158065.fb2 Der Hai von Frisco - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 13

Der Hai von Frisco - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 13

»Ich glaube, wir haben uns nichts mehr zu sagen. Bringen Sie mich bitte zurück!«

Jacob und Piet Hansen erfüllten ihr den Wunsch und führten sie zur Gefangenenkajüte.

»Ich muß Sie wieder fesseln«, sagte der Kapitän, als sich die Frau auf den Boden legte.

»Tun Sie sich keinen Zwang an«, lautete die kühle Antwort.

Als Hansen fertig war, meinte er stolz zu Jacob: »Doppelter Spezial-Seemannsknoten. Den bekommt niemand auf!«

Hätten sie hinter den schwarzen Schleier sehen können, hätten sie die groteske Verzerrung der narbigen Fratze bemerkt, die ein für Piet Hansen und Jacob Adler wenig Gutes verheißendes Grinsen bedeutete.

*

In der Kapitänskajüte wartete nicht nur Irene auf Jacob und Piet Hansen, sondern auch das Essen. Dampfheiße Wohlgerüche erfüllten den Raum. Der dicke Schiffskoch Dietrich Melzer aus Pommern, den Jacob und Irene noch von ihrer ersten Reise auf der ALBANY kannten, hatte sich wirklich Mühe gegeben. Es gab Ente in Preiselbeersoße, dazu Rotkohl, Semmelknödel und Bratäpfel, die mit einer undefinierbaren, aber überaus leckeren Füllung versehen waren. Dazu ließ Hansen einen Rotwein bringen, französischen, wie er eigens bemerkte.

»Hat heute jemand Geburtstag?« fragte Irene zum Spaß.

Und Jacob meinte, kaum sein genußvolles Kauen unterbrechend: »Das ist ja wie Weihnachten.«

»Hmm«, machte Irene und schluckte einen großen Bissen hinunter. »Weihnachten war unser Essen nicht so delikat.«

Vielleicht war das Essen nicht so raffiniert gewesen, dachte Jacob. Aber er hatte das Weihnachtsfest in der verschneiten Siedlung Abners Hope genossen.

Nach den vielen Aufregungen und Strapazen des großen Trecks über die Rocky Mountains hatten die Wochen der Ruhe und Beschaulichkeit gutgetan. Die Ereignisse auf der ALBANY zeigten, wie wichtig die Verschnaufpause gewesen war, um frische Kräfte zu sammeln.

Jacob dachte mit Wehmut an die kleine Siedlung in einem fruchtbaren Tal östlich der Cascade Range. Beim Bau der Blockhäuser war der Zimmermann maßgeblich beteiligt gewesen. Mit jedem dieser Häuser verband er vertraute Gesichter.

Er hatte viele Freunde dort zurückgelassen. Einen vermißte er besonders: Martin.

Nach dem Essen räumte der schwarze Schiffsjunge den Tisch ab. Hansen füllte die Weingläser auf. Dann erzählte Jacob von dem Gespräch mit Vivian Marquand.

»Klingt nicht sehr erheiternd«, kommentierte Irene mit düsterer Miene den Bericht. »Unsere Bekanntschaft mit Mrs. Marquand hat von Anfang an unter keinem guten Stern gestanden.«

»Weil diese Frau euch belogen hat!« sagte Piet Hansen. »Sie wollte euch für ihre eigenen Zwecke einspannen. Daraus konnte nichts Gutes erwachsen. Alles, was geschehen ist, hat sie selbst zu verantworten.«

»Sie sollten nicht zu hart über sie urteilen, Piet«, seufzte Irene.

»Nanu?« gab sich der Kapitän erstaunt. »Das klingt fast so, als würdest du das Handeln dieser Frau billigen.«

»Billigen nicht, aber ich verstehe es vielleicht zum Teil. Außerdem werde ich ihr nicht vergessen, daß sie sich um mich und Jamie gekümmert hat, als ich nach dem Sturz in den Ohio im Fieberwahn lag. Und sie hat Jacob, Martin und mich gerettet, als Max Quidor uns töten wollte.«

»Jaaa«, knurrte Hansen gedehnt, und schon die Stimmlage kündete von seiner Mißbilligung. »Und vor einigen Stunden wollte sie Jacob erschießen!«

»Lassen wir das«, schlug Jacob vor und fügte in völliger Fehleinschätzung der Lage hinzu: »Mrs. Marquand kann uns nicht mehr gefährlich werden.«

Er beugte sich weit über den Tisch und blickte in das bärtige Gesicht des Kapitäns.

»Sprechen wir lieber von Ihnen, Piet!«

»Von mir?«

Er spielte den Unwissenden. Aber die Runzeln, die sich auf seiner Stirn bildeten, und das Zusammenziehen der Augen verrieten den alten Seemann. Er wußte, was jetzt kommen würde. Und darauf freute er sich ganz und gar nicht.

