158067.fb2 Der S?dstern oder Das Land der Diamanten - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 25

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24. KAPITEL Ein verlöschender Stern

Dieses Gesuch des jungen Ingenieurs brachte die Wirkung eines Theatercoups hervor. Trotz der geringen Empfindsamkeit ihrer halbverwilderten Natur konnten die Tischgäste John Watkins' doch nicht umhin, ihren lebhaftesten

Beifall zu erkennen zu geben. So viele Uninteressiertheit ging ihnen doch zu Herzen.

Gesenkten Auges und hochklopfenden Herzens, so wie vielleicht die einzige, die die Äußerung des jungen Mannes nicht in Erstaunen setzte, hielt sich Alice an der Seite ihres Vaters.

Noch völlig niedergeschmettert von dem Schlag, der ihn eben getroffen, hatte der unglückliche Farmer jetzt doch den Kopf erhoben. Er kannte ja Cyprien gut genug, um zu wissen, daß er, wenn er diesem seine Tochter gab, gleichzeitig die Zukunft und das Glück Alices sicherte, er wollte jedoch, jetzt wenigstens, noch durch kein Zeichen verraten, daß er keine Einwände gegen die beabsichtigte Verbindung habe.

Etwas verlegen wegen des öffentlichen Schritts, zu dem ihn die auflodernde Wärme tiefinniger Liebe hingerissen hatte, fühlte er nun auch selbst die Merkwürdigkeit seines Auftretens und machte sich Vorwürfe, seiner selbst einmal nicht mehr Herr gewesen zu sein.

Inmitten dieser allgemeinen und leicht begreiflichen Unbehaglichkeit tat Jacobus Vandergaart einen Schritt auf den Farmer zu.

»John Watkins«, begann er, »ich mag meinen Sieg nicht mißbrauchen und gehöre nicht zu denen, die den überwundenen Feind noch mit Füßen treten. Wenn ich auf meinem guten Recht bestand, so tat ich damit nicht mehr, als was jeder brave Mann sich selbst schuldig ist. Ich weiß aber auch aus Erfahrung, und mein Advokat wies noch besonders darauf hin, daß das strenge Recht zuweilen an Ungerechtigkeit grenzt, und ich möchte auf Unschuldige nicht die Folgen von Fehlern fallen lassen, die sie nicht begangen haben. Nun denn, ich stehe allein in der Welt und vielleicht schon mit einem Fuß im Grab. Was sollten mir so viele Schätze nützen, wenn ich sie nicht mit andern teilen könnte? ... Wenn Sie, John Watkins, zustimmen, diese beiden jungen Leute zu vereinigen, so bitte ich diese, den >Südstern< von mir als Angebinde entgegenzunehmen, da jener für mich ja doch nutzlos ist. - Ich verpflichte mich überdies, sie als meine Erben einzusetzen, um, soweit es in meiner Macht steht, das unbeabsichtigte Unrecht wiedergutzumachen, das ich Ihrer liebenswürdigen Tochter zufüge!«

Auf diese Worte folgte unter den Zuhörern das, was die Parlamentsberichte als »lebhafter Beifall und Zustimmung« bezeichnen. Alle Blicke richteten sich auf John Watkins. Dessen Augen zeigten plötzlich einen feuchten Schimmer und er bedeckte sie mit zitternden Händen.

»Jacobus Vandergaart!« rief er endlich, außerstande, die ihn bewegenden stürmischen Gefühle zu bändigen, »ja . . . Sie sind ein Ehrenmann und rächen sich edelmütig für das Unrecht, das ich Ihnen zugefügt, durch die Begründung des Glücks dieser beiden Kinder!«

Weder Alice noch Cyprien vermochten, wenigstens nicht mit vernehmlichen Lauten, zu antworten, ihre Blicke aber übernahmen das für sie.

Der Greis streckte dem früheren Gegner die Hand entgegen und John Watkins ergriff sie voller Wärme.

Alle Augen der Umstehenden waren feucht geworden, selbst die eines alten grauköpfigen Konstablers, der sonst so trocken aussah wie ein Schiffszwieback.

John Watkins selbst erschien jetzt ganz umgewandelt. Seine Gesichtszüge drückten ebensoviel Wohlwollen und Sanftmut aus, wie vorher Härte und Bosheit.

Auch das bis dahin ernste, strenge Antlitz Jacobus Van-dergaarts nahm wieder den gewohnten Charakter heiterer Gutmütigkeit an.

»Vergessen wir alles«, rief er, »und trinken wir auf das Wohlergehen des jungen Paares - wenn der Herr Offizier des Sheriffs es gestatten will - von dem Wein, den er beschlagnahmt hat.«

»Ein Offizier des Sheriffs hat zuweilen die Verpflichtung, sich dem Verkauf steuerpflichtiger Getränke zu widersetzen, nicht aber deren Verzehrung.«

Nach dieser frohlaunigen Entscheidung kreisten die Flaschen von neuem, und bald herrschte wieder die unbeschränkte Heiterkeit im Speisesaal.

