158067.fb2
Mit gebrochenem Herzen hatte Cyprien die Farm verlassen und begab sich, fest entschlossen, zu tun, was er für Ehrenpflicht hielt, von neuem zu Jacobus Vandergaart, den er jetzt allein traf; der Händler Nathan hatte alle Eile gehabt, ihn zu verlassen, um als erster im Lager die Neuigkeit zu verbreiten, welche die Lebensinteressen aller seiner Insassen so tief berührte.
Seine Mitteilung erregte hier natürlich ein ungewöhnliches Aufsehen, obwohl die Leute noch nicht einmal wußten, daß der Diamant des »Monsieur«, wie man Cyprien zu nennen pflegte, ein Kunstprodukt war. Der »Monsieur« kümmerte sich freilich blutwenig um das Geschwätz in der Kopje. Ihm lag es nur am Herzen, mit Hilfe des alten Van-dergaart die Qualität und Farbe seines Steins festzustellen, ehe er einen Bericht über die ganze Angelegenheit aufsetzte, und aus diesem Grund begab er sich eben zu dem alten Mann.
»Mein lieber Jacobus«, begann er, neben diesem Platz nehmend, »erweisen Sie mir doch den Gefallen, an diesen Klumpen eine Facette zu schleifen, damit wir einigermaßen erkennen können, was sich unter seiner Gangart verbirgt.«
»Das soll bald geschehen sein«, erklärte der alte Steinschleifer, den Stein aus der Hand seines jungen Freunds entgegennehmend. »Sie haben da übrigens eine recht passende Stelle bezeichnet«, fügte er hinzu, als ihm eine Ausbuchtung an einer Seite des Steins auffiel, nach der Cyprien gewiesen hatte. Letzterer bildete nämlich bis auf diese Unregelmäßigkeit ein ganz vollständiges Oval. »Wenn wir ihn hier anschleifen, kann seine künftige Gestalt nicht beeinträchtigt werden.«
Jacobus Vandergaart ging ohne Zögern ans Werk; und nachdem er aus seiner Kommode einen rohen Stein von 4 bis 5 Karat entnommen und diesen an einer Art eisernem
Griff sorgfältig befestigt hatte, begann er die beiden äußeren Schichten kräftig gegeneinander zu reiben.
»Es wäre schneller geschehen, wenn ich eine Spaltung vornähme«, sagte er. »Wer möchte aber wagen, auf einen Stein von solchem Wert einen Hammerschlag zu führen!«
Die lange und sehr einförmige Arbeit nahm nicht weniger als 2 Stunden in Anspruch. Als die Facette breit genug erschien, um die Natur des Steins beurteilen zu lassen, mußte sie noch auf der Mühle poliert werden, was wiederum 2 Stunden Zeit erforderte.
Bei Beendigung dieser Vorarbeiten war es indes noch immer voller Tag. Jetzt konnten nun Cyprien und Jacobus Vandergaart ihre gespannte Neugier befriedigen und sahen sich das Ergebnis der vorherigen Operationen an.
Eine schöne Facette von Gagatfarbe, aber vollkommenster Durchsichtigkeit und unvergleichlichem Glanz bot sich ihren Blicken.
Der Diamant war schwarz! Eine merkwürdige Eigentümlichkeit, die nur selten gefunden wird, und seinen Wert womöglich noch weiter erhöht.
Jacobus Vandergaarts Hände zitterten, als er den Kristall in den Strahlen der Abendsonne funkeln ließ.
»Das ist der merkwürdigste und schönste Edelstein, der jemals das Licht des Tages wiedergestrahlt hat!« rief er mit wirklich religiöser Ehrfurcht. »Wie wird er erst aussehen, wenn seine Facetten alle kunstgerecht geschliffen sind!«
»Würden Sie zustimmen, diese Arbeit zu übernehmen?« fragte Cyprien eifrig.
»Ja, gewiß, lieber Junge! Das wäre der höchste Ruhm, die Krone meiner langen Lebensbahn! . . . Vielleicht aber möchten Sie lieber eine jüngere und sicherere Hand dazu wählen als die meinige?«
»Nein«, antwortete Cyprien mit Wärme. »Ich hege die Überzeugung, daß niemand dieser Aufgabe mehr Sorgfalt und Geschick widmen wird als Sie. Bewahren Sie diesen Diamanten, lieber Jacobus, und schneiden ihn, wie Sie es für gut halten. Sie werden ein Meisterstück liefern. Die Sache ist hiermit abgemacht!«
Der Greis drehte und wendete den Stein zwischen den Fingern und schien unschlüssig zu sein, was er tun solle.
