158066.fb2 Der Piratenf?rst: Fregattenkapit?n Bolitho in der Java-See - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 8

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VIII Madras

Unbeweglich stand Bolitho an der Achterdeckreling und studierte die ausgedehnte Landfläche vor dem Bug der Undine. In der Morgensonne leuchteten die terrassenartig übereinandergebauten, weißen Häuser, deren Firstlinien in unregelmäßigen Abständen von hohen Minaretten und goldenen Kuppeln unterbrochen wurden. Es war atemberaubend schön; und aus der Art, wie sich die Matrosen lautlos, gleichsam ehrfürchtig, an Deck bewegten, schloß er, daß sie ebenso beeindruckt waren. Er blickte sich nach Herrick um. Tiefgebräunt und in seiner Galauniform wirkte er seltsam fremd.

«Wir haben es geschafft.»

Bolitho hob sein Teleskop ans Auge und beobachtete ein paar hochbordige Dhaus, die unter den Schwingen ihres riesigen Segels dahinglitten. Auch sie gehörten zu diesem fremdartigen Zauber.

«Einen Strich abfallen!«sagte Mudge, und dann schwieg auch er, während das Rad sich knarrend drehte.

Vielleicht war er mit sich zufrieden, dachte Bolitho, und dazu hatte er auch allen Grund. Madras — allein dieser Name bezeichnete wie ein großer Meilenstein alles, was sie gemeinsam erreicht hatten. Drei Monate und zwei Tage waren seit dem Ankerlichten in Spithead vergangen. Damals hatte er in Mudges Gesicht grimmige Zweifel lesen können, als er sagte, sie würden die Reise in hundert Tagen schaffen.

Leise meinte Herrick:»Ja, Sir, seit wir die Küste Afrikas im Rücken haben, ist uns das Glück treu geblieben. «Er grinste breit.

«Sie und Ihr Glück!«Aber Bolitho mußte ebenfalls lächeln. Was Herrick gesagt hatte, stimmte. Innerhalb weniger Tage, nachdem das Land mit seinen Toten und Sterbenden achteraus verschwunden war, hatte der Südwest stetig aufgefrischt — es waren die Ausläufer des Monsuns, der sich jetzt als ihr Freund erwies. Tag um Tag zog die Undine unter vollen Segeln frei und unbehindert dahin, nie ohne sprühenden Schaum am Bug; Delphine und andere seltsame Fische leisteten ihr treulich Gesellschaft. Es war, als sei das schreckliche Treffen mit den Kriegskanus die letzte Prüfung des Schicksals gewesen.

Bolitho warf einen Blick auf die leicht killenden Bramsegel oben und die einsame Fock vorn. Sie reichten knapp, um sie in das weite Hafenbecken zu bringen, wo eine imponierende Anzahl Schiffe vor Anker lag. Das war also Madras, der wichtigste britische Außenposten an der Südostküste des indischen Kontinents, die Schwelle zu erweitertem Handel und neuen Entdeckungen. Schon die Namen klangen wie eine Aufforderung zum Abenteuer: Siam und Malakka und weiter südöstlich Java und eine Unzahl unbekannter Inseln.

Schwerfällig kreuzte ein turmhohes Handelsschiff, das immer noch mehr Segel setzte, in eine bleiche Dunstbank über dem Meer hinein. Mit seinen schwarzweißen Stückpforten und dem tadellosen Segeldrill hätte man es für ein Kriegsschiff halten können. Aber es war ein Kauffahrer der East India Company, der Ostindischen Handelsgesellschaft, und noch vor drei Monaten hätte Bolitho seinen rechten Arm für ein paar ihrer

Matrosen gegeben. Sie waren gut ausgebildet und diszipliniert, der durchschnittlichen Mannschaft eines Kriegsschiffes in vieler Hinsicht überlegen. Denn die britische Handelsgesellschaft konnte sich höhere Heuer, bessere Quartiere und Verpflegung für ihre Besatzungen leisten, während die Kriegsflotte nehmen mußte, was sie mit anderen Mitteln kriegen konnte. Und in Kriegszeiten lief das gewöhnlich auf Preßkommandos hinaus.

Bolitho hatte oft darüber nachgedacht, wie ungerecht das ganze System war. Eines Tages — hoffentlich würde er es noch erleben — mochte sich das ändern und die Marine die gleichen Gegenleistungen bieten können wie die Handelsschiffahrt.

Der große Indienfahrer dippte die Flagge, und Bolitho hörte, wie Keen seine Signalgasten anwies, den Gruß zu erwidern. Dann schaute er wieder auf seine eigene Mannschaft — zur Zeit hätte er kaum einen Mann auswechseln wollen, wenn nicht besondere Gründe vorlagen. Braungebrannt von der Sonne, gehärtet von schwerer Arbeit und regelmäßigem Geschütz- und Segeldrill, waren sie aus ganz anderem Holz als der buntgemischte Haufen damals in Spithead.

Er blickte kurz zum Indienfahrer hinüber und lächelte. Ein schönes Schiff, gewiß, und in jeder Hinsicht vollkommen — aber es mußte vor einem Schiff des Königs die Flagge dippen. Auch vor seiner Undine.

Mudge schnaubte sich die Nase und rief:»Noch fünf Minuten, Sir!»

Bolitho hob die Hand, und der Maat des Ankerkommandos bestätigte das Signal. Es war Fowlar, ein Mann, der seinen Wert und seine Treue bewiesen hatte. Der sich bereits eine Beförderung verdient hatte, sobald die Gelegenheit kam.

Hauptmann Bellairs von der Marineinfanterie musterte seine Trommler und glich in dem blendenden Sonnenlicht mehr denn je einem Zinnsoldaten. Davy und Soames waren an ihren Stationen auf dem Geschützdeck. Nie hatte das Schiff besser ausgesehen.

Er hörte Stimmen in seinem Rücken und wandte sich um. An der Heckreling standen Don Puigserver und Raymond im Gespräch. Vermutlich waren sie genauso gespannt darauf wie er, was sie in Madras erwartete. Puigserver trug den Galarock eines Leutnants, den Mrs. Raymonds Zofe auseinandergetrennt und geändert hatte, und zwar mit bereitwilliger Unterstützung durch den Segelmacher der Undine. Dieser John Tait hatte zwar nur ein Auge und die gemeinste Verbrechervisage an Bord; die Zofe jedoch fand ihn anscheinend faszinierend.

