158074.fb2
XXXVI
Vallon tauchte aus Fieberträumen auf. Seine Wange lag auf einem weichen Kissen. Nach einer Weile wurde ihm bewusst, dass dieses Kissen der Busen einer Frau war. Sein Blick wanderte an dem mit Rundungen ausgefüllten Stoff aufwärts und erkannte ein milchweißes Gesicht mit kupferroter Umrahmung. Mit Mühe brachte er die Lippen auseinander. «Caitlin?»
«Nicht sprechen», sagte sie und wischte ihm die Stirn ab. «Du glühst vor Fieber.»
Vallon stellte fest, dass er unter einem Berg Felle und Pelze begraben worden war. Er triefte vor Schweiß, und sein Kopf dröhnte, als würde er gleich platzen. Erneut öffnete er mühsam die Lippen. «Wo ist Hero?»
«Er schläft. Er hat die ganze Nacht bei dir gewacht. Seit dem Kampf hat er kaum geschlafen.»
«Welche Nacht? Wie viele Tage sind inzwischen vergangen?»
«Drei. Das Fieber ist in der zweiten Nacht gekommen. Du hast im Wahn phantasiert.» Sie lehnte sich ein Stück weiter zurück, und er konnte sie besser sehen.
«Du hast dir das Haar abgeschnitten.»
Ihre Hand wanderte zu ihrem Kopf. «Es war unmöglich, es regelmäßig zu waschen, und von dem Gewicht habe ich Kopfschmerzen bekommen.»
«Ich habe Durst.»
Sie legte ihm den Arm um die Schultern und hielt ihm einen Becher an die Lippen. Ein wenig von dem Wasser lief durch seine Kehle, der Rest rann an seinem Kinn hinab. Er keuchte. «Mehr.»
Als er nichts mehr trinken wollte, hielt in Caitlin weiter in den Armen, seine Wange an ihre Brust gelegt. Schließlich ließ sie ihn vorsichtig auf sein Lager gleiten, und er sah Baumwipfel über sich vorbeiziehen.
«Ich bin schwach wie ein Kätzchen.»
«Du bist nur noch Haut und Knochen.» Caitlins Zeigefinger glitt über seinen Nasenrücken. «Schnabel und Kralle. Du siehst aus wie ein böser Geist.»
«Was macht meine Verletzung?»
«Sie heilt. Hero hat täglich den Verband gewechselt, und er ist mit der Entwicklung zufrieden.»
Das sagt er bestimmt nur, um alle zu beruhigen, dachte Vallon. «Hilf mir auf.»
«Du sollst dich nicht bewegen.»
Vallon griff nach dem Dollbord. «Ich will wissen, wo wir sind.»
Caitlin stützte ihn, sodass er sich aufsetzen konnte. «Die Wikinger sagen, wir sind kurz vor dem nächsten See.»
Hero lag zusammengerollt im Bug. Er wirkte so von Erschöpfung überwältigt, dass es Vallon einen Stich versetzte. Von ihnen abgesehen war das Boot leer. Alle anderen befanden sich an den Ufern und zogen das Boot an Tauen weiter. Etwas weiter voraus war das Langschiff der Wikinger. Sämtliche Farbe schien aus der Welt verschwunden. Graue Bäume, grauer Fluss, grauer Himmel. Vallon schoss der Gedanke durch den Kopf, dass er durch einen Übergang in die Unterwelt gezogen wurde.
Er ließ sich zurücksinken. «Ich sehe Wayland und Raul nicht.»
«Sie erkunden das Gelände vor uns. Drogo hat das Kommando übernommen, bis du wieder gesund bist.»
Vallon schloss die Augen. Caitlin war immer noch da, als er sie wieder aufschlug. «Was für eine Erleichterung, jemand anderen die Verantwortung tragen zu lassen.» Er seufzte. «Der Mensch sollte keine Angst vorm Sterben haben.»
Caitlin hielt ihm den Mund zu. «Sag nicht so etwas.»
«Ich muss mich den Tatsachen stellen. Bauchverletzungen heilen nicht.»
«Doch, das tun sie. Du wirst nicht sterben. Das erlaube ich dir nicht.»
Vallons müder Blick glitt über ihr Gesicht. «Du kannst nicht die Prinzessin sein. Die Prinzessin will meinen Tod.»
Caitlin wandte den Kopf ab. «Ich wünsche dem Mann, der den Tod meines Bruders gerächt hat, nichts Böses.»
Vallon dachte darüber nach. «Ich habe Helgi nicht gerächt. Ich habe um mein Leben gekämpft.»
Caitlins Blick kehrte zu ihm zurück. «Warum hasst du die Frauen?»
Darauf hatte Vallon keine Antwort. Hatte er in seinem Fieberwahn auf die Frauen geflucht? «Wie kommst du darauf? Ich habe meine Mutter verehrt, war meiner Schwester treu ergeben und überglücklich, als meine Tochter zur Welt kam.»
«Du hast deine Frau getötet.»
Nun musste sich Vallon zu allem Übel auch noch daran erinnern. «Ich habe sie auch geliebt.»
Caitlin sah ihm in die Augen. «Du hasst mich. Und das verstehe ich sogar. Ich bin zu stolz, zu leidenschaftlich.»
Selbst in seinem leicht benommenen Zustand fand Vallon, dass sie ein sehr merkwürdiges Gespräch führten.