»Es beunruhigt mich nur eins«, sagte er endlich. »Wissen Sie, daß ich mich nicht recht mit dem Gedanken anfreunden kann, ein Juwel von solchem Wert in meiner Behausung zu haben? Das sind mindestens 50 Millionen, vielleicht noch mehr, was ich hier in der hohlen Hand halte. Es scheint mir nicht ratsam, eine solche Verantwortung auf mich zu nehmen.«
»Wenn Sie nichts davon sagen, wird es kein Mensch wissen, Herr Vandergaart, und was mich angeht, so verpflichte ich mich zur Wahrung des strengsten Stillschweigens.«
»Hm! Vermutungen werden deshalb nicht ausbleiben! Es kann Ihnen jemand gefolgt sein, als Sie zu mir gingen! . . . Man wird die Veranlassung annehmen, wenn sie auch keiner sicher kennt! Den Leuten hier ist nicht über den Weg zu trauen! Nein, ich könnte keine Nacht ruhig schlafen!«
»Vielleicht haben Sie recht«, erwiderte Cyprien, der den
Einwand des alten Mannes sehr gut verstand. »Doch was ist da zu tun?«
»Das überleg' ich eben!« antwortete Jacobus Vander-gaart, der einige Augenblicke schwieg.
Dann ergriff er wieder das Wort:
»Hören Sie mich an, lieber Junge«, sagte er. »Was ich Ihnen vorzuschlagen gedenke, ist sehr delikater Natur und ich setze dabei voraus, daß Sie unbegrenztes Vertrauen zu mir haben. Sie kennen mich jedoch zu gut, um es auffällig zu finden, daß ich in diesem Fall alle nur denkbare Vorsicht walten lassen möchte. Ich muß sofort mit meinen Werkzeugen und dem Stein von hier fort, um mich in einen Winkel zu verkriechen, wo mich niemand kennt - vielleicht in Bloemfontein oder in Hopetown. Da werd' ich mir ein bescheidenes Zimmer wählen, mich einschließen, um ganz im geheimen und ungestört zu arbeiten und erst nach Vollendung dieser Aufgabe zurückkehren. Vielleicht gelingt es mir auf diese Weise, gewisse Leute, die gelegentlich zu allem fähig sind, fernzuhalten . . . Doch ich wiederhole Ihnen, ich schäme mich fast, Ihnen einen solchen Vorschlag zu unterbreiten.«
»Einen Vorschlag, den ich völlig gerechtfertigt finde«, erwiderte Cyprien, »und ich bitte Sie nur inständigst, ihn ohne Zögern auszuführen.«
»Rechnen Sie damit, daß die Sache ziemlich lange dauern kann, daß ich wenigstens 1 Monat dazu brauche, und vergessen Sie nicht, daß mir auch unterwegs ein Unfall zustoßen könnte.«
»Das macht alles nichts, Herr Vandergaart, wenn Sie glauben, daß das der beste Weg ist, zum gewünschten Ziel zu gelangen. Und wenn der Diamant auch verloren ginge, ist ja das Unglück nicht gar so groß!«
Jacobus Vandergaart betrachtete seinen jungen Freund mit seltsamem Staunen.
»Sollte ihn ein solcher Glücksfall um den Verstand gebracht haben?« fragte er sich.
Cyprien verstand seine Gedanken und begann zu lächeln. Nun erst erklärte er ihm, woher der Diamant stamme und daß er davon in Zukunft soviele herstellen könne, wie er wolle. Ob der alte Steinschneider dieser Mitteilung nur halben Glauben schenkte oder ob ihn persönliche Gründe bestimmten, jetzt nicht in der allein liegenden Hütte bleiben zu wollen, wo ihm ein Edelstein von 50 Millionen an Wert als gefährlicher Hausgenosse erschien - kurz, er bestand darauf, noch in derselben Stunde abzureisen.
Nachdem er also in einem alten Ledersack seine Werkzeuge und die nötigsten Habseligkeiten untergebracht, befestigte er an der Haustür einen Zettel mit der Aufschrift: »In Geschäftsangelegenheiten abwesend«, steckte den Schlüssel in die Tasche, verbarg den Diamanten unter seiner Weste und brach unverzüglich auf.
