158072.fb2 Der Stolz der Flotte: Flaggkapit?n Bolitho vor der Barbareskenk?ste - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 18

Der Stolz der Flotte: Flaggkapit?n Bolitho vor der Barbareskenk?ste - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 18

XVIII In der Falle

Allday öffnete die Tür zur Kajüte und meldete:»Midshipman Pascoe, Captain!«Es sollte streng dienstlich klingen, aber er grinste vor Vergnügen übers ganze Gesicht.

Es war schon spät am Abend, und abgesehen von ein paar Worten, als der Junge eilig aus dem Boot geklettert war, hatte Bolitho noch nicht mit Adam sprechen können. Es war merkwürdig gewesen. Pas-coe hatte seine freudige Erregung bezwungen und ein Dienstgesicht gemacht; er hatte an den Hut gefaßt und gesagt:»Melde mich zum

Dienst an Bord, Sir!»

Bolitho war ebenfalls dienstlich geblieben, da Keverne und andere dabeistanden und das unerwartete Wiedersehen neugierig beobachteten.

«Mr. Keverne wird Sie einweisen«, hatte er nur entgegnet.»Sie dienen als provisorischer Sechster Offizier. Mr. Keverne wird Ihnen die notwendigen Uniformstücke und was Sie sonst noch benötigen zweifellos besorgen können. «Er brach ab, denn soeben wurde eine zerschrammte Midshipman-Seekiste unzeremoniös aus dem Boot an Bord gehievt. Erst dabei wurde ihm richtig klar, was dieser Moment bedeutete.

Leise hatte Pascoe gesagt:»Ich dachte, ich könnte vielleicht auf Ihr Schiff versetzt werden, Sir. Ich hoffte es. Deswegen habe ich mich bereitgehalten.»

Jetzt, als Allday die Tür hinter sich schloß und sie allein ließ, durchströmte Bolitho ein Gefühl der Wärme; trotzdem war er sich der Tatsache bewußt, daß zwischen ihnen manches anders geworden war.

«Hier, Adam, setz dich zu mir. «Er deutete zur Tafel, die Trute mit besonderer Sorgfalt gedeckt hatte.»Das Essen ist nicht aufregend, aber zweifellos auch nicht schlechter, als du es gewohnt bist.»

Er mühte sich einhändig mit einer Karaffe ab, und die ganze Zeit hingen die Augen des Jungen an ihm. Wie er sich verändert hatte! Er war größer und selbstsicherer geworden, und doch war er immer noch so lebhaft und unruhig wie ein schwarzes Fohlen, wie damals vor zwei Jahren, als sie sich getrennt hatten.

Der Junge nahm das Glas entgegen und sagte nur:»Auf diesen Augenblick habe ich gewartet. «Dann lächelte er, und das erinnerte Bo-litho wiederum an die Porträts in Falmouth.»Als Captain Herrick mir sagte, du wärest verwundet.»

Bolitho hob sein Glas.»Reden wir nicht davon. Wie ist es dir ergangen?«Er trat mit ihm an den Tisch; wie immer fühlte er unbestimmt das gleichmäßige Vibrieren des Decks, das regelmäßige Rollen des Schiffes, das befehlsgemäß der Coquette folgte.

Er zog eine dampfende Schüssel Fleisch heran. Es kam aus dem Faß und war vermutlich zäh. Doch in dem warmen Lampenschein und auf dem besten zinnernen Geschirr serviert, sah es beinahe delikat aus. Bolitho zögerte; es irritierte ihn, daß er das Messer nicht richtig gebrauchen konnte. Und dabei sollte heute abend alles aufs beste sein, er brauchte nicht an Deck und hatte sogar fast gar keine Schmerzen.

Pascoe reichte über den Tisch und nahm ihm das Messer aus der Hand. Eine Sekunde lang sahen sie sich in die Augen.»Laß mich das machen, Onkel«, sagte er leise. Und dann lächelte er wieder.»Captain Herrick hat mir alles mögliche beigebracht.»

Er beugte sich über die Platte, und Bolitho sah ihm zu, wie er an dem zähen Fleisch herumsäbelte. Das Haar, schwarz wie sein eigenes, fiel ihm rebellisch in die Stirn.

«Danke, Adam. «Er mußte lächeln. Siebzehn Jahre. Er konnte sich unschwer daran erinnern, wie es ihm als jungem Midshipman ergangen war. Auch Adam machte der Dienst offensichtlich Spaß. Weder Selbstmitleid noch falscher Optimismus klangen mit, als er angeregt über die Rolle der Impulsive bei der Meuterei, über Herrick und über die vielen Dinge plauderte, die aus dem Knaben ein getreues Abbild seines Vaters und Bolithos gemacht hatten.

