158063.fb2 Der Gefangene der Aimar?s - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 9

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Achtes Kapitel.Zwei Ehrenmänner

    Das alte Santa Fé de Bogotá, die Hauptstadt Neugranadas, liegt hoch über den Llanos zwischen Bergen eingebettet. Überragt wird es von den nahen, mit Kapellen geschmückten schroffen Felskegeln Guadalupe und Monserate und weiterhin schimmern die schneebedeckten Riesen der himmelanstrebenden Kordilleren. Doch freundlich liegt es da inmitten einer gigantischen Umgebung.

    Schräge rote Ziegeldächer und gelbe oder weiß getünchte Lehmwände geben der Stadt ein freundliches Kolorit, das durch die dazwischen aufragenden schlanken Eukalypten noch gehoben wird.

    Die Doppeltürme der Kathedrale, die Kuppel von Santa Clara, der weiße Turm von San Franzisko grüßen schon auf weite Ferne hin, über die nach Ost und Süd sich ausdehnenden Hochebenen, nach den Bergen hinauf.

    - Schon neigte sich die Sonne den unwirtlichen Höhen im Westen zu, sie mit ihren letzten Strahlen in einen goldigen Schimmer von seltener Schönheit hüllend, als auf müdem Pferde ein Mann, der einen langen Weg hinter sich haben mußte, von Süden her in die Stadt einritt.

    Der breitrandige Hut, der hie und da durchlöcherte Poncho, die langen Reitgamaschen waren mit Sand und Staub bedeckt, gleich dem Fell des Tieres, das er ritt, und auch die Haltung des Mannes deutete auf Erschöpfung.

    Seine Gestalt war lang und hager, das scharf geschnittene Profil wies eine starke Habichtsnase auf, zu deren Seiten unter dichten Brauen zwei dunkle Augen leuchteten, deren Blick etwas vom lauernden Raubtier an sich hatte.

    Von dem unteren Teile des Gesichtes war wenig zu sehen, denn der Mann trug nach Art derer, die aus den Llanos kamen, ein seidenes Tuch um Mund und Kinn als Schutz vor dem Staube des Weges.

    Er trug auf dem Rücken einen Karabiner und den landesüblichen Lasso am Sattelknopf.

    Die Leute, die vor den Häusern saßen oder sich in der Straße bewegten, achteten des Reiters kaum; eine solche Erscheinung war ihnen nichts Neues.

    Der Mann schien seinen Weg zu kennen, denn ohne zu fragen, bog er in eine Quergasse ein, die hier in der Vorstadt San Diego noch Häuser aus der Zeit Philipps II. aufweist, und hielt vor einer Posada, die durch eine Weintraube als solche kenntlich gemacht wurde.

    "Wenn der Alte noch lebt," murmelte der Reiter vor sich hin, "können wir sogleich die Probe machen, ob mein Gesicht in Bogotá noch bekannt ist."

    Als niemand kam, ihm das Pferd abzunehmen, begann er sich bemerkbar zu machen: "Ist denn in dieser Herberge niemand, der einem Caballero das Pferd abnimmt?" rief er.

    Das brachte endlich den Posadero, eine fleischige Gestalt mit dickem, gutmütigem Gesicht, in den Torweg, der zum Patio führte.

    "Sachte, sachte, Sennor," sagte der Posadero, "wir sind hier an Höflichkeit gewöhnt."

    Der Reiter hatte das Tuch, das den unteren Teil seines Gesichtes einhüllte, entfernt. Lippe und Kinn zierten ein Schnurr- und Knebelbart, die das gebräunte Antlitz nur noch hagerer erscheinen ließen.

    "Er ist es," murmelte er vor sich hin, während der Wirt ihn aufmerksam musterte. Und er fügte laut hinzu: "Nun, ich hatte mir in der berühmten Posada Don Geronimos einen freundlicheren Empfang erhofft."

    Dies schien dem Wirt, der den Fremden immer noch anstarrte, zu schmeicheln, denn er sagte höflicher: "Seid willkommen, Sennor, möge es Euch in meiner schlechten Behausung gefallen. Pepe," rief er einem Peon zu, "nimm dem Caballero das Pferd ab."

    Der Bursche nahm das Tier am Zügel, der Reiter stieg ab und folgte dem Wirt in ein Zimmer des Erdgeschosses, das als Schenkstube diente und in diesem Augenblick von Gästen leer war.

    Der Fremde warf den Poncho ab, stellte den Karabiner in die Ecke und sagte: "Rasch einen Schluck Aguardiente, Mann, ich muß den Staub hinunterschlucken."

    Der Wirt brachte ihm ein Glas des scharfen Getränkes, den Reisenden dabei fortwährend musternd. Dieser trank und verlangte dann nach Speise. Der Posadero stellte ihm ein gebratenes Huhn und frische Tortillas in Aussicht und begab sich hinaus, um das Abendbrot für seinen Gast zu bestellen.  

"Seid willkommen, Sennor! Möge es Euch in meiner schlechten Behausung gefallen."

"Er hat mich nicht erkannt, der Brave," sagte der Reisende vor sich hin, als der Wirt fort war, "das ist mir doch lieb."

    Er ging mehrmals auf und ab und murmelte vor sich hin: "Es ist des Löwen Höhle, in die ich mich wage, indessen hoffe ich, Don Carlos wird Vernunft annehmen. Mit den Häuptern der Liberalen will ich nichts zu tun haben, sie wissen einen Mann wie mich nicht zu schätzen, und ob sie Geld haben, ist fraglich. Don Carlos hat die Macht und Geld, wagen muß ich es."

    Der Wirt kam zurück.