Jacobus Vandergaart saß zur Rechten John Watkins' und entwarf mit ihm Pläne für die Zukunft.

»Wir verkaufen alles und folgen unseren Kindern nach Europa«, sagte er.

»Dort gründen wir uns auf dem Land ein Heim in ihrer Nähe, und werden hoffentlich noch manche schöne Tage mit ihnen verleben!«

Seite an Seite sitzend hatten sich Alice und Cyprien in eine leise, französisch geführte Plauderei versenkt - eine

Plauderei, die wegen der Alice ungewohnteren Sprache nicht minder interessant erschien, wenn man das nach der Lebhaftigkeit der beiden Teilnehmer abschätzen durfte.

Jetzt war es ungemein warm geworden. Eine schwüle, drückende Hitze trocknete die Lippen schon am Rand der Gläser und verwandelte alle Tischgenossen in ebenso viele Elektrisiermaschinen, die bis zum Funkengeben geladen waren. Vergeblich hatte man Türen und Fenster weit offen stehen lassen. Nicht der mindeste Luftzug bewegte die Flammen der Kerzen.

Jedermann empfand, daß die bedrückenden atmosphärischen Verhältnisse nur eine einzige Art der Lösung finden könnten - einen tüchtigen Sturm mit Gewitter und Platzregen -, wie solche im südlichen Afrika nicht selten, einem Aufstand aller Elemente der Natur vergleichbar, auftreten. Ein derartiges Ungewitter erwartete, ja erhoffte man jetzt als eine Erleichterung.

Plötzlich verbreitete ein greller Blitz einen grünlichen Schein über alle Gesichter, und fast gleichzeitig verkündete der über die weite Ebene hinrollende Donner, daß das Konzert begonnen habe.

In demselben Augenblick fegte durch den Raum ein heftiger Luftstrom, der alle Kerzen verlöschte. Dann öffneten sich ohne Übergang alle Schleusen des Himmels und die Sintflut strömte herab.

»Hörten Sie unmittelbar nach dem starken Donnerschlag nicht ein kurz dauerndes trockenes Geräusch?« fragte Thomas Steele, während sich mehrere bemühten, Fenster und

Türen schnell zu schließen, und die Kerzen wieder angezündet wurden; »man hätte dabei an das Zerspringen einer Glaskugel denken können.«

Wie instinktiv wendeten sich alle Blicke sofort nach dem »Südstern« hin.

Der Diamant war verschwunden.

Übrigens standen der Gitterkäfig und die Glasglocke, die ihn bedeckten, noch auf derselben Stelle, und es war unbedingt auszuschließen, daß jemand den Stein berührt habe.

Die Erscheinung glich fast einem Wunder.

Cyprien, der sich schnell nach dem Diamanten hingeneigt hatte, erkannte an dessen Stelle auf dem blausamtenen Kissen sofort einen feinen grauen Staub. Er stieß einen Schrei der Verwunderung aus, erklärte aber mit vier Worten den hier stattgefundenen Vorgang:

»Der >Südstern< ist zersprungen!« sagte er.

Im Griqualand weiß jedermann, daß das sozusagen eine Krankheit ist, an der die Kapdiamanten leiden, doch spricht absichtlich niemand davon, um deren Handelswert nicht zu vermindern. Tatsache bleibt es immerhin, daß gerade die kostbarsten Steine, wohl infolge zunächst unerklärlicher Molekularverschiebung, öfter wie einfache Schlagsätze zerplatzen. In solchen Fällen bleibt von ihnen kein anderer Rückstand als ein wenig Staub, der höchstens noch als Schleifmaterial zu gebrauchen ist.

Den jungen Ingenieur beschäftigte augenblicklich die wissenschaftliche Begründung jener Erscheinung offenbar weit mehr, als der enorme Verlust, den er dadurch erlitt.