Bolitho machte sich nicht viel aus dem Fleisch, obwohl Adam es ihm kleingeschnitten hatte — es war wirklich nicht mehr frisch. Doch Adam kannte keine solchen Hemmungen; er griff immer wieder zu.

«Wie kannst du dich so vollstopfen und doch dünn wie ein Stock bleiben?«fragte Bolitho kopfschüttelnd.

Ernsthaft sah der Junge ihn an.»Ein Midshipman hat's schwer.»

Beide lachten, und Bolitho sagte:»Nun, vielleicht sind deine Tage im Logis gezählt. Wenn wir eine Prüfungskommission zusammenkriegen, sehe ich keinen Grund, weswegen du nicht dein Leutnantsexamen machen solltest.»

Der Junge schlug die Augen nieder.»Ich werde versuchen, dieses Vertrauen nicht zu enttäuschen.»

Bolitho musterte ihn sekundenlang. Nie würde dieser Junge jemanden enttäuschen. Er war es, dem man unrecht getan hatte. Wieder hatte er das drängende Gefühl, daß er etwas für Adam tun mußte, und zwar unverzüglich. Die Wunde in der Schulter war ihm eine Warnung. Die nächste schon konnte tödlich sein.

Mühsam begann er:»Da ist ein Rechtsanwalt in Falmouth, Quince heißt er. «Er hielt inne und versuchte, einigermaßen nüchtern und geschäftlich weiterzusprechen.»Wenn wir nach Hause kommen, wollen wir beide zu ihm gehen.»

Pascoe schob seinen Teller zurück und wischte sich den Mund.

«Warum, Onkel?»

Warum? Ein kleines Wort nur, aber eine riesengroße Frage. Er stand auf und ging durch die schwankende Kajüte zu den Fenstern. Unten glänzte das schäumende Kielwasser im Licht der Hecklaterne wie Schnee, und er glaubte, die Valorous zu sehen, die ihnen in respektvollem Abstand durch die Finsternis folgte. In der dicken Fensterscheibe sah er Pascoes Spiegelbild, der, das Kinn in die Hände gestützt, am Tisch saß. Wie ein Kind genoß er diese private, von Zuneigung erfüllte Stunde, die schnell genug vergehen würde.

«Ich will sicher sein, Adam, daß du das Haus und das Gut bekommst, wenn ich tot bin«, sagte Bolitho. Er hörte, daß der Junge erschrocken auffuhr, und war wütend über seine unverblümten Worte.»Ich weiß«, milderte er sie ab,»daß ich dich noch jahrelang hinhalten werde, wenn ich ein bißchen Glück habe. «Er wandte sich um und sah Adam lächelnd an.»Aber wenigstens will ich es sicherstellen.»

Der Junge machte Miene aufzustehen, aber Bolitho trat zum Tisch und legte ihm die Hand auf die Schulter.»Es wäre von Rechts wegen eines Tages sowieso dein, wenn das Leben etwas freundlicher zu dir gewesen wäre. Ich will aber dafür sorgen, daß dir dein Recht nicht streitig gemacht werden kann. «Er konnte sich nicht mehr beherrschen; seine Worte überstürzten sich fast.»Du trägst zwar nicht den Namen unserer Familie, aber du bist trotzdem ein Teil von ihr — und von mir. «Da der Junge sich die Augen wischte, drückte er ihm beruhigend die Schulter.»Jetzt mach, daß du auf Wache kommst. Ich wünsche nicht, daß meine Offiziere hinter meinem Rücken sagen, ich begünstige irgendeinen hergelaufenen Neffen!»

Langsam stand Pascoe auf und sagte leise:»Captain Herrick hatte recht. «Er ging; Bolitho konnte sein Gesicht nicht sehen, bis er sich unter der Tür wieder umwandte.»Er sagte, du wärest der großartigste Mann, den er je getroffen hätte. Und dann sagte er noch. «Doch er konnte nicht zu Ende sprechen und ging schnell hinaus.

Bolitho trat wieder ans Fenster und starrte blicklos ins Kielwasser. Er war zufrieden mit sich selbst, zum erstenmal seit. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Vielleicht würde er wenigstens dem Jungen helfen können und etwas von dem Unrecht gutmachen, das ihm angetan worden war. Wenigstens war ihm ein Zusammenstoß mit Draffen erspart geblieben. Hätte er sich dessen Gerede über Hughs Beteiligung am Sklavenhandel anhören müssen, es wäre wie ein Messer in seinem Herzen gewesen, und er hätte einen nicht wiedergutzumachenden

Schaden davongetragen.

Es klopfte — Midshipman Ashton.»Mr. Meheux läßt mit allem Respekt melden, Sir, er würde gern noch ein Reff einbinden. Der Wind frischt von Nordwesten auf. «Hungrig wanderten seine Augen über die fettigen Teller.