«Ich hasse dich nicht», murmelte er. Am liebsten hätte er sich wieder in seine konfusen Träume geflüchtet.
«Du hast gesagt, ich hätte einen Hintern wie ein Pony.»
Das Bild von Caitlin, wie sie in dem Vulkansee badete, tauchte vor Vallon auf. Ihre weißen Brüste über dem unglaublich blauen Wasser, ihr dunkelrotes Haar wie ein Fächer auf der Oberfläche. Er lachte bei der Erinnerung, doch sofort hörte er wieder damit auf, griff sich an den Bauch und erbrach das ganze Wasser, das er gerade getrunken hatte.
Caitlin wischte ihm das Gesicht ab. Die Flecken auf ihrem Gewand schienen sie nicht zu stören. «Es tut mir leid. Ich hätte nicht damit anfangen sollen.»
Vallon würgte erneut. «Mir tut es auch leid. Können wir dieses Gespräch ein anderes Mal fortsetzen?»
Ein paar Meilen weiter stromauf sagte Raul unruhig: «Ich weiß, dass Vallons Verwundung nicht allzu schlimm aussieht, aber ich habe ein Dutzend Männer mit Bauchverletzungen gesehen, die nicht schlimmer waren als seine, und davon haben nur zwei überlebt.»
«Lass es gut sein», murmelte Wayland. Zuvor hatte Rauls Geschwätz drei besonders große Birkhühner aufgeschreckt, die daraufhin über die Baumwipfel geflattert waren, bevor Wayland auf sie anlegen konnte.
Sie gingen weiter. Unter ihren Füßen erstreckte sich ein silbriger Flechtenteppich. Eine große Eule von derselben Farbe wie das silbrige Rentiermoos saß eng am Stamm einer Tanne auf einem Ast, ein zitronengelbes Auge in einem verschwörerischen Zwinkern erstarrt. Wayland wahrte ihr Geheimnis und durchkämmte weiter den Wald nach Beute. Er hatte seit zwei Tagen nichts geschossen, und wenn er auch an diesem Tag kein Jagdglück hatte, würden die Falken zum ersten Mal hungern, seit er sie gefangen hatte. Seine Gedanken wanderten zwischen Vallons Verletzung und seinen eigenen Sorgen hin und her. Dann blieb er plötzlich stehen, als hätte sich vor seinen Füßen ein Abgrund aufgetan. Sie hatten schon zweimal Spuren von Rentierhirten gefunden, doch die waren alt gewesen. Was er jetzt sah, war eine frische Spur.
Wayland musterte den feuchten Rentier-Dung und die angenagten Zweige.
«Sieht frisch aus», sagte Raul.
Wayland erhob sich von einem Knie. «Hier sind zwei Herden vorbeigekommen. Die erste vor ein paar Tagen. Die zweite gestern.»
Dann erspähte er zwischen den Bäumen grob zurechtgezimmerte Gebilde, die sich als drei kegelförmige zeltartige Bauten aus Fichtenstämmen von zwölf Fuß Höhe entpuppten. In jedem Zelt fand sich ein Aschekreis, um den rauchgeschwärzte Steine lagen. Wayland grub seine Hand in die Asche. «Noch warm. Sie sind heute früh aufgebrochen.»
Er ging im Zickzack über den Pfad, starrte vorgebeugt auf den Boden wie ein Rutengänger, der festlegen wollte, wo ein Brunnen gegraben werden sollte. Schließlich richtete er sich auf.
«Was meinst du? Wie viele sind es?»
«Mindestens dreißig. Männer und Frauen. Alte und Junge. Sie haben Hunde dabei.» Wayland sah zuerst auf der einen, dann auf der anderen Seite den Pfad entlang. Er folgte einem Os, einem natürlichen Damm, der sich im Sumpf gebildet hatte. «Siehst du das?», sagte er und deutete auf Stapel mit Feuerholz neben den Schutzzelten. «Sie rechnen damit, dass noch mehr von ihnen hier durchkommen. Bleib von dem Pfad weg und verhalte dich ruhig. Ich warne die anderen.»
«Ach verdammt. Lass uns hier warten, bis sie uns eingeholt haben. Sie sind nicht weit hinter uns.»
Aber Wayland hatte sich schon umgedreht.
«He, Wayland.»
Der Falkner blieb in Bewegung, nur lief er jetzt rückwärts. Raul hob die Faust und senkte sie wieder. «Schon gut.»
Wayland winkte ihm zu. «Es dauert nicht lange.»
Eine Meile flussab traf er auf das Langschiff und war bald wieder zurück an der Stelle, an der er Raul allein gelassen hatte. Der Deutsche war nirgends zu sehen, und frische Spuren überlagerten die des Lappenzuges. Wayland suchte und fand schnell, was er befürchtet hatte. Er legte die Finger auf den Boden, und als er sie hob, waren sie fleckig von Blut. Die anderen, die inzwischen zu ihm aufgeschlossen hatten, beobachteten ihn schweigend. Er setzte den Hund auf Rauls Spur, und ein kleines Stück flussab blieb das Tier an einer Stelle stehen, an der die Erde aufgewühlt war. Und da war noch mehr Blut. Viel Blut, das in den Kuhlen zusammengelaufen war, die von den Kämpfern in den Boden getreten worden waren. Von dieser Stelle aus führte eine Tropfenspur zum Fluss. Wayland ging zum Ufer und sah, dass sich die Spuren auf der anderen Seite in Richtung Wald fortsetzten. Er drehte sich zu den anderen um. «Sie haben Raul.»
