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50 Tage waren verflossen, ohne daß Cyprien einen einzigen Diamanten in seiner Grube gefunden hätte. Mehr und mehr wurde ihm das Geschäft als Minengräber zuwider; es erschien ihm als albernes Glücksspiel, solange einer nicht Kapital genug besaß, um einen Claim erster Güte zu kaufen und gleich ein Dutzend Kaffern anzustellen, die diesen bearbeiteten.
Eines Morgens ließ Cyprien Matakit und Bardik allein mit Thomas Steel zur Grube gehen und blieb allein im Zelt zurück. Er wollte noch auf einen Brief seines Freundes Pha-ramond Barthes antworten, der ihm durch einen auf der Rückreise nach dem Kap befindlichen Elfenbeinhändler von sich hatte Nachricht zugehen lassen.
Pharamond Barthes war höchst befriedigt von seinem Jägerleben und dessen Abenteuern. Er hatte schon 3 Löwen, 16 Elefanten, 7 Tiger und eine Unzahl Giraffen und Antilopen erlegt, ohne das eßbare Wild zu rechnen.
»Wie die historischen Eroberer«, schrieb er, »ernährte er den Krieg durch den Krieg. Er erhielt von der Jagdbeute nicht allein das ganze kleine Expeditionskorps, das er mitgenommen, sondern es wäre ihm auch ein Leichtes gewesen, wenn er nur gewollt hätte, durch den Verkauf von Fellen und Elfenbein oder durch Tauschhandel mit den Kaf-fernstämmen, bei denen er sich befand, einen recht ansehnlichen Gewinn zu erzielen.«
Sein Brief schloß mit den Worten:
»Solltest Du nicht Lust verspüren, mit mir einen Ausflug nach dem Limpopo zu unternehmen? Dort werde ich Ende kommenden Monats eintreffen und denke daran entlang bis zur Delagoa-Bai hinabzuziehen, um mich zur See nach Durban zu begeben, wohin ich mich verpflichtet habe, meine Bassutos zurückzuführen . . . Verlasse also Dein schreckliches Griqualand für einige Wochen und stelle Dich baldigst bei mir ein . . .«
Cyprien durchlas diesen Brief eben noch einmal, als eine furchtbare Detonation, der ein gewaltiger Lärm im Lager folgte, ihn eiligst aus dem Zelt heraustrieb.
Eine Menge Diamantengräber stürmte in großer Unordnung und Erregung nach der Mine zu.
»Ein Einsturz!« schrie man von allen Seiten.
Die letzte Nacht war nämlich sehr frisch, fast eisig kalt gewesen, während der vorhergegangene Tag zu den wärmsten gezählt werden konnte, die man hier seit langer Zeit er-lebt hatte. Gewöhnlich haben solche schroffe Temperaturveränderungen in den frei zutage liegenden Erdschichten Zusammenziehungen zur Folge, die nicht selten mit solchen entsetzlichen Zusammenbrüchen enden.
Cyprien beeilte sich natürlich, ebenfalls nach der Kopje zu kommen. Hier übersah er mit einem Blick, was vorgegangen war.
Eine ganz gewaltige Erdwand von wenigstens 60 Meter Höhe und 200 Meter Länge hatte sich horizontal gespalten und zeigte nun einen Riß, wie die Bresche einer niedergelegten Befestigung. Mehrere hundert Zentner Kies hatten sich dabei losgelöst und waren in die Claims hinabgerutscht, die sie mit Sand, Trümmern und Kieselsteinen erfüllten. Alles, was sich in jenem Augenblick auf dem Kamm der Wand befand, Menschen, Büffel und Karren, war mit einem Mal hinuntergeschleudert und lag nun im Grund.
Zum Glück hatten die meisten Arbeiter ihr Tagewerk auf dem Grund der Mine noch nicht begonnen - sonst wäre die halbe Bewohnerzahl des Lagers begraben gewesen unter diesen Riesentrümmern.
