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Diese Frage bewegte Black noch, als er die Tür hinter sich schloß. Wie jeden Abend, traf er auf zwei Menschen, die in dem geräumigen, luxuriösen Büro fast verloren wirkten.
Der hünenhafte, knochige, kahlköpfige Schwarze namens Buster, der niemals sprach, aber alles sah, war der Leibwächter des Hais. Buster trug einen dunklen Anzug, der mit seiner Haut zu verschmelzen schien. Regungslos stand der Neger mit über der Brust gekreuzten Armen neben der Tür.
Fast regungslos. Seine Augen verfolgten jede von Blacks Bewegungen.
Der Hai selbst saß, wie gewohnt, hinter seinem Schreibtisch. Tat er jemals etwas anderes als zu arbeiten?
Einem Mann wie ihm boten sich wohl nicht viele Vergnügungen, dachte Black, während er auf den Tisch zutrat.
Zu jedem Schritt mußte er sich zwingen. Solchen Widerwillen flößte ihm, dem abgebrühten Geschäftemacher, die pure Gegenwart des Hais ein.
Dabei konnte Black nicht einmal sagen, woran das lag. Der Hai lächelte sogar, als er seinem Geschäftsführer entgegensah. Aber das Lächeln wirkte weder warm noch beruhigend. Etwas Lauerndes, Drohendes ging davon aus. Es wirkte tatsächlich wie das Maul eines Hais, der sich aufs Zuschnappen vorbereitete.
»Hier, Sir«, sagte Black ehrfurchtsvoll und legte die Ledermappe vor dem Hai auf den Schreibtisch.
So tat er es jeden Abend. Die Mappe enthielt alle wichtigen Briefe und Abrechnungen des Tages sowie sonstige Dokumente, nicht nur über das Golden Crown, sondern über die ganze Stadt. Obwohl der Hai seine Krone nie zu verlassen schien, war er stets über alles informiert, was in Frisco vor sich ging.
»Etwas Besonderes, Henry?« fragte der Hai, als er die Mappe aufklappte.
»Nein, Sir, gar nichts.«
Rasch überflog der Hai die Blätter, doch beim letzten stutzte er und blickte auf. Sein Gesicht wirkte angespannt, aus den Augen sprühte Feuer.
Black zuckte zusammen, nicht nur innerlich, sondern mit dem ganzen Körper.
»Was ist das?« schnappte der Hai.
Es war klar, daß er das Papier meinte.
»Ein Plakat, das draußen am Golden Crown angebracht war«, antwortete ein verwirrter Henry Black; er verstand nicht, weshalb der Hai dem Papier solche Bedeutung beimaß. »Nichts Wichtiges, Sir. Eigentlich gehört es nicht in die Mappe. War wohl ein Versehen, daß es.«
»Ich entscheide, was wichtig ist!« fuhr der Hai dazwischen und starrte wie hypnotisiert auf das abgerissene Plakat.
Seine Lippen murmelten leise die beiden Namen: »Carl Dilger. und Jacob Adler!«
Er sah zu Black auf und flüsterte heiser: »Ist auch eine Frau bei diesem Adler, eine gewisse Irene Sommer? Wahrscheinlich hat sie ein kleines Kind bei sich. Außerdem muß da noch ein rotblonder Kerl namens Martin Bauer sein.«
»Das weiß ich nicht.«
»Dann finden Sie es heraus, Henry. Umgehend! Und dann machen Sie mir Meldung, ganz gleich, wie spät es ist!«
»J-ja, Sir.«
Eilig verließ Henry Black das Büro. Er war froh, als er wieder auf der Treppe stand. Das Stimmengewirr und die Musik, die zu ihm heraufdrangen, waren eine Wohltat nach der eisigen Atmosphäre im Büro des Hais.
*
Dean Street, Mrs. Victoria Marshs Boarding-House, am nächsten Morgen.
»Sind Sie dieser Jacob Adler?« fragte der kleine, untersetzte Mann und klopfte auf das Plakat in seiner Linken. Es war eins der Plakate, die Jacob gestern an zweihundert publikumswirksamen Gebäuden angeschlagen hatte. Der Mann sprach Deutsch, aber das Amerikanische hatte schon stark auf seine Muttersprache eingewirkt.
Der junge Deutsche, der noch auf seiner Pritsche lag, rieb sich den Schlaf aus den Augen. Jetzt erst bekam er ein deutliches Bild von seinem Besucher.
Der Mann hatte helles Haar und ein spitzes Nagetiergesicht. Der Anzug und die Melone auf dem Kopf waren zu groß und reichlich abgetragen.
»Wer sind Sie?« krächzte Jacob. Der Schlaf steckte noch in Mund und Kehle, die sich trocken wie Heu anfühlten.
»Louis Bremer ist mein Name. Ich bin ein Freund von Carl Dilger.«
Sofort war Jacob hellwach. Er sprang so schnell auf, daß er mit der Stirn gegen die Pritsche über ihm krachte, in der ein kleiner Italiener friedlich vor sich hin schnarchte.
Der Schmerz, der durch seinen Kopf fuhr, erinnerte Jacob an Vivian Marquands Streifschuß. Noch hatte er sich nicht von der Verletzung erholt. Er mußte vorsichtiger sein.
»Carl Dilger!« zischte der junge Zimmermann. »Wo ist er?«
»Hier in Frisco. Er hat das Plakat gelesen und mich geschickt. Ich soll Sie und Fräulein Sommer zu ihm bringen.«
»Warum kommt er nicht selbst?«
»Er darf sich nicht zeigen. Er steckt in Schwierigkeiten.«
»Was für Schwierigkeiten?«
»Ich glaube, das sagt Carl Ihnen besser selbst. Wir sollten uns beeilen. Noch ist der Tag jung, und die meisten Menschen schlafen noch. Zu viele Augen, die uns beobachten, könnten gefährlich sein.«
Zwanzig Minuten später folgten Jacob und Irene mit dem noch halb schlafenden Jamie im Arm dem kleinen Mann durch das fremde Straßengewirr.
Irene löcherte Bremer geradezu mit Fragen. Aber die Antworten fielen sehr einsilbig aus.
Bremer hatte Dilger schon auf der Überfahrt von Hamburg nach Amerika kennengelernt, sagte er. Zusammen hätten sie in Kalifornien Gold gesucht.
Ob sie erfolgreich gewesen waren? Nun, das hinge mit diesen verfluchten Schwierigkeiten zusammen.
Bremers Antworten kamen Jacob reichlich schwammig vor.
Und die Gegend, Hinterhöfe von Bars und Saloons, nicht gerade freundlich.
Den Sharps-Karabiner hatte er zwar im Boarding-House zurückgelassen. Aber er war froh, daß Army Colt und Bowiemesser in seinem Gürtel steckten.
Als ihr Weg plötzlich vor der Rückwand eines großen Hauses endete, wurde Jacobs unbestimmtes Gefühl, daß etwas nicht in Ordnung war, zur Gewißheit.
»Eine Sackgasse!« fuhr er Bremer an. »Was hat das zu bedeuten?«
»Das ist der Treffpunkt«, lächelte der kleine Mann, dessen Gesicht dabei noch stärker rattenhafte Züge annahm.
»Der Treffpunkt mit Carl?« fragte Irene hoffnungsvoll.