«Lebt er?», fragte Hero.
«Jedenfalls hat er noch gelebt, als sie ihn über den Fluss gebracht haben. Er wurde gefesselt. Und ein paar von ihnen hat er getötet.» Wayland zeigte auf die Stelle, an der er das erste Blut entdeckt hatte. «Einen von ihnen hat er dahinten erschossen, und dann wollte er fliehen. Hier haben sie ihn erwischt, und er hat noch einen getötet.»
Richard hob die Hand vor den Mund. «Was machen wir jetzt?»
Wayland starrte zum anderen Ufer hinüber. «Ich folge ihnen. Es nutzt nichts, wenn noch jemand mitkommt. Wenn wir sie zu sehr unter Druck setzen, bringen sie Raul um und verschwinden in den Wäldern.»
«Wahrscheinlich haben sie ihn schon getötet», sagte Drogo. «Wir werden vermutlich vorm Dunkelwerden am Onega-See sein. Dort warten wir bis morgen Abend auf dich. Wenn du bis dann nicht bei uns bist, gehe ich davon aus, dass du tot bist.»
Da ertönte hinter ihm eine Stimme. «Das sind ganz schön viele Vermutungen, oder?»
Vallon stand, gestützt von Garrick, im Boot. Er sah aus wie ein Toter, der aus dem Grab auferstanden ist, und seine Augen, die tief in violetten Höhlen lagen, erinnerten an dunkel glitzernde Flintsteinsplitter.
Drogo straffte sich. «Ich habe im Interesse der Gemeinschaft gesprochen.»
Wayland begann, dem Hund die Lederrüstung anzulegen.
Vallons tödlicher Blick ließ Drogo nicht los. «Gib ihm deine Rüstung.»
Drogo trat vor Erstaunen einen Schritt zurück. «Ein Bauer soll meine Rüstung tragen?»
Wayland schüttelte den Kopf. «Ich will sie nicht. Je weniger ich schleppen muss, desto schneller hole ich sie ein.»
«Du holst eine Horde Lappen ein, die uns für Sklavenhändler halten.» Vallon wandte sich wieder an Drogo. «Leih ihm deine Rüstung.»
Mit verkniffenem Gesicht warf Drogo Wayland die Rüstung hin. Der Falkner nahm nur das Kettenhemd. Der klaffende Spalt in der Bauchgegend war notdürftig geflickt worden.
«Du brauchst ein Schwert», sagte Vallon. «Drogo, ich werde nicht von dir verlangen, dich von deinem Schwert zu trennen.» Sein Blick schweifte zu Tostig, einem von Helgis Männern. «Gib Wayland dein Schwert.»
Beim ersten Laut des Widerspruchs fiel Caitlin mit einer zornentbrannten Tirade über Tostig her. Er schnallte seinen Schwertgürtel ab, und Wayland legte ihn an.
«Welchen Plan hast du?», fragte Vallon.
«Ich werde um Rauls Leben handeln.»
Vallon schnippte mit den Fingern. «Arne, du hattest schon mit den Lappen zu tun. Was meinst du, was wäre ein ausreichendes Angebot für sie?»
«Eisen und buntgefärbte Stoffe sind ihnen am liebsten. Vor allem Eisen. Ein Messer, eine Axt und sechs Ellen Tuch könnten reichen.»
Hastig wurden die Gegenstände zusammengesucht. Wayland packte alles und zusätzlich Brot und Fisch in seinen Rucksack. Dann nahm er Syth für einen Augenblick an beiden Händen, bevor er den Fluss überquerte. Gleich darauf verschwand er zwischen den Bäumen.
Jedes Kind hätte den Spuren der Lappen folgen können. Sie bewegten sich schnell, ein Dutzend Männer zerrten Raul vorwärts, während er sich trotz seiner Fesseln wehrte. Der bewölkte Himmel ließ kaum Rückschlüsse auf die Tageszeit oder die Richtung zu. Wayland nahm an, dass die Dunkelheit nicht mehr lange auf sich warten lassen würde und die Lappen Richtung Osten zogen. Sie hielten sich auf dem gewundenen Damm, und als Wayland schätzte, etwa sechs Meilen weit gelaufen zu sein, blieb der Hund stehen und witterte. Vermutlich hatten die Lappen Männer abgestellt, die nach Verfolgern Ausschau halten sollten, und Wayland hoffte, mit dieser Nachhut verhandeln zu können, statt sich mit der Hauptgruppe auseinandersetzen zu müssen. Aus der Art, wie der Hund knurrte und angriffslustige Blicke nach rechts und links warf, konnte Wayland schließen, dass sie ihn beobachteten und dass einer von ihnen hinter ihm war.
Er ging weiter. Das Tageslicht wurde schwächer, als sich der Wald auf eine natürliche Allee öffnete. Am Ende dieser Allee waren zwei Fichtenwipfel herabgezogen und mit Tauen verankert worden, sodass sie einen Bogen bildeten. Vom Scheitelpunkt des Bogens hing ein dunkles Bündel herab. Es war Raul, der zwanzig Fuß über dem Boden an Händen und Füßen zwischen den Bäumen aufgespannt worden war.