Cyprien begleitete ihn 2 bis 3 Meilen weit auf der Landstraße nach Bloemfontein und verließ ihn nur erst auf seine ernstliche Bitte.
Es war schon dunkle Nacht, als der junge Ingenieur nach seiner Wohnung zurückkehrte, während er dabei sicherlich mehr an Miss Watkins als an seine berühmte Entdeckung dachte.
Ohne sich bei dem von Matakit bereiteten und schon zurechtgestellten Abendessen aufzuhalten, verfügte er sich an seinen Arbeitstisch und begann den Bericht aufzusetzen, den er mit dem nächsten Kurier an den ständigen Sekretär der Akademie der Wissenschaften absenden wollte. Dieser enthielt eine ganz genaue und vollständige Beschreibung seines Experiments, die er mit einer höchst geistreichen Theorie über die Reaktion, durch die jener prächtige Kohlenstoffkristall entstanden sein mochte, begleitete.
»Die bemerkenswerteste Eigentümlichkeit dieses Erzeugnisses«, schrieb er unter anderem, »liegt offenbar in seiner unzweifelhaften Gleichwertigkeit mit dem natürlichen Diamanten und vor allem in dem gleichzeitigen Vorhandensein der äußerlichen Gesteinsgangart.«
Cyprien hegte die feste Überzeugung, daß dieser merkwürdige Erfolg nur der sorgfältigen Auskleidung des Rohrs mit der Erde zu verdanken sei, die er der Vandergaart-Kopje entnommen hatte. Der Vorgang, durch den ein Teil dieser Erde sich von der Wand losgelöst hatte, um rings um den Kristall eine wirkliche Schale zu bilden, war freilich nicht leicht zu erklären und blieb ein Punkt, über den aber spätere Experimente auf jeden Fall weitere Aufklärung bringen würden. So lag zum Beispiel der Gedanke nah, daß hier eine ganz neue Betätigung einer chemischen Verwandtschaft anzunehmen sei, und der Autor nahm sich vor, diesen Gegenstand später gründlich zu studieren. Er maßte sich üb-rigens keineswegs an, in diesem Schreiben schon eine vollständige und abgeschlossene Theorie geben zu wollen. Die Veranlassung dazu bildete vielmehr der Wunsch, sie ohne Verzug der ganzen gelehrten Welt vorzulegen, die Priorität Frankreichs zu sichern und andere zu Studien anzuregen, die geeignet wären, das, was ihm bisher selbst noch dunkel geblieben war, aufzuhellen und zu erklären.
Nachdem er diese Abhandlung aufgesetzt und seine wissenschaftliche Befähigung nachgewiesen hatte, während er noch immer darauf hoffte, sie durch weitere Erfahrung zu vervollständigen, ehe er sie an die richtige Adresse absandte, aß der junge Ingenieur ein wenig zu Abend und legte sich dann ruhig nieder.
Am folgenden Morgen verließ Cyprien seine Wohnung und spazierte nachsinnend durch die verschiedenen Teile der Mine. Gewisse und wahrlich nicht besonders freundliche Blicke trafen ihn, wo er auch vorüberkam. Wenn er diese kaum beachtete, kam das daher, daß er alle möglichen Folgen seiner wichtigen Entdeckung fast ganz vergessen hatte, obgleich sie John Watkins ihm so handgreiflich vor Augen führte, nämlich den mehr oder weniger nah bevorstehenden Ruin aller konzessionierten Inhaber und aller Konzessionen des Griqualands. Immer war das ganz dazu angetan, ihm in einem halbwilden Land einige Besorgnis einzuflößen, hier, wo man gar nicht zögerte, sich mit eigener Hand Recht zu verschaffen, und die Sicherheit der Arbeit und demgemäß den daraus hervorgehenden Handel füglich als allererstes Gesetz betrachtete. Sobald die Her-stellung künstlicher Diamanten sich zur praktischen Industrie fortentwickelte, waren alle jene Bergwerke Brasiliens wie die in denen des südlichen Afrika festgelegten Millionen, ohne von der Unzahl Existenzen zu reden, die davon lebten, unwiederbringlich verloren. Der junge Ingenieur konnte zwar sein Geheimnis für sich behalten; in dieser Beziehung aber war seine abgegebene Erklärung zu bestimmt und zu bindend gewesen; er war entschlossen, das nicht zu tun.
