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Bolitho befestigte gerade hastig sein Halstuch, als Tyrell den Kopf durch das Kajütenskylight steckte und rief:»Die Bacchante hat signalisiert, Sir! Bitten Kapitäne an Bord!«»Ich komme sofort hinauf.»
Er warf sich den Rock über und blickte sich in der Kajüte um. Er sah Colquhoun nicht sehr oft, hatte aber gelernt, daß es am besten war, nichts zu vergessen.
An Deck wurde die Gig bereits über Bord gelassen, und als er zur Fawn hinüberblickte, sah er, daß deren Boot bereits im Wasser war und Maulby sich beeilte, hineinzukommen.
Es war früher Nachmittag, und Bolitho spürte das brennendheiße Deck durch seine Schuhe hindurch. Die ganze Nacht waren sie, die Fawn so nahe wie es die Sicherheit eben noch zuließ, gen Süden gefahren und hatten die Sandbänke und Untiefen zehn Meilen backbords liegen lassen. Es hatte aber länger gedauert als gehofft, die Bacchante zu finden; sobald der Ausguck ihre Marssegel gesichtet hatte, flaute der Wind bis auf eine müde Brise ab, und die Sonne brannte mit sengender Glut.
Während Bolitho darauf wartete, daß die Mannschaft die Gig fertig machte, wandte er sich um und schaute zu dem formlosen, blauen und purpurroten Klumpen hinüber, von dem er wußte, daß es das westliche Ende der großen Bahamainsel war. Colquhoun ging kein Risiko ein. Er war weit genug vom Land entfernt, um entweder selbst reichlich Aktionsraum zu haben oder den Feind daran zu hindern, seine Absichten zu erkennen.
«Gig ist klar, Sir.»
Schnell ging er zur Schanzkleidpforte und sagte zu Tyrell:»Achten Sie besonders auf Kundschafter. Schicken Sie einen Kutter aus, wenn sie näher kommen. Warten Sie meine Befehle nicht ab.»
Gleich darauf saß er im Boot und setzte sich auf eine heiße Ducht. Stockdale stand an der Pinne und dirigierte das Boot auf die Fregatte zu.
Die Bacchante hatte beigedreht, ihre Segel flappten lose, und man sah ihren kupfernen Rumpf, als sie unruhig in der Dünung rollte. Ein feines Schiff, dachte Bolitho. Schön geschnitten und von einem Fachmann entworfen. Mit sechsunddreißig Geschützen und der Möglichkeit, viele Monate mit ihren eigenen Vorräten auszukommen, war sie, oder sollte es jedenfalls sein, ein Traumziel für den Ehrgeiz jedes jungen Kapitäns. Sie schien überhaupt nicht zu Colquhoun zu passen.
Stockdale murmelte vor sich hin, und Bolitho wußte, daß er seinen Gegenspieler von der Fawn verfluchte, der es immer irgendwie schaffte, sein Boot etwas schneller ans Ziel zu bringen.
Die Gig drehte sich etwas, die Riemen schwangen gemeinsam hoch, als der Bootsmann an der Jakobsleiter der Fregatte festmachte. Der über sie fallende Schatten der Bacchante gönnte ihnen eine kurze Pause vor der flirrenden Hitze.
Bolitho kletterte an Bord, schwang grüßend seinen Hut und nahm wieder Haltung an, als die Bootsmannspfeifen zum Salut schrillten und einige Matrosen in roten Röcken ihre Musketen präsentierten. Der Erste Leutnant, ein hagerer, gequält aussehender junger Mann, verneigte sich knapp.
«Der Kapitän ist achtern, Sir. Er arbeitet seine Taktik aus, andernfalls.»
Maulby trat aus dem Schatten des Schanzkleides und ergriff Bolithos Arm.»Andernfalls, mein lieber Freund, hätte er die große Güte gehabt, uns an der Schanzkleidpforte zu empfangen, nicht wahr?«Er lachte über die Bestürzung des Leutnants.»Sie, Sir, verdienen hohe Anerkennung für Ihr Ausharren an Bord dieses Schiffes.»
Gemeinsam schritten sie zur Achterkajüte und zogen automatisch die Köpfe ein, obwohl genügend Raum vorhanden war.
Ein Seesoldat schlug die Hacken zusammen und öffnete die Kajütentüre. Seine Augen bewegten sich nicht, bis beide Offiziere über die Schwelle getreten waren.
Colquhoun stand an den Heckfenstern und sah mit offensichtlicher Ungeduld auf seine Uhr.