Wayland hängte sich den Bogen über die Schulter und nahm die Eisenwerkzeuge und den Stoff aus dem Rucksack. Mit ausgestreckten Händen ging er weiter, als wolle er die Gaben unter den baumelnden Mann legen. Auf beiden Seiten des breiten Weges erhoben sich Lappen aus dem Gebüsch. Sie trugen Kapuzenkittel aus Rentierhäuten. Die Fellseite zeigte nach innen, und die Kapuzenränder waren mit Wolfs- oder Fuchspelz verbrämt. Es war ein kleingewachsenes Volk, die Männer kaum größer als fünf Fuß, jedoch mit ausgewogenem Körperbau und den boshaften Zwergen ganz und gar nicht ähnlich, als die sie von den Wikingern beschrieben wurden. Die meisten trugen kleine Bögen oder Steinäxte, und einige hatten Hörner aus Birkenrinde aufgesetzt. Wayland sah niemanden mit Rauls Armbrust. Wahrscheinlich wussten sie nicht, wie man sie benutzte, oder sie hatten nicht genügend Kraft, um sie zu spannen.
Kurz vor dem Bogen blieb Wayland stehen. Raul hing dort mit nach oben gezogenen Armen, das Kinn war ihm auf die Brust gesunken. Seine Kleidung war zerfetzt und fleckig. Bei seinem Anblick musste Wayland an die blutenden Christusfiguren denken, die er hinter Kirchenaltären gesehen hatte. Er hatte Raul nie anders als stark wie einen Ochsen erlebt, und es war ein Schock für Wayland, ihn in einem so beklagenswerten Zustand vor sich zu haben.
«Raul, kannst du mich hören? Raul!»
Der Deutsche hob ganz leicht den Kopf. «Bist du das, Wayland?» Seine Stimme war nur noch ein heiseres Krächzen. Sein Gesicht war blutig und angeschwollen, und eines seiner Augen war ihm ausgestochen worden. «Sie haben mich bei einem Schläfchen erwischt. Sie haben mich angegriffen, ehe ich mich’s versah. Das sind verschlagene Teufel.»
«Wie viele hast du getötet?»
«Drei, glaube ich. Einer war noch ein Kind. Ich habe auf den ersten geschossen, den ich gesehen habe, und dann die Beine in die Hand genommen. Sie haben mich mit Schlingen zu Fall gebracht, und dann haben sie sich allesamt auf mich gestürzt. Sie haben mir die Rippen und weiß Gott was sonst noch alles gebrochen.» Er hustete und atmete mit einem pfeifenden Geräusch ein. «Ich habe schwere Verletzungen, Wayland.»
«Rede nicht mehr. Ich hole dich da runter.»
Raul schüttelte den Kopf. «Nicht einmal du kannst meinen Arsch retten. Die Heiden da unten wollen die Seile nur noch durchhacken. Wenn du mir einen Gefallen tun willst, dann erlöse mich von meinem Elend.»
«Ich werde mit ihnen handeln. Du musst einfach …»
Ein heiseres Lachen. «Ich gehe nirgendwo mehr hin.»
Wayland legte seinen Bogen auf die Erde und das ausgeliehene Schwert darauf.
Raul atmete keuchend ein und hustete mühsam. «Es hat keinen Zweck, wenn wir beide sterben.» Seine Stimme wurde schwächer. «Du weißt, was sie tun werden. Sie werden mich mittendurch reißen.» Sein Körper verkrampfte sich. «Ich hätte nie gedacht, dass ich wie einer von diesen Märtyrern abtrete.»
«Du wirst nicht sterben», sagte Wayland. Er sah zu den Bäumen hinüber, suchte nach dem Anführer. Einige der Bogenschützen waren Frauen und andere noch grün hinter den Ohren. Er suchte sich einen älteren Mann aus, der aussah, als könnte er kühlen Kopf bewahren, und ging mit den Tauschwaren in den Händen auf ihn zu. Er war fünf oder sechs Schritte gegangen, als die Lappen einen Warnschuss abgaben und der Pfeil nur wenige Fuß vor ihm in den Boden fuhr. Er warf einen Blick zurück auf seine Waffen. Noch ein halbes Dutzend Schritte und er würde sie nicht mehr erreichen können, falls die Lappen angriffen. Seine Zunge blieb ihm am Gaumen kleben. Er legte dem Hund eine Hand auf die Schulter.
«Wayland», rief Raul mit einer Stimme, die aus seinem Innersten zu kommen schien. «Ich schätze es hoch, dass du mir nachgekommen bist. Sehr hoch. Du hast mehr getan, als jeder Kamerad verlangen kann, und ich flehe dich an: Rette dich selbst. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, aber ich habe noch eine Bitte.»
Wayland verzog das Gesicht, um die Tränen zurückzuhalten. «Dann los.»
Raul zog keuchend den Atem ein. Er konnte seinen Brustkorb nicht mit Luft füllen und erstickte langsam. «Du weißt, wie ich damit angegeben habe, mit einem Haufen Silber nach Hause zurückzukehren. Darüber hast du nur gelächelt und den Kopf geschüttelt, als wüsstest du, dass ich meinen Gewinn nur vergeuden würde. Und nun sieht es so aus, als hätte ich keine Gelegenheit mehr, dir das Gegenteil zu beweisen.» Raul schwieg einen Moment, und sein Kopf sackte nach vorn. «Ich jammere nicht. Ich wollte dir sagen, Wayland: Diese letzten paar Monate waren die besten meines Lebens.» Raul versuchte sich in seiner Fesselung anzuspannen, um den Druck von seinen Lungen zu nehmen. «Ich habe nichts mehr davon, aber falls mir ein Anteil Silber zusteht, kannst du dann dafür sorgen, dass es zu mir nach Hause gelangt? Ich weiß, Vallon hat gesagt, dass wir nur beteiligt werden, wenn wir Gewinn machen. Aber ich glaube nicht, dass der Hauptmann mir ein paar Münzen missgönnt. Er ist kein schäbiger Kerl.»