Auf der anderen Seite konnte der Vater Alices während der Nacht - eine Nacht quälender Unruhe -, in der John Watkins von nichts anderem als von noch gar nicht dagewesenen Diamanten im Wert von soundso vielen Milliarden träumte - wohl folgenden Gedankengang haben. Jedenfalls erschien es ganz natürlich, daß Annibal Pantalacci und die übrigen Steingräber mit grollender Unruhe die Umwälzung betrachteten, die Cypriens Entdeckung bezüglich der Ausbeutung der Diamantendistrikt herbeiführen mußte, da sie solche ja für eigene Rechnung bearbeiteten. Für ihn aber, als einfachen Eigentümer der Farm Watkins, gestaltete sich die Sachlage noch anders. Wenn die Claims infolge der Wertverminderung der Edelsteine verlassen wurden, wenn die ganze jetzt hier zusammengeströmte Bevölkerung das Gebiet des Griqualands wieder verließ, so sank natürlich auch der Wert seiner Farm in beträchtlichem Maß, seine Felderzeugnisse fanden nicht mehr so bequemen Absatz, seine Häuschen und Hütten mußten wegen Mangels an Mietern leerstehen bleiben, und schlimmstenfalls konnte er sogar in die Lage kommen, ein Land zu verlassen, in dem alle Quellen seiner bisherigen Einkünfte versiegt waren.
»Schön«, sagte John Watkins, »bis dahin werden schon ein paar Jahre vergehen! Die Herstellung künstlicher Diamanten ist selbst durch den von Monsieur Mere angegebenen Prozeß noch nicht so weit gediehen, um von praktisch einschneidender Bedeutung zu sein. Vielleicht hat ihn bei der ganzen Geschichte nur ein besonders glücklicher Zufall begünstigt. Doch ob Zufall oder nicht, jedenfalls hat er einen Stein von ungeheurem Wert erzeugt, und wenn dieser, den Maßstab für natürliche Diamanten zugrunde gelegt, schon einige 50 Millionen wert ist, so wird er grade wegen seiner Erzeugung auf künstlichem Weg einen weit höheren Preis bedingen. Ja, der junge Mann muß um jeden Preis zurückgehalten werden, eine Zeitlang wenigstens müssen wir ihn hindern, seine hochwichtige Entdeckung von allen Dächern hinauszuposaunen! Der Stein muß endgültig in der Familie Watkins bleiben und wird von dieser nur gegen eine beträchtliche Anzahl Millionen abgegeben werden. Was den jungen Mann betrifft, der ihn hergestellt hat, so lasse ich mir darüber kein graues Haar wachsen, das wird sich leicht genug bewerkstelligen lassen. Ich habe ja Alice, und mit deren Hilfe wird mir's schon gelingen, seine Abreise nach Europa zu verzögern . . . Ja, und wenn ich sie ihm zur Frau versprechen . . . selbst wenn ich sie ihm zur Frau geben sollte!«
Ja, unter dem Drang einer wahrhaft verzehrenden Begierde wäre John Watkins sogar dazu entschlossen gewesen.
Bei der ganzen Angelegenheit hatte er nur sein Ich im Auge und dachte er nur allein an sich! Und wenn der alte Egoist an seine Tochter dachte, so geschah es einzig und allein, um sich zu sagen:
»Nun, alles in allem wird Alice sich nicht zu beklagen haben. Der junge gelehrte Narr ist eigentlich ganz gut. Er liebt sie, und mir scheint, sie ist gegen seine warme Zuneigung nicht unempfindlich geblieben. Was kann's nun Besseres geben, als zwei für einander geschaffene Herzen zu vereinigen . . . oder ihnen die Vereinigung wenigstens bis zur vollständigen Klärung der Sachlage in Aussicht zu stellen. Ah, beim heiligen John, meinem Schutzpatron, zum Teufel mit Annibal Pantalacci und seinen Spießgesellen! Jeder ist sich selbst der Nächste, auch hier im Griqualand!«
So räsonierte John Watkins, und wenn er die ideale Waage betrachtete, auf der er die Zukunft seiner Tochter mit einem Stück kristallisierter Kohle ins Gleichgewicht gebracht, war er ganz glücklich in der Vorstellung, daß beide Schalen sich vortrefflich in einer horizontalen Linie hielten.