«Nun, Captain, Sie müssen heute sehr zufrieden mit sich sein. «Mrs. Raymond war aus dem Kajütniedergang gekommen und trat an seine Seite. Sie bewegte sich vollkommen sicher, durchaus vertraut mit jedem Seegang. Auch sie hatte sich verändert. Zwar wirkte sie imme r noch etwas hochnäsig, aber sie hatte doch diese Uninteressiertheit am Schiffsleben abgelegt, die Bolitho in der ersten Zeit so irritiert hatte. Ihr umfangreicher Vorrat an eigenen Delikatessen, den sie in Santa Cruz mit an Bord gebracht hatte, war längst verbraucht, und sie hatte ohne Klagen mit der einfachen Kost der Kapitänskajüte vorliebgenommen.

«Das bin ich auch, Ma'am. «Er deutete zum Bug.»Nun werden Sie bald die Geräusche und Gerüche einer kleinen Fregatte hinter sich lassen können. Zweifellos wird eine englische Lady hier draußen wie eine Königin behandelt.»

«Vielleicht. «Sie wandte den Kopf, um nach ihrem Mann zu sehen.»Hoffentlich werden Sie mich besuchen, wenn Sie an Land kommen. Auch Sie sind schließlich ein König hier an Bord, nicht wahr?«Ein flüchtiges Lachen.»In mancher Hinsicht tut es mir leid, das Schiff zu verlassen.»

Bolitho betrachtete sie nachdenklich und dachte an seine Rückkehr an Bord nach der Affäre mit den Kanus: völlig ausgepumpt, fast im Stehen schlafend, der Kampfeswille war in totale Erschöpfung umgeschlagen und sein Hirn so abgestumpft, daß er sich nicht einmal über seine Errettung aus unmittelbarer Todesgefahr freuen konnte. Mrs. Raymond hatte ihn zu einem Sessel geführt, ihrer Zofe ein paar knappe Befehle zugerufen, auch dem darüber höchst schockierten Noddall und sogar Allday, als hätte sie das Kommando übernommen. Sie wollte den Schiffsarzt holen lassen, aber Bolitho hatte das kurz abgelehnt:»Ich bin nicht verwundet! Die Kugel hat bloß meine Uhr getroffen — Schweinerei, verdammte!«Da hatte sie mit lautem Lachen den Kopf zurückgeworfen. Diese unerwartete Reaktion hatte ihn geärgert; aber dann hatte sie, außerstande, ihr Lachen zu unterdrücken, seine Hand ergriffen, und da hatte er zu seiner eigenen Überraschung mitlachen müssen. Vielleicht hatte gerade das mehr als alles andere dazu beigetragen, daß er sich wieder fing und die nervöse Spannung verlor, die er bis zu diesem Moment gewaltsam verborgen hatte.

Etwas davon mußte jetzt noch auf seinem Gesicht zu lesen sein, denn sie fragte leise:»Darf ich's wissen?»

Er lächelte verlegen.»Woran ich denke? Ich dachte nur an meine Uhr.»

Er sah, daß ihre Lippen wieder zu zucken begannen. Warum hatte er eigentlich nie bemerkt, wie zart ihr Kinn und ihr Hals geformt waren? Erst jetzt fiel es ihm auf, da es zu spät war. Er fühlte, daß er rot wurde. Wieso eigentlich?

Sie nickte.»Es war grausam von mir, so zu lachen. Aber Sie machten ein so wütendes Gesicht, während jeder andere zunächst einmal dankbar gewesen wäre.»

Da rief Herrick:»Klar zum Ankern, Sir«, und sie wandte den Kopf ab.

«Machen Sie weiter, Mr. Herrick!«sagte Bolitho.

«Aye, Sir«, antwortete Herrick, aber seine Augen hafteten an der Frau. Dann begab er sich eilig zur Reling und kommandierte:»An die Leebrassen!»

Leicht und elegant drehte die Undine in den Wind, und schließlich fiel ihr Anker spritzend in das seidig blaue Wasser.

Puigserver deutete auf eine kleine Prozession von Booten, die sich bereits dem Schiff näherte.»Jetzt beginnt die Zeit der Zeremonien, Captain. Der arme Rojart hätte daran seine Freude gehabt.»

Er war jetzt ein ganz anderer Mann, mit stahlhartem Blick, tatendurstig seine Pläne schmiedend. Hinter ihm beobachtete Raymond die näher kommenden Boote mit eher nervöser Spannung.

Der Anker war gesteckt, alle Segel sauber gerefft; reges Leben herrschte auf den Decks der Undine, denn die Mannschaft traf Vorbereitungen, um Proviant, Besucher, oder was sonst befohlen wurde, an Bord zu nehmen. Und vor allen Dingen, um notfalls innerhalb weniger Stunden wieder seeklar zu sein.

Bolitho wußte, daß er von einem Dutzend verschiedener Seiten zugleich gebraucht wurde. Schon sah er den Zahlmeister herumschleichen, der sich bemühte, das Auge des Kapitäns auf sich zu lenken. Auch Mudge kam näher, offenbar mit einer Frage oder einem Vorschlag.

«Vielleicht sehen wir uns an Land, Mrs. Raymond«, sagte er ernst. Die anderen hörten zu; er spürte ihre verstohlenen Blicke, ihr Interesse.»Es war keine leichte Reise für Sie, und ich würde Ihnen gern danken für Ihre — äh — «, er zögerte, denn schon wieder begannen ihre Lippen vor unterdrücktem Lachen zu zittern — ,»Ihre Nachsicht.»

Ebenso ernsthaft erwiderte sie:»Und ich darf Ihnen meinerseits danken für Ihre — Kameradschaft.»

Bolitho setzte zu einer Verneigung an, doch sie streckte ihm die Hand hin und sagte:»Bis zum nächsten Mal also, Captain.»

Er nahm ihre Hand und führte sie an die Lippen. Dabei spürte er einen ganz leichten Druck ihrer Finger, und als er ihr ins Gesicht sah, merkte er, daß es kein Zufall war.

Dann war alles vorbei. Die Herren vom Empfangskomitee des Gouverneurs umringten ihn, und er mußte seine Depeschen dem Kommandanten des Regierungsbootes übergeben. Dann löste sich eine Barkasse mit grellbuntem Sonnendach aus dem dunklen Schatten der Undine; er sah seine Passagiere im Heck sich noch einmal nach ihm umblicken. Mit jedem Schlag der Riemen wurde das Boot kleiner.

