158070.fb2 Der Speer der Vergeltung - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 4

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Owen stöhnte vor Schmerz auf. Die dunklen Augen quollen fast aus seinem Kopf, als er sich vergebens anstrengte, den 36er abzufeuern.

Der andere Mann war zu schnell bei ihm, versetzte ihm mit der Rechten einen harten Faustschlag an die Stirn und entwand ihm mit der Linken gleichzeitig den Navy-Revolver.

»Der Hahn ist noch gespannt«, grinste Bradden, als er die Waffe auf ihren Besitzer richtete. »Eine kleine Bewegung meines Zeigefingers genügt, und du fährst zur Hölle, Ebenezer!«

»Du bist dazu fähig«, keuchte Owen. Sein angsterfüllter Blick richtete sich abwechselnd auf den Revolver und auf das große Messer in seinem Arm.

»Ich hätte das Recht, dich zu erschießen«, sagte Bradden ruhig und streckte die Hand mit dem Revolver so weit vor, daß die Waffe nur noch eine halbe Armlänge von Owens Kopf entfernt war. »Du hättest es doch auch getan.« Bradden legte den Kopf ein wenig schief. »Oder etwa nicht?«

Hinter Owens Stirn arbeitete es sichtbar. Wäre die Verletzung nicht gewesen, hätte er jetzt sicher intensiv seinen Bart gekrault.

Er nickte und sagte leise: »Yeah, ich hätte abgedrückt, Frazer. Wenn du der Frau etwas getan hättest, hätte ich abgedrückt. Aber ich hätte alles versucht, um dich nicht zu töten, unserer Freundschaft zuliebe.«

»Was für eine Freundschaft ist das, wenn der eine Freund mit dem Revolver auf den anderen anlegt?« rief Bradden, von einem plötzlichen Wutausbruch gepackt. Er spuckte vor Owen auf den Boden. »Auf so einen Freund kann ich verzichten!«

»Dann tu es doch«, stöhnte Owen. Seine Stimme klang müde. »Drück endlich ab und mach Schluß!«

Er beugte seinen Oberkörper vor, bot sich zur Hinrichtung an.

»Wenn du es sagst.«

Bradden grinste jetzt wieder, trat noch einen Schritt auf den knienden Mann zu und drückte den Revolverlauf gegen dessen blutende Stirn.

Irene hielt den Atem an. Sie konnte diesen ganzen Irrsinn kaum noch begreifen.

Erst metzelten die Menschen aus Greenbush ein Dorf unschuldiger, wehrloser Indianer nieder.

Und jetzt brachten sie sich auch noch gegenseitig um.

Warum? schrie alles in ihr. O Gott, warum nur?

*

Als Jacob sich entschieden hatte, verfiel er in fieberhafte Aktivität. Er zog sich an, suchte eine vor dem kalten Nachtwind geschützte Stelle an der Felsbarriere und stapelte dort alles Feuerholz auf, das die Menschen vom Treck zurückgelassen hatten. Er wußte nicht, wie es Irene und Jamie ging, ob er überhaupt etwas für sie tun konnte. Aber der Indianer war hier, bei ihm. Ihm konnte Jacob helfen.

Nun - wenigstens konnte er es versuchen.

Auch wenn es schmerzte, daß er dem Treck und damit Irene und Jamie nicht sofort nacheilte, er war sich sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Eine Entscheidung für das Leben!

Außerdem sprachen zwei gute Gründe gegen eine sofortige Verfolgung des Trecks.

Erstens bestand eine große Wahrscheinlichkeit, daß er die Spur in der Dunkelheit verlor. Zahllose Schluchten durchzogen die Cascade Mountains. Wenn er die falsche nahm und von der Spur abkam, war es fraglich, ob er den Treck überhaupt wiederfand.

Zweitens brauchte Jacob irgendwann Ruhe. Noch unterdrückte er die Schmerzen überall in seinem Körper und die Erschöpfung, die ihm immer wieder die Augen zudrücken wollte. Aber er wußte, daß er sich nicht ewig dagegen wehren konnte.

Wie geschwächt er war, merkte der große breitschultrige Deutsche, als er den Indianer zur Felsbarriere zog. Mehrmals mußte er seine Last ablegen.

Der Nez Perce ließ alles mit sich geschehen, ohne aus seiner Ohnmacht zu erwachen oder auch nur heftiger zu atmen. Die Lebenskraft schien immer schneller aus ihm herauszuströmen.