Wayland konnte nicht sprechen. Er schüttelte den Kopf.
«Ich weiß, dass du es nicht selbst erledigen kannst. Aber ich und der alte Garrick haben uns mal unterhalten, und er sagte, wenn er es bis nach Nowgorod schafft, dann will er wieder nach Hause. Ich habe ihm gesagt, er soll nach meiner Familie schauen, und auch, dass es dort gutes Land gibt, wenn er wieder Bauer sein will. Und ich habe ihm von meinen beiden Schwestern erzählt. Er könnte Dümmeres tun, als eine von ihnen zu nehmen, damit sie ihm das Bett wärmt.»
Wayland schluckte den Kloß hinunter, den er in der Kehle hatte. «Ich kümmere mich darum, mein Freund, aber so weit ist es noch lange nicht.» Er wischte sich die Hände an den Oberschenkeln ab.
Raul lachte herzzerreißend. «Ich kenne dich schon so viele Jahre, und jetzt nennst du mich zum ersten Mal ‹Freund›. Bete für meine Seele, Wayland.»
Wayland trat einen weiteren Schritt vor. Darauf wurde ein Horn geblasen, und die Lappen schossen einen Pfeilhagel ab. Mindestens drei Pfeile trafen Wayland, doch die Bögen der Nomaden waren leicht, und ihre Knochenspitzen zersplitterten an seiner Rüstung. Er rannte zurück zu seinen Waffen, während der Hund mit ein paar schreckenerregenden Sätzen vorwärtsstürmte, sodass die Lappen zurückwichen. Wayland sah einen Pfeilschaft aus der Lederrüstung des Hundes ragen.
Er nahm den Bogen in die Linke, das Schwert in die Rechte, und rannte brüllend auf den Bewacher an einem der Spannseile zu. Noch bevor er bei ihm war, hörte er ein Schnarren – und dann noch eins –, und die beiden Bäume richteten sich rauschend auf. Wayland sah, wie sich die Seile spannten, an die Raul gebunden war.
«Nein!»
Raul schien in den Himmel hinaufzufliegen, dann gab es ein Bersten und Platzen, und die beiden Hälften seines Körpers wurden auseinandergerissen und schwangen zu den schwankenden Bäumen zurück. Blut und Innereien regneten auf Wayland herab. Etwas Warmes und Feuchtes erstickte seinen Schrei. Von den Lappen kam lautes Gebrüll. Sie griffen an, und Wayland rannte zum Ende der Allee und wusste, dass sie ihn einholen würden, bevor er dort war. Ein weiterer Pfeil traf ihn am Brustkorb, und die Spitze durchbohrte das Kettenhemd. Ein Junge sprang ihm in den Weg und wollte ihm einen Speer in die Brust rammen. Wayland packte die Waffe vorn und zerhackte den Schaft. Der Aufprall und seine Gegenwehr brachten ihn aus dem Gleichgewicht. Er taumelte und fiel zu Boden. Noch während er sich wieder aufrappeln wollte, sah er ein paar Füße, die sich vor ihm aufpflanzten. Als er aufsah, hatte er einen Mann vor sich, der mit seiner Steinaxt ausholte. Wayland rollte sich zur Seite und schwang dabei das Schwert im Halbkreis herum. Es traf die Fußknöchel des Axtmanns, der mit einem Schrei zu Boden stürzte.
Wayland kam wieder auf die Beine und kämpfte sich wütend zwischen seinen Angreifern hindurch. Viele schreckten vor ihm zurück, schrien, als hätten sie es mit einer übernatürlichen Gewalt zu tun. Ein Mann war wie hypnotisiert, und Wayland stieß ihn zur Seite. Schließlich ließ er die Angreifer hinter sich, und der Hund tauchte hechelnd neben ihm auf, zwei Pfeile in seiner Lederrüstung und mit Blut vor dem Maul. Das Tier sah Wayland an, als wollte es sagen: «Und jetzt?»
Wayland zuckte zusammen. Vor ihm war eine Bewegung aufgetaucht. Eine Rentierherde. Hunderte Tiere, die wie Wasser in grauen und braunen Strömen davonjagten. Er hastete so schnell wie möglich weiter, um mit den Tieren Schritt zu halten. Eine halbe Meile weiter schwenkten die Rentiere nach rechts ab. Als die Nachzügler an ihm vorbeigaloppierten, wandte er sich nach links.
Bei einem Blick über die Schulter sah er keine Verfolger mehr. Die Rentiere hatten seine Spuren ausgelöscht. Vielleicht genügte den Lappen Rauls Tod als Rache, und die Verletzungen, die er einigen von ihnen beigebracht hatte, mussten ihre Kampflust stark gedämpft haben. Er verlangsamte seinen Schritt, betastete eine Stichwunde.