Cypriens erster Gedanke galt seinem Teilhaber Thomas Steele. Er hatte aber bald die Freude, diesen unter einer Gruppe Männer zu bemerken, die sich über die Ursache des Zusammensturzes klarzuwerden suchten. Sofort lief er auf ihn zu und redete ihn an.
»Ja, da wären wir mit einem blauem Auge davongekommen!« sagte der Lancashireman und drückte ihm herzhaft die Hand.
»Und Matakit?« fragte Cyprien.
»Der arme Kerl liegt unten!« antwortete Thomas Steele, nach dem Haufen zeigend, der sich über ihrem gemeinschaftlichen Eigentum gebildet hatte. »Ich ließ ihn kaum hinabsteigen und wartete nur, bis er den ersten Eimer gefüllt hatte, als der Einsturz vor sich ging.«
»Wir können hier aber nicht untätig stehenbleiben, ohne den Versuch zu seiner Rettung zu machen!« rief Cyprien. »Vielleicht lebt er doch noch!«
Thomas Steele schüttelte den Kopf.
»Daß er unter 15 bis 20 Tonnen Erdreich noch leben sollte, ist doch sehr unwahrscheinlich«, meinte er. »Übrigens müßten wenigstens 10 Mann 2 bis 3 Tage arbeiten, um die Mine zu entleeren.«
»Das macht nichts!« erwiderte der junge Ingenieur entschlossen. »Es soll niemand sagen, wir hätten ein menschliches Wesen in seinem Grab verschüttet gelassen, ohne den Versuch, es daraus zu befreien!«
Dann wandte er sich durch Vermittlung Bardiks an einen der Kaffern, der sich in ihrer Nähe befand, versprach diesem den hohen Lohn von 5 Shilling pro Tag und sicherte ihn auch allen anderen zu, die sich verpflichten würden, seinen Claim unter seiner Anführung wieder freizulegen.
Etwa 30 Neger erklärten sich sofort dazu bereit, und nun ging es, ohne eine Minute zu verlieren, an die Arbeit. An Hacken, Spitzäxten und Schaufeln fehlte es nicht; Eimer und Taue waren genug zur Hand und Schuttkarren ebenfalls. Eine ganze Anzahl Weißer erbot sich, als sie vernah-men, daß es sich darum handle, einen unter der Schuttmasse begrabenen armen Teufel zu erlösen, zur freiwilligen Hilfeleistung. Elektrisiert durch den Feuereifer Cypriens, zeigte sich auch Thomas Steele nicht lässig, diese Rettungsversuche zu leiten.
Gegen Mittag waren schon mehrere Tonnen über dem Claim abgelagerten Sands und Gesteins herausgeschafft.
Um 3 Uhr stieß Bardik einen heiseren Schrei aus; er hatte unter seiner Hacke einen schwarzen, aus der Erde vorstehenden Fuß bemerkt.
Jetzt wurden die Anstrengungen verdoppelt, und wenige Minuten später war der ganze Körper Matakits ausgegraben. Der unglückliche Kaffer lag auf dem Rücken, regte sich nicht und war allem Anschein nach tot. Durch einen merkwürdigen Zufall hatte sich einer der Ledereimer, die er bei der Arbeit brauchte, ihm über das Gesicht gestürzt und bedeckte es wie eine Maske.
Dieser Umstand, der Cyprien sogleich auffiel, weckte in ihm den Gedanken, daß es doch möglich sei, den Verunglückten ins Leben zurückzurufen; in der Tat erschien diese Hoffnung nur schwach, denn das Herz schlug nicht mehr, die Haut fühlte sich ganz kalt an, die Glieder waren ziemlich steif, die Hände wie im Todeskampf zusammengeballt -und das Gesicht - mit seiner bläulichen Blässe, die man an toten Negern beobachtet - war durch den Erstickungstod entsetzlich verzerrt.