Am folgenden Morgen stand sein Entschluß fest; er wollte nichts vom Zaun brechen, sondern die Dinge an sich herankommen lassen, ohne sich viel um den Weg zu kümmern, den sie dabei nehmen möchten.
Zunächst lag es ihm am Herzen, seinen Mieter einmal wiederzusehen - was ja bei den täglichen, auf der Farm abgestatteten Besuchen ziemlich leicht war -, aber auch den berühmten Diamanten, der in seinen Träumen schon zu fa-belhaften Ausmaßen angewachsen war, sehnte er sich noch einmal zu betrachten.
Mr. Watkins begab sich also nach dem Häuschen Cy-priens, der in dieser frühen Morgenstunde noch hier anwesend war.
»Nun, mein junger Freund«, begann er im Ton guter Laune, »wie haben Sie denn die Nacht verbracht, diese erste Nacht nach Ihrer hochwichtigen Entdeckung?«
»Oh, sehr gut, Mr. Watkins, sehr gut«, erklärte der junge Mann frostig.
»Wie, Sie haben schlafen können?«
»Ganz wie gewöhnlich!«
»All die Millionen, die aus diesem Ofen hervorgequollen sind«, fuhr Mr. Watkins fort, »haben nicht einmal Ihren Schlaf gestört?«
»In keiner Weise!« versicherte Cyprien. »Vergessen Sie überhaupt nicht, Mr. Watkins, daß der fragliche Diamant einen Wert von Millionen nur besäße, wenn er das Werk der Natur wäre, nicht aber das Erzeugnis eines Chemikers . . .«
»Ja ... ja freilich, Monsieur Cyprien! Doch sind Sie sicher, noch einen oder gar noch mehrere machen zu können? ... Würden Sie dafür einstehen können?«
In der Überzeugung, daß ein derartiges Experiment wohl auch auf einen Mißerfolg hinauslaufen könne, zögerte Cyprien mit der Antwort.
»Da haben wir's ja«, fuhr John Watkins fort, »Sie getrauen sich das nicht! Bis auf weitere Versuche und Erfolge bleibt also Ihrem Diamanten sein ungeheurer Wert! . . . Nun, wa-rum wollen Sie's dann, wenigstens gleich jetzt, jedermann predigen, daß es nur ein künstlicher ist?«
»Ich wiederhole Ihnen«, erwiderte Cyprien, »daß ich ein wissenschaftliches Geheimnis von solcher Tragweite nicht für mich behalten darf!«
»Ja ... ja ... weiß schon!« erwiderte John Watkins, indem er dem jungen Mann durch ein Zeichen bedeutete, zu schweigen, um nicht draußen gehört zu werden. »Ganz richtig! . . . Davon sprechen wir später. Jedenfalls sorgen Sie sich nicht wegen Pantalaccis und der übrigen; die werden bezüglich Ihrer Entdeckung gewiß den Mund halten, denn das liegt in ihrem eigenen Interesse. Seien Sie überzeugt und - nun ja - glauben Sie besonders von meiner Tochter und von mir, daß wir uns über Ihre Erfolge ganz besonders freuen. Ja gewiß, wir sind ganz glücklich darüber! ... Aber könnt' ich den wunderbaren Diamanten denn nicht noch einmal sehen? . . . Gestern hatt' ich ja kaum Zeit, ihn aufmerksamer zu betrachten. Würden Sie wohl gestatten . . .«
»Ja, ich hab' ihn leider nicht mehr«, antwortete Cyprien.
»Sie haben ihn schon nach Frankreich geschickt?« rief Mr. Watkins, fast vernichtet von diesem Gedanken.