«Sie sind sicher froh, Sir, daß Sie die Kajüte jetzt wieder für sich haben«, bemerkte Herrick munter.»Lange genug hat es ja gedauert.»

«Ja, Thomas. Da bin ich wirklich froh.«»Und jetzt, Sir, was zusätzliche Männer betrifft…«Herrick hatte Bolithos Lüge durchschaut und hielt es für klug, unverzüglich das Thema zu wechseln.

Erst am späten Nachmittag erhielt Bolitho die Aufforderung, persönlich beim Gouverneur vorzusprechen. Er hatte schon gedacht, dieser Teil seiner Mission sei gestrichen worden oder sein Status in Madras so tief gesunken, daß man ihn sich auf Armeslänge vom Leibe hielt, bis er von der Obrigkeit mit den entsprechenden Befehlen versehen wurde.

Die Gig der Undine trug ihn, Herrick und Midshipman Keen an Land, obwohl ein hochnäsiger Abgesandter ihn überreden wollte, ein Hafenboot sei passender und bequemer.

Am Kai wartete eine offene Kutsche, um sie zum Gouverneurspalast zu bringen; während der ganzen langen Fahrt wechselten sie kaum ein Wort. Die grellen Farben, die wimmelnden, schwatzenden Menschen, überhaupt die Fremdartigkeit der Stadt nahmen ihre Aufmerksamkeit voll in Anspruch. Bolitho fand die Menschen außerordentlich interessant, schon wegen der unterschiedlichen Hautfarben: vom hellen Braun, nicht dunkler als die Sonnenbräune des jungen Keen, bis zum Tiefschwarz wie dem der Krieger, die er in Afrika gesehen hatte. Männer mit Turbanen und langen, fließenden Gewändern, Rinder und herrenlose Ziegen, alles drängte sich durch die gewundenen Straßen, zwischen den mit Tüchern verhangenen Läden und Bazaren — ein endloses Panorama von Bewegung und Lärm.

Die Residenz des Gouverneurs glich mehr einer Festung als einem Haus und hatte Schießscharten in den Mauern, die von indischen Soldaten wohlbewacht wurden. Diese Gardisten waren besonders eindrucksvoll. Zu Turban und Bart trugen sie die wohlbekannten roten Röcke der britischen Infanterie und weite blaue Pumphosen mit hohen weißen Gamaschen.

Herrick de utete auf die Fahne, die schlaff, fast reglos an ihrem hohen Mast hing, und murmelte:»Das wenigstens ist ein Stück Heimat.»

Trat man aber durch das Tor in den kühlen Schatten des Hauses, so war man wieder in einer anderen Welt. Die riesigen Torflügel schlossen den Lärm der Straße aus, und überall spürte man eine seltsame Atmosphäre, eine Mischung aus Wachsamkeit und Eleganz: prächtige Teppiche, schwere Messingornamente, bloßarmige Diener, so lautlos wie Geister, und gekachelte Gänge, die labyrinthartig in alle Richtungen führten.

Der Adjutant sagte geschmeidig:»Seine Exzellenz wird Sie sofort empfangen, Captain. «Und mit einem wenig begeisterten Blick auf die anderen:»Allein.»

«Mr. Keen bleibt hier für den Fall, daß ich eine Nachricht zum Schiff senden muß«, sagte Bolitho zu Herrick.»Und Sie können Ihre Zeit nutzen, wie es Ihnen beliebt. «Er trat etwas näher heran, damit der Adjutant das folgende nicht verstand.»Und sehen Sie sich ein bißchen nach zusätzlichen Leuten um — vergessen Sie das nicht!»

Herrick grinste erleichtert, möglicherweise weil er jetzt nicht mehr auf dumme Fragen zu antworten brauchte, mit denen ihn seit dem Festmachen alle möglichen Besucher überfallen und in Atem gehalten hatten. Ein britisches Kriegsschiff schien weit mehr Interesse zu erregen als die ständig ein- und auslaufenden Handelsschiffe. Es war ein Bindeglied zur Heimat, eine Andeutung von dem, was diese Menschen hinter sich gelassen hatten, als sie auszogen, um ein Weltreich aufzubauen.

«Viel Glück, Sir«, sagte Herrick.»Das hier ist ein gewaltiger Unterschied zu Rochester. «Damit ging er.

Der Adjutant sah ihm nach und warf dann einen uninteressierten Blick auf Keen.»Wenn Sie wünschen«, sagte er,»kann ich diesen jungen Herrn in die Offiziersmesse bringen lassen.»

Bolitho lächelte.»Hier wird er sich bestimmt viel wohler fühlen.»

Gelassen erwiderte Keen den starren Blick des Adjutanten und sagte:»Davon bin ich überzeugt, Sir. «Und er konnte sich nicht enthalten, hinzuzufügen:»Mein Vater wird sich freuen zu erfahren, wie gastfreundlich man hier ist, wenn ich ihm nächstens schreibe.»

Bolitho ergänzte, schon im Weggehen:»Seinem Vater gehört ein erklecklicher Teil dieser Handelsniederlassung.»

Der Adjutant sagte nichts weiter, sondern eilte schweigend durch den prächtigen Korridor voran. Er öffnete Doppeltüren und verkündete mit aller Würde, derer er noch fähig war:»Captain Richard Bolitho von Seiner Majestät Schiff Undine.»

Bolitho kannte zwar den Namen des Gouverneurs, wußte aber sonst nicht viel von ihm. Sir Montagu Strang verschwand fast hinter einem mächtigen Schreibtisch aus Ebenholz mit silbernen Füßen in der Form von Tigerpfoten. Strang war klein, grauhaarig und schmächtig, und seine bleiche Gesichtsfarbe deutete auf ein kürzlich überstandenes Fieber. Sein schmaler Mund lächelte nicht, und unter den buschigen Brauen hervor betrachtete er den auf einer blauen Teppichgalerie näher tretenden Bolitho, wie ein Jäger seine Beute belauert.

«Willkommen, Bolitho. «Die Winkel des schmalen Mundes hoben sich nur so wenig, als schmerze ihn schon diese winzige Anstrengung.