Cyprien verlor deshalb den Mut noch nicht. Er ließ Mata-kit in die Hütte Thomas Steeles schaffen, die der Unglücks-
stätte am nächsten lag. Hier legte man ihn auf den Tisch, der gewöhnlich zum Auslesen der Kiesel diente, und nun wurde der Körper systematischen Reibungen und jenen passiven Bewegungen des Brustkastens unterworfen, die eine Art künstliche Atmung erzeugen und die man gewöhnlich anwendet, um Ertrunkene wieder zu beleben. Cyprien wußte, daß diese Behandlungsweise sich überhaupt für alle Arten der Erstickung eignet, und im vorliegenden Fall hatte er auf nichts anderes zu achten, da weder eine Verwundung noch ein Knochenbruch, ja nicht einmal eine ernsthafte Erschütterung nachzuweisen war.
»Da sehen Sie, Monsieur Mere, er hat noch einen Erdklumpen in der Hand!« bemerkte Thomas Steele, der sein Möglichstes tat, den großen schwarzen Körper zu frottieren.
Und wie ging er dabei ins Zeug, der wackere Sohn von Lancashire! Und wenn er die Pleuelstange einer 12-PS-Dampfmaschine hätte mit »Armöl« polieren wollen, konnte er dazu keinen größeren Kraftaufwand brauchen.
Seine Bemühungen führten denn auch bald einen guten Erfolg herbei. Die Leichenstarre des jungen Kaffern schien allmählich nachzulassen, die Temperatur der Haut hob sich ein wenig. Cyprien, der am Herzen auf das erste Zeichen wiedererwachenden Lebens lauschte, glaubte unter seiner Hand ein leises Zittern von guter Vorbedeutung zu verspüren.
Bald wurden diese Symptome deutlicher. Der Puls fing an zu schlagen; ein leichter Atemzug hob kaum fühlbar die
Brust Matakits. Diesem folgte eine schon kräftigere Ausatmung und ließ nun auf vollständiges Gelingen dieser Bemühungen hoffen. Plötzlich wurde der schwarze Körper von Kopf bis Fuß durch zweimaliges herzhaftes Niesen erschüttert. Bis dahin noch bewegungslos, öffnete jetzt Mata-kit plötzlich die Augen, atmete und kam auch wieder zum Bewußtsein.
»Hurra! Hurra! Der arme Teufel ist gerettet!« rief Thomas Steele, der schweißtriefend nun seine Reibungen einstellte. »Aber sehen Sie nur, Monsieur Mere, er läßt den Erdklumpen noch immer nicht los, den er in den zusammengedrückten Fingern hält!«
Der junge Ingenieur hatte noch ganz andere Sorgen, als sich um einen so bedeutungslosen Umstand zu kümmern. Er flößte seinem Patienten einen Löffel voll Rum ein und richtete ihn auf, um ihm das Atmen zu erleichtern. Endlich, als dieser ganz wieder zum Leben gekommen war, wickelte er ihn in seine Decken und trug ihn mit Hilfe von zwei oder drei gutmütigen Männern nach seiner eigenen Wohnung in der Farm Watkins'.
Hier wurde der arme Kaffer in sein Bett gelegt. Bardik reichte ihm eine Tasse heißen Tee. Nach Verlauf einer Viertelstunde fiel Matakit in ruhigen, friedlichen Schlaf: er war gerettet.
Cyprien empfand im Herzen eine so unvergleichliche Leichtigkeit, die dem Menschen zuteil wird, der ein Menschenleben den Klauen des Todes entrissen hat. Wenn nun Thomas Steele und die anderen Helfer, die sich von ihren therapeutischen Übungen stark angegriffen fühlten, ihren Erfolg in der nächstgelegenen Kantine feierten und ihn mit einem Strom Bier begossen, blieb Cyprien bei Matakit zurück, nahm ein Buch zur Hand und unterbrach nur seine Lektüre, um jenen noch schlafen zu sehen, wie ein Vater, der den Schlummer seines wiedergenesenden Sohns überwacht.