«Sie sind also gekommen, meine Herren. «Er setzte sich an seinen Tisch.»Endlich.»
Bolitho entspannte sich etwas. Also würde es in diese Richtung laufen. Er antwortete:»Wir hatten in der Nacht widrige Winde, Sir.»
Maulby fügte ruhig hinzu:»Und ich dachte, Sie könnten näher an Land sein, Sir. Wir scheinen hier etwas — hm — abseits zu liegen. «Er blickte zu seinem eigenen Schiff hinüber, das ungefähr eine Fadenlänge von der Bacchante entfernt unruhig rollte.»Aber ich nehme an, daß Sie einen Grund dafür haben, Sir.»
Colquhoun starrte ihn einen Moment an, als ob er die Aufrichtigkeit seiner Worte prüfen wollte. Aber glücklicherweise schien er Maulbys Sarkasmus nicht zu bemerken. Er bellte:»Sehen Sie sich die Karte an. «Sie umstanden ihn, und er bezeichnete die Punkte mit seinem Messingstechzirkel.
«Hier ist der Franzose. Ich habe vor Beginn der Morgendämmerung einen Kutter zur Erkundung ausgeschickt. «Er schaute triumphierend auf.»Jetzt ist also Schluß mit den Spekulationen.»
Bolitho beugte sich tiefer über die Karte. Was für ein ausgezeichneter Platz! Von der westlichen Spitze der Hauptinsel verlief die Kette der Riffe und Sandbänke ungefähr vierzig Meilen nach Norden und vereinigte sich dort mit der berüchtigten Mantilla-Untiefe. Letztere krümmte sich nach Osten wie eine Riesenschlange und umschloß das offene Wasser der sogenannten Little Bahama Bank. An einigen Stellen war das Wasser nur wenige Fuß tief, und die tieferen Stellen waren selten und weit verstreut.
Nach Colquhouns Angaben war das französische Schiff entweder durch eine dieser Sandbänke gefahren oder hatte sie umrundet, um auf der anderen Seite der Insel abzuwarten. Ausgezeichnet für jemanden, der ein Scharmützel vermeiden wollte. Denn an dieser Seite und auch sonst in der Fahrrinne betrug die Tiefe über zweihundert Faden. Jede Hoffnung auf einen Nahangriff wurde durch die steile Küste der Insel zunichte gemacht. Auf der anderen Seite, innerhalb der Little Bahama Bank, war das Wasser sehr seicht, mit sandigem Strand, ideal für einen Kapitän, der sein Schiff überholen und kleinere Reparaturen ausführen wollte.
«Ist Ihr Kutter gesehen worden?«Maulby schaute nicht auf.
«Natürlich nicht!«Colquhoun schien schon bei der Vorstellung ärgerlich zu werden.»Mein Erster Leutnant hatte das Kommando. Er weiß, was mit ihm passieren würde, falls er eine solche Nachlässigkeit zuließe. «Mühsam beruhigte er sich wieder.»Er sah viele Lichter auf dem Wasser. Der Kutter pullte durch die Brandung und dann zwischen zwei Sandbänke, um den Feind bei der Arbeit zu beobachten. Es ist ein großes Schiff, wahrscheinlich eine Vierzig-Kanonen-Fregatte, bei der einige Geschütze entfernt wurden. Sie muß auf Grund gelaufen und beschädigt worden sein, nachdem sie zwischen die Inseln einfuhr.»
Bolitho betrachtete sein Profil. Colquhoun war sehr erregt, darüber gab es keinen Zweifel, auch wenn er sich alle Mühe gab, seine wirklichen Gefühle zu verbergen. Starker Brandygeruch hing in der Luft, und er vermutete, daß der andere bereits heimlich den Sieg gefeiert hatte, den er in der Tasche zu haben glaubte.
Er fragte ruhig:»Was haben Sie vor, Sir?»
Colquhoun schaute ihn fragend an.»Ich nehme fest an, daß der Feind seine Reparaturen beinahe beendet hat. Er wird nun entweder die Reise fortsetzen oder nach Martinique segeln, wenn er schwer beschädigt ist und mehr Hilfe benötigt. In jedem Falle müssen wir sofort handeln, um eine weitere Jagd zu vermeiden.»
«Ich würde einen Bootsangriff vorschlagen, Sir. Wir könnten die Sandbank aus zwei Richtungen überqueren und ihnen den Weg abschneiden, ehe sie merken, was passiert. Mit Männern und Booten von allen drei Schiffen können wir in der Dunkelheit ihren Widerstand brechen.»
Colquhoun sagte leise:»Und Sie hätten selbstverständlich das Oberkommando über die Boote?»