Bolitho nickte und nahm seinen Hut. Die kurzen friedlichen Minuten waren wieder vorbei.

«Ich bin gleich oben. «An der Tür sagte er noch:»Wenn ich zurückkomme, werde ich es Ihnen nicht übelnehmen, wenn das Fleisch da verschwunden ist. «Lächelnd schloß er die Tür hinter sich. Es war das gleiche frugale Essen, das auch die Mannschaft bekam. Doch Ashton, in der nie erträumten Pracht der Kapitänskajüte an gedeckter Tafel sitzend, mußte denken, es sei ein Bankett. Was allerdings Trute dazu sagen würde, war schwer vorstellbar.

Die Morgenwache hatte noch eine Stunde Dienst, als Bolitho am nächsten Tag aufs Achterdeck kam. Obwohl er mehrfach in der Nacht aufgestanden und oben gewesen war, fühlte er sich bemerkenswert frisch, und in seiner Schulter hatte er zwar ein wundes Gefühl, aber nicht eigentlich Schmerzen. Er hielt inne und warf einen Blick auf den kardanisch aufgehängten Kompaß. Kurs Nordost, wie schon bei der letzten Inspektion vor Sonnenaufgang.

Der Himmel war sehr klar, wie frisch gewaschen; unter einem frischen Nordwest erstreckte sich die See in kleinen, weißbemähnten Wellen endlos bis zur Kimm.

Während Bolitho in seinem Frühstück herumstocherte und langsam an einem Becher Kaffee nippte, hatte er darauf gewartet, daß ein Ruf des Ausgucks oder die trappelnden Füße eines Läufers melden würden, die Coquette sei in Sicht. Es wurde jedoch immer heller, schon waren die Geräusche von Putzwasser und Schwabber an Deck zu hören, und immer noch war kein Schiff zu sehen. Und jetzt, als er zum Achterdeck schritt und die aufsteigende Unsicherheit hinter einer maskenstarren Miene verbarg, wurde ihm klar, daß er Broughton die weitere Jagd nach der Auriga ausreden mußte.

Über siebzehn Stunden lang, seit Broughton die Coquette hinter der verlorengegangenen Fregatte hergejagt hatte, war das Geschwader, so viele Segel gesetzt wie nur irgend möglich, vorwärtsgestürmt. In der Nacht, als sie auf den jetzigen Kurs gegangen waren, hatte es ein paar atemberaubende Momente gegeben, als die Valorous wie ein Geisterschiff aus dem Dunkel auftauchte und beinahe ins Heck der Euryalus gesegelt wäre.

Vorhin, beim Kaffee in der privaten Welt seiner Kajüte hinter der Schottwand, hatte er die Karte studiert. Sie waren jetzt sechzig Meilen südlich von Ibiza und stießen immer tiefer ins Mittelmeer hinein. Ironischerweise hatte Broughtons Entschluß, die Auriga zurückzuerobern, das Geschwader in dieselben Gewässer geführt, die es gerade verlassen hatte. Sie befanden sich knapp achtzig Seemeilen nordöstlich von Djafou.

Keverne dachte, jetzt sei der richtige Moment, den Kommandanten anzusprechen.»Guten Morgen, Sir. «Er lächelte.»Wieder einmal.»

Hinter Keverne, weit draußen in Lee, standen die vollen Bramsegel der Impulsive. Broughton hatte angeordnet, daß sie als einziges Schiff die Flanke des Geschwaders sichern sollte. Sie war schneller als die anderen, und da Broughton keine weitere Fregatte zur Verfügung hatte, sondern nur die kleine Restless weit draußen an der Kimm, blieb ihm kaum eine andere Möglichkeit als diese Marschordnung.

«Signalisieren Sie bitte der Tanais, sie soll mehr Segel setzen«, sagte Bolitho.»Sie ist schon wieder zurückgefallen. «Stirnrunzelnd faßte Keverne an den Hut.»Aye, Sir. «Bolitho ging nach Luv und nahm dort seinen Morgenspaziergang auf. Die Tanais lag zwar ein wenig in Lee der Formation, aber kaum so sehr, daß unter diesen besonderen Umständen ein solches Signal gerechtfertig gewesen wäre. Jedes Schiff tat sein Bestes, und das Geschwader hatte seit der letzten Kursänderung ständig sieben Knoten geloggt.[31] Keverne dachte vielleicht, er hätte es nur befohlen, um ihn an die seinerzeitige Kollision zu erinnern. Vielleicht glaubte er auch, Bolitho hätte einfach das Bedürfnis, etwas zu tadeln.