Doch dann bemerkte Bolitho, daß Strangs Haltung keineswegs Geringschätzung ausdrückte, denn als er näher kam, sah er, daß der Gouverneur aufgestanden und nicht, wie er zunächst gedacht hatte, in seinem Sessel sitzen geblieben war.

«Besten Dank, Sir.»

Bolitho versuchte, seine Überraschung oder, was schlimmer war, sein Mitleid zu verbergen. Bis zum Gürtel war Sir Montagu ein normal gebauter, wenn auch schmächtiger Mann. Aber seine Beine waren zwergenhaft kurz, und seine schmalen Hände schienen bis zu den Knien zu hängen.

Im gleichen knappen Ton fuhr Strang fort:»Bitte nehmen Sie Platz. Ich habe Ihnen einiges zu sagen, bevor wir zu den anderen gehen. «Er musterte ihn von oben bis unten und sprach dann weiter:»Ich habe Ihren Bericht gelesen und auch die Berichte gewisser Augenzeugen. Die Undine ist schnell gesegelt, und Ihr Verhalten war ausgezeichnet. Die Rettung der Überlebenden der Nervion und Ihre wenn auch nur teilweise erfolgreiche Aktion gegen das Sklavenschiff waren so ziemlich das Erfreulichste, was ich heute zu hören bekam.»

Bolitho nahm auf einem mächtigen Sessel Platz und bemerkte erst jetzt, daß der riesige Fächer über seinem Kopf von einem winzigen Inder bewegt wurde, der scheinbar schlafend in einer entfernten Ecke saß, mit dem nackten Fuß regelmäßig an einem Seil zog und so den Fächer in Schwung hielt.

Strang trat wieder an seinen Schreibtisch und setzte sich. Wahrscheinlich, dachte Bolitho, benahm er sich immer so, wenn jemand kam, den er noch nicht kannte. Er wollte es hinter sich bringen und dem Besucher Verlegenheit ersparen. Bolitho hatte gehört, daß Strang schon seit vielen Jahren als Repräsentant der Regierung und Ratgeber in Handels- und Eingeborenenangelegenheiten in Indien stationiert war. Ein sehr bedeutender Mann. Kein Wunder, daß er lieber hier draußen auf hohem Posten saß, als daß er sich in London der ständigen Demütigung taktloser Blicke aussetzte.

«Also, Bolitho, zur Sache«, begann Sir Montagu gemessen.»Ich habe lange auf Depeschen warten müssen, ohne zu wissen, ob meine ursprünglichen Vorschläge angenommen wurden. Der Verlust der Nervion war ein schwerer Schlag, aber Ihr Entschluß, die Reise auf eigene Faust fortzusetzen, ohne erst Befehle abzuwarten, mildert ihn bis zu einem gewissen Grad. Don Puigserver ist voller Bewunderung für Sie, doch ob uns das nützt oder schadet, bleibt abzuwarten. «Die Augen unter den schweren Brauen blitzten ärgerlich.»Die Spanier haben in Teluk Pendang vieles verscherzt. Schwert und Kruzifix waren so ziemlich das einzige, was sie den Eingeborenen zu bieten hatten.»

Bolitho preßte die Hände zusammen und versuchte, sich von Strangs Betrachtungen nicht ablenken zu lassen. Also lief sein Auftrag weiter, die Undine würde nach Teluk Pendang segeln.

Strangs scharfe Stimme unterbrach seine Überlegungen.»Sie denken bereits voraus, wie ich sehe. Erlauben Sie mir, ein paar Kleinigkeiten hinzuzufügen.»

Weit draußen hörte Bolitho ein Hornsignal; es klang seltsam melancholisch. Strang bemerkte seinen Gesichtsausdruck und sagte:»Wir haben während des Krieges viel durchgemacht. Hyder Ali, der Herrscher von Mysore, der die Briten grimmig haßt, bekam reichlich Unterstützung durch die Franzosen. Ohne unsere Kriegsflotte würde heute das Lilienbanner und nicht der Union Jack hier wehen, fürchte ich. «Nüchterner fuhr er fort:»Aber das hat mit Ihrer Aufgabe nichts zu tun. Je eher wir in der Pendang Bay einen britischen Gouverneur einsetzen können, um so besser. Seit Kriegsende herrscht in der dortigen spanischen Garnison, die vorwiegend aus eingeborenen Soldaten besteht, ein einziges Chaos. Fieber und Aufsässigkeit machen einen geordneten Dienstbetrieb unmöglich. Es überrascht mich nicht, daß der König von Spanien diesen Stützpunkt loswerden will. «Seine Stimme wurde entschlossen.»Doch unter unserem Schutz wird er gedeihen. Der eingeborene Herrscher ist ziemlich harmlos, sonst hätte er die spanische Besatzung gar nicht erst am Leben gelassen. Aber weiter westlich liegt ein großes Gebiet, kaum erforscht, von dem aus ein anderer, weniger freundlicher Fürst namens Muljadi ständig Raubzüge unternimmt. Er muß im Zaum gehalten werden, wenn wir unsere Einflußsphäre ausdehnen wollen, verstehen Sie?»

Nachdenklich nickte Bolitho.»Jawohl, Sir. Sie tragen große Verantwortung.»

«Gewiß. Der Wind zaust immer den Wipfel des Baumes am meisten, Bolitho.»

«Ich bin mir noch nicht klar, was ich dabei tun soll, Sir. Meiner Meinung nach könnte eine neue Garnison mit frischen Soldaten dort mehr ausrichten als ich.»

«Das kenne ich schon«, wehrte Strang bitter ab.»Sie bestünde größtenteils aus eingeborenen Truppen und ein paar britischen Offizieren, die abgestumpft sind von der Hitze und gewissen, äh, lokalen Reizen. Nein, ich brauche etwas Bewegliches — mit einem Wort, Ihr Schiff. Die Franzosen sind, wie Sie inzwischen selbst erfahren haben, sehr interessiert. Sie haben irgendwo in diesen Gewässern eine Fregatte stationiert; das wissen Sie ja auch. Und deswegen kann ich mir keinen offenen Konflikt leisten. Wenn wir Erfolg haben wollen, müssen wir das Recht auf unserer Seite haben.»

«Und wenn sich Muljadi gegen uns oder unsere Verbündeten stellt, Sir?»

Strang schritt zur Wand und strich leicht über einen Gobelin.»Dann werden Sie ihn zerschmettern. «Mit überraschender Gewandtheit drehte er sich um.»Im Namen des Königs.»