    "Ihr müßt mir sagen, Sennor, wer Ihr seid und was für Geschäfte Euch hierher führen. Der Alkalde ist seit einiger Zeit sehr neugierig, was Fremde betrifft, wir Posaderos haben strenge Befehle."

    "Gleich, Sennor, doch vorerst sagt mir, ob Excellenza de Valla in der Stadt ist?"

    "Excellenza de Valla?" fragte erstaunt der Wirt, "unser hochgebietender Herr Minister? Ich glaube wohl."

    "Das ist gut, denn ich muß Excellenza noch heute meine Aufwartung machen. Das ist mein Geschäft hier, und mein Name -," er sah mit einem spöttischen Lächeln in das dicke, gutmütige Gesicht des Wirtes, "mein Name lautet Sancho Tejada, ehemals Lugarteniente im Heere der Republik."

    Wäre das Haus eingefallen, der Wirt hätte nicht erschrockener aussehen können, als bei Nennung dieses Namens.

    Mit dem Ausdrucke des Entsetzens starrte er in das Gesicht des Fremden.

    "Du scheinst wenig Gedächtnis für die Züge deines gehorsamen Neffen zu haben, mein teuerster Oheim, doch ich hoffe, dein Herz ist noch das alte geblieben."

    Der Posadero schien sein Entsetzen überwunden zu haben, denn seine Miene wurde finster und drohend.

    "Wie kommst du hierher? Was willst du hier?" Seine Stimme bebte vor innerer Erregung.

    "Ah, mich trieb die Sehnsucht hierher, dein würdiges Antlitz wieder zu sehen."

    "Verlaß augenblicklich die Schwelle meines Hauses. Wenn ich nicht nach den Alguacils rufe, verdankst du es nur der Erinnerung an meine Schwester."

    "Das ist wahrlich ein schöner Empfang. Aber sei vernünftig, Oheim -"

    "Was willst du hier?"

    "Ich habe, wie ich dir schon sagte, Geschäfte mit Excellenza de Valla."

    "Du?"

    "Ich. Sei ruhig, Don Geronimo, ich werde dir nicht lange zur Last fallen."

    "Wie kannst du dich hierher wagen; du Schandfleck einer ehrlichen Familie? Hierher, wo der Galgen auf dich wartet?"

    "Pah, politischer Haß diktierte das Urteil, ich bin heute wie damals ein echter Caballero."

    "Und du willst Excellenza de Valla aufsuchen? Er läßt dich hängen ehe du ein Ave Maria beten kannst."

    Tejada erbleichte doch etwas, sagte aber dann: "Torheit, ich komme, ihm einen wichtigen Dienst zu leisten, und hoffe, mir seine volle Gunst zu erwerben."

    "So? Merkwürdig. Was willst du denn nun bei mir?"

    "Ich konnte es unmöglich vermeiden, dir meinen Besuch zu machen, als ich Bogotá betrat," erwiderte Tejada mit frechem Cynismus, "nächstdem aber wollte ich dich bitten, mir einen Poncho zu leihen für meinen Besuch bei Excellenza, denn der meinige ist durch die Reise etwas mitgenommen, und mir ein gutes Pferd für kurze Zeit anzuvertrauen, du sollst beides ehrlich wieder haben."

    "Gut. Du sollst Poncho und Pferd haben, ich kaufe dich damit von deiner Gegenwart los. Betrittst du aber wieder mein Haus, oder sagst du, daß ich dein Onkel bin, so zeige ich dich dem Alkalden an."

    "Ich sehe, daß deine verwandschaftlichen Gefühle nicht sehr stark sind, aber ich muß den Kummer darüber unterdrücken. Ah, da kommt das Huhn! Gestatte mir zu speisen und dann will ich dein Haus verlassen."

    Ein Aufwärter setzte ihm die Speisen vor und der Posadero ging achselzuckend mit dem Ausdruck des Zornes in dem fleischigen Gesicht hinaus.

    Sancho Tejada speiste mit vortrefflichem Appetit.

    Don Geronimo kam wieder herein, warf ihm einen noch fast neuen Poncho zu und sagte: "Das Pferd steht draußen gesattelt."

    Tejada erhob sich, warf den Poncho um und sagte: "Ich vermute, Excellenza wohnt im Hause der Alcantaras?"

    Geronimo nickte.

    "So sage ich dir meinen herzlichen Dank, teuerster Oheim, und verspreche dir, mich nicht wieder vor deine Augen zu bringen."

    Er nahm seinen Karabiner und ging hinaus.

    Don Geronimo sah ihm mit finsterer Miene nach.

    "Muß mir dieser verkommene Bursche über den Weg laufen, ich hielt ihn längst für tot. Was hat er nur mit Sennor de Valla? Wahrscheinlich will ihm der Schuft einige echte Patrioten verraten und sie an das Messer liefern. Gott möge sie schützen."

    Mit sorgenvollem Antlitz ging der alte ehrliche Posadero nach dem Patio, überzeugte sich, daß sein Gast davongeritten war, und ließ das Tor schließen.

    Auf einem guten Pferde, mit einem sauberen Poncho umkleidet, ritt Sennor Tejada langsam durch die engen Straßen der Vorstadt. Seine Brauen waren nachdenklich zusammengezogen. "Er ist ein äußerst kaltblütiger Bursche," murmelte er, "und schlau wie ein Andenfuchs, aber ich muß es mit ihm versuchen." Er faßte in die Tasche seines weiten Beinkleides und fühlte nach einem kleinen Doppelpistol, das er darin verborgen trug.

    "Ich muß hier wieder Fuß fassen oder ich werde zu Tode gehetzt, und Excellenza sollen ja in Neugranada allmächtig sein. Wie der Zufall spielt! Ich weiß eine Zeit, wo de Valla froh war, wenn ich ihm eine Doublone borgte. Aber vorsichtig, der Mann hat nicht nur die Macht, er versteht auch, sie rücksichtslos zu gebrauchen, und Freunde habe ich hier gerade nicht."