Seit den 6 Wochen, die Matakit nun in Cypriens Diensten stand, hatte dieser nur Veranlassung gehabt, mit jenem zufrieden, ja über ihn erstaunt zu sein. Seine Intelligenz und Gelehrigkeit, sein Arbeitseifer waren gar nicht zu übertreffen. Er war verläßlich, gutmütig, gefällig und von besonders sanftem und heiterem Charakter. Keine Arbeit wies er zurück, keine Schwierigkeit erschien seinem Mut unüberwindlich. Zuweilen sagte sich wohl der junge Mann, daß kaum ein Franzose, wenn er dieselben Fähigkeiten besaß, soviel hätte leisten können, wie dieses wilde Kind der Natur. Und hier wohnten so kostbare Gaben unter der schwarzen Haut und dem Wollkopf eines armen Kaffern!
Dennoch hatte Matakit einen Fehler - sogar einen recht schlimmen Fehler -, der offenbar auf seine frühere Erziehung und auf die gar zu laxen Sitten zurückzuführen sein mochte, die in seinem Kraal jedenfalls herrschten. Sollen wir ihn verraten? Matakit wurde zuweilen, fast unbewußt, zum Dieb. Sah er einen Gegenstand, der ihm gefiel, so hielt er es für ganz natürlich, ihn sich anzueignen. Vergeblich machte ihm sein Herr wegen dieser lasterhaften Neigung sehr ernsthafte Vorwürfe. Vergeblich drohte er ihn wegzu-jagen, wenn er sich wieder bei solchen Diebereien ertappen ließ. Matakit versprach davon abzulassen, er weinte, er bat um Verzeihung, und wenn er am nächsten Tag Gelegenheit dazu fand, fing er's doch von neuem an.
Seine Neigung verführte ihn keineswegs zur Entwendung besonders wertvoller Dinge; im Gegenteil, im allgemeinen beschränkte er sich auf Kleinigkeiten, auf ein Messer, eine Krawatte, einen Bleistift oder irgendeine ähnliche Lappalie. Cyprien aber schmerzte es darum nicht minder, einen solchen Fehler bei einer sonst so gut angelegten Natur zu entdecken.
»Warten wir! ... Hoffen wir das Beste!« sagte er für sich. »Vielleicht gelingt es mir, ihm klarzumachen, daß es Unrecht ist, zu stehlen!«
Und während er den Schläfer betrachtete, dachte er an diese auffälligen Kontraste, die er sich nur durch die Vergangenheit Matakits inmitten seines wilden Stammes erklären konnte.
Als die Nacht herankam, erwachte der Kaffer ebenso frisch, ebenso munter, als ob seine Atembewegungen nicht 2 oder 3 Stunden fast vollständig unterdrückt gewesen wären. Er konnte jetzt erzählen, was bei jenem Unfall vorgegangen war.
Der Eimer, der sich ihm zufällig auf das Gesicht gestürzt und eine lange Leiter, die schräg über ihn wegfiel, hatten ihn zunächst gegen die mechanische Einwirkung des Einsturzes gesichert, und dann längere Zeit vor der Erstickung geschützt, da ihm eben dadurch in seinem entsetzlichen Gefängnis ein kleiner Luftvorrat übrig blieb.
Über diesen glücklichen Umstand war er sich klargeworden und hatte alles getan, daraus Nutzen zu ziehen, indem er nur nach langen Zwischenräumen Atem holte. Nach und nach freilich hatte sich die Luft verändert und Matakit gefühlt, daß sein Bewußtsein sich allmählich trübte. Endlich war er in eine Art schweren ängstlichen Schlummers verfallen, aus dem er nur zeitweise erwachte, um mit äußerster Anstrengung ein wenig Luft zu schöpfen. Von dem, was ihm sonst widerfahren war, hatte er kein Bewußtsein; er war tot - denn er war wirklich vom Tod wieder auferstanden.