Seine Gedanken überstürzten sich, und automatisch schritt er schneller aus. Keverne mochte glauben, was er wollte. An diesem Morgen stand mehr auf dem Spiel als Kevernes Seelenfrieden. Auf den ersten Blick schien Broughtons Hartnäckigkeit durchaus gerechtfertigt. Entweder war die Fregatte, obwohl die Coquette und die Restless vor der spanischen Küste standen, irgendwie durchgeschlüpft; oder aber, was ebenso möglich war, sie hatte die spanische Küste nicht erreichen können, ohne ihren Vorsprung einzubüßen; dann konnte es sein, daß man sie noch erwischte. Der herrschende Nordwestwind, der für Broughton so günstig war, mußte den Vorteil der Auriga rasch zunichte machen.

Doch Bolitho runzelte die Stirn, denn damit kam er nicht weiter. So war es allenfalls gestern gewesen, als noch wirkliche Hoffnung bestand, die Auriga zu fassen. Aber ihr Kommandant hatte vielleicht gar nicht die Absicht, sich nach Spanien oder Frankreich zu wenden. Vielleicht wollte er in irgendeiner geheimen Mission nach Mallorca oder Port Mahon oder sogar noch weiter ostwärts, immer weiter, mit aller Geschwindigkeit, die seine Segel hergaben.

Wäre er nicht so in seine persönlichen Angelegenheiten vertieft gewesen, in seine Wiedersehensfreude, dann hätte er Broughton vielleicht früher darauf angesprochen. Ärgerlich zog er die Brauen noch stärker zusammen. Immer dieses» Vielleicht «und» Möglicherweise»!

«Guten Morgen, Sir.»

Er blieb stehen. Vom Steuerborddecksgang blickte Pascoe auf ihn hinunter.

Bolitho lockerte sich etwas.»Na? Schon eingelebt?»

Der Junge nickte freudig.»Ich habe mir das ganze Schiff angesehen, Sir. «Dann sah er auf einmal sehr ernst drein.»Man kann sich nur schwer vorstellen, daß sich hier die Franzosen ergeben haben. «Er ging ein paar Schritte nach achtern und starrte auf die feuchten Planken.»Ich dachte an Mr. Selby, den Steuermannsmaat, der starb, um mich zu retten. Ich denke oft an ihn.»

Bolitho preßte die Hände auf dem Rücken zusammen. Würde das nie aufhören? Immer schien Hugh, den Adam nur unter dem Namen» Selby «kannte, ihm über die Schulter zu blicken, voller Spott über seine Anstrengungen, die Vergangenheit zu vergessen.

Er merkte, daß Adam ihn besorgt ansah.»Ist irgend etwas nicht in Ordnung, Sir? Ihre Wunde?»

Bolitho schüttelte den Kopf.»Ich bin heute ein schlechter Gesellschafter. Aber ich freue mich, daß du noch an Mr. Selby denkst. Auch ich kann mich nur schwer an den Gedanken gewöhnen, daß die Eurya-lus dasselbe Schiff ist, das uns damals so teuer zu stehen gekommen ist«, entgegnete er.

«Der Admiral kommt, Sir«, sagte Pascoe und entfernte sich rasch. Broughton trat an Deck und starrte mißmutig auf die Kimm.

Bolitho machte seine gewohnte Meldung und sagte dann:»Ich denke, wir sollten abdrehen, Sir. «Broughton tat, als hätte er nichts gehört.

«Vielleicht wird Gillmor sie stellen können, aber wir haben nicht viel davon, wenn wir so weitermachen, finde ich. «Broughton wandte den Kopf und sah ihn starr an.»So — finden

Sie?»

«Jawohl, Sir. Die Coquette müßte durchaus imstande sein, mit der Auriga fertig zu werden, denn die französische Mannschaft ist ganz neu auf dem Schiff. Gillmor hat sich bereits als sehr tüchtig in Einzelgefechten erwiesen.»

«Wir machen weiter. «Broughtons Kiefermuskeln traten hervor.»Die Auriga wird vielleicht versuchen, auf Gegenkurs zu gehen — und ich will sie haben!»

«Das ist, als zerschlüge man ein Ei mit einem Schmiedehammer, Sir«, erwiderte Bolitho gelassen.

Heftig fuhr Broughton herum, wutbleich im Gesicht.»Meine letzten Befehle lauten, daß ich zur Flotte nach Cadiz zurück soll, wenn ich nicht eine geeignete Basis gefunden und für uns in Besitz genommen habe. Wissen Sie, was man sagen wird? Ja? Wissen Sie es?«schrie er und wartete die Antwort nicht ab.»Man wird mir vorwerfen, daß ich nicht ein einziges Teilziel meiner Mission erreicht habe. Daß ich Kontakt mit dem Feind verlor, weil ich den Verlust der Auriga nicht verhindert habe. Das ist meine Schuld, und dafür muß ich über die Klinge springen — so verdammt einfach ist das!»