    Er war bis zu den breiteren und neueren Straßen gekommen, die auch besser beleuchtet waren als die alten Gassen der Vorstadt San Diego, gab seinem Gaule die Sporen und galoppierte nach der Plaza, wo das Haus lag, wo der Minister wohnte. Tejada kannte das Haus, das vor Zeiten ein Alcantara gebaut hatte, und sah das vornehme, umfangreiche, im Stile des sechzehnten Jahrhunderts errichtete Gebäude bald vor sich. Einige Fenster waren erleuchtet und das eiserne Gittertor, das zum Patio führte, offen. Zwei Pechpfannen erhellten mit ihrem rötlichen Schein den Eingang.

    Tejada ritt in leichtem Galopp an und befand sich gleich darauf im Hofe.

    Er zuckte doch zusammen, als er dort im Scheine eines Feuers einige Lanceros gewahrte, deren gesattelte Pferde unweit angebunden waren.

    "O, der Mann hat eine Leibwache?" Dennoch ritt er keck bis zu der Treppe, die zu dem Eingang ins Haus führte. Ein Peon nahte sich ihm, blieb aber in einiger Entfernung stehen, auf der Treppe erschien ein Diener.

    "Melde mich Excellenza."

    "Excellenza wird schwerlich zu sprechen sein. Wen soll ich melden?"

    "Einen Mann, der eine Botschaft aus dem Tale der drei Quellen bringt, das wird genügen."

    Die Diener des Ministers waren gewöhnt, allerlei Gestalten oft zu ungewöhnlicher Stunde bei ihrem Herrn erscheinen zu sehen, die nicht immer ihren Namen nannten; der Mann musterte den Reiter, so gut es bei der ungenügenden Beleuchtung gehen wollte, und ging ins Haus. Nach einiger Zeit erschien er wieder und sagte: "Excellenza wollen Euer Gnaden empfangen."

    Der Peon nahm Tejada das Pferd ab. Dieser stellte seinen Karabiner an die Wand und folgte, seinen Schnurrbart drehend, um sich ein keckes, selbstbewußtes Ansehen zu geben, dem voranschreitenden Diener durch das hell erleuchtete Vestibül und einen Korridor nach einem Zimmer im Erdgeschoß, wo er ihn mit den Worten: "Excellenza wird gleich erscheinen," allein ließ.

    Den indianischen Peon, der im Vestibül hinter einer Treppenwange kauerte, hatte Tejada nicht gesehen, nicht bemerkt, wie dessen Augen aufleuchteten, als er den Fremden erblickte, während seine Hand nach dem Messer griff, das er im Gürtel trug.

    Tejada schaute sich in dem reich ausgestatteten Gemache, dessen kostbare Möbel, Teppiche und Portieren ihm nicht wenig imponierten, mit einiger Scheu um.

    "Sehr vornehm, wohnt wie ein Grande, der gute Don Carlos und unsereins muß sich mühselig durch die Welt schlagen, immer die verwünschten Alguacils hinter sich. Ja, Glück muß der Mensch haben. Nun, vielleicht ist mir Fortuna diesmal hold; ich habe es satt, mich hetzen zu lassen wie ein wildes Tier. Hereingekommen bin ich - das Hinauskommen ist vielleicht schwieriger."

    Er faßte in die Tasche und entfernte von dem Doppelpistol sorgfältig die Versicherung, so die Waffe zum sofortigen Gebrauch fertig machend.

    Ein leises Rauschen, eine der Portieren öffnete sich und herein trat der Herr des Hauses.

    Sennor Carlos de Valla, der erste Minister des Staates Neugranada (es ist das heutige Columbia, das aber zur Zeit, wo unsere Geschichte spielt, den Namen des ehemaligen spanischen Generalkapitanates auch als selbständiges Staatswesen führte), der Herr ergiebiger Silberminen und viele Quadratleguas umfassender Liegenschaften, war ein Mann von mittelgroßer, wohlproportionierter Gestalt und vornehmer Haltung. Der elegante Sommeranzug, nach neuester Pariser Mode gefertigt, stellte seine Erscheinung in schroffen Gegensatz zu der des sonngebräunten Mannes im Poncho. Das gut geformte bartlose Gesicht von jener Elfenbeinfarbe, wie sie vornehmen Spaniern eigen ist, zeigte eine eherne Ruhe, während seine Augen forschend und mißtrauisch auf den Besucher gerichtet waren. 

"Es ist nur ein Konzept, wie Excellenza bemerken werden."

Tejada ward nicht ganz wohl diesem Manne gegenüber, dem das Machtbewußtsein aufgeprägt war, doch wußte er das zu verbergen und verbeugte sich mit der dem Spanier eigenen geschmeidigen Höflichkeit.

    "Was führt sie zu mir, Sennor?"

    "Wie ich sehe, habe ich nicht mehr das Glück, in Euer Excellenza Gedächtnis zu leben, obgleich Sancho Tejada das wohl hoffen durfte."

    Bei Nennung dieses Namens erschrak der Minister sichtlich, was Tejada nicht entging.

    "Ah," sagte de Valla gedehnt, während er die Augenlider etwas senkte und so den Mann im Poncho unter diesen hervor ansah, "ah, Sennor Tejada, das ist überraschend," und langsam, wie absichtslos, schob er die rechte Hand unter seinen Rock. Tejada entging diese Bewegung nicht und seine Hand senkte sich in die Tasche. "Es ist einigermaßen verwegen von Sennor Tejada, hier in Bogotà bei dem ersten Beamten des Staates zu erscheinen, denn mich dünkt, die Diener der Gerechtigkeit sehnen sich sehr nach Ihnen."