Cyprien ließ ihn kurze Zeit plaudern, gab ihm dann zu trinken und zu essen und nötigte ihn trotz seines Widerspruchs, die Nacht über in dem Bett zu bleiben, in das er ihn geschafft hatte. Nachdem er sich endlich überzeugt, daß hier nichts mehr zu fürchten war, ließ er ihn allein, um seinen gewöhnlichen Besuch im Watkinsschen Haus zu machen.
Den jungen Ingenieur drängte es, Alice die Erlebnisse des Tages mitzuteilen, wie seinen Widerwillen gegen die Minenarbeit, ein Widerwillen, der durch den beklagenswerten Unfall des heutigen Morgens nur genährt werden konnte. Es schnitt ihm ins Herz, täglich das Leben Matakits aufs Spiel zu setzen wegen der sehr fraglichen Chance, einige schlechte Diamanten zu gewinnen.
»Die Sache mit eigener Hand zu betreiben, das möchte noch hingehen!« sagte er sich. »Sie aber für jämmerlichen
Lohn einen unglücklichen Kaffern ausführen zu lassen, das ist einfach erbärmlich.«
Er vertraute dem jungen Mädchen also seine Empfindungen und seinen Widerwillen an, und sprach ihr auch von dem Brief, den er von Pharamond Barthes erhalten hatte. Täte er wirklich nicht besser, dem Rat seines Freunds zu folgen? Was konnte er dabei verlieren, wenn er einmal nach dem Ufer des Limpopo reiste, um dort das Jagdglück zu versuchen? Das wäre sicherlich anständiger, als hier wie ein Geizhals die Erde zu durchwühlen, oder diese für seine Rechnung von anderen armen Teufeln durchwühlen zu lassen.
»Was meinen Sie, Miss Watkins? Da Sie so viel Feingefühl und praktischen Verstand haben, geben Sie mir einen Rat! Ich bedarf dessen sehr! Ich habe das moralische Gleichgewicht eingebüßt! Ich brauche eine befreundete Hand, mich wieder aufzurichten!«
So sprach er mit voller Offenherzigkeit und fand ein besonderes Vergnügen, das er sich gar nicht weiter erklärte, gerade darin, trotz seiner gewöhnlichen Zurückhaltung gegenüber dieser sanften und reizenden Vertrauten das Mißgeschick seiner Unentschlossenheit zu enthüllen.
Das Gespräch wurde in französischer Sprache geführt und nahm schon nach Verlauf von wenigen Minuten infolge dieses einfachen Umstands einen recht vertraulichen Charakter an, obgleich John Watkins, der seit kurzer Zeit bei der dritten Pfeife eingeschlafen war, sich auch nicht da-rum gekümmert hätte, wenn die jungen Leute etwa Englisch oder irgendein anderes Idiom gesprochen hätten.
Alice hörte Cyprien mit inniger Teilnahme zu.
»Alles, was Sie mir da sagen«, antwortete sie, »hab' ich bezüglich Ihrer, Monsieur Mere, schon längst hin und her überlegt. Ich habe kaum begreifen können, wie Sie als Ingenieur und Gelehrter sich haben scheinbar fröhlichen Herzens entschließen können, ein derartiges Leben zu führen. Ist das nicht ein Verbrechen gegen Sie wie gegen die Wissenschaft? Ihre kostbare Zeit an eine Handarbeit zu verschwenden, die jeder Kaffer, jeder gewöhnliche Hottentotte vielleicht besser als Sie verrichten könnte, das finde ich unerhört!«
Cyprien hätte freilich nur ein Wörtchen zu sagen gebraucht, um dem jungen Mädchen diesen ihr so auffälligen und peinlichen Umstand zu erklären. Und wer weiß, ob sie ihre Entrüstung nicht ein wenig übertrieb, um ihm ein Geständnis zu entlocken. Er hatte sich jedoch geschworen, dieses Geheimnis für sich zu bewahren, und hätte sich selbst verachten müssen, wenn er es dennoch verriet. So hielt er also jede weitere Erklärung darüber auf den Lippen zurück.