Damit griff er nach einer Tischglocke und läutete ungeduldig.»Ich organisiere den Transport der Truppen und aller notwendigen Vorräte. Die East India Company wird zu gegebener Zeit ein geeignetes Schiff zur Verfügung stellen. Das andere ist Ihre Sache, Sie stehen dann unter dem Oberbefehl des neuen Gouverneurs. Konteradmiral Beves Conway hat einiges bereits in die Wege geleitet. «Ein rascher Blick.»Sie kennen ihn doch?»

«Natürlich, Sir. «Ein Dutzend verschiedener Erinnerungen fuhren Bolitho durch den Kopf.»Er war Kommandant der Gorgon, vierundsiebzig Geschütze und mein zweites Schiff. «Trotz Strangs ernster Miene mußte er lächeln.»Damals war ich sechzehn.»

«Zweifellos ein interessantes Wiedersehen. «Strang blickte zur offenen Tür hinüber, wo ein Diener stand, der ihn ängstlich beobachtete.»Führe den Captain in den Saal. Und wenn ich das nächstemal läute, kommst du sofort!»

Als Bolitho sich zum Gehen wandte, fragte Strang noch:»Haben Sie gesehen, daß ein Schiff der Company den Hafen verließ, als Sie heute einliefen?»

«Jawohl, Sir.»

«Auf Heimatkurs und mit reicher Ladung für England. «Er lächelte.»Nein, ich hege keineswegs Sehnsucht nach der Heimat, die in meinem Fall Schottland heißt, sondern wollte Ihnen bloß andeuten, daß dessen Mannschaft die ganze Nacht gefeiert und dabei nach Seemannsart zuviel getrunken hat. «Er wandte sich ab.»Etwa zwanzig Matrosen waren zu betrunken, um an Bord zurückzufinden. Sie stehen jetzt unter Aufsicht meiner Offiziere, und die haben mehr zu tun, als sich um Schnapsdrosseln zu kümmern, die auf einem Kriegsschiff zweifellos wegen Desertion ausgepeitscht würden. Ich will von dieser Angelegenheit weiter nichts wissen; aber falls Ihre Leutnants die Verantwortung übernehmen, bekämen Sie vielleicht ein paar zusätzliche Männer.»

«Besten Dank, Sir«, lächelte Bolitho.

«Ich komme in Kürze nach. Gehen Sie jetzt, und trinken Sie ein Glas Wein mit den Herren meines Stabes.»

In der Vorhalle setzte Bolitho Keen unverzüglich ins Bild. Erfreut zog der Midshipman die Brauen hoch.»Ich sage es sofort Mr. Davy, Sir. Allerdings habe ich meine Zweifel, daß John Company[14] es uns danken wird, wenn wir Leute von seinem Indienfahrer schnappen. «Er lachte leise.»Und sie selbst werden auch nicht begeistert sein, Sir!»

Eilig schritt Bolitho den Gang hinunter, wo der Diener bereits auf ihn wartete. Seine Gedanken waren schon bei dem, was er von Strang gehört hatte. Beves Conway, damals Kapitän eines Zweideckers, war immer so etwas wie ein Held für ihn gewesen. Kalt und abweisend, gewiß — aber ein erstklassiger Seemann und niemals grundlos schroff, auch nicht gegenüber den Kadetten. Nachdem er das Kommando einige Jahre innegehabt hatte, war er noch vor Bolitho von Bord gegangen. Dann war er völlig von der Szene verschwunden — in der Flotte etwas Ungewöhnliches. Die Gesichter und Schiffe wechselten ständig wie der Wind, der ihr Leben beherrschte. Mit Conway an der Spitze bestand wohl kaum die Gefahr eines Mißerfolgs, dachte Bolitho.

Der Diener geleitete ihn zu einem Kuppelsaal, wo sich bereits eine Menge Menschen befanden, zu Bolithos Überraschung auch Frauen. Er sah Puigserver, immer noch in seinem provisorischen Galarock, und Raymond, der sich lebhaft mit einem vierschrötigen Major unterhielt. Sofort ließ Raymond seinen Partner stehen, kam mit einem knappen Nicken Bolitho entgegen, führte ihn im Saal herum, stellte ihn überall vor und konnte dabei kaum seine Ungeduld verbergen, wenn jemand Fragen über England stellte, etwas nach der letzten Mode daheim. Was» daheim «bedeutete, war etwas unklar; meistens war wohl London gemeint.

Als Bolitho ein Glas Wein von einem devoten Diener entgegennahm, blieb Raymond kurz stehen.»Wie ein Haufen Kuhbauern!«Er lächelte einer vorübergehenden Dame zu, fuhr aber wütend fort:

«Doch sie lassen es sich hier mächtig gutgehen!»

Bolitho beobachtete ihn neugierig. Der Mann bemühte sich, Verachtung zu zeigen, war aber in Wirklichkeit einfach neidisch.

Dann hörte er eine vertraute Stimme, und als er sich umwandte, sah er Mrs. Raymond, die sich mit einem Herrn unterhielt, mit dem er noch nicht bekannt gemacht war.

Auch sie sah ihn sofort und rief:»Kommen Sie doch zu uns!«Ihr Lächeln erlosch, als sie ihren Mann bemerkte.»Wir haben über die hiesigen Sitten und Gebräuche gesprochen.»

«Konteradmiral Conway, der neue Gouverneur von Teluk Pendang«, sagte Raymond kurz.

Conway stand mit dem Rücken zu Bolitho. Er trug einen flaschengrünen Zivilrock und hielt die Schultern so gebeugt, daß es aussah, als stünde er gebückt. Jetzt wandte er sich um und sah Bolitho an; seine raschen, aufmerksamen Blicke registrierten jede Einzelheit.

«Schön, Sie wiederzusehen, Sir«, sagte Bolitho. Weiter fiel ihm nichts ein. Hätte er Conway in Plymouth oder anderswo gesehen, er wäre an ihm vorbeigegangen. Konnte sich ein Mann in zwölf Jahren so verändern? Conway wirkte mager und angespannt, zwei tiefe Furchen liefen von der scharfen Adlernase zum Kinn, so daß es aussah, als sei der Mund an ihnen aufgehängt.

Conway streckte die Hand aus.»Richard Bolitho, wie?«Der Händedruck war so knapp wie sein Ton.»Und sogar Fregattenkapitän. So, so.»