    "Ich hoffe, mich unter den Schutz Euer Excellenza stellen zu dürfen, denn ich komme, um Euer Gnaden einen Dienst zu leisten."

    "Ich hätte große Lust, Sie durch meine Lanceros festnehmen zu lassen," und de Vallas Hand bewegte sich unter dem Rocke.

    Wie ein Blitz fuhr aber Tejadas Doppelpistole empor und richtete sich auf den Minister. "Lassen Euer Gnaden ja stecken, ich kenne Ihre Fertigkeit im Gebrauche dieser Waffe wohl -, aber ich verstehe sie ebenfalls zu handhaben."

    "Pah, laß die Torheiten, Bursche," sagte de Valla verächtlich, "wenn ich dich nicht von den Lanceros niederstechen lasse, verdankst du es nur der Erinnerung an frühere Kriegskameradschaft."

    Dabei zog er aber doch die Hand unter dem Rocke hervor.

    "Excellenza würden dies auch bereuen, denn ich bin in der Tat Überbringer wichtiger Nachrichten," sagte Tejada mit einem Grinsen der Befriedigung.

    "Also, was willst du? Was bedeutet das, was du mir durch den Diener sagen ließest?"

    "Ich bin glücklich," sagte Tejada, der jetzt seine Sicherheit wieder gewann, "daß Excellenza unsere frühere Kameradschaft erwähnten, denn mich hat nur Anhänglichkeit an Eure Person hierhergeführt und der innige Wunsch, dem ehemaligen Gefährten zu seinen außerordentlichen Erfolgen meinen Glückwunsch darbringen zu können."

    "Laß das Geschwätz und komm zur Sache."

    "Euer Gnaden entsinnen sich wohl noch aus früheren Zeiten eines Mannes namens Gomez?"

    Trotz der Gewalt, die de Valla über sich hatte, zuckte es in seinem Gesichte auf.

    "Nun?"

    "Ich bin der Erbe dieses Mannes geworden -"

    "Er ist also tot?"

    "Er starb und hinterließ mir einige Briefe von Ew. Excellenza Hand, die ein ganz absonderliches Licht auf die Vorgänge im Tale der drei Quellen vor zehn Jahren werfen. Die Häupter der liberalen Partei würden mir für diese Briefe viel Geld geben, ich zog es aber alter Kameradschaft wegen vor, sie Ew. Excellenza zu überbringen."

    de Vallas Gesicht zeigte wiederum steinerne Ruhe.

    Dann sagte er langsam: "Das heißt, du willst mir die wertlosen Schreibereien verkaufen?"

    "Ob sie wertlos sind, mögen andere entscheiden; böswillige Menschen möchten herauslesen, daß Excellenza dem Morde an den d'Alcantaras nicht fern gestanden haben."

    Der Minister wurde etwas blässer und seine Hand zitterte leicht.

    "Du bist von einer unglaublichen Frechheit, Bursche!"

    "Weil Anhänglichkeit an Eure Person mich trieb, Euch einen Dienst zu leisten? O, Excellenza sind undankbar. Ew. Gnaden haben ungewöhnliches Glück gehabt und sind sogar der Erbe der reichen d'Alcantaras geworden. In Don Pedro, der das Unglück hatte, unter der Hand räuberischer Aimaràs zu fallen, schwand auch der gefährliche politische Gegner dahin, ja, Excellenza hatten Glück und ich bin ein armer Teufel geblieben, der ein ruheloses Leben führt, wenn ihm nicht ein mächtiger Gönner ersteht, der ihm den Weg zu einem behaglichen Dasein ebnet. Ew. Excellenza haben es verstanden, in den Wirren der Zeit sich die verschiedenen politischen Strömungen dienstbar zu machen, gar manches andere trug zu Ew. Excellenza Erhöhung bei, die gewiß wohl verdient ist, und nicht zuletzt auch der Unglücksfall im Tale der drei Quellen."

    de Valla, der in seinem von Parteien zerrissenen Vaterlande von einer zur anderen übergegangen war, immer nur seinen Vorteil im Auge, schwankte zwischen Grimm und Besorgnis bei diesem Hohne des vor ihm stehenden Bandidos. Die Briefe, die Tejada im Besitze haben wollte, hatte er vor ungefähr zehn Jahren geschrieben, er entsann sich also deren Inhaltes nicht mehr genau. Tatsache war, daß er seinen gefährlichen politischen Gegner, den gefeierten Pedro Alcantara, einen der edelsten Männer des Landes, aus seinem Wege hatte räumen wollen, und es war zwischen ihm und Gomez, der eines seiner Werkzeuge war, der Plan geschmiedet worden, d'Alcantara in die Hände der Aimaràs zu liefern, damit ihn die in ihren Schlupfwinkeln als Gefangenen bewahrten. Daß die Blutgier der Wilden kein Leben, auch das unschuldiger Kinder nicht schonte, hatte außer de Vallas Berechnung gelegen. Ihm hätte es genügt, wenn Pedro d'Alcantara auf einige Jahre von der politischen Schaubühne verschwand. Carlos de Valla hatte eine wilde Vergangenheit hinter sich, doch einen nutzlosen Mord zu begehen, war er nicht der Mann. Die entsetzliche Katastrophe hatte ihn damals tief erschüttert, doch im politischen Treiben, von ruhelosem Ehrgeiz getrieben, hatte sich sein Gewissen verhärtet. War es auch nicht auf den Tod d'Alcantaras abgesehen gewesen, noch weniger auf die Vernichtung der Seinen, so konnten die Briefe an Gomez, die er als das einzig mögliche Verständigungsmittel gezwungen schrieb, und dabei voraussetzte, daß dieser sie, seiner selbst willen, vernichten würde, immerhin Stellen enthalten, die eine schlimme Deutung zuließen, und in der Hand politischer Gegner gefährlich werden. Seinen Grimm bezwingend sagte de Valla ruhig: "Laß mich einmal die Briefe sehen."