Von der anderen Deckseite blickte Meheux neugierig herüber, und der Admiral blaffte wütend:»Sagen Sie diesem Herrn da, er soll sich eine Arbeit suchen, sonst sorge ich dafür, daß er den Tag seiner Geburt ve rflucht!»

Unbewegt erwiderte Bolitho:»Der erste Bericht der Impulsive, daß sie die Fregatte gesichtet hat.»

«Die Impulsive!«unterbrach der Admiral.»Woher in Gottes Namen wissen wir denn, daß sie auch nur versucht hat, dieses verdammte Schiff zu kriegen? Sie war an der Nore-Meuterei beteiligt, ihr Kommandant tut fast, als ob er auch noch stolz darauf ist — da liegt doch die Annahme sehr nahe, daß die Mannschaft die Verfolgung verhindert hat. Vielleicht war die Auriga für sie ein Symbol ihres eigenen verdammten Hochverrats in der Nore!»

«Das ist unfair, Sir!»

«So — unfair?«Broughton hatte jetzt alle Zurückhaltung fahrenlassen und achtete überhaupt nicht darauf, daß einige Matrosen, die in der Nähe der Geschütze arbeiteten, mit gespannter Aufmerksamkeit lauschten.»Ich werde Ihnen sagen, was ich denke. «Er stieß das Kinn vor, und sein Gesicht war nur ein paar Zoll von dem Bolithos entfernt.»Ich glaube, Sie haben noch nicht einmal die Anfangsgründe der höheren Flottenführung begriffen. Sie sind beliebt, ich weiß! O ja, ich habe gesehen, wie beliebt Sie bei der Mannschaft sind!«Er hielt einen Moment inne und starrte, ohne etwas zu sehen, über die Netze.»Mir hat nie daran gelegen, bewundert zu werden oder beliebt zu sein — ich will, daß man mir gehorcht! Können Sie sich das vorstellen? Bei Gott, wenn Sie jemals Flaggoffizier werden sollten, dann werden Sie merken, daß es da keinen Mittelweg gibt!»

Bolitho erwiderte nichts, sondern sah ihn nur an. Er war immer noch wütend über diese ehrabschneiderische Attacke auf Herrick; aber gleichzeitig konnte er durchaus verstehen, wie tief enttäuscht und verzweifelt der Admiral war. Die Auriga war in der Tat ein Symbol, aber nicht in dem Sinn, den der Admiral meinte. Für ihn bedeutete sie den Beginn seiner Mißerfolge, beinahe von dem Augenblick an, als er seine Flagge an Bord gehißt hatte.

Schließlich sagte Bolitho:»Ich glaube, daß Captain Herrick die Au-riga gesichtet hat, war purer Zufall, Sir. Der Gegner muß, als er die Impulsive sah, ebenso überrascht gewesen sein wie wir es waren, daß sie so unerwartet bei uns aufkreuzte.»

Broughton riß sich aus seinen Grübeleien.»Und?»

«Wir wurden beobachtet, als wir in Gibraltar in See gingen; andere feindliche Schiffe haben uns unterwegs gesichtet, darunter solche, von denen wir vielleicht gar keine Ahnung haben. «Wieder schoß Brough-ton wütende Blicke, doch Bolitho ließ sich nicht beirren:»Überhaupt — was hat die Auriga eigentlich hier zu suchen?»

«Das weiß ich genausowenig wie Sie, Bolitho«, erwiderte der Ad-miral eiskalt,»aber ich werde sie finden und aufbringen. Wenn wir zur Flotte zurückkehren, dann als komplettes Geschwader, das jederzeit bereit ist, wieder ins Mittelmeer vorzustoßen und gemäß der mir zustehenden vollen Befehlsgewalt zu handeln!»

Er setzte zum Gehen an, befahl aber noch:»Informieren Sie mich sofort, wenn die Coquette in Sicht kommt!«Damit schritt er in die

Hütte.

Bolitho trat zur Reling und sah auf den Segelmacher und seine Maaten hinab, die jeden Quadratfuß Deck besetzt hielten und an den ausgebreiteten Segeln mit blitzenden Nadeln die nie endenden Reparaturen ausführten. Überall waren die Männer an der Arbeit: Mit Spleißen, Kalfatern, Leinen erneuern oder auch nur hier und dort, wo es besonders nötig war, einen Klecks Farbe auftragen. Eine Gruppe MarineInfanteristen enterte schwerfällig zum Vortopp auf, um dort am Drehgeschütz zu exerzieren, und auf dem Backborddecksgang sah er Pas-coe in angeregter Unterhaltung mit Meheux.

