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»Fallen lassen!« bellte Piet Hansen. Der sechsschüssige Kerr-Revolver Kaliber .442 in seiner Rechten unterstützte den Befehl.
Dennoch zögerte Möller, ihm nachzukommen. Er brachte seine eigene Waffe nicht in Anschlag, aber er ließ sie auch nicht los.
Erst als der Kapitän drohend den Hahn spannte, änderte der Erste Steuermann seine Meinung. Polternd fiel sein sechsschüssiger Webley auf die hölzernen Planken.
»Sehr vernünftig«, nickte Piet Hansen zufrieden. Er ließ den Hahn langsam zurückgleiten, behielt die Waffe aber in der Hand. »Und jetzt haben Sie die Wahl, Möller. Wollen Sie mein Gefangener sein? Ich verbürge mich dann dafür, daß Ihnen nichts geschieht, bis ich Sie den Behörden in San Francisco übergebe. Oder stellen Sie sich auf meine Seite, bedingungslos?«
»Was geschieht dann?« fragte der Knochige vorsichtig.
»Dann bringen wir die ALBANY gemeinsam nach Frisco.«
»Und stellen uns dort etwa den Behörden?«
Hansen nickte wieder. »Ja, so habe ich mich entschieden. Ich will reinen Tisch machen. Der Krieg zwischen dem Norden und dem Süden ist nicht meine Sache, ich bin Deutscher. Aber schon weil ich kein Freund der Sklaverei bin, möchte ich die Konföderierten nicht unterstützen. Außerdem fährt die ALBANY immer noch unter der Flagge der Vereinigten Staaten von Amerika. Wäre irgendwie nicht richtig, mit ihr konföderiertes Kriegsgut zu schmuggeln.«
»Wo ist da für mich der Unterschied?« wollte Möller wissen. »Ich komme so oder so in die Hände der Yankee-Behörden.«
»Der Unterschied liegt doch auf der Hand. Wenn ich Sie als Gefangenen abliefere, sind Sie ein überwältigter Blockadebrecher. Wenn Sie Frisco aber als freier Mann und Schiffsoffizier der ALBANY betreten, gehören Sie zu den Männern, die den Yankees die Schurken ausliefern. Meinen Sie nicht, daß das die Blauröcke irgendwie beeindruckt?«
Überlegend rieb Möllers Rechte über das hervorspringende Kinn, so heftig, als wolle sie den Knochen des Unterkiefers freilegen.
»Käpten!« stieß er endlich hervor. »Ich stehe auf Ihrer Seite!«
»Gut.« Zufrieden steckte Hansen den Kerr zurück in seine Jacke. »Dann heben Sie endlich Ihren Revolver auf.«
»Einfach so?« fragte Möller erstaunt. »Sie. vertrauen mir?«
»Irgendwann muß man damit anfangen«, antwortete der Kapitän freimütig. »Falls Sie ein falsches Spiel treiben, möchte ich es so früh wie möglich wissen. Am besten jetzt!«
»Ich meine es ehrlich«, sagte Möller und bückte sich langsam nach dem Webley.
Dabei beäugte er skeptisch den Kapitän, als befürchte der Steuermann, Hansen wolle ihm eine Falle stellen.
Der Knochige hob seine Waffe auf, hielt sie einen Augenblick zögernd in der Rechten und steckte sie dann in den Gürtel.
»Was ist mit Ihren Leuten?« fragte der Kapitän den Steuermann und sah auf die fünf Seeleute hinab, die so unsanft schlafen gelegt worden waren. »Könnten sie wieder zu meinen Leuten werden?«
»Aye, Käpten, wenn ich ihnen die Sache auseinanderklamüsere.«
»Dann fangen Sie gleich damit an, Möller! Oben liegen noch welche. Die richtige Wachablösung. Sie hat auch unser Holz zu schmecken bekommen.«
Der Kapitän sah die Männer mit den Knüppeln an und befahl: »Nehmt die Revolver der Burschen an euch! Sie kriegen die Waffen nur zurück, wenn sie die richtige Wahl treffen. Großer, du sorgst dafür, daß die schlafenden Schönheiten von der Wachablösung hierher geschafft werden.«
»Aye, aye«, grinste der angesprochene Seemann und eilte die Treppe hinauf.
Irene trat auf Hansen zu und sagte erleichtert: »Das ist der alte Piet, den ich kenne. Am liebsten würde ich Ihnen um den Hals fallen und auf jede Wange einen dicken Kuß geben, Käpten!«
»Ich bin unbewaffnet, Mädchen«, lächelte der Kapitän und hob zum Beweis die leeren Hände. »Niemand hindert dich.«
Er hatte kaum ausgesprochen, da machte die junge Frau ihre Ankündigung auch schon wahr. Als sie ihn wieder losgelassen hatte, fragte er, wie es Jacob ging.
»Ein Arzt würde sagen, den Umständen entsprechend.«
»Leider haben wir keinen Arzt an Bord«, seufzte Hansen. »Ich hatte nicht mit einer solchen Springflut an Ärger gerechnet, als ich in Hamburg ablegte.«
Aber nun sah es so aus, als sollte sich das Blatt für ihn wenden. Von allen Seiten erhielt er Hilfsangebote.
Die von Schelp bezahlten Männer, aus ihrem gewaltsam herbeigeführten Schlaf geweckt, wechselten ebenso das Lager wie Georg Möller, als sie ihre Felle davonschwimmen sahen.