    "Excellenza sollen sie sehen, doch Excellenza begreifen, daß sie sehr wertvoll sind und -"

    "Schwatz nicht, sind's meine Briefe, kaufe ich sie dir ab, obgleich nichts darin stehen kann, was nicht jeder Unbefangene lesen könnte."

    Tejada zog ein Päckchen vergilbter Papiere aus der Tasche und hielt sie vorsichtig de Valla hin, so daß der die Schriftzüge erkennen konnte und in der Tat sofort seine Handschrift erkannte.

    "Wie viel Briefe sind es?"

    "Vier."

    de Valla entsann sich nicht, wie viel Briefe er damals an Gomez geschrieben hatte, aber die Zahl vier mochte stimmen.

    "Was verlangst du dafür?"

    "Leider sind meine Finanzen sehr zerrüttet und unter 600 Pesos(etwa 2500 Mark) möchte ich sie nicht hergeben."

    "Sei es!" de Valla ging zu einem Schreibsekretär, entnahm diesem eine Anzahl der schweren Goldstücke, die man Unzen nennt, einige Geldscheine und übergab sie Tejada, der sie schmunzelnd in die Tasche steckte und dem Minister die Briefe einhändigte. Erleichtert atmete dieser auf.

    "So, das wäre abgemacht," sagte der verkommene Verkäufer der Briefe, der im stillen fürchtete, daß de Valla jetzt, wo er im Besitz der verdächtigen Papiere war, seine Macht ihm gegenüber geltend machen würde, "und nun will ich meinem verehrten Gönner, an den mich immer noch die frühere Anhänglichkeit kettet, erst recht einen Freundschaftsdienst erweisen."

    de Valla, der eifrig in die Briefe gesehen hatte, schaute auf und fragte mit gerunzelter Stirne: "Was willst du noch, du Spitzbube? Vergiß nicht, daß Lanceros draußen meines Winkes harren."

    Der Bandit zuckte zusammen und brachte trotz seiner Frechheit mit etwas bebender Stimme hervor: "Es wird für Excellenza gewiß von Interesse sein, zu erfahren, daß der Erstgeborene Pedro d'Alcantaras dem Blutbade damals entgangen ist und noch lebt."

    Mit einem Gesicht, das tödlichen Schrecken verriet, sprang de Valla von seinem Sessel auf und starrte Tejada an.

    "Was soll das? Was soll das Märchen?"

    "Kein Märchen, Alonzo d'Alcantara lebt und Excellenza werden das bald erfahren."

    "Hüte dich mit mir zu spielen -." Die Augen de Vallas funkelten unheimlich.

    "Der Knabe ist damals von den Aimaràs als Gefangener in die Berge geschleppt worden, weilt aber seit einigen Jahren schon in den Llanos."

    "Und das sollte ich erst jetzt erfahren?"

    "Man muß es wohl nicht rätlich gefunden haben, den allgewaltigen Mann, den Erben des Eigentums der Alcantaras, davon in Kenntnis zu setzen," war die spöttische Antwort, denn der Schreck de Vallas hatte Tejada die Zuversicht zurückgegeben.

    "Bursche, spiele nicht mit mir - oder -"

    "Wie würde ich das wagen? Für die Wahrheit meiner Aussage bürgt dieses Stück Papier. Ew. Excellenza entsinnen sich wohl noch der Handschrift unseres gemeinschaftlichen Freundes Gomez."

    Tejada entnahm seiner Tasche ein Stück Papier, auf dem einige Zeilen standen, und überreichte es de Valla. Begierig las dieser: "Und so schwöre ich bei Gott und seinen Heiligen, und so wahr ich im Angesicht des Todes auf Vergebung meiner Sünden und ewige Seeligkeit hoffe, daß dieser vor uns stehende junge Mensch, Alonzo, der Sohn Pedro d'Alcantaras ist, der dem Blutbade im Tale der drei Quellen entging und von den Aimaràs gefangen hinweggeführt worden ist. Enriquez Gomez."

    "Es ist nur ein Konzept, wie Excellenza bemerken werden," sagte Tejada, der wohl gewahrte, wie erregt der Minister war, "aber das Original ist in guter Hand und wird wohl zu geeigneter Zeit vorgezeigt werden."

    "Nicht möglich!" murmelte de Valla grimmig in sich hinein und starrte auf das Papier, dessen Schriftzeichen ihm, als von der Hand Gomez stammend, wohl bekannt vorkamen. "Enriquez Gomes, dieser Schurke, hätte das geschrieben?"

    de Valla ging mehrmals im Zimmer in erkennbarer Erregung auf und ab.

    "Das ist nichts als ein Machwerk meiner politischen Gegner, die seit langem mich zu stürzen trachten. Ich sehe jetzt klar. Man will mir eine Blutschuld aufbürden und in diesem angeblichen Alcantara einen gefährlichen Gegner entgegenstellen. Alonzo d'Alcantara ist seit zehn Jahren tot. Wo befindet sich der Betrüger, der sich für einen Sohn Don Pedros ausgibt?"

    Mit seiner geschmeidigen Höflichkeit erwiderte Tejada: "Das, Excellenza, ist mein Geheimnis, das ich nach meiner Art zu verwerten gedenke."

    de Valla warf dem Banditen einen Blick zu, der ihn erbeben machte.

    "Dein Geheimnis?"

    de Valla ging mehrmals auf und ab und schien zu überlegen.

    "Weißt du," sagte er dann, "daß ich dir dein Geheimnis aus der Seele peitschen lassen könnte?"