»Nein . . . das noch nicht! . . . Im jetzigen Rohzustand würde man seine Schönheit nicht zu beurteilen vermögen; deshalb also beruhigen Sie sich.«
»Wem haben Sie ihn aber dann übergeben? Bei allen Schutzheiligen Alt-Englands, wem?«
»Ich übergab ihn dem Jacobus Vandergaart zum Schleifen und weiß nicht, wo der ihn mit hingenommen hat.«
»Sie hätten dem alten Narren einen Diamanten von so ungeheurem Wert anvertraut?« rief John Watkins wirklich wütend. »Aber das ist wahnwitzig, Herr Ingenieur, völlig wahnwitzig.«
»Pah!« erwiderte Cyprien sehr gleichmütig, »was, meinen Sie, könnte Jacobus oder ein beliebiger anderer anfangen mit einem Diamanten, dessen Wert für die, welche seinen Ursprung nicht kennen, mindestens 50 Millionen beträgt? Glauben Sie etwa, es ginge so leicht, ihn heimlich zu verkaufen?«
Mr. Watkins schien über dieses Argument einigermaßen betroffen. Ein Diamant von so hohem Preis konnte offenbar nicht so leicht von einer Hand in die andere übergehen. Trotzdem fühlte sich der Farmer beunruhigt; er hätte viel -ja, sehr viel darum gegeben, wenn der unvorsichtige Cyprien ihn nicht dem alten Steinschneider anvertraut hätte, oder wenn dieser wenigstens mit dem überaus kostbaren Juwel nach dem Griqualand zurückgekehrt gewesen wäre.
Jacobus Vandergaart hatte jedoch 1 Monat Zeit verlangt, und trotz seiner brennenden Ungeduld mußte John Wat-kins sich wohl oder übel fügen.
Natürlich säumten im Laufe der folgenden Tage seine gewöhnlichen Tischgenossen Annibal Pantalacci, Herr Frie-del und der Jude Nathan nicht, über den ehrbaren Steinschneider herzufallen. In Abwesenheit Cypriens sprachen sie sehr häufig von ihm und gaben John Watkins dabei jedesmal zu hören, daß die Zeit verstreiche und Jacobus Van-dergaart doch nicht wieder erscheine.
»Und warum sollte er eigentlich nach dem Griqualand zurückkehren«, bemerkte Friedel, »da es ihm ja leicht genug gemacht ist, den unermeßlich kostbaren Diamanten, dessen künstlichen Ursprung bis jetzt doch nichts verrät, einfach für sich zu behalten?«
»Weil er keine Gelegenheit finden dürfte, ihn zu verkaufen«, entgegnete Mr. Watkins unter Anführung des Arguments, das der junge Ingenieur beigebracht hatte, obgleich ihn das jetzt nicht mehr vollständig beruhigte.
»Ein recht triftiger Grund!« meinte Nathan.
»Ja, ein recht triftiger Grund!« wiederholte Annibal Pantalacci, »und glauben Sie mir, das alte Krokodil ist damit in dieser Stunde schon über alle Berge. Es wird ihm wohl besonders schwer fallen, den Stein äußerlich zu verändern und unkenntlich zu machen! Sie wissen ja nicht einmal, welche Färbung er hat. Wer hindert ihn daran, ihn in vier oder fünf Stücke zu teilen, oder durch Spaltung daraus auch noch mehr Diamanten von immerhin beträchtlichem Wert herzustellen?«
Solche hingeworfene Andeutungen senkten schwere Zweifel in die Seele von Mr. Watkins, und er gab sich schon dem Glauben hin, daß Jacobus Vandergaart niemals wiedererscheinen werde.
Nur Cyprien glaubte fest an die Ehrbarkeit des alten Steinschneiders und erklärte unentwegt, daß dieser sich schon am vereinbarten Tag einstellen würde. Er sollte damit recht behalten.
Jacobus Vandergaart traf 48 Stunden später wirklich ein.
Sein Fleiß und Eifer für die Arbeit hatten es ermöglicht, den Schliff des Diamanten schon in 27 Tagen zu vollenden. Er schlüpfte des Nachts wieder in sein Haus, um dem Juwel auf der Mühle die letzte Politur zu geben, und am 29. Tag sah Cyprien den Greis wieder bei sich erscheinen.
»Hier ist der Stein!« sagte er einfach und setzte bei diesen Worten einen kleinen Holzkasten auf den Tisch.
Cyprien öffnete das Etui und stand wie versteinert da.
Auf einer Unterlage aus weißer Baumwolle ruhte, in Form eines dodekaedrischen, das ist 12flächigen Rhombo-ids ein ungeheurer schwarzer Kristall, der seine prismatischen Strahlen mit solchem Feuer aussandte, daß das ganze Labor davon erleuchtet schien. Dieses Kunstprodukt von tintenschwarzer Farbe, diamantener Durchsichtigkeit und unerreichtem Brechungsvermögen brachte einen wunderbaren, wirklich aufregenden Effekt hervor. Man empfand es, daß man hier einer einzig dastehenden Erscheinung, einem Naturspiel, das wahrscheinlich seinesgleichen nicht hatte, gegenüberstand. Von dessen Wert ganz abgesehen, nahm der Glanz des Edelsteins schon allein alle Sinne gefangen.