Das alles hatte Broughton eben nicht gesehen. Er sah diese Männer als eine Art Bedrohung oder bestenfalls als Verkörperungen menschlicher Unzulänglichkeit, die seine festgefügten Pläne gefährden konnten. Und doch lag gerade in den Menschen die wahre Stärke eines Schiffes, ohne die es nur totes Holz und Tauwerk war. Oft genug sprach Broughton von Loyalität, aber er hatte nie verstanden, daß das nur ein anderes Wort für Vertrauen war, und Vertrauen beruhte auf Gegenseitigkeit; es war nicht der persönliche Besitz eines einzelnen.

Bolitho fuhr hoch, denn Tothill rief:»Geschützfeuer, Sir!»

Er stützte sich auf die Reling, beugte sich weit vor und horchte angestrengt über die normalen Schiffsgeräusche hinaus. Da war es, ganz schwach, wie Brandungsrauschen in einer tiefen Grotte. Aber bei der kräftigen Brise, die von Backbord über das Achterdeck wehte, konnte es auch nur schwach zu hören sein.

Broughton, das Gesicht vor Erregung verzerrt, kam unter der Kam-panje hervorgeschossen und rannte beinahe Trute um, der ein Tablett mit leeren Bechern in Händen hielt. Der Admiral hatte keinen Hut auf, aber noch eine Schreibfeder in der Hand, wie einen Dirigentenstab.

«Hören Sie das?«Er sah sich unter den Männern der Wache um.»Ja?«Er trat neben Bolitho und kniff die Augen zusammen.»Was haben wir nun von Ihrer verdammten Vorsicht?»

Bolitho musterte ihn gelassen. Broughtons Geschimpfe erleichterte ihn mehr als daß es ihn ärgerte. Mit einigem Glück konnte Gillmor die Auriga innerhalb einer Stunde kampfunfähig machen oder sie sogar aufbringen, und dann war diese Eskapade vorbei.

«Sagen Sie dem Ausguck, Mr. Keverne, daß er sofort meldet, wenn er sie in Sicht bekommt.»

«Sir — die Impulsive signalisiert«, rief Tothill.

Ärgerlich sagte Broughton:»Na — darauf wird sich wohl Ihr Freund Herrick jetzt eine ganze Menge einbilden!»

Bolitho nahm ein Teleskop und richtete es auf den fernen Zweidek-ker. Er hatte etwas gedreht und lag schwer im Wind, der Kommandantenwimpel stand starr wie eine Lanze.

Tothill enterte in die Wanten, das mächtige Teleskop schwankte in seinen Händen wie ein widerspenstiges Kanonenrohr. Lautlos bewegte er die Lippen, und als er an Deck hinunterblickte, sah er ganz blaß aus. »Impulsive an Flaggschiff, Sir. >Unbekannte Segel in Richtung West zu Nord.<»

«Bestätigen!»

Bolitho wandte sich dem Admiral zu, der immer noch mit geneigtem Ohr auf den fernen Kanonendonner lauschte.»Haben Sie das gehört, Sir?»

Broughton starrte ihn wütend an.»Natürlich! Ich bin doch nicht taub!»

Da ertönte die Stimme des Ausgucks, und er fuhr hoch.»An Deck! Segel Backbord voraus! Ich kann Mündungsfeuer sehen!»

Broughton rieb sich die Hände.»Jetzt muß es jede Minute aus und vorbei sein mit der Auriga!»

«Ich glaube, wir sollten die Impulsive abordnen, damit sie die anderen Segel rekognosziert, Sir. «Doch es war, als spräche er zu einem Tauben. Offensichtlich hatte Broughton nichts anderes im Kopf als die beiden Fregatten, die da draußen an der Kimm miteinander fochten.

Da kam Tothill mit einer neuen Meldung:»Von der Impulsive, Sir. >Schätzung: vier unbekannte Segel! <»«

Jetzt endlich schien sich Broughton von seinen Gedanken an die Au-riga loszureißen.» Vier! Wo, zum Teufel, kommen die denn her?»

Die Impulsive wurde kleiner. Sie hatte Segelfläche gekürzt und fiel infolgedessen zurück. Bolitho biß sich auf die Lippen, froh über Herricks Initiative. So weiterzumachen wie bisher, war reiner Wahnsinn. Die gesichteten Schiffe, und es konnten nur Feinde sein, stießen mit vollem Windvorteil in die Flanke des Geschwaders. Wenn Herrick genau feststellen konnte, was sie vorhatten, mochte immer noch Zeit dazu sein, daß Broughton seine Schiffe in Gefechtsordnung manövrieren konnte.

«Geschützfeuer hat anscheinend aufgehört, Sir«, sagte Keverne.»Gut«, antwortete Broughton stirnrunzelnd,»jetzt werden wir sehen.»

«Schade, daß die Coquette so weit voraus ist«, warf Hauptmann Giffard ein.»Nun könnten wir sie gut zum Rekognoszieren gebrauchen, nicht wahr, Sir?»