Bolitho fing sich wieder. Conway war Konteradmiral, gewiß; aber abgesehen vom höheren Dienstalter stand er nur eine Rangstufe über ihm selbst. Und kein Adelstitel, weder Knight noch Lord, belegte seinen Aufstieg auf der Leiter des Erfolges.

Ruhig sagte er:»Ich habe viel Glück gehabt, Sir.»

Mrs. Raymond berührte Conways Ärmel mit ihrem Fächer.»Er ist viel zu bescheiden. Ich hatte die beste Gelegenheit, den Captain im Dienst zu beobachten und auch von seinen früheren Erfolgen zu hören.»

Conways Blicke flogen zwischen beiden hin und her.»Hat er sie unterhaltsam erzählt, Ma'am?»

«Ich hörte es von anderer Seite«, entgegnete sie kühl.»Captain Bolitho ein Selbstlob zu entreißen ist, als wolle man eine Auster mit einer Feder öffnen.»

Conway zupfte ein Fädchen von seiner Weste.»Freut mich zu hören.»

Raymond mischte sich ein.»Anscheinend soll ich mit Ihnen zu dem neuen Stützpunkt segeln, Sir. «Offensichtlich wollte er Conways Aufmerksamkeit von der plötzlichen Verstimmung seiner Frau ablenken.

«Das ist richtig«, erwiderte Conway.»Und Captain Bolitho hier wird Ihnen bestätigen, daß ich Unfähigkeit und Schluderei nicht vertragen kann. Ich wünsche, daß jeder, der mit der Übernahme des Stützpunktes zu tun hat, an Ort und Stelle ist. «Verächtlich blickte er zu der schwatzenden Gesellschaft hinüber.»Und nicht hier in dieser verweichlichten Traumwelt herumlungert.»

Mrs. Raymond, die hinter Conway stand, warf über dessen Schulter Bolitho einen Blick zu und verzog spöttisch den Mund.

«Ich muß mit den Offizieren sprechen«, sagte Conway und neigte flüchtig den Kopf.»Wenn Sie mich entschuldigen wollen, Ma'am?»

Raymond wartete nur ein paar Sekunden, dann brach er los.»Mußt du ausgerechnet jetzt eine Szene machen, Viola? Conway kann weiß Gott wichtig für mich sein. Für uns beide!»

Sie warf Bolitho einen Blick zu.»Er ist ein — «, sie suchte nach einem Ausdruck,»- ein aufgeblasenes Ekel!«Und zu ihrem Mann:»Es macht mich krank, wie du vor solchen Leuten katzbuckelst! Immer vor solchen Nieten!»

Raymond starrte sie entgeistert an.»Was meinst du damit? Er ist schließlich der neue Gouverneur.»

Viola warf jemandem am anderen Ende des Saales ein flüchtiges Lächeln zu.»Du hast ja keine Ahnung. Er ist ein Versager. Man braucht ihn nur anzusehen.»

Merkwürdigerweise schien Raymond erleichtert.»Ist das alles? Ich dachte schon, du hättest etwas Bestimmtes gehört. «Er blickte Conway nach.»Jetzt muß ich wohl wieder zu ihm. Sir Montagu Strang hat mich angewiesen, ihm meine ganze Erfahrung zur Verfügung zu stellen.»

Seine Frau bedeckte die Lippen mit dem Fächer und flüsterte:»Das dürfte nicht viel Zeit in Anspruch nehmen!«Dann hängte sie sich bei Bolitho ein.»Und jetzt, Captain, dürfen Sie mich begleiten, wenn Sie wollen.»

Bolitho dachte über die kleine Auseinandersetzung zwischen den Ehegatten nach; aber noch mehr darüber, wie sehr sich Conway verändert hatte. Sie kniff ihn in den Arm.»Ich warte!»

«Es ist mir eine Ehre«, sagte er, lächelnd über ihre Ungeduld.»Aber«, fuhr er kopfschüttelnd fort,»ich möchte bloß wissen, was mit Conway passiert ist.»

Wieder gruben sich ihre Finger in seinen Arm.»Eines Tages wird irgendein dummer Offizier dasselbe von Ihnen sagen. «Sie warf den Kopf zurück.»Auf jeden Fall ist er wirklich ein aufgeblasenes Ekel.»

Bolitho bemerkte, wie der vierschrötige Offizier zu ihnen herübersah und dann etwas zu einem Kameraden sagte.

«Es wird Gerede geben, Ma'am, wenn wir hier so miteinander paradieren.»

Gelassen blickte sie ihn an.»Na und? Macht Ihnen das was aus?«»Mir? Nein.»

Sie nickte.»Dann ist es ja gut. Und mein Name ist Viola. Bitte benutzen Sie ihn in Zukunft.»

Seinen Worten getreu, verlor Sir Montagu Strang keine Zeit, um die lange vorbereiteten Pläne in die Tat umzusetzen. Zwei Tage nach dem Einlaufen der Undine in Madras warf die Bedford, ein schweres Transportschiff unter der Flagge der East India Company, Anker und begann, Proviant und Ausrüstung für den neuen Stützpunkt zu laden.

Nach seinem ersten Besuch im Gouverneurspalast hatte Bolitho keine Zeit mehr für Zerstreuungen. Über Teluk Pendang war nur wenig bekannt, allenfalls bei Kaufleuten, die Handelsbeziehungen nach dort gehabt hatten; so dauerte es eine ganze Weile, bis Bolitho mit seinen Kursberechnungen zufrieden war. Mudge, der diese Gewässer gut kannte, gab seine vorsichtige Zustimmung; und als er dem Kapitän der Bedford einen Besuch abstattete, beeilte er sich nicht nur, dessen Arbeit zu loben, sondern deutete auch an, daß er sachverständigen Rat sehr zu schätzen wissen würde.

Der Kapitän zeigte sich höflich amüsiert.»Das sieht aber einem Offizier des Königs gar nicht ähnlich!«sagte er.»Die meisten würden lieber auf Grund laufen, als unsereinen fragen. «Wie würde er sich wohl anstellen, fragte sich Bolitho, wenn er von den zwanzig Matrosen wüßte, die er, Bolitho, der allmächtigen I.E.C. weggeschnappt hatte?