Da wirbelte der Hund herum. Wayland drehte sich um und sah eine Hundemeute auf sich zuhalten. Das Leittier war ein blassgrauer Wolf mit blauen Augen. Der Wolfshund griff ohne Zögern an, und der Hund stellte sich ihm entgegen und warf ihn in einem Knäuel aus Fell und gebleckten Zähnen zu Boden. Als sich der Hund aus der Verklammerung löste, bewegte sich sein Angreifer in unkontrollierten Zuckungen. Nun kamen die übrigen Tiere der Meute heran, doch statt Wayland anzugreifen, fielen sie über das verletzte Leittier her.
Schatten glitten hinter den Bäumen vorbei. Eine hundert Schritt lange Reihe Lappen. Waylands Hund rannte auf ihn zu, blutiger Speichel troff von seinen Lefzen. Die Lappen kamen bei der Hundemeute an und trieben sie mit Peitschen und Stiefeltritten auseinander.
Wayland unternahm keinen weiteren Fluchtversuch. Er pflanzte sein Schwert vor sich auf und machte seinen Bogen bereit. Der Hund knurrte. «Genug getötet», rief Wayland. Tränen der Wut und Machtlosigkeit verschleierten seinen Blick. «Bitte. Es tut mir leid, dass Raul ein paar von euren Leuten getötet hat, aber wir sind keine Sklavenhändler. Niemand jagt euch.»
Die Lappen wechselten Blicke, schöpften Mut aus ihrer enormen Überzahl und griffen wieder an. Wayland schoss und wartete nicht ab, um zu sehen, ob der Pfeil traf, bevor er hakenschlagend davonlief. Er rannte jetzt planlos durch den Wald, nahm immer nur die Richtung mit dem einfachsten Gelände. Der Lärm der Verfolger ebbte ab. Er rannte weiter.
Um zum Fluss zurückzukommen, musste er einen großen Bogen laufen. Er warf einen prüfenden Blick zum Himmel hinauf. Bald würde es dunkel werden. Er ließ sich in einen langsameren Trab fallen. Das Kettenhemd wog sicher dreißig Pfund, aber wenn er es nicht gehabt hätte, wäre er längst tot.
Er dachte gerade, er hätte sich in Sicherheit gebracht, als ihn der Anblick von Rentierspuren unvermittelt zum Stillstand brachte. War er im Kreis gelaufen? Nein. Es war die Spur der Herde, die das Zeltlager am Morgen verlassen hatte. Sie konnten nicht weit vor ihm sein. Sein Blick wanderte herum. Da wurde hinter ihm ein Horn geblasen, und dann, näher und vor ihm, wurde das Signal von einem zweiten Horn beantwortet. Gleich hätten sie ihn eingekreist. Wayland lief seitlich in den Wald.
Er konnte nur noch langsam traben, und in Sicherheit war er noch lange nicht. Die Lappen würden seine Spuren verfolgen, und sie würden alle Pfade beobachten, die zum Fluss führten. Wayland erreichte einen Sumpf, der seine Flucht in ein langsames, vorsichtiges Vorantasten verwandelte. Der triste Wolkenhimmel verriet nichts über die Richtung, in der die Sonne untergehen würde. Aus dem Flechtenbewuchs der Bäume schloss Wayland, dass er nordwärts ging.
Die Dämmerung wurde zur Dunkelheit und dann zu einer Nacht, wie sie schwärzer nicht sein konnte. Sogar als er sich von dem Hund führen ließ, entdeckte er keinen Weg zwischen den Tümpeln und Sumpflöchern. Als er zum dritten Mal bis zu den Knien eingesunken war, fand er sich damit ab, dass er warten musste, bis sich die Wolken verzogen hatten oder es hell wurde. Er tastete sich in ein Erlengebüsch und suchte sich ein trockenes Plätzchen. Irgendwo in den Wäldern wurde ein Handtrommel geschlagen. Aus einer anderen Richtung kam eine Antwort. Die Trommeln verkündeten ihre Botschaften, und dann schwiegen sie.
«Sie machen ihre Pläne für morgen», erklärte Wayland dem Hund.
Er teilte das Essen auf und richtete sich auf eine Nacht in dem Gehölz ein. Seine Kleidung war bis zur Taille feucht, und er fror erbärmlich. Das Kettenhemd sog ihm die Wärme aus dem Körper, und er zog es aus. Dann tastete er nach der Pfeilwunde an seiner Seite. Es war nur ein kleiner Stich, aber trotzdem schmerzhaft. Der Hund schob seinen Kopf auf Waylands Brust. Wayland ließ sein Gesicht auf das faltige Nackenfell sinken, strich dem Hund über die Ohren und flüsterte ihm ein Wiegenlied zu, das seine Mutter oft gesungen hatte.
Er verbrachte eine höllische Nacht und wachte zitternd vor Kälte aus einem unruhigen Halbschlaf auf. Es war immer noch stockdunkel. Er zwang sich aufzustehen und beugte und streckte sich, bis sein Kreislauf wieder in Gang kam. Er suchte am Himmel nach Spuren der Morgendämmerung. Als eine Krähe über ihm schnarrte, wusste er, dass es Zeit zum Aufbruch war. In seiner Zeit in den Wäldern hatte er gelernt, dass die erste Krähe in der Luft ein sicheres Zeichen für den heraufziehenden Tag war. Er streifte das Kettenhemd über und tastete sich dann, immer mit einer Hand den Hund festhaltend, durch den Sumpf. Wenn er eine Meile weit kam, bevor die Lappen ihre Verfolgung wiederaufnahmen, würden sie ihn wahrscheinlich nicht mehr einkreisen können.