»Von Ihnen, Piet«, nickte Jacob bekräftigend. »Und von Ihrer seltsamen Geschäftsverbindung zu diesem Arnold Schelp. Meinen Sie nicht, daß Irene und ich ein Anrecht haben, die ganze Geschichte zu hören?«

»Doch, wahrscheinlich«, brummelte der Kapitän und trank einen gehörigen Schluck Wein. »Aber die Geschichte ist nicht schön und ein bißchen verwickelt.«

»Fangen wir doch mit etwas Einfachem an«, sagte der Zimmermann. »Was für eine Fracht hat die ALBANY geladen?«

»Kanonen für die belagerten Südstaatler in Texas.«

»Baut man dort keine Kanonen?« fragte Irene.

»Nicht viele«, antwortete Hansen. »Der Süden hat immer von der Landwirtschaft gelebt, von seinen großen Plantagen, vor allem von der Baumwolle. Für die Schwerindustrie ist der Norden zuständig. Das hat sich im Krieg verhängnisvoll für den Süden ausgewirkt. Wo die großen Fabriken des Nordens immer mehr und immer bessere Waffen herstellen, müssen sich die Südstaatler alles mühsam zusammenklauben. Und selbst das wird immer schwieriger durch die Geländegewinne der Union und durch die Seeblockade. Zur Zeit sind die Konföderierten auf die Einfuhr von Kriegsgerät stärker angewiesen denn je. Und Kerle wie dieser Schelp verdienen sich daran eine goldene Nase!«

Hansen sprach von dem rothaarigen Geschäftemacher mit unüberhörbarer Verachtung.

Um so mehr verwunderte es Jacob, daß Hansen sich mit ihm eingelassen hatte. Was er dem Kapitän auch sagte.

»Mit Schelp ist das so eine Geschichte«, erwiderte Hansen zögernd.

Während er sprach, wanderte sein Geist weit zurück, mehr als zwanzig Jahre in die Vergangenheit.

Er war wieder Kapitän an Bord der HENRIETTA. Die Auswanderer-Bark geriet mitten im Ärmelkanal in einen plötzlichen, verheerenden Sturm. Ein wahrer Orkan. Er brach so schnell über den dreimastigen Segler herein, daß die Besatzung nicht mehr alle Befehle ihres jungen Kapitäns zum Einholen und Reffen der Segel ausführen konnte.

Trotzdem war Hansen, der damals noch Hannes Peterson hieß, guter Hoffnung, die HENRIETTA ohne größere Schäden auf Kurs zu halten. Schließlich war er ein guter Kapitän -jedenfalls glaubte er das. Doch dann geschah das Unfaßliche: Sämtliche Pumpen fielen kurz hintereinander aus.

Die HENRIETTA sank wie ein Stein, den jemand ins Wasser geworfen hatte. Und nur wenige der fünfhundert Menschen an Bord konnten sich retten.

Das erzählte Piet Hansen schweren Herzens den beiden jungen Auswanderern und schloß: »So verlor ich mein erstes Schiff und lud eine Schuld auf mich, die ich niemals abbezahlen kann. Im Strafprozeß wurde ich zwar freigesprochen, da man mir die Schuld an dem Unglück nicht nachweisen konnte. Aber vor dem Seefahrtsgericht wurde mir das Recht aberkannt, jemals wieder als Kapitan ein Schiff zu führen.«

»Warum?« fragte Irene, die das alles erst noch richtig verdauen mußte.

»Ich hatte zwar die Prüfung bestanden und sollte das Kapitänspatent erhalten, als ich die HENRIETTA übernahm, aber ich hatte es noch nicht. Doch der für die Amerika-Fahrt vorgesehene Kapitän wurde kurz vor dem Auslaufen schwer krank. Der Reeder bekniete mich, das Kommando zu übernehmen. Er versprach mir, alle Formalitäten zu regeln. Ich hatte nicht viel Zeit. In meiner jugendlichen Unreife und in dem Stolz über mein erstes Kommando sagte ich zu. Das war ein verhängnisvoller Fehler. Heute weiß ich, daß ich das Opfer einer Intrige wurde.«

Jacob starrte ihn ungläubig an.

»Was für eine Intrige, Piet?«

»Die HENRIETTA sollte sinken. Dem Reeder standen, was ich nicht wußte, die Schulden bis zum Hals. Das Schiff war hoch versichert, viel zu hoch. Es war von vornherein geplant, daß die Pumpen unterwegs ausfielen, irgendwo auf dem weiten Meer zwischen der Alten und der Neuen Welt, wo es keine Überlebenden geben würde, keine Zeugen. Daß es so schnell nach dem Auslaufen geschehen würde, kam wohl selbst für den Reeder und den eigentlichen Kapitän überraschend.«

»Das ist doch Mord!« rief Irene empört und hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. Sie war so laut gewesen, daß sie befürchtete, ihren in Hansens Kleiderkiste schlafenden Sohn zu wecken.

»Nein, es ist nur meine Vermutung«, widersprach Hansen. »Die Beweise liegen auf dem Grund des Ärmelkanals, für alle Zeiten. Außerdem verschwanden der Reeder und der Kapitän, bevor man auch nur Anklage gegen sie erheben konnte. Selbstverständlich setzten sie sich erst ab, als die Versicherung bezahlt hatte.«

»Und Sie mußten die ganze Verantwortung übernehmen«, nickte Irene mitfühlend. »Sie wurden von der Öffentlichkeit zum Prügelknaben gemacht, nicht wahr?«

»Ja«, seufzte Hansen. »Zu Recht.«