Ehe er von Bord des Transporters ging, hatte er einen ersten Blick auf die Truppen geworfen, welche die spanische Besatzung ablösen sollten. Sie machten den Eindruck, als wollten sie sich in ihrer neuen Garnison für immer häuslich niederlassen, denn sie hatten Frauen und Kinder, allerlei Viehzeug und haufenweise Töpfe und Pfannen bei sich — wo ließ sich das alles verstauen? Aber den Kapitän der Bedford schien es nicht zu stören; anscheinend war das hier draußen so üblich.

Als Bolitho dann in seiner Kajüte saß und seine Abmeldung schrieb, trat Herrick ein und meldete, daß Konteradmiral Beves Conway gleich an Bord kommen würde.

Conways Boot legte bereits an, als Bolitho an Deck kam. Er hatte sich schon Gedanken darüber gemacht, warum Conway ihn seit dem Einlaufen der Undine nicht mehr hatte sprechen wollen — über diese Vernachlässigung war er sogar etwas betroffen gewesen. Zu seiner Überraschung sah er, daß Conway immer noch seinen grünen Zivilrock trug, ohne Orden und Degen. Er hatte nicht einmal einen Hut auf, als er an Bord kam. Bellairs Empfangskommando und das Achterdeck grüßte er nur durch ein kurzes Nicken.

«Sauberes Schiff, Bolitho. «Hierhin und dorthin schweiften seine Augen, und Bolitho versuchte, sein Mißbehagen über Conways Haltung zurückzudrängen. Vielleicht war er immer so gewesen, auch damals an Bord der Gorgon, als Bolitho jedesmal vor Ehrfurcht fast erstarrte, wenn Conway auf dem Achterdeck erschien.

«Lassen Sie die Soldaten wegtreten«, sagte Conway,»ich bin nicht dienstlich hier.»

Er schritt zu einem der Sechspfünder und strich mit der Hand über den Verschluß. Dann blickte er nach oben, wo gerade einige Matrosen die Wanten und Stagen schwärzten, bis sie wie Ebenholz glänzten.»Sieht sehr ordentlich aus.»

Dann schaute er zur Bedford hinüber, die ihre Ladebäume über die längsseits liegenden Leichter ausschwenkte.

Bolitho konnte Conway jetzt etwas ungezwungener betrachten. Wie grau und dünn sein Haar geworden war!

Ohne sich umzuwenden, fragte Conway:»Wann können wir Ihrer Schätzung nach an unserem Bestimmungsort sein?»

«Bei gutem Wind und unter Berücksichtigung alles dessen, was ich inzwischen gehört habe, sollten wir in achtzehn Tagen Land sichten. Spätestens in drei Wochen. Ich habe bereits erfahren, daß ich vor dem Transporter absegeln soll.»

«Das war meine Idee. «Conway wandte sich jetzt um und blickte Bolitho forschend an.»Es hat keinen Sinn, daß wir neben diesem verdammten Kasten herschleichen.»

«Dann werden Sie die Überfahrt also auf der Undine machen,

Sir?»

«Enttäuscht? Natürlich segle ich mit Ihnen. Ich habe bereits angeordnet, daß mein Gepäck heute nachmittag an Bord kommt.»

Also war Bolitho wieder einmal seine Kajüte los. Er hatte sich seit dem Einlaufen in Madras auf sie gefreut. Dort konnte er in Ruhe über seine Fehler und Erfolge nachdenken. Puigserver — der ging noch. Aber Conway war etwas ganz anderes. Es würde so sein, als wäre er wieder Conways Untergebener.

«Ich werde meinem Ersten Leutnant gleich Bescheid sagen,

Sir.»

«Herrick?«fragte Conway gleichgültig.»Nicht nötig.»

Bolitho starrte ihn verdutzt an. Das sah Conway gar nicht ähnlich. Er versuchte es noch einmal.»Wenigstens werden wir die Admiralsflagge am Kreuzmast fahren, wenn wir in Teluk Pendang einlaufen, Sir.»

Die Wirkung war verblüffend. Conway fuhr herum, seine Gesichtszüge verzerrten sich in plötzlicher Wut.»War dieser Seitenhieb Absicht? Finden Sie ein perverses Vergnügen daran, mich zu verhöhnen? Wenn ja, dann mache ich Sie fertig für Ihre verdammte Frechheit, und zwar bald!»

Bolitho bemühte sich, ruhig zu antworten; er merkte, daß Herrick, der nicht weit weg von ihnen stand, mit offensichtlicher Betroffenheit zuhörte.»Ich bitte um Entschuldigung, Sir. Ich wollte Sie keinesfalls verletzen.»

Conway holte tief Atem.»Keine Flagge, Bolitho. Ich bin der künftige Gouverneur von Pendang Bay, einem Ort, von dem weder Sie noch die meisten Bewohner dieser Erde bis zum heutigen Tage gehört haben. «Seine Stimme klang jetzt schneidend bitter.»Ich bin praktisch nicht mehr im Dienst. Nach dieser Tatsache wird sich der Respekt bemessen, den Sie mir erweisen.»

Bolitho starrte ihn an. Plötzlich wurde ihm das Ganze nur allzu klar. Conway hatte diese Begegnung hinausgeschoben, nicht aus Hochmut oder Neid auf Bolithos verhältnismäßig raschen Aufstieg seit der Zeit auf der Gorgon, sondern weil er ein ruinierter Mann war.

«Dann wird Ihnen der höchste Respekt erwiesen, Sir. Das kann ich Ihnen versprechen. «Bolitho blickte etwas verlegen zur Seite.»Ich habe mehrfach Erfolg gehabt bei der Flotte. Der Zufall hat mir geholfen oder mein Glück, wie mein Erster Leutnant sagen würde. Aber ich habe nie vergessen, wo ich meine ersten Erfahrungen gesammelt habe, und auch nicht die Geduld, die mein damaliger Kapitän mit mir hatte.»

Conway zupfte an seiner Weste; die Sonne brannte ihm auf Schultern und Nacken, aber er achtete nicht darauf.»Das war sehr freundlich von Ihnen.»

Er blickte auf seine Hände und legte sie dann auf den Rücken.»Können wir unter Deck gehen?»

In der Kajüte schritt er ruhelos auf und ab, faßte die Möbel an, spähte in die Ecken und sagte nichts. Schließlich erblickte er die hölzernen Kanonenattrappen und sagte bissig:»Das war für dieses Frauenzimmer, wie?»

