158065.fb2 Der Hai von Frisco - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 10

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»Er ist bei Bewußtsein!« rief Hansen erfreut aus. »Seit wann?«

»Vor drei Minuten hat er zum erstenmal die Augen aufgeschlagen«, antwortete Irene, deren kleiner Sohn noch immer friedlich schlummerte. »Und das erste, was er sagte, war, er habe Hunger.«

»Hunger?« echote der Kapitän ungläubig.

»Ja, Hunger«, bestätigte der verwundete Zimmermann mit noch brüchiger Stimme. »Ich fühle mich, als würde mein Magen in den Kniekehlen hängen.«

»Bei Neptuns Dreizack, jetzt fühle ich es auch!« nickte Hansen und strich über seinen Bauch. »Ist ja auch 'ne ziemliche Weile her, daß wir etwas gegessen haben. Was haltet ihr beide von einem intimen Mitternachts-Dinner am Kapitänstisch, bei Kerzenschein natürlich?« Nach einer kurzen Pause fügte er mit Blick auf den Verwundeten hinzu: »Falls Jacob aufstehen kann.«

»Immer, wenn es was zu futtern gibt«, grinste Jacob ein wenig überheblich.

Ihm ging es nicht halb so gut, wie er tat. Aber Gejammere half nicht weiter und würde die beiden Freunde nur beunruhigen.

Auf Hansen gestützt konnte er zur großen Kapitänskajüte gehen, deren prachtvolle Ausstattung der alte Seebär von seinem Vorgänger Josiah Haskin übernommen hatte.

Irene brachte den schlafenden Jamie mit.

Hansen ging in eine Ecke, öffnete eine mit aufwendigen Schnitzereien verzierte Wäschetruhe und sagte zu der jungen Mutter: »Leg deinen Sohn doch da hinein, Mädchen. Ein Kinderbett habe ich hier leider nicht.«

»Das werden Sie auch wohl kaum brauchen«, lächelte Irene und bettete Jamie vorsichtig in die Truhe.

Es ging besser, als sie gedacht hatte. Der überstehende Rand verhinderte, daß ihr Sohn aus dem provisorischen Bett fiel.

Während der Smutje in der Kombüse hantierte, um ein kräftiges Essen für den Kapitän und seine Gäste zu bereiten, brachte der Schiffsjunge, ein etwa dreizehnjähriger Neger, eine Blechkanne mit Kaffee und drei große Keramiktassen, die er mit der dampfenden schwarzen Flüssigkeit füllte.

Hansen nahm eine edel geformte Flasche aus einem Wandschrank und stellte sie auf den Tisch.

»Bester französischer Kognak, noch aus Josiah Haskins Beständen«, teilte er mit. »Wer möchte?«

»Ich nicht«, lächelte Irene. »Mir brummt noch der Kopf von dem, was heute geschehen ist.«

»Mein Schädel brummt zwar auch«, meinte Jacob, »aber etwas innere Wärme kann wohl nicht schaden.«

»Das ist ein Männerwort«, brummte Hansen zufrieden. Er reicherte Jacobs und seinen eigenen Kaffee mit einem ordentlichen Schuß des französischen Weinbrands an und setzte sich dann zu den beiden Auswanderern an den Tisch.

»Auf den Hafen von Frisco, den wir im Laufe des morgigen Tages hoffentlich wohlbehalten und ohne weitere Zwischenfälle anlaufen!« sagte der Kapitän laut, während er seine Tasse hob.

Dann nahm er einen ordentlichen Schluck. Ein paar dunkle Tropfen blieben in seinem Bart hängen und glitzerten im hellen Licht des über dem Tisch hängenden kristallenen Lüsters. Er stellte die Tasse zurück und schüttelte sich plötzlich. Sein eben noch Wohlbehagen ausdrückender Gesichtsausdruck verzog sich zu einer Grimasse.

»Was haben Sie, Piet?« fragte Irene, die selbst gerade einen Schluck getrunken hatte. »Ich finde, der Kaffee ist sehr gut. Oder schmeckt Ihnen der Kognak nicht?«

»Nein, der ist gut. Ich mußte nur gerade an diese Frau denken, an. an das. Gesicht!«

Das letzte Wort kam ihm nur schwer über die Lippen. Das Entsetzen, das er beim Anblick der entschleierten Frau empfunden hatte, spiegelte sich auf seinen Zügen wider.

»Sie haben das Gesicht gesehen?« erkundigte sich Irene neugierig.

Der Kapitän nickte.

»Es ist ein scheußlicher Anblick. Die Haut - sie scheint mit den Knochen verschmolzen zu sein. Ich weiß, daß es Unsinn ist, aber so sieht es aus. Als hätte jemand Salzsäure über das Gesicht geschüttet und alles weggeätzt, was auch nur entfernt menschlich war. Nur das rote Haar scheint unberührt geblieben zu sein. Aber sonst ist sie stark entstellt, vielleicht am ganzen Körper. Zumindest die Beine sehen so aus wie das Gesicht. Die Haut ist.«

Er brach ab, als er Irenes bestürzten, bleichen Gesichtsausdruck bemerkte.