Immer mehr Passagiere strömten aus den Tiefen des Zwischendecks herbei und boten Hansen ihre Hilfe an, als er sie über die wahren Hintergründe der heutigen Auseinandersetzungen aufklärte. Allen voran zwei grobgesichtige irische Kleiderschränke, die Zwillingsbrüder Bartly und Gypo Connor. Sie hatten die Kajüte, die sie und ihre Schwägerin Katie O'Faolain samt deren Sohn Timmy sich mit Jacob, Irene und Jamie teilten, verlassen müssen, als Schelp die Passagiere ins Zwischendeck sperren ließ. Das fanden sie mehr als unfreundlich. Und da die Connors, wie auch die O'Faolains, nichts so sehr haßten wie Unfreundlichkeit, erklärten sich die Zwillinge, wie stets vertreten durch Bartly, als erste unter den Passagieren bereit, dem Kapitän zur Seite zu stehen.
»Nicht zu viele«, grinste Hansen. »Schließlich will ich nicht den Bürgerkrieg gewinnen. Wir müssen nur drei Männer und eine Frau überwältigen.«
»Eine Frau zählt doch wohl kaum!« rief einer aus der Meute der kampfeslustigen Passagiere.
»Diese hier schon«, erwiderte Piet Hansen grimmig und dachte mit einem Gefühl der Beklemmung an die unheimliche Frau in Schwarz.
*
Der Schiffszimmermann der ALBANY hatte die Kajüte, in der Arnold Schelp, Captain Abel McCord, Don Emiliano Maria Hidalgo de Tardonza und die geheimnisvolle Frau untergebracht waren, durch eigens gezogene Zwischenwände in vier kleine Kabinen aufgeteilt.
In zwei dieser Kabinen lagen die Passagiere wach in ihren Kojen. Begründet war ihre Schlaflosigkeit in den Geräuschen, die aus einer der beiden anderen Kabinen kamen: heftiges, schnelles Stöhnen und Keuchen.
Arnold Schelp grinste zufrieden vor sich hin, während er dem nächtlichen Konzert lauschte, das sogar das gleichmäßige Schlagen der Wellen übertönte. Er wußte, wer das war. Er hörte das Quietschen der Koje, in der sich der Mexikaner in demonstrativer Unruhe hin und her wälzte. Also konnte es sich bei den Veranstaltern des Konzerts nur um Captain McCord und die Frau handeln.
Gut zu wissen, daß sie etwas miteinander hatten, fand der Deutsche. Vielleicht konnte er dieses Wissen noch einmal vorteilbringend einsetzen.
Don Emiliano quittierte die störenden Geräusche mit gerunzelter Stirn und mißbilligend nach unten gezogenen Mundwinkeln. Bei Hof und in Diplomatenkreisen hätte das manch einen zur Räson gebracht. Aber hier blieben die deutlichen Signale des Sonderbeauftragten der mexikanischen Exilregierung vollkommen wirkungslos. Nächtliche Finsternis und die vom Schiffszimmermann gezogenen Trennwände sorgten dafür.
Die Verursacher der Störung waren auch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Wie immer in völliger Dunkelheit. Die Frau bestand darauf.
Abel McCord fand es einerseits frustrierend, niemals die Frau zu sehen, mit der er schlief, und nicht ihr Gesicht zu kennen. Ja, er wußte nicht einmal ihren Namen.
Sie hatte sich in einem kleinen Grenzort in der Nähe der Ecke, in der die Staaten Oregon, Kalifornien und Nevada zusammentrafen, unter dem Kennwort bei ihm gemeldet, das er von seinem Oberkommando erfahren hatte. Er wußte nicht einmal genau, welche Aufgabe sie erfüllen sollte. Er war der Offizier und traute sich zu, die geheime Fracht ohne die Hilfe einer Frau nach Texas durchzubringen. Aber als Soldat war er ans Gehorchen gewohnt. Die Frau sollte eine der besten Geheimagentinnen sein, über die der Süden verfügte, hatte man ihm als Erklärung gesagt.
Nun ja, zumindest hatte das Zusammensein mit ihr seine angenehmen Seiten.
Daß sie sich sogar vor ihm so bedeckt hielt, fand McCord auf der anderen Seite in einem gewissen Sinn anregend. Seine Phantasie malte ihm wundervolle Bilder über das vermeintliche Gesicht, das zu dem üppigen roten Lockenhaar gehörte, während er immer tiefer und schneller in sie eindrang.
Diesmal schien es nicht nur den Mann zu erregen, der zwischen den Beinen der rücklings auf dem Boden liegenden Frau kniete. Die Kabine bot wenig Platz, und die Koje noch weniger.
Ja, auch die Frau keuchte, leise erst, dann immer heftiger. McCord glaubte nicht, daß sie ihm etwas vorspielte. Sie war nicht der Typ für so etwas, und sie hatte auch keinen Grund dazu.
Er steigerte seine Bemühungen. Sie sollte es genießen, vielleicht würde sie sich ihm dann offenbaren. Es war wie ein Spiel, fast wie ein Wettkampf.
McCord fühlte sich schon als Sieger, als sich ihre behandschuhten Hände auf seinem Rücken im Hemd verkrallten, um ihn stärker gegen ihren Schoß zu drücken. Mit leise flehenden Seufzern bat sie ihn, bloß nicht aufzuhören.