Die Morgendämmerung stieg auf wie ein grauer Nebel, sodass er nicht feststellen konnte, aus welcher Richtung sie kam. Keine Spur von der Sonne, an der er sich hätte orientieren können. Vereinzelte Bäume hoben sich aus der Dämmerung. Nur die Bäume in seiner nächsten Nähe waren klar zu erkennen, alle anderen waren schemenhafte Phantome.
Als es hell wurde, suchte er immer noch seinen Weg durch das Moor. Mit seinen Schritten drückte er Wasser aus dem Boden und verursachte saugende Geräusche. Er blieb häufig stehen, um die Erde vor sich zu mustern, die wie ein Schwamm unter seinem Gewicht waberte. Einmal gab sie nach, und er versank bis zur Hüfte. Wenn der Hund nicht gewesen wäre, um ihn mit seinen Kräften zu unterstützen, hätte er sich wohl nie mehr aus dem Sumpfloch befreien können.
Schließlich begriff er, dass der Trick darin bestand, eher gleitend zu laufen und keine Stelle mit seinem vollen Gewicht zu belasten. Er begann sich schneller vorwärtszubewegen und sah bald Kiefern vor sich, die trockeneren Grund anzeigten. Als er darauf zulief, hallte der pfeifende Ruf eines Spechts durch die Stille. Wayland achtete nicht darauf, bis ein weiterer, schrillerer Vogelruf ertönte. Er blieb stehen und versuchte zu bestimmen, aus welcher Richtung die Geräusche gekommen waren. Dann schlug der erste Vogel wieder an, links und etwas hinter ihm. Der zweite Vogel antwortete, ebenfalls hinter Wayland, aber von rechts. Wayland hatte die Vögel schon einmal gesehen, die solche Rufe ausstießen. Sie waren doppelt so groß wie die Spechte, die er von zu Hause kannte, und ihre Rufe waren ihm vertraut. Allerdings hatte er sie nie in einem solchen Duett gehört. Beim dritten Austausch der Rufe wusste er, dass sie nicht von Vögeln stammten.
«Sie haben unsere Spur gefunden.»
Er hastete auf den sicheren Grund zu, während hinter ihm immer noch Signale ausgetauscht wurden. Als er auf einer Erhöhung angekommen war, musterte er die Umgebung. Er war am Vortag nicht an dieser Stelle vorbeigekommen, und auf dem Boden fanden sich weder menschliche Spuren noch Abdrücke von Rentierhufen. Er klopfte dem Hund auf den Hals. «Sieht so aus, als wären wir früher aufgestanden als sie.»
Er verfiel in einen leichten Trab. Die Signale hinter ihm wurden leiser, und Wayland erlaubte sich den Gedanken, dass er den Fluss ohne weitere Zwischenfälle erreichen könnte.
Doch ein weiterer Vogelruf von vorn ließ ihn erstarren, als sei er gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen. Er schlich weiter, spähte immer wieder angestrengt zwischen den Bäumen hindurch. Der Hund stellte das Nackenfell auf, und ein dunkles Knurren kam tief aus seiner Kehle.
Wayland legte einen Pfeil ein und spannte den Bogen. «Ich weiß, dass ihr da seid.»
Stille.
Er ließ seinen Blick über die Baumlandschaft wandern. «Ihr geht mir besser aus dem Weg. Ihr habt es nicht mit einem verirrten Wikinger zu tun.»
Die Bäume ragten in grauen, geisterhaften Formen vor ihm auf. Hinter ihm kamen die entnervenden Vogelrufe näher. Er hängte sich den Bogen über die Schulter und zog sein Schwert.
«Ich komme jetzt, und ich töte jeden, der versucht, mich aufzuhalten.» Er zog die Kettenhaube über den Kopf und hob das Schwert. Der Hund beobachtete ihn mit heraushängender Zunge.
«Los!»
Er rannte mit voller Geschwindigkeit, als eine Gestalt hinter einem Baum hervortrat und ein Seil zischend und so geschickt über dem Kopf schleuderte, dass es wirkte wie eine Verlängerung ihrer Hand. Wayland wich aus und sah aus dem Augenwinkel noch ein Seil, das aus einer anderen Richtung auf ihn zuschoss. Die dritte Schlinge sah er nicht. Sie fiel über seine Schultern, zog sich fest, und bremste seine Vorwärtsbewegung mit solcher Wucht, dass er rücklings von den Füßen gerissen wurde und es ihm den Atem aus den Lungen presste. Er setzte sich auf. Benommen sah er zwei Männer an dem Seil ziehen, und dann sah er sie das Seil hinwerfen, als sich der Hund auf sie stürzte.
Waylands linke Seite war durch den Sturz von der Hüfte bis zur Schulter wie betäubt. Er kam langsam auf die Füße und wurde sofort von einem weiteren Lasso wieder zu Boden gerissen. Die nächste Schlinge fiel über seinen Schwertarm und drohte ihm die Waffe aus der Hand zu ziehen. Er war gestellt und gefesselt, und ohne den Hund wäre es ihm ebenso ergangen wie Raul. Den Lederharnisch mit Pfeilen gespickt, griff das Tier einen der Männer an den Seilen nach dem anderen an, warf sie um, grub seine Zähne in ihr Fleisch, schlug sie in die Flucht.