    "Excellenza würden das Übel nur vermehren und einen treuen Diener hart behandeln."

    de Valla überlegte immer noch und warf hie und da einen forschenden Blick auf Tejada, den dieser ruhig aushielt.

    "Die Sache ist von meinen Feinden schlau ausgedacht. Die Wahlen zur großen Junta stehen vor der Türe und eine Flut von Verleumdungen würde sich mit dem Auftauchen dieses Pseudoalcantara über mich ergießen. Im Interesse des Staates muß man diesen Betrüger verhindern, gegen mich aufzutreten, und du wirst das übernehmen."

    "Hm," äußerte Tejada, "das ist eine bedenkliche Sache; der junge Mann hat einflußreiche Freunde in den Llanos."

    "Wo man mir nicht hold ist."

    "Wie meinen denn Excellenza, daß man gegen den Menschen vorgehen soll?"

    "Das ist deine Sache, dem Angriff gegen mich muß die Spitze abgebrochen werden. Laß mich hören, daß diese Gefahr beseitigt ist und ich werde dich reich belohnen."

    "Ja, Geld wird die Sache kosten, denn ich setze mein Leben dabei aufs Spiel. Wenn Excellenza fünftausend Pesos anwenden wollen, wird kein Alonzo d'Alcantara gegen Excellenza auftreten."

    "Gut, ich will dieses Opfer bringen, aber wer bürgt mir für die Gewißheit?"

    "Mein Vorteil. Euer Gnaden geben mir jetzt tausend Pesos, denn ich muß als Caballero auftreten können, und die fünftausend, wenn ich sie überzeuge, daß die Gefahr vorüber ist."

    "Sei es."

    Mit dem ihm eigenen Gemisch von Unverschämtheit und kriechender Höflichkeit setzte der Bandit hinzu: "Nur müssen Excellenza die Gnade haben, mir wegen Lebens und Sterbens eine Anweisung auf Dero Kasse zu geben."

    de Valla zögerte.

    "Du verlangst viel. Genügt dir mein Wort als Caballero nicht?"

    "O Excellenza, vollständig - aber - für alle Fälle-"

    "Sei es."

    Der Minister setzte sich an den Schreibtisch und schrieb: Vorzeiger dieses ist von mir beauftragt worden. Nachforschungen nach dem angeblich von den in der Sierra Moreno hausenden Aimaràs gefangen gehaltenen Alonzo d'Alcantara anzustellen und erhält fünftausend Pesos von mir ausbezahlt, wenn er mir bis zum 1. Oktober dieses Jahres günstige Nachrichten von dem Sohn meines verstorbenen Freundes Don Pedro bringt.

    Bogotá, 17. Juli 1853

Carlos de Valla,

    Staatsminister.

Tejada steckte diese Anweisung, nachdem er sie aufmerksam gelesen, schmunzelnd ein.

    "Meine Interessen sind jetzt die Eurer Excellenza. Dieser Alcantara wird Sie nicht belästigen."

    "Diene mir treu und du wirst einen wohlwollenden Gönner an mir haben."

    de Valla gab dem Banditen amerikanische Banknoten, die im Lande sehr gern genommen wurden, und mit grinsendem Behagen verleibte sie Tejada seiner schmutzigen Brieftasche ein.

    "Verlasse rasch die Stadt und hüte dich vor den Alguacils."

    "Euer Gnaden werden bald von mir hören."

    Er verbeugte sich und ging, die Hand am Pistolenkolben, denn immer noch schwebte die Besorgnis über ihm, de Valla könnte ihn festhalten lassen. Erst als er auf der Plaza war, atmete er auf. Er hatte auch jetzt nicht den hinter der Treppe kauernden Indianer gesehen, und auch der Indianerknabe, der ihm folgte, während er eine Posada aufsuchte, fiel ihm nicht auf.

    de Valla blickte ihm mit einem düsteren Gesicht nach.

    "Schade, daß ich dich nicht hängen lassen konnte, Schurke. - Don Pedros Sohn am Leben? Hat dieser Gomez mich betrogen? Seine Handschrift ist es. Was ist das alles? Welche Rätsel sind hier zu lösen? Und das erfahre ich erst jetzt und durch diesen Banditen? Wer steckt dahinter? Du glaubtest klug zu handeln, Tejada, indem du mir den Aufenthaltsort des jungen Menschen vorenthieltest," murmelte er, "ich will dir einen Bluthund an die Ferse heften, der dich bewacht, und wenn es geboten sein sollte, zerreißt; hüte dich, wenn du mich betrügst."

    Er klingelte und ein Diener trat ein.

    "Ist der Indio Maxtla in der Nähe?"

    "Er ist draußen, Excellenza."

    "Schicke ihn herein."

    Gleich darauf trat der Indianer, der hinter der Treppe gesessen hatte, in das Zimmer.

    Der Mann, eine untersetzte breitschultrige Gestalt, mit dem traurigen, fast stumpfsinnigen Gesichtsausdruck, wie er den Indianer dieser Länder, als Nachwirkung Jahrhunderte alter Sklaverei, kennzeichnet, richtete die dunklen Augen auf den in Gedanken versunkenen Gebieter und harrte geduldig, bis er ihn bemerken würde.

    Der Indianer mochte etwa vierzig Jahre zählen, sein Äußeres ließ auf Körperkraft schließen. Bewegungslos stand er da, selbst in seinem braunen Gesicht regte sich kein Muskel.

    Endlich hob de Valla, dessen Gedanken in der Vergangenheit geweilt, die ihm Tejada so unerwartet zurückgerufen hatte, das Haupt.

    "Ah, gut daß du da bist. Ich habe einen Auftrag für dich, der dir viel Geld einbringen wird, wenn du ihn treu ausführst."