»Das ist nicht bloß der größte, sondern auch der schönste Diamant, den es auf Erden gibt!« sagte Jacobus Vander-gaart in ernstem Ton, dem sich ein gewisser Vaterstolz beimischte. »Er wiegt 432 Karat! Sie dürfen sich also schmeicheln, ein Prachtstück erster Ordnung geschaffen zu haben, lieber Junge, und Ihr einfacher Versuch hat gleich ein Meisterwerk geliefert!«
Cyprien hatte auf die Lobpreisung des alten Steinschneiders nicht geantwortet. Er betrachtete sich eben nur als den Urheber einer merkwürdigen Entdeckung. Ohne Zweifel hatten schon viele sich auf dem Gebiet der anorganischen Chemie nach gleichem Zweck strebend vergeblich abgemüht, wo er so unerwartet leicht zum Ziel gekommen war. Doch welche nützliche Folgen konnte die Herstellung künstlicher Diamanten für die menschliche Gesellschaft haben? Denn unvermeidlicherweise mußte diese in gewisser Zeit alle diejenigen, die vom Edelsteinhandel lebten, zugrunde richten, und würde deshalb doch niemand bereichern.
Mit dieser Vorstellung verfiel der junge Ingenieur wieder in die Berauschung, der er sich während der ersten Stunden nach seiner Entdeckung hingegeben hatte. Ja, jetzt, wo dieser Diamant in vollem Glanz aus den Händen Jacobus Vandergaarts wiederkam, erschien er auch ihm selbst nicht mehr als wertloser Kristall, dem vielleicht in naher Zukunft nicht einmal mehr der Vorzug der Seltenheit zukam.
Cyprien hatte das Kästchen wieder ergriffen, in dem der unvergleichliche Edelstein funkelte, und nachdem er noch die Hand des Greises warm gedrückt hatte, begab er sich geradewegs nach der Farm von Mr. Watkins.
Der Farmer saß noch immer unruhig, noch immer erregt wegen der für ihn so unwahrscheinlichen Rückkehr Jacobus Vandergaarts in seinem Zimmer zu ebener Erde. Seine Tochter befand sich bei ihm und suchte ihn nach Kräften zu besänftigen.
Cyprien stieß die Tür auf und blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen.
»Nun?« fragte John Watkins lebhaft, während er sich überraschend schnell erhob.
»Nun, der ehrliche Jacobus Vandergaart ist heute morgen heimgekehrt!« antwortete Mere.
»Mit dem Diamanten?«
»Mit dem meisterhaft geschnittenen Diamanten, der noch immer 432 Karat wiegt.«
»432 Karat!« stieß John Watkins hervor. »Und Sie haben ihn mitgebracht?«
»Hier ist er.«
Der Farmer hatte das Kästchen hastig ergriffen, hatte es aufgerissen, und seine großen Augen funkelten jetzt fast ebenso stark wie der Diamant, den er mit einer fast stumpfsinnigen Bewunderung, wie ein Geisteskranker, anstarrte. Jetzt, als er ihn in so leichter, tragbarer, körperlicher und doch glänzender Form zwischen den zitternden Fingern hielt, den kolossalen Wert, den der Edelstein darstellte, in der Hand fühlte, steigerte sich sein Entzücken zu solchem Grad, daß es beinah lächerlich erschien. Mr. Watkins hatte Tränen in der Stimme und sprach auf den Diamanten ein wie auf ein lebendes Wesen.
»Oh, der schöne, der stolze, der köstliche Stein!« rief er. »Du bist also wiedergekommen, mein Herzlieb! ... Wie prächtig du aussiehst! . . . Wie schwer du bist! . . . Wieviel magst du in guten, klingenden Guineen wert sein! . . . Was soll aus dir werden, mein Schatz? . . . Sollen wir dich nach dem Kap und von da nach London senden, um dich bewundern zu lassen? . . . Wer wäre aber reich genug, dich kaufen zu können? . . . Die Königin selbst könnte sich einen solchen Luxus nicht gestatten? ... Das verzehrte ihre Zivilliste für 2 bis 3 Jahre! . . . Es wird sich wohl ein Parlamentsbeschluß, eine nationale Subskription notwendig machen! . . . Nun, sei nur ruhig, das wird ja geschehen! . . . Dann wirst auch du im Tower zu London ausruhen können, zur Seite des Koh-i-noor, der dir gegenüber nur noch ein Knabe sein wird! ... Was magst du wohl wert sein, mein Herzensschatz?«
Er rechnete ein Weilchen im Kopf.