Miss Watkins fuhr fort:
»Wenn Sie so begierig sind, Diamanten zu finden, Monsieur Mere, warum suchen Sie sie nicht da, wo Sie weit größere Aussicht haben, welche zu entdecken - in Ihrem Schmelztiegel? Wie, Sie sind Chemiker, Sie kennen besser als tausend andere die Natur dieser elenden Steine, denen man so hohen Wert beilegt, und Sie suchen sie durch eine so undankbare, maschinenmäßige Arbeit zu erlangen? Ich für meinen Teil beharre auf dem Gedanken: Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würd' ich vielmehr Diamanten herzustellen als in fertigem Zustand aufzufinden suchen!«
Alice sprach mit einem solchen Feuer, mit einem solchen Vertrauen zu seiner Wissenschaft und zu Cyprien selbst, daß das Herz des jungen Mannes wie von einem erquickenden Morgentau gebadet war.
Leider erwachte Mr. Watkins eben aus seinem Halbschlummer und fragte nach Neuigkeiten aus der Vander-gaart-Kopje. Die beiden jungen Leute mußten sich also wieder der englischen Sprache bedienen und dieses vertrauliche Zwiegespräch abbrechen. Dessen Reiz war erloschen.
Das Samenkorn war jedoch auf günstigen Boden gefallen und sollte Wurzel schlagen. Als der junge Ingenieur nach Hause ging, überdachte er jene eindringlichen und vielleicht die Wahrheit treffenden Worte, die er von Miss Watkins gehört hatte. Was daran vielleicht Chimärisches war, das verschwand vor seinen Augen, um diese nur noch das ehrenvolle und wirklich zärtliche Zutrauen sehen zu lassen.
»Ja, und warum denn nicht?« fragte er sich selbst. »Die Herstellung von Diamanten, die noch vor 1 Jahrhundert als reine Utopie zu betrachten war, ist heute eigentlich schon vollendete Tatsache. Fremy und Peil in Paris haben Rubine, Smaragde und Saphire erzeugt, das sind verschieden gefärbte Kristalle der Tonerde. Mac Tear in Glasgow und
J. Ballantine Hannay ebenda haben schon 1880 Kohlenstoffkristalle erhalten, die alle Eigenschaften des echten Diamanten aufwiesen und nur den einzigen Fehler hatten, ungeheuer viel mehr zu kosten, als die natürlichen Diamanten aus Brasilien, Indien oder dem Griqualand, und damit also den Bedürfnissen des Händlers von vornherein nicht zu entsprechen.
Wenn indes die wissenschaftliche Lösung eines Problems gefunden ist, kann dessen industrielle Lösung nicht mehr fern sein. Warum sollte man diese nicht suchen? . . . Alle Gelehrten, die bisher an der gleichen Aufgabe scheiterten, waren nur Theoretiker, Männer vom grünen Tisch und aus dem Labor! Sie haben den Diamanten nicht an Ort und Stelle in seinem ursprünglichen Terrain, sozusagen in seiner Wiege studiert. Ich kann mir ihre Arbeiten, ihre Erfahrungen zunutze machen und sie mit meinen verknüpfen. Ich habe den Diamanten mit eigener Hand ausgegraben, habe die Lagerstätte, wo er sich vorfindet, mit größter Sorgfalt untersucht und studiert. Wenn es bei nur einigem Glück irgend jemand gelingen kann, die letzten Schwierigkeiten zu überwinden, so bin ich's ... so muß ich es sein!«
Das wiederholte sich Cyprien des öfteren und das trat ihm während des größten Teils der Nacht immer und immer wieder vor das geistige Auge.
Sein Entschluß war bald gefaßt. Am nächsten Morgen schon benachrichtigte er Thomas Steele, daß er, wenigstens vorläufig, die Arbeit in seinem Claim nicht fortzusetzen gedenke. Er kam mit ihm sogar dahin überein, daß es ihm freistehen solle, seinen Anteil weiter zu verheuern. Dann verschloß er sich in sein Labor, um über die neuen Projekte nachzudenken.