    "Maxtla hört."

    "Hast du den Mann gesehen, der eben bei mir war?"

    "Maxtla sah ihn."

    "Gut, ein Indio vergißt kein Gesicht, das er einmal gesehen hat." - Nach einer Pause fuhr de Valla fort: "Du entsinnst dich, daß vor Jahren der große Sennor d'Alcantara von deinen wilden Stammesgenossen in den Bergen mit all den Seinen ermordet wurde?"

    Hätte er in diesem Augenblicke den Indianer angesehen, würde er bemerkt haben, wie dessen dunkle Augen in einem seltsamen Glanze aufleuchteten, als er diese Erinnerung wachrief.

    In dem gleichmäßig ruhigen Tone dieser Leute erwiderte er aber: "Maxtla weiß es noch."

    "Der Mann, der eben bei mir war, brachte mir eine seltsame Kunde. In den Llanos soll ein junger Mann leben, der behauptet, der Sohn Don Pedros zu sein."

    Auch jetzt gewahrte er nicht, wie der stoische Indio mit dem stumpfsinnigen Gesicht und der apathischen Haltung leise zusammenbebte.

    "Ich traue weder dieser Nachricht, noch ihrem Überbringer, ich hege keinen Zweifel, daß der Knabe mit den Seinen umgekommen ist. Aber es ist möglich, daß meine Feinde eine zufällige Ähnlichkeit oder ein törichtes Gerücht benützen, um einen Fremdling gegen mich aufzuhetzen, damit er Anspruch auf das Erbe seines Vaters erhebt, das mir zugeteilt ward. Verstehst du mich?"

    "Maxtla versteht."

    "Ich will nun wissen, ob der Mann, der hier war, die Wahrheit berichtet hat, als er sagte, daß jemand den Namen Alonzo d'Alcantara in Anspruch nimmt."

    "Was soll Maxtla tun?"

    "Der Mann wird den Weg nach den Llanos einschlagen, du wirst ihm folgen und dich an seine Fersen heften, ohne daß er es gewahr wird, du bist schlau genug dazu. Triffst du auf einen Lügner, der sich Alonzo d'Alcantara nennt, so siehe meinen Todfeind in ihm."

    "Gut, ich verstehe, er ist dein Todfeind, Sennor."

    "Der Mann, den du hier sahst, versprach mir, den Betrüger unschädlich zu machen, aber ich traue ihm nicht. Entledigt er sich seines Auftrages, so laß ihn gewähren. Aber er ist leichtfertig, unzuverlässig und zu jedem Schurkenstreich fähig. Vor allem suche jenen d'Alcantara aufzufinden, damit ich im schlimmsten Falle weiß, wo er weilt und wer seine Freunde sind. Aber hoffentlich befreit mich ein Zufall von ihm, ehe ich genötigt bin, streng gegen den Betrüger vorzugehen."

    "So kannst du mir nicht sagen, wohin ich den Kopf meines Tieres in den Llanos wende, um den Lügner zu finden?"

    "Nein, das wollte der Mann, der sich Tejada nennt, in weiteren Kreisen aber unter dem Namen Coyote bekannt ist, nicht sagen, und eben das ist mir verdächtig und darum mußt du ihm wie sein Schatten folgen, er muß dir den Weg zeigen. Du hast jetzt deine Aufgabe begriffen?"

    "Sei sicher, Herr, Maxtla ist hinter ihm her wie der Hund auf der Fährte des Jaguar, und der Betrüger wird sterben."

    "Sollte aber der Coyote es wagen, falsch gegen mich zu handeln, so rechne ich auf deine Treue."

    "Maxtla ist treu - der Coyote mag sich hüten."

    "Ich sehe, du bist ein zuverlässiger Bursche."

    de Valla ging an seinen Schreibtisch und entnahm diesem einen Lederbeutel, der mit Silbergeld gefüllt war.

    "Hier hast du Geld, du wirst damit auskommen."

    Der Indianer nahm den ziemlich schweren Beutel und ließ ihn unter seinem Poncho verschwinden.

    "Nimm deine Mula und laß dir vom Majordomo geben, was du sonst noch brauchst. Mach dich auf den Weg und erfülle deinen Auftrag gut."

    Der Indianer neigte das Haupt und ging hinaus.

    "So, mein Freund Tejada, der Indio wird dir zu schaffen machen, wenn du mich betrügst."

    Er blickte vor sich hin. "Ich wollte dich nicht töten, Don Pedro," sagte er leise, "aber wenn jetzt dein Schatten aus dem Grabe steigt, um gegen mich zu zeugen, so sende ich ihn zurück in die ewige Nacht. Ich habe nicht gerungen jahrelang, um mir den Preis im letzten Augenblick entreißen zu lassen."

    Ein besonderes Klopfen ließ sich an der Tür vernehmen. "O, herein, Eugenio," rief de Valla rasch, und herein trat ein junger Mann von edler Gestalt, dessen sanftes, freundliches Gesicht unwiderstehlich für ihn einnahm.

    "Ich störe doch mein Väterchen nicht?" fragte er mit einem Lächeln.

    "Nein, mein Söhnchen, nur näher."

    Der junge Mann war Don Eugenio, der einzige Sohn des Ministers.

    Wunderbar war es, wie sich beim Erscheinen des jungen, vornehm gekleideten Mannes die Gesichtszüge de Vallas veränderten und einen selten gütigen, liebevollen Ausdruck zeigten, der den strengen Linien dieses Angesichts sonst fremd war.

    Was der verhärtete Mann noch an Liebe im Herzen hatte, konzentrierte sich auf diesen ihm äußerlich und mehr noch innerlich so unähnlichen Sprößling, den er mit einer nahezu fanatischen Zärtlichkeit umgab.