«Jawohl, Sir. Ich werde dafür sorgen, daß sie stehenbleiben, bis Sie sich an Ihrem neuen Standort eingerichtet haben. «Er hatte» Residenz «sagen wollen, aber das andere Wort war ihm herausgerutscht.

Conways Miene blieb ausdruckslos.»Nein, im Gegenteil. Lassen Sie die Geschütze wieder montieren. Mit mir brauchen Sie keine Umstände zu machen. Das Schiff muß gefechtsbereit sein, und ein paar fehlende Geschütze könnten sehr viel bedeuten. «Er gab keine weiteren Erklärungen, sondern fragte im gleichen bissigen Ton weiter:»Dieses Frauenzimmer, Mrs. Raymond, wie hat sie denn die drei Monate in einem Schiff der fünften Klasse ausgehalten, eh?»

«Besser als ich dachte.»

«Hm. «Conway blickte Bolitho lange und grimmig an; sein eigenes Gesicht blieb im Schatten.»Seien Sie vorsichtig mit ihr. Sie ist nur drei Jahre älter als Sie, aber der Erfahrungsabstand ist unermeßlich größer.»

Hastig wechselte Bolitho das Thema.»Darf ich fragen, Sir, wann die Segelorder zu erwarten ist?»

«Morgen wahrscheinlich, aber ich kann es Ihnen schon jetzt sagen: Ankerlichten am Tag nach Befehlsempfang. Keine Verzögerung und möglichst schnelle Fahrt. Wir werden auf der Reise Begleitung haben.»

«Sir?«Bolitho war überzeugt, daß Conways Gedanken ganz woanders weilten, obwohl seiner Rede nichts dergleichen anzumerken war.

«Eine Brigg«, erwiderte Conway.»Don Puigserver hat sie zum eigenen Gebrauch gechartert. Unter anderem auf meine Veranlassung hin. Für mich ist der Krieg noch nicht lange genug vorbei, als daß ich einen Spanier als Freund betrachten könnte.»

«Verstehe, Sir.»

«Sie verstehen gar nichts. Aber das spielt auch keine Rolle. «Conway trat an die Heckfenster und starrte auf die Küstenlinie und auf die zahllosen winzigen Fahrzeuge hinaus, die wie geschäftige Wasserkäfer hin- und herschossen.»Ich möchte an Bord bleiben, Bolitho.»

«Bis zum Ankerlichten, Sir?«Bolitho sah sich in der Kajüte um. Wie eng es hier war, verglichen mit dem Palast an Land.

«Ja. «Conway wandte sich vom Fenster ab.»Haben Sie was dagegen?«Eine Sekunde klang seine Stimme wie früher.

«Nein, Sir«, lächelte Bolitho.»Ich habe die ganze Zeit auf die Gelegenheit gewartet, den Wein zu probieren, den ich in London gekauft habe, und… »

«London?«Conway seufzte bitter.»Verdammte Stadt! Seit fünf Jahren habe ich keinen Fuß mehr dorthin gesetzt. Die Pest über London und seine Gemeinheit!»

«Vielleicht hat es sich seitdem geändert… »

«Die Menschen ändern sich nicht, Bolitho. «Conway tippte auf seine Brust.»Nicht hier drin. Gerade Sie müßten das doch wissen. Als ich hörte, wer das Schiff kommandiert, mit dem ich die Überfahrt machten sollte, da wußte ich sofort, Sie würden noch so sein wie damals. Vielleicht sind Sie nicht mehr so vergnügt und vertrauensselig, aber geändert haben Sie sich im Grunde nicht.»

Schweigend beobachtete Bolitho, wie Conways Gesichtsausdruck mehrmals wechselte; vielleicht erinnerte er sich jedesmal an etwas Bestimmtes.»Die Gorgon — eine Ewigkeit ist das her. An Bord der Gorgon habe ich meine beste Zeit gehabt, wenn ich das damals auch nicht wußte.»

Vorsichtig wandte Bolitho ein:»Auf Ihrem neuen Posten werden Sie diese Ansicht vielleicht ändern, Sir.»

«Glauben Sie?«Conway lächelte, aber seine Augen lächelten nicht mit.»Ich habe ihn bekommen, weil ich Erfolg haben werde. Ich muß, es bleibt mir nichts anderes übrig. Wenn man etwas verpatzt hat, Bolitho, dann bekommt man manchmal eine Chance, es wieder auszubügeln. «Er schlug mit der Faust in die andere Handfläche.»Und ich will Erfolg haben!»

Es klopfte, und Allday trat in die Kajüte.

«Wer ist dieser Kerl?»

«Mein Bootsführer, Sir. «Bolitho mußte lächeln, weil Allday ein so schockiertes Gesicht machte.»Ach so.»

«Mr. Herrick läßt respektvoll fragen, Sir«, meldete Allday,»ob Sie an Deck kommen können, um den Kapitän der Bedford zu empfangen.»

Bolitho entschuldigte sich bei Conway und ging mit Allday hinaus.»»Kerl «hat er gesagt, Captain?«murmelte Allday.»Bißchen grob, finde ich.»

Bolitho lachte.»Wenn er Sie erst besser kennt, nennt er Sie bestimmt beim Vornamen.»

Allday warf ihm einen mißtrauischen Blick zu und grinste dann.»Sicher, Captain. «Dann senkte er die Stimme:»Es wurde eine Nachricht für Sie abgegeben. Hier. «Er hielt Bolitho eine Visitenkarte hin. Sie sah in seiner breiten Hand ganz winzig aus.

«Um acht Uhr. Bitte?«hatte sie auf die Rückseite geschrieben.

Bolitho blickte von der Karte in Alldays maskengleiches Gesicht.»Wer hat Ihnen das gegeben?»

«Ein Diener, Captain. «Seine Lider zuckten nicht einmal.»Die Lady weiß, daß sie mir vertrauen kann.»

Bolitho wandte sich ab, um seinen Gesichtsausdruck zu verbergen.»Danke.»

Allday blickte ihm nach, wie er raschen Schritts zum Achterdeck hinaufging.»Wird ihm guttun. «Dann sah er, wie der wachhabende Marineinfanterist ihn verwundert anstarrte.»Was hast du denn zu glotzen?«blaffte er ihn an. Dann grinste er nochmals.»He, du Kerl?»


  1. In der Kriegsflotte und auch sonst übliche, leicht abfällige Bezeichnung für die East India Company (der Übersetzer).