«Was haben Sie da gesagt?«blaffte Broughton ihn an, und der Hauptmann schrak zurück.

Ehe er sein Sprüchlein wiederholen konnte, fuhr Bolitho in hellem Zorn zu Broughton herum:»Hol sie der Teufel, sie müssen es gewußt haben! Bestimmt hat Brice ihnen bei der Gefangennahme alles erzählt, was er wußte, und den Rest haben sie sich zusammengereimt!»

Broughton starrte ihn an, als sei er verrückt geworden; aber Bolitho sprach voll bitterer Wut weiter.»Sie haben uns die Auriga entgegengeschickt, weil sie genau wußten, wie Sie darauf reagieren würden!«Er deutete mit seinem gesunden Arm über die Netze.»Und genau den Gefallen haben Sie ihnen getan, Sir!»

«Was, zum Teufel, quatschen Sie da, Mann?»

Kalt erwiderte Bolitho:»Die Auriga war der Köder. Ein Köder, den Sie wegen Ihrer gröblich verletzten Würde einfach nicht ignorieren konnten!»

Broughton lief rot an.»Wie können Sie es wagen, so zu mir zu sprechen? Ich stelle Sie unter Arrest, ich.»

Da rief Tothill erregt hinunter: «Impulsive an Flaggschiff, Sir: unbekannte Flotte in Peilung West zu Nord.<»

Langsam schritt Bolitho zur Reling.»Nicht >Schiffe<, Sir Lucius, sondern eine ganze Flotte. «Er wandte sich zu ihm um und war auf einmal wieder ruhig.»Und jetzt werden diese Leute, denen Sie alle möglichen Verbrechen unterstellt haben, von der Faulheit bis zur Meuterei, kämpfen und sterben müssen — für Sie, Sir Lucius!«Er ließ die Worte einwirken.

«Impulsive erbittet Instruktionen, Sir«, rief Tothill mit bebender Stimme. Broughton starrte auf den Federkiel, den er immer noch in der Hand hielt.»Es war eine Falle«, murmelte er. Es klang ganz seltsam.

Bolitho sah ihm fest in die Augen.»Jawohl. Colonel Alava hatte völlig recht, auch in bezug der Absichten Frankreichs auf Ägypten und Afrika. «Er hob den Kopf und blickte auf die gischtgekrönten

Wellen.»Diese Schlacht ist für die Franzosen hochwichtig, und zwar deswegen, weil sie genau wissen, sie können uns so zerschlagen, daß wir nie wieder ins Mittelmeer vorstoßen werden. Und dann haben sie freie Bahn!»

Tothill traute sich kaum zu unterbrechen.»Von der Impulsive, Sir: >Schätzung zehn Linienschiffe<.»

Broughton konnte sich anscheinend zu keiner Reaktion aufraffen. Er stand reglos. Endlich sagte er gepreßt:»Dann werden wir eben kämpfen. «Doch es klang nicht sehr überzeugt.

Bolitho verdrängte sein Mitleid.»Wir haben auch gar keine andere Wahl, Sir. Der Feind hat den Windvorteil, und wenn wir fliehen, können sie uns nach Belieben so lange jagen, bis sie uns wie Motten am Land zerquetschen. Bestimmt sind schon von Toulon und Marseille noch mehr Schiffe unterwegs, damit die Falle auch ja genug Zähne hat!«schloß er bitter.

Der Admiral riß sich zusammen. Man sah ihm die körperliche Anstrengung an, die es ihn kostete. Er hatte die Augen zusammengekniffen und sprach kurz und abgehackt.

«Signal: >Ganzes Geschwader halsen und Feind auf Gegenkurs ansegeln^ Schiff gegen Schiff können wir…««Er sah Bolithos ablehnende Miene und stieß verzweifelt hervor:»Mein Gott — zwei gegen einen!»

Bolitho wandte sich ab; er konnte Broughtons offensichtliche Hilflosigkeit nicht mitansehen.»An Deck! Segel in Luv!»

Bolitho nickte. So waren sie also schon in Sichtweite und kamen eilig heran zum tödlichen Schlag.

Zehn Linienschiffe. Er kniff sich mit der gesunden Hand in die Seite, um sich zum Denken zu zwingen und nicht angesichts dieses Kräfteverhältnisses seinen Geist stumpf und untätig werden zu lassen. Zwei zu eins hatte Broughton gesagt; aber die Impulsive war nicht viel mehr als eine große Fregatte. Und außerdem alt; ihr Rumpf war mürbe von jahrzehntelangem schwerem Dienst. Er lächelte melancholisch. Ja, mürbe — das hatte Herrick selbst gesagt.

