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»Der ist doch tot«, sagte sie Frau. »Am besten werfen wir ihn über Bord.«
»Nein!« schrie Irene auf. »Jacob. hat immer gesagt, er möchte einmal richtig begraben werden. In guter Erde mit einem Kreuz darüber, auf dem sein Name steht.«
»Damit können wir hier nicht dienen«, versetzte die Schwarzgekleidete kalt.
»Wir schaffen ihn hinunter«, sagte Piet Hansen laut. Er hatte einen Matrosen herangewunken, der Jacobs Beine anhob. Hansen selbst nahm den Oberkörper des Reglosen auf.
Irene preßte die Lippen fest zusammen und schickte ein Stoßgebet gen Himmel. Sie betete gleich um zwei Dinge.
Erstens darum, daß die unheimliche Frau Piet Hansen und den Matrosen gewähren ließ.
Und zweitens, daß Jacob nicht plötzlich aufstöhnte oder sich anderweitig verriet. Irene hatte das Gefühl, daß die Frau mit dem Derringer ihr begonnenes Werk dann zu Ende führen würde. Denn Irene fiel nur eine Erklärung für den Schuß auf Jacob ein: Die Verschleierte wollte nicht, daß jemand ihr Gesicht erkannte.
Wenn aber Jacob sie kannte, warum dann nicht auch Irene?
Gewiß, die verhüllte Gestalt hatte etwas Vertrautes an sich. Vielleicht wäre die junge Deutsche längst darauf gekommen, aber die sich überstürzenden Ereignisse und die Sorge um Jacob ließen kaum andere Gedanken zu.
»Meinetwegen schaffen Sie die Leiche unter Deck, Käpten«, sagte die mysteriöse Frau und ließ den vierläufigen Derringer sinken. »Nehmen Sie die Frau und das Kind mit!«
Ein erstes Aufatmen ging durch Irenes ganzen Körper, als die andere Frau und ihre beiden Begleiter den Weg für den vorgeblichen Leichentransport freigaben.
Ein zweites Aufatmen folgte, als Hansen und der Matrose Jacob unten im Zwischendeck auf den Boden legten. In einer abgeschiedenen Ecke, wo keiner von Möllers bewaffnetem Trupp stand.
Hansen schickte seinen Begleiter wieder auf Deck und sagte zu Irene: »Kümmere dich gut um Jacob, Mädchen!«
Sie biß sich auf die Lippen und fragte dann mit vorgetäuschtem Unverständnis: »Ich verstehe Sie nicht, Piet. Wie meinen Sie das? Jacob ist tot!«
Hansen grinste und sagte leise: »Dann ist er der verdammt lebendigste Tote, den ich jemals getragen habe. Ich mußte beim Transport mehrmals die Hand auf seinen Mund legen, um das Stöhnen zu unterdrücken.«
»Warum haben Sie das getan, Piet?« fragte Irene. »Sie hätten sich die Sache leichter machen und Jacob an die seltsame Frau verraten können.«
Fast linkisch fuhr die sonnengebräunte Lederhand des Seebären durch seinen ergrauten Bart.
»Hm«, brummte er stirnrunzelnd. »Ich glaube nicht, daß die Sache dadurch für mich einfacher geworden wäre, eher im Gegenteil. Sie ist schon schwer genug. Ich stecke ganz schön tief im Sumpf. Wie tief, das habe ich erst erkannt, als ich unseren Freund Jacob an der Reling liegen sah und ihn für tot hielt.« Er seufzte. »Jetzt muß ich sehen, wie ich aus der Sache wieder herauskomme!«
»Was für eine Sache?« fragte Irene. »Sprechen Sie von dem Waffentransport für die Konföderierten?«
Hansen nickte betrübt.
»Warum machen Sie da mit, Piet? Wieso arbeiten Sie mit solchen Leuten wie diesem Schelp und der schwarzen Frau zusammen? Überhaupt - die Frau. Sie kommt mir irgendwie bekannt vor. Wer ist sie?«
»Das weiß ich nicht, wirklich.« Der Kapitän legte eine Hand auf Irenes Schulter. »Alle anderen Fragen müssen warten, Mädchen. Ich muß an Deck. Paß gut auf Jacob auf. Und sieh zu, daß Möller und seine Männer nicht mitbekommen, wie lebendig er ist!«
Wie zur Bestätigung von Hansens Worten wälzte sich Jacob herum und stieß einen tiefes Stöhnen aus.
