos, der an das Land springen wollte, das Ruder in das Wasser und gleich darauf fuhr das Boot um die nächste Biegung.
Hier hielt Huatl.
"Fahre zurück, sofort zurück!"
"Ruhig, Sennor, Maxtla ist ein Chibchakrieger."
Gleich darauf rauschte es in dem Wasser, und Maxtla schwamm heran.
"O, dann ist es gut," sagte Alonzo inbrünstig, als er ihn erkannte.
Schwierig war es, Maxtla in das schwankende Fahrzeug zu bringen.
"Fort!" sagte er, das Wasser aus seinem Haar schüttelnd.
"Der Zambo?"
"Wird niemand mehr gefährlich werden," erwiderte ruhig Maxtla.
"Man wird uns folgen."
"Nein," sagte Huatl.
"Er ist ein Chibchakrieger, Don Alonzo," sagte mit freudigem Grinsen Maxtla, "er hat alle Boote der Piraten dem Flusse übergeben; sie werden nicht folgen."
Maxtla hatte mit dem ersten Blick erkannt, als er an das Wasser kam, was der schlaue Huatl getan, Alonzo war es entgangen.
Von der Landungsstelle her tönte wütendes Geschrei ihnen nach.
"Schreit nur," äußerte Maxtla, der unendlich glücklich war, Alonzo gerettet zu sehen, in ungewohnter guter Laune - "kein Schrei schafft euch Canoas herbei."
Gleich darauf traten sie in den Strom, wo sie jetzt in vollkommener Sicherheit waren.
Maxtla gab die Richtung zum linken Ufer an, dort, in ruhigerem Wasser - Huatl hatte für zwei Ruder gesorgt - trieben die beiden Indios das leichte Canoa eine große Strecke stromauf, bis der Chibcha die Zeit für gekommen hielt, an einer geeigneten Stelle zu landen.
Nachdem sie den Schilfsaum durchquert und festen Boden unter sich hatten, ließen sie sich zwischen Farnkräutern nieder, und Maxtla zündete Feuer an. Bei dessen Scheine stellten sie sich nach Jägerart, aus Gras und Baumrinde, eine Ruhestätte her.
Alonzo hielt Maxtlas Hand: "Zum zweiten Male verdanke ich dir mein Leben, wie vergelte ich dir das?"
"Nichts vergelten. Don Pedro gut gegen armen Indio, Indio gut gegen Don Pedros Sohn - das gut so. Hier, Huatl, müssen vergelten, er armer Indio, will wieder in Berge, da Don Alonzo helfen."
"Ja, wahrlich Mann," rief der glücklich Befreite, "wenn ich es vermag, werde ich alle seine Wünsche erfüllen."