Doch jetzt war sein Kopf wieder klar.»Mit Ihrer Erlaubnis, Sir«, wandte er sich an Broughton,»wir sollten die Schlachtordnung ändern und zwei Formationen bilden. «Er sprach schnell; er sah den Plan vor sich wie mit Fähnchen auf der Karte markiert.»Die Franzosen kämpfen gern in feststehender Gefechtslinie. Sie haben zu lange im Hafen gelegen, als daß sie etwas wesentlich anderes hätten einexerzieren können. «Genau wie du, dachte er, als er sah, wie unsicher Broughton zuhörte.»Wir können die Formation in Luv übernehmen, mit nur der Impulsive hinter uns. Rattray kann den Keil in Lee in der bisherigen Formation führen. Wenn es uns gelingt, die feindliche Gefechtslinie an zwei Stellen zu durchbrechen, könnten wir immer noch einigermaßen günstig abschneiden. «Da er sah, daß Broughton nach wie vor unentschlossen war, wurde er beinahe grob:»Wenn Sie aber Schiff gegen Schiff und Linie gegen Linie kämpfen, werden Sie erleben, daß in Ihrem Geschwader eine halbe Stunde nach Feuereröffnung kein Mast mehr steht!»

Leutnant Bickford unterbrach:»Ich kann die Auriga sehen, Sir. «Er ließ sein großes Signalteleskop sinken.»Sie hat die Coquette angegriffen. «Es war wie der letzte Hohn auf Broughtons Wünsche.

Verloren sah der Admiral Bolitho an.»Ich gehe einen Moment nach unten. Sie sind ermächtigt, Ihren Plan auszuprobieren. «Vielleicht wollte er noch der Form halber von sich aus einen Befehl geben, tat es aber nicht, sondern knurrte wütend:»Ich wünschte bloß, Draffen wäre hier an Deck und würde selbst erleben, was uns sein Betrug kostet!»

Bolitho sah Broughton nach und winkte dann Keverne und Tothill herbei.»Signal an alle: >Geschwader geht nacheinander über Stag und nimmt dann Kurs West.<»

Keverne eilte an die Reling und rief den wartenden Matrosen Befehle zu. Pfeifen schrillten, die Männer rannten auf ihre Stationen, Signalflaggen stiegen hoch — sehr bunt standen sie gegen den bleichen Himmel.

Nachdem alle Bestätigungen gemeldet waren, sagte Bolitho:»Noch ein Signal an alle, Mr. Tothill: >Gefechtsklar!<«Er lächelte etwas mühsam in das gespannte Gesicht des Midshipman.»Ja, es sieht aus, als ob es an diesem schönen Morgen ein Gefecht gibt, also passen Sie gut auf Ihre Leute auf.»

An allen Decks herrschte jetzt Ordnung; die Unteroffiziere hakten ihre Wachrollen ab, Partridge stand bei den Rudergängern, bereit, hinter der Tanais durch den Wind zu drehen.»Alle Bestätigungen eingegangen, Sir!«rief Tothill.

Sie waren bereit.»Ausführungsbefehl!»

Keverne wartete auf den richtigen Moment: auf die Zehen gereckt beobachtete er, wie erst die Zeus und dann die Tanais mit schlagenden Segeln drehten.»Legen Sie das Schiff auf Backbordbug. Ich mache inzwischen die Gefechtsorder für die Kommandanten fertig«, sagte Bolitho zu ihm.

«Und dann, Sir?«Keverne hatte immer noch die Tanais im Auge.

«Dann können Sie Klarschiff zum Gefecht anschlagen lassen. «Er lächelte.»Und diesmal werden wir es in acht Minuten schaffen!»

«Achterdeck! An die Brassen!«brüllte Keverne.

Beim Klang seiner Stimme wandte Bolitho sich noch einmal um: Pascoe stand bei der Achterwache an den Besanbrassen, den Hut tief über das widerspenstige Haar gezogen, die Augen im grellen Sonnenlicht zusammengekniffen.

Eine Sekunde lang trafen sich ihre Blicke, und Bolitho wollte schon die Hand heben, um ihm zuzuwinken. Aber ein plötzlicher Schmerz erinnerte ihn an seine Wunde, und er sah die Bestürzung im Gesicht des Jungen; es war, als fühle er seine Schmerzen mit.

«Ruder hart Backbord! Los die Vorschoten! Hol dicht Besan!»

Matrosen rannten in alle Richtungen; unter dem Druck von Wind und Ruder kam die Euryalus unter Knarren und Stöhnen herum.

Und dann war es wieder einmal sowe it: wie ein gigantischer Elefantenstoßzahn reckte sich ihr Klüverbaum einem Feind entgegen.


  1. Log: Gerät zur Bestimmung der Schiffsgeschwindigkeit Knoten: Seemeilen (1852 m) pro Stunde