Jacob fischte den Lederbeutel mit Zündhölzern aus seiner Jackentasche, riß einen der kleinen Holzstäbe an der rauhen Felswand entlang und hielt die andere Hand schützend vor den aufflammenden Phosphorkopf.

Das Reisig und das trockene Büschelgras unten im Holzstapel fingen rasch Feuer. Knisternd fraßen sich die Flammen durch das Holz und sprangen auf die größeren Stücke über.

Mit der Sonne war auch ihre wärmende Kraft verschwunden. Jacob streckte seine Hände aus und genoß die Hitze des Feuers.

Er machte sich keine Gedanken darüber, daß die hochlodernden Flammen andere Nez Perce, sollten sich welche in der Nähe befinden, auf ihn aufmerksam machen konnten. Jetzt ging es um das Leben dieses einen Kriegers, der so leblos vor ihm am Boden lag.

Jacob zog das Messer des Kriegers aus dem perlenbestickten Hirschlederfutteral. An dem geschnitzten Hirschhorngriff saß eine schlanke, zur Spitze hin leicht gebogene Klinge: sein einziges Instrument bei der bevorstehenden Operation.

Er nahm einen an einem Ende brennenden Ast hoch und hielt die Klinge so lange ins Feuer, bis sie glühte. Mehr konnte er nicht tun, um sie zu desinfizieren.

Als sie sich so weit abgekühlt hatte, daß sie nur noch warm war, begann er mit dem Öffnen der erstaunlich schnell verheilten Schußwunde.

Blut schoß ihm entgegen, bespritzte die nackte Brust des Indianers und Jacobs Hände. Im Augenblick konnte er nichts dagegen tun.

Er bohrte die Klinge tiefer in das Fleisch des Kriegers.

Der Schmerz mußte ungeheuerlich sein. Der Nez Perce zuckte zusammen, stöhnte gequält und riß die Augen auf.

Jacob wußte nicht, ob der Indianer ihn sah oder ob sein Blick durch den Weißen hindurchging. Ein merkwürdiger Schimmer lag in den dunklen Augen.

Sie schlossen sich wieder, und ihr Besitzer fiel in die Apathie der Ohnmacht zurück. Es war gut für ihn, vergaß er mit allem anderen doch auch seine rasenden Schmerzen.

Dann spürte Jacob endlich den Widerstand der Kugel. Es war schwierig, sie allein mit Hilfe des Messers herauszuholen. Er mußte extrem vorsichtig sein, damit er die Wunde nicht so weit aufriß, daß ein Stillen der starken Blutung unmöglich wurde.

Einmal wäre fast der Messergriff aus seiner blutbesudelten Hand gerutscht. Jacob wischte beide Hände kurz an seiner Hose ab und fuhr damit fort, die Kugel Zoll für Zoll hervorzupulen.

Plötzlich sprang sie ihm entgegen, ein blutiges kleines Stück Blei. Fast unscheinbar, als sie auf dem Boden lag.

Und doch tödlich. Selbst im Körper eines so kräftigen Mannes, wie der Nez Perce einer war.

Es sah tatsächlich so aus, als würde die Kugel den Indianer auch nach ihrer Entfernung umbringen. Ein nicht abreißender Blutstrom ergoß sich über den Oberkörper des Ohnmächtigen.

Jacob nahm die Kräuter aus der bunten Maishülsentasche des Indianers und preßte ein großes Bündel auf die Wunde.

Es waren solche Kräuter, wie sie sich der Verletzte selbst aufgelegt hatte. Entweder hatte er sie schon vor seiner Verwundung bei sich getragen, oder er hatte sie danach in aller Eile zusammengesucht.

Jedenfalls hoffte Jacob, daß die Kräuter identisch waren. Wenn sie die Blutung nicht stillten, war der Nez Perce verloren. Er würde dann die Nacht mit Sicherheit nicht überstehen.

Das Blut floß weiter, trotz der Kräuter.

Aber der junge Deutsche gab nicht auf. Mit der letzten ihm verbliebenen Kraft drückte er das Bündel auf die Brust des äußerst flach atmenden Indianers. Der mächtige Brustkasten hob und senkte sich kaum noch.

*

Ebenezer Owen kniete mit fast hündisch ergebenem Blick vor seinem Henker und wartete darauf, daß Frazer Braddens Finger sich endlich um den Abzug des Navy-Revolvers krümmte.