Sofort wanderten Irenes Augen durch das Zwischendeck. Zum Glück war niemand sonst in der Nähe.
Auch wenn Jacobs Stöhnen verräterisch sein konnte, sie freute sich darüber.
Über jedes Lebenszeichen, das er von sich gab!
»Ich lasse von mir hören«, versprach Hansen und entfernte sich.
Irene sah, wie er die schmale Treppe hinaufstieg.
Ihre Welt bestand aus dem Halbdunkel einer fernen Öllampe, aus Jacobs schwachem Atmen und seinem gelegentlichen Stöhnen und aus Jamies leisem Wimmern.
Sie drückte ihr Kind an sich, strich über das kleine Köpfchen mit dem immer dichter werdenden Haar und sagte sanft: »Armer kleiner Jamie. Was du schon alles erleben mußtest. Ich hoffe, daß du noch nicht viel von all dem mitbekommst!«
Und sie wünschte, daß es für sie selbst so wäre.
*
Als Piet Hansen wieder an Deck kam, hatte sich der Nebel größtenteils gelichtet.
Besser ausgedrückt, er war gelichtet worden. Und zwar durch den Sturmwind, der die Segel aufblähte und die Bark nach Norden hetzte.
»Möller hat unten alles unter Kontrolle«, sagte Hansen zu Schelp, der bei Joe Weisman am Ruder stand.
Der Zweite Steuermann gab sich unbeteiligt. Aber sein verbissenes Gesicht und die düsteren Blicke, die er seinem Kapitän dann zuwarf, wenn er sich unbeobachtet glaubte, verrieten, was er von Hansen hielt: nichts Gutes.
Die geheimnisvolle Frau und ihre beiden Begleiter standen in der Nähe an der Steuerbordreling und unterhielten sich leise. Immer wieder blickte sie aufs Meer hinaus. Am Horizont tauchte verschwommen ein dunkler Strich auf.
Don Emiliano löste sich von der Gruppe und trat zum Platz des Steuermanns.
»Ich müßte mich sehr täuschen, wenn das da drüben nicht die Küste von Mexiko ist«, sagte er in seinem spanisch gefärbten Englisch.
»Es ist die Südspitze Kaliforniens«, erwiderte Hansen.
»Das ist dasselbe«, fauchte der Mexikaner. »Wir nennen es Baja California. Und wenn es das ist, dann fahren wir schon seit einiger Zeit nach Norden. Dahin zurück, von wo wir gekommen sind. Können Sie mir das erklären, Capitän?«
Don Emilianos Hand schwebte wie zufällig über der rechten Außentasche seines blauen Samtrocks. Die Tasche war stark ausgebeult. Und daß er die Hand ausgerechnet dort hatte, war bestimmt kein Zufall. Schuld an der Ausbeulung war der LeMat-Revolver.
»Aber gern.« Hansen zwang sich zu einem Lächeln. »Wir fahren nach Norden, weil ein günstiger Wind in diese Richtung weht.«
Daß diese Antwort den Mexikaner nicht zufriedenstellte, verriet das erregte Zucken seiner von einem tief schwarzen Bart umfaßten Mundwinkel. Seine Hand näherte sich noch weiter der ausgebeulten Tasche.
»Unser Ziel liegt aber nicht im Norden, sondern im Süden!« entgegnete er scharf.
»Sie irren sich, Senor«, blieb Hansen gelassen. »Unser Ziel liegt nicht im Süden.«
Der Sonderbeauftragte der mexikanischen Exilregierung legte die olivenfarbene Haut auf seiner Stirn in tiefe Falten.
»Senor Capitän, was soll das bedeuten? Ich bin zu Scherzen jetzt nicht aufgelegt. Natürlich müssen wir nach Süden fahren!«
»Ja, das müssen wir«, gab der alte Seebär zu. »Aber unser Ziel liegt im Osten. Sie selbst haben doch im Grand Hotel von Fogerty erklärt, daß wir unsere Fracht in einer Bucht südlich von Guaymas löschen sollen. Nun, wir befinden uns ziemlich genau auf der Höhe von Guaymas, wenn mich nicht alle nautischen Kenntnisse verlassen haben.«