»Es ist besonders auffallend«, erklärte er inmitten der allgemeinen Bestürzung, »nicht daß der Stein unter den jetzigen Verhältnissen zersprang, sondern daß er damit bis zum heutigen Tag gewartet hat. Gewöhnlich ereignet sich ein solcher Zufall« - »Unfall« sagte er nicht einmal - »nach weit kürzerer Zeit und höchstens 10 Tage nach dem Schliff, nicht wahr, Herr Vandergaart ?«

»Vollkommen richtig! Es ist wirklich zum ersten Mal in meinem Leben, daß ich einen Diamanten habe 3 Monate nach seiner Bearbeitung noch zerspringen sehen!« erklärte der Greis seufzend . . . »Indes, es stand geschrieben, daß der >Südstern< keinem Menschen gehören sollte!« fügte er hinzu. »Und wenn ich bedenke, daß es zur Vermeidung dieses Unglücks hingereicht hätte, den Stein mit einer leichten Fettschicht zu überziehen!«

»Wirklich?« unterbrach ihn Cyprien mit der Befriedigung eines Mannes, der endlich die Lösung eines Rätsels gefunden hat. »In diesem Fall erklärt sich ja alles! Der gebrechliche Stern entlehnte diese Schutzdecke offenbar Da-das Kropfmageninhalt, und das hat bis heute seinen Untergang verhindert. Wahrlich, er hätte besser daran getan, vor 4 Monaten zu zerspringen und uns die beschwerliche Fahrt durch den ganzen Transvaal zu ersparen!«

Da bemerkten alle, daß John Watkins, der seine frohe Laune wieder völlig eingebüßt hatte, heftig auf seinem Stuhl hin und her rückte.

»Wie können Sie ein so entsetzliches Unheil nur so auf die leichte Schulter nehmen?« sagte er, gerötet von innerer

Empörung. »Auf Ehrenwort, Sie besprechen da jene 50 in Rauch aufgegangenen Millionen, als ob sich's um eine Zigarette handelte!«

»Das beweist eben, daß wir Philosophen sind!« meinte Cyprien. »Ist der Fall nicht ganz dazu angetan, sich weise zu benehmen, wo die Weisheit zur Notwendigkeit geworden ist?«

»Meinetwegen seien Sie Philosophen, soviel Sie wollen«, erwiderte der Farmer. »50 Millionen sind aber 50 Millionen, und die findet man nicht im Handumdrehen wieder. Ah, Jacobus, Sie haben mir heute, ohne daran zu denken, einen höchst wichtigen Dienst erwiesen. Ich glaube, ich, ich selbst, ich wäre vor Stolz noch ebenso wie eine Marone zersprungen, wenn der >Südstern< noch mir gehörte.«

»Ja, was wollen Sie mir Vorwürfe machen?« sagte Cy-prien, der der neben ihm sitzenden Miss Watkins in das liebliche frische Gesichtchen schaute. »Ich habe heute abend einen so köstlichen Edelstein gewonnen, daß der Verlust eines Diamanten mich nicht besonders bekümmern kann!«

So endete durch einen Theatercoup die seiner Geschichte würdige kurze und wechselvolle Laufbahn des größten geschnittenen Diamanten, den die Welt je gesehen hat.

Ein solches Ende trug, wie sich leicht denken läßt, natürlich nicht wenig dazu bei, die im Griqualand in bezug darauf umlaufenden abergläubischen Ansichten zu bestätigen. Mehr denn je waren Kaffern und Minengräber davon überzeugt, daß so große Steine nur Unglück bringen können.

Jacobus Vandergaart, der stolz darauf war, den »Süd-stern« geschnitten zu haben, und Cyprien, der ihn dem Museum der Bergwerksschule anzubieten gedachte, fühlten sich im Grunde doch mehr, als sie eingestehen wollten, enttäuscht über diese unerwartete Lösung. Im Ganzen ging die Welt deshalb doch im alten Gleis weiter, und man kann eben nicht sagen, daß sie bei der ganzen Geschichte soviel verloren habe.

Die sich überstürzenden Vorkommnisse, die schmerzlichen Erregungen, der Verlust seines Vermögens, dem auch der Verlust des »Südsterns« auf dem Fuß folgte, hatten John Watkins indes tief angegriffen. Er wurde bettlägrig, siechte einige Zeit hin, und - verlosch.

Weder die zärtliche Pflege Alices noch die Cypriens, so wenig wie der mannhafte Zuspruch Jacobus Vandergaarts, der kaum von seinem Kopfkissen wich und sich bemühte, dem Kranken neuen Lebensmut einzuflößen, vermochten den traurigen Ausgang abzuwenden.

Vergeblich unterhielt ihn dieser vortreffliche Mann von seinen Plänen für die Zukunft, erwähnte die Kopje nur als ihr gemeinschaftliches Eigentum und erbat sich seine Ratschläge über alle dieselbe betreffenden Maßnahmen, um sein Interesse wachzuhalten. Der alte Farmer war einmal in seinem Stolz verletzt, in seiner Monomanie als Eigentümer, in seinem Egoismus, in allen seinen Gewohnheiten - er fühlte seine Auflösung herannahen.

Eines Abends zog er Alice und Cyprien zu sich heran, legte ihre Hände ineinander und hauchte, ohne ein Wort zu sprechen, den letzten Seufzer aus. Seinen geliebten Stern hatte er nicht um 14 Tage überlebt.