»Der Diamant des Zaren ist von Katharina II. mit 1 Million Rubel bar und 96.000 Francs lebenslänglicher Rente bezahlt worden. Es erscheint gewiß nicht übertrieben, für diesen hier 1 Million Pfund Sterling und 500.000 Francs fortlaufende Rente zu verlangen!«
Da fiel ihm plötzlich noch etwas anderes ein.
»Glauben Sie nicht, Monsieur Mere, daß der Eigentümer eines solchen Steins zum Pair erhoben werden müßte? Alle Arten des Verdiensts sollen doch in dem hohen Haus vertreten sein, und einen solchen Diamanten zu besitzen, ist doch kein gewöhnliches Verdienst zu nennen! ... Sieh doch, Alice, schau doch her, zwei Augen sind wahrlich nicht genug, einen solchen Stein zu bewundern!«
Zum ersten Mal in ihrem Leben betrachtete Miss Wat-kins einen Diamanten mit Interesse.
»Er ist wirklich ausnehmend schön! Er leuchtet wie ein Stück Kohle, was er ja im Grunde ist, aber wie ein Stück glühende Kohle!« sagte sie, während sie ihn sorgsam aus seinem Baumwollager herausnahm.
Darauf näherte sie sich durch eine instinktive Bewegung, die wohl bei jedem jungen Mädchen aufgetreten wäre, dem Spiegel über dem Kamin und hielt sich das kostbare Juwel an die Stirn, mitten zwischen ihr blondes Haar.
»Ein in Gold gefaßter Stern!« sagte Cyprien galant, »der sich einmal gegen seine Gewohnheit zu einem Kompliment verleiten ließ.«
»Das ist wahr! ... Einen Stern könnte man ihn nennen!« rief Alice freudig in die Hände klatschend.
»Nun gut, lassen wir ihm diesen Namen; nennen wir ihn den Stern des Südens. Wollen Sie, Monsieur Cyprien? Ist er nicht ebenso schwarz wie die eingeborenen Schönheiten dieses Landes und glanzvoll wie die Sternbilder unseres südlichen Himmels?«
»Der >Südstern<! meinetwegen«, sagte John Watkins, der auf den Namen nur sehr mittelmäßigen Wert legte. »Aber hüte dich, ihn fallen zu lassen!« fuhr er bei einer raschen Bewegung seiner Tochter erschrocken fort; »er würde wie Glas zerspringen!«
»Wirklich? . . . So zerbrechlich wäre so ein Ding?« antwortete Alice, während sie den Edelstein ziemlich verächtlich in das Kästchen zurücklegte. »Armer Stern, du bist also nur ein Gestirn zum Lachen, ein gewöhnlicher Glasflaschenstöpsel!«
»Ein Glasflaschenstöpsel!« rief Mr. Watkins halb erstickt. »Die Kinder haben doch vor gar nichts Respekt.«
»Miss Alice«, sagte da der junge Ingenieur, »Sie waren es, die mich zur Herstellung künstlicher, aber echter Diamanten veranlaßt hat. Ihnen allein verdankt der Stein seine heutige Existenz! In meinen Augen ist er freilich ein Spielzeug, das keinen Handelswert haben wird, wenn man dessen Ursprung erfährt. Ihr Herr Vater wird jedenfalls gestatten, daß ich Ihnen denselben als Erinnerung an Ihre glückliche Beeinflussung meiner Arbeiten als Geschenk anbiete.«
»Wie?« stieß Mr. Watkins hervor, der nicht verhehlen konnte, was er bei diesem unerwarteten Vorschlag empfand.
»Miss Alice«, wiederholte Cyprien, »dieser Diamant gehört Ihnen. Ich biete Ihnen denselben an . . . ich schenke ihn Ihnen!«
Statt jeder Antwort reichte Miss Watkins dem jungen Mann die Hand hin, die dieser zärtlich zwischen den seinen drückte.