Die Seile waren immer noch um Wayland festgezogen, doch er hatte weder das Bewusstsein noch sein Schwert verloren. Als das letzte Seil durchgeschnitten war, hastete er vorwärts, als wollte er sich von dieser Welt in die nächste werfen. Die Rufe der Männer, die den Hinterhalt gelegt hatten, wurden schwächer. Wayland wusste jetzt, wo er war. Er war auf dem Weg, der am Fluss entlangführte. Er gab dem Hund einen Klaps. «Wir sind durch!»
Der Hund ließ sich fallen, bog den Rücken durch und leckte an seinem Bauch.
Wayland rannte zu ihm. «Was ist?» Er nahm den Kopf des Hundes in beide Hände und zog ihn hoch. «O Gott.»
Ein abgebrochener Pfeilschaft steckte im Unterleib des Hundes. Es war nicht zu erkennen, wie tief die Pfeilspitze eingedrungen war. Der Hund lag auf der Seite, als forderte er Wayland auf, sich um die Wunde zu kümmern. Er legte ihm eine Hand auf den Kopf, und der Hund leckte ihm kurz über die Finger und wandte den Blick ab. Wayland griff nach dem Pfeilschaft und zog behutsam. Der Hund winselte leise. «Schsch», flüsterte Wayland. Er zog stärker, spürte Widerstand, und der Hund jaulte auf und nahm Waylands Handgelenk zwischen die Kiefer. Behutsam löste er seine Hand aus dem Maul. Der Pfeil hatte Widerhaken und war tief eingedrungen. Mit schwimmendem Blick dachte Wayland über einen Ausweg nach. Der Hund hechelte, den Blick seiner Topasaugen in die Ferne gerichtet. Doch von dort kam keine Hilfe, nur die Lappen stürmten zwischen den Bäumen auf sie zu.
Er zog den Hund hoch. «Komm schon. Ich kümmere mich um den Pfeil, wenn wir zurück beim Boot sind.»
Etwa hundert Schritte weit blieb der Hund mit Wayland gleichauf. Dann hielt er wieder an stieß ein so jämmerliches Winseln aus, wie es Wayland nicht mehr von ihm gehört hatte, seit er ein Welpe gewesen war. Das Tier sah ihn an. Die Lappen kamen näher. «Los!», befahl er und klatschte in die Hände. «Wir sind schon fast am Fluss. Hero wird dir den Pfeil im Handumdrehen herausziehen. Komm!»
Doch der Hund sah ihn nur unentwegt an, und was er sagen wollte, war so offensichtlich, dass Wayland aufstöhnte. Es gab keine Heilung für diese Wunde. Die Widerhaken des Pfeil hatten sich so tief in die Eingeweide des Hundes gebohrt, dass kein Chirurg sie entfernen konnte.
Die Lappen waren nur noch fünfzig Schritt weit weg. Wayland kniete sich vor den Hund. «Komm! Bitte!»
Der Hund sah ihn ein letztes Mal an. Dann drehte er sich zu den Lappen um, schüttelte sich, und stürmte auf sie los. Wayland sah ihn einen der Angreifer zu Boden werfen, und dann verschwand er, verschluckt von einem Trupp Kämpfer mit Äxten und Speeren. Als das wilde Hacken und Stechen aufhörte, hockten sich die Lappen auf den Boden und machten sich mit Seilen und Ästen zu schaffen. Als sie aufstanden, trugen sie den Kadaver des Hundes an einen Ast gebunden davon. Vier Männer waren notwendig, um ihn hochzustemmen. Sie schulterten ihre Trophäe und hasteten in den Wald.
Wayland fand den Fluss und ging stromaufwärts. Die Wolken verzogen sich, die Sonne kam durch. Und sie sank als trüber roter Ball, als er das Langschiff am Nordufer des Onega-Sees erreichte. Seine Gefährten erhoben sich, als er ins Lager hinkte. Sie öffneten den Mund, um ihn auszufragen, doch dann lasen sie ihm die Antworten vom Gesicht ab und schwiegen. Syth rannte auf ihn zu und schloss ihn in die Arme. Er hielt sie an sich gedrückt und strich ihr übers Haar.
Vallon trat zu ihm. «Der Hund auch?»
Wayland nickte.
«Das tut mir leid. Bist du verletzt?»
«Ein kleiner Stich von einem Pfeil und ein paar Prellungen. Nichts Ernstes.»
«Das sagst du. Ich möchte, dass Hero dich untersucht. Danach essen und schlafen.»
Wayland schob sich an ihm vorbei. «Ich kann nicht schlafen, wenn die Falken hungern.»
«Ich habe sie gefüttert», sagte Syth. «Vallon hat eines der Pferde schlachten lassen. Wir haben genügend Fleisch für die Falken, bis wir in Rus sind.»
Vallon nickte. «Ich habe dir ja gesagt, dass ich sie nicht hungern lassen würde.»
Wayland erwachte im Langschiff, das eine Ufer nur noch ein schwacher Umriss, das andere unsichtbar. Sie brauchten vier Tage, um den See zu überqueren, und das Einzige, was er von dieser Überfahrt im Gedächtnis behielt, waren die Gänse, die in langen, unregelmäßigen Reihen über sie hinwegflogen und zehntausendfache Klagerufe ausstießen.