    "Nun, was führt denn meinen Infanten zu mir?" fragte er gütig. "Brauchen Sennorito Geld?"

    "Nein, ich habe noch genug."

    "Du mußt mehr ausgeben, Eugenio, das ziemt sich für einen de Valla."

    "Ich habe erst gestern mehrere seltene Exemplare von Heliconiden(eine Schmetterlingsart) gegen schweres Geld gekauft, Padrazo."

    "Ja, mein Kind, das ist ja ganz schön," sagte der Minister mit einem leichten Seufzer, "aber du mußt mehr den Grand Seigneur spielen, ich stelle dir ja bereitwillig die Mittel zu Gebote."

    "Ich habe kein Talent dazu, Väterchen, laß mir meine stillen Freuden an den Erscheinungen der Natur, ich bin so glücklicher."

    "Nun ja, ja, mein Junge, ich meine nur, in deinem Alter - hm - nun, Eugenio, führt dich ein besonderer Anlaß zu mir?"

    "Ja, ich habe eine Bitte an dich - zwei Bitten."

    "So laß mal hören."

    "Man hat da Sennor Bonego plötzlich nach Buanamaria in die Wüste verbannt, weil er staatsgefährlich sein soll -"

    de Valla wurde ernst.

    "In was mischest du dich ein, Eugenio?"

    "Ich kenne Sennor Bonego, er ist ein harmloser Gelehrter."

    "Woher kennst du ihn denn?"

    "Ich habe mit seinem Sohn das Liceo besucht, der war bei mir und legte mir nahe, deine Güte in Anspruch zu nehmen."

    "Excellenza, der Herr Präsident sind sehr streng und Sennor Bonego soll sich durch aufrührerische Äußerungen bemerkbar gemacht haben."

    "Glaube das nicht, er kümmert sich nur um seine Wissenschaft. Er ist außerdem krank. Bitte, Herzensvater, mache deinen Einfluß für ihn geltend, er ist gewiß ganz unschuldig und wohl nur beim Präsidenten verleumdet."

    Der Sohn sah seinen Vater mit den sanften Augen so bittend an, daß diesem das Herz weich wurde.

    "Gewähre mir die Freude, daß ich Bonego sagen kann, die Verbannung sei aufgehoben."

    de Valla, der der eigentliche Urheber des Verbannungsdekretes war, weil er den Unabhängigkeitssinn des Gelehrten fürchtete, der ihm für seine ferneren Pläne im Wege stand, konnte doch Eugenio nicht widerstehen und erwiderte: "Er ist krank - hm - nun, ich werde morgen mit Excellenza seinetwegen sprechen und werde hoffentlich eine Milderung des Urteils zu erwirken vermögen."

    "O, o - Dank - tausend Dank, Herzensvater - ja du bist gut, ich wußte es ja."

    Innige Freude strahlte aus Eugenios Augen.

    "Wollen sehen, wollen sehen. Was hatte mein gelehrtes Söhnchen denn noch zu erbitten?"

    "O, noch eine wichtige Entscheidung aus deinem Munde."

    "Hoffentlich betrifft sie nicht wieder die Politik?"

    "Nein. Aber - Sennor Pinola unternimmt eine wissenschaftliche Reise in die Llanos, um deren Fauna und Flora zu durchforschen und -"

    "Nun, und?"

    "Ich möchte ihn begleiten."

    "Ah - was du sagst?"

    "Ich bin nicht wie du, Vater, bin kein Staats-, kein Kriegsmann, meine Freude ist das Studium der uns umgebenden Kleinwelt. Hier bietet sich eine Gelegenheit, unter tüchtiger Leitung umfangreiche Studien zu machen. Willst du mir eine zweite große Freude bereiten, so laß mich mit ihm ziehen, in einigen Wochen sind wir wieder zurück, reich mit Schätzen beladen."

    Der gewiegte Staatsmann sagte sich, daß das Erscheinen seines sanften, liebenswürdigen Sohnes, der so leicht die Herzen der Menschen gewann, unter den Bewohnern der Llanos überaus vorteilhaft für ihn sein würde, und so ungern er sich auch von Eugenio auf längere Zeit trennte, denn der Jüngling war der Sonnenschein seines Lebens, so vermochte er ihm nur schwer eine Bitte abzuschlagen.

    "Also, mein Söhnchen will in den Llanos Käfer und Schmetterlinge sammeln und Herbarien anlegen?"

    "Ja, wenn du es gestattest."

    "Und Sennor Pinola begibt sich in die Llanos?"

    "Ja, in prächtiger Ausrüstung."

    "Nun, nun, wir wollen überlegen, ich bin ja nicht ganz dagegen."

    "O, du bist dafür, das sehe ich schon, du lässest mich reisen - ich habe es so lange schon innig ersehnt, die Llanos zu besuchen."

    "Ich werde mit Sennor Pinola reden."

    "O, Väterchen, wie danke ich dir!" und stürmisch umarmte der Jüngling seinen Vater.

    "Schon gut, schon gut."

    "Du bist nicht nur der größte Staatsmann der Zeit - Padrazo - du bist auch der beste aller Väter."

    "Und der schwächste."

    "Nein, der liebevollste. Tausend Dank. Jetzt will ich aber schnell zu Bonego eilen und ihm sagen, daß du dich seiner annehmen wirst."

    "Versprich nicht mehr, als du versprechen kannst."

    "Nein, und das ist schon genug."

    Und hinaus eilte Eugenio, freudestrahlend. Lange sah ihm sein Vater nach.

    "Wäre ich noch so wie du, Liebling," sagte er leise vor sich hin. "Vorbei! Ich bin nur wie ich bin und muß den Weg nun zu Ende gehen. Glücklicher Knabe!"