Es schien in der Tat eine innige Verbindung zwischen dem Glück dieses Mannes und dem Schicksal des merkwürdigen Steins bestanden zu haben. Mindestens wiesen beide soviel Übereinstimmendes auf, daß das, wenn auch nicht vor dem Richterstuhl der Vernunft, doch in gewisser Hinsicht die abergläubischen Voraussetzungen erklärte, die im Griqualand darüber herrschten. Der »Südstern« hatte seinem Besitzer unzweifelhaft »Unglück gebracht«, mindestens in dem Sinn, daß das Auftreten des unvergleichlichen Edelsteins auf dem Schauplatz der Erde den Zeitpunkt bezeichnete, von dem aus das Wohlergehen des alten Farmers sich seinem Niedergang zuneigte.

Was die Schwätzer aber nicht durchschauten, war der Umstand, daß die Ursache dieses Verfalls in John Wat-kins' eigenen Fehlern zu suchen war - Fehler, die, wie eine Schicksalsbestimmung, die Keime des Verdrusses und des Niedergangs in sich trugen.

So viele Unglückliche hier auf Erden werden als die Opfer eines geheimnisvollen Unsterns betrachtet, und doch findet man in der Handlungsweise der Betroffenen, wenn man dieser tiefer auf den Grund geht, die ausreichende Erklärung ihres Mißgeschicks. Es mag auch unverschuldetes Unglück vorkommen, zugegeben; weit häufiger sind jedoch die Fälle, wo es, ein Ergebnis unerbittlicher Logik, aus den von dem Subjekt selbst gelieferten Grundlagen erwächst. Wäre John Watkins minder gewinnsüchtig gewesen, hätte er den kleinen Kohlenkristallen, die man Diamanten nennt, nicht eine so ungeheure, fast strafwürdige Bedeutung beigelegt, so würde das Auftauchen wie das Verschwinden des »Südsterns« ihn kalt gelassen haben - wie sie Cyprien kalt ließen - und sein physisches und moralisches Wohlbefinden wäre nicht der Gnade eines derartigen Ereignisses preisgegeben gewesen. Er hatte den Diamanten sein ganzes Herz geweiht; durch die Diamanten mußte er untergehen.

Nach wenigen Wochen wurde die Vermählung Cyprien Meres und Alice Watkins' zur großen Freude aller in größter Einfachheit gefeiert. Alice ist jetzt die Gattin Cypriens -was konnte sie auf Erden mehr verlangen?

Der junge Ingenieur besaß übrigens auch weit mehr irdische Schätze, als sie gewähnt und er selbst geglaubt hatte.

Infolge der Auffindung des »Südsterns« hatte sein Claim nämlich ohne sein Zutun eine sehr beträchtliche Wertvermehrung erfahren. Während seiner Fahrt durch den Transvaal, wo Thomas Steel inzwischen dessen Ausbeutung weiter betrieb, hatte sich dieses Teilstückchen der Kopje als ungemein ertragreich erwiesen, und daraufhin überboten sich viele Käufer, um es zu erlangen. Vor seiner Abreise nach Europa veräußerte er den Claim auch noch für mehr als 100.000 Francs, die ihm in klingender Münze gezahlt wurden.

Alice und Cyprien zögerten nun nicht mehr, das Griqua-land zu verlassen, um nach Frankreich zurückzukehren; sie taten das aber nicht, ohne vorher die Zukunft Lis, Bardiks und Matakits zu sichern - ein gutes Werk, an dem sich auch Jacobus Vandergaart seinen Anteil nicht nehmen ließ.

Der alte Steinschneider verkaufte seine Kopje an eine von dem früheren Händler Nathan gegründete Gesellschaft. Nach glücklicher Durchführung der Liquidation beeilte er sich, in Frankreich seine Adoptivkinder aufzusuchen, die dank der Arbeitslust Cypriens, seiner gern anerkannten Verdienste und dem Empfang, den ihm die gelehrte Welt bei seiner Heimkehr bereitete, auch in günstigen Vermögensverhältnissen leben, nachdem sie das Glück des Herzens vorher an sich zu fesseln gewußt hatten.

Thomas Steele kehrte mit 20.000 Pfund Sterling nach seinem Lancashire zurück, ist jetzt verheiratet, hetzt den Fuchs trotz jedes Edelmanns und leert jeden Abend seine Flasche Portwein; etwas Besseres kann er sich nun einmal nicht vorstellen.

Die Vandergaart-Kopje ist noch nicht erschöpft, sondern liefert alljährlich im Durchschnitt ein Fünftel der vom Kap ausgeführten Diamanten; kein Minengräber dort hat aber je wieder den glücklichen oder ungücklichen Zufall erlebt, einen anderen »Südstern« zu finden.