»Verzeiht, Freunde, ich wollte euch nicht erschrecken. Ich denke auch, meine Beschreibung genügt.«

»Das tut sie«, versicherte Jacob. »Mich konnten Sie übrigens gar nicht erschrecken. Ich habe das Gesicht der Frau schon auf Deck gesehen, kurz bevor sie auf mich schoß.«

»Stimmt ja«, nickte der Kapitän, der die Szene hilflos mitangesehen hatte. »Ich möchte wissen, was mit der Frau geschehen ist. Und natürlich auch, mit wem wir es überhaupt zu tun haben. Mir hat sie es jedenfalls nicht gesagt.«

»Ich kenne sie«, sagte Jacob und blickte die junge Frau an. »Du übrigens auch, Irene.«

»Ja, das Gefühl hatte ich auch. Allerdings komme ich nicht darauf, wer sie ist.«

»Denk an den Ohio River und an unsere Fahrt auf der ONTARIO!«

»O Gott!« Irene schlug die Hände vor ihr schönes, noch jugendlich glattes Gesicht. »Willst du damit sagen, daß.« Dann nickte sie. »Ja, natürlich, sie ist es. Das rote Haar, die Stimme. Es ist Vivian Marquand!«

»Ihr beide kennt sie?« fragte der Kapitän verwundert. »Vom Ohio River? Klingt so, als hättet ihr eine Menge erlebt, seit ihr die ALBANY in New York verlassen habt.«

»Das kann man wohl sagen«, lachte Jacob auf, als er an die mannigfachen Abenteuer dachte, die hinter ihm und Irene lagen. Schon in New York City hatten sie begonnen und waren zu verläßlichen Begleitern der beiden Deutschen bei ihrer Reise quer durch den nordamerikanischen Kontinent geworden.

Dann erzählte er Piet Hansen davon, wie Vivian Marquand, die mit ihrem Mann Alec eine Frachtagentur in Pittsburgh betrieben hatte, ihn und seinen Freund Martin Bauer als Frachtbegleiter anheuerte. Zusammen mit Irene und dem kleinen Jamie waren sie auf dem Schaufelraddampfer ONTARIO den Ohio River hinuntergefahren. Bis sie feststellen mußten, daß die begleitete Fracht nicht aus Konserven bestand, sondern aus Revolverkanonen. Vivian Marquand war eine Agentin der Konföderierten und wollte die Waffen zu der von den Nordstaatlern eingeschlossenen Stadt Vicksburg bringen.

»Dann ist sie ihrem Metier ja treu geblieben«, brummte Hansen und genehmigte sich noch einen Schluck des veredelten Kaffees. »Was geschah dann?«

»Eine Menge«, antwortete Jacob und berichtete von dem schurkischen Max Quidor, dessen unangenehme Bekanntschaft Jacob und seine Freunde bereits in New York City gemacht hatten. Dort raubte Quidor den kleinen Jamie und wollte sich Irene gefügig machen.

»Auf dem Ohio haben wir Quidor wiedergetroffen«, fuhr der Zimmermann fort. »Er war der Organisator des Waffenschmuggels. Ein Dampfer der US-Marine schoß die von Quidors Männern besetzte ONTARIO in Brand. Die Ladung explodierte. Quidor hätte Irene, Martin und mich umgebracht.«

»Und?« fragte Hansen gespannt. »Was ist passiert?«

»Vivian Marquand tauchte auf und schoß Quidor in den Rücken. Er fiel in den Fluß.«

»Diese Frau hat euch gerettet?« meinte der ungläubige Kapitän. »Warum?«

»Wegen ihres Sohns George, sagte sie. Ihr Junge starb, als die Yankees zur Plantage der Marquands kamen und daraufhin die Negersklaven rebellierten. Sie wollte nicht, daß Jamie ein ähnliches Schicksal ereilte. Deshalb schoß sie auf Quidor. Dann starb sie selbst - jedenfalls glaubten wir das. Alles brach auf der ONTARIO auseinander. In dem Wirrwarr stürzte die Frau über Bord. Da sie von den Suchtrupps nicht gefunden wurde, hielten wir sie für tot. Der Ohio konnte ihre Leiche sonstwohin gespült haben.«

»Wirklich eine abenteuerliche Geschichte«, murmelte Piet Hansen und wurde sich dann erst bewußt, daß die Geschichte, in die sie alle zur Zeit verwickelt waren, kaum weniger abenteuerlich war. »Aber eins verstehe ich nicht: Wenn diese Mrs. Marquand euch damals geholfen hat, warum wollte sie dich vor ein paar Stunden umbringen, Junge?«

»Eine gute Frage«, seufzte Jacob. »Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Erst glaubte ich, sie wollte nicht, daß man sie erkennt. Vielleicht war es tatsächlich auslösend für den Schuß auf mich, daß ich ihr entstelltes Gesicht sah. Ich würde auch nicht wollen, daß mich jemand so sieht. Aber ich glaube, daß da noch mehr ist. Sie scheint mich aus tiefster Seele zu hassen. Möglich, daß es mit ihrer Entstellung zusammenhängt.«

Irene bohrte ihren Blick in Jacobs Gesicht und fragte: »Woran denkst du?«

»An die Explosionen, die damals die ONTARIO geradezu in Stücke rissen. Überall waren Flammen. Wären wir nicht rechtzeitig in den Fluß gesprungen, wären wir elend verbrannt. Was ist, wenn Mrs. Marquand nicht solches Glück hatte?«

»Aber ich denke, sie ist ins Wasser gestürzt«, wandte Hansen ein.

»Schon wahr«, sagte Jacob. »Aber gleichwohl könnte sie unter die brennenden Trümmer des Dampfers geraten sein. Vielleicht wurde sie nicht durch Säure so entstellt, sondern durch Feuer!«