Bolitho errötete ärgerlich.»Ihre Fregatte ist um die Hälfte zu groß, um in diesen seichten Gewässern von Nutzen zu sein, Sir! Wenn der Franzose fliehen will oder beschließt zu kämpfen, werden Sie an Bord benötigt, um Ihr Schiff unverzüglich in Aktion zu setzen.»
«Ruhig, Bolitho. «Colquhoun lächelte freundlich.»Sie reagieren zu hitzig auf meine Worte. Solche Hast deutet eher auf Schuld als auf Überzeugung hin.»
Er drehte sich rasch um, ehe Bolitho antworten konnte.»Sie, Maulby, werden die Fawn heute nacht über die Sandbank bringen, wenn nötig mit Hilfe der Riemen; aber ich wünsche, daß Sie morgen bei Anbruch der Dämmerung in Position sind. «Er beugte sich wieder über die Seekarte.»Wenn der Feind sein Schiff so weit repariert hat, daß er wieder segeln kann, wird er ohne Zweifel hoffen, eine der drei Fahrrinnen zu erreichen. Gegen Norden könnte seine Durchfahrt von widrigen Winden und der Flut behindert werden. Süden ist wahrscheinlicher — in diesem Fall liegt die Bacchante gut, um ihn in Empfang zu nehmen, wenn er um die Landzunge biegt. Wenn er aber immer noch festhängt oder überholt, dann können Sie ihn an Ort und Stelle beschießen. Er wird einsehen, daß es nutzlos ist, zurückzuschießen. Ein paar Treffer sollten genügen, um ihn vollends unbeweglich zu machen, oder zumindest so lange, bis wir da sind und drastischere Maßnahmen ergreifen können. «Er hob einen Finger und drohte in die Luft.»Aber ich kenne diese Franzosen. Sie werden nicht schießen, wenn die Umstände so sehr gegen sie sind.»
Über seinen gebeugten Rücken hinweg blickte Maulby Bolitho an und zuckte mit den Schultern.
Bolitho sagte nichts, weil er wußte, daß Colquhoun auf seinen Protest wartete. Die Sparrow eignete sich viel besser für die von Colquhoun gestellte Aufgabe. Ihre Bewaffnung war schwerer, und ihre Zweiunddreißigpfünder feuerten viel genauer und tödlicher als die schwächere Batterie von Neunpfündern der Fawn. Er wußte jedoch, daß jede Bemerkung nur Colquhouns Andeutung von vorher bestätigen würde, nämlich daß er selbst nach mehr Ruhm und Erfolg strebe.
Maulby fragte langsam:»Werden Sie auch Männer über Land aussenden, Sir?»
Colquhoun schaute sie immer noch nicht an.»Um Gottes willen! Das halte ich für unnötig.»
Bolitho sagte:»Das war ein vernünftiger Vorschlag, Sir. Ich würde eine Bootsaktion bei Nacht vorziehen, aber bei Tageslicht würde eine Gruppe Männer, einschließlich Ihrer Seesoldaten, ohne weiteres. «Er kam nicht weiter.
Colquhoun schnellte hoch wie eine losgelassene Feder.»Genug jetzt! Mein Plan läßt keinen Spielraum für nervöses Herumgehampele auf den Felsen! Der Franzose ist so gut wie besiegt, und ich habe vor, ihn mitsamt der Ladung intakt in den Hafen zu bringen!»
Er entfernte sich vom Tisch und starrte auf eine halbgefüllte Karaffe auf seinem Schreibtisch. Als er danach griff, sah Bolitho, daß seine Hand vor Ärger oder Erregung zitterte. Auch seine Stimme war unruhig, als er fortfuhr:»Und Sie, Bolitho, werden von Norden aus herankommen. Bleiben Sie bis zum Zeitpunkt des Angriffs außer Sicht, dann nehmen Sie mit mir wegen weiterer Order Kontakt auf. «Seine Finger schlössen sich wie Klauen um die Karaffe.»Das ist alles. Mein Sekretär wird Ihnen vor Verlassen des Schiffes noch die schriftlichen Einzelheiten des Angriffs geben.»
Sie verließen die Kajüte und schritten schweigend zum Achterdeck.
Maulby sprach zuerst.»Dies wäre Ihre Angelegenheit, Dick. Ich bin damit einverstanden, daß Sie versuchen, den Feind abzuschneiden, aber auf jeden Fall stünde Ihnen das Kommando zu, wenn Colquhoun die Absicht hat, ablandig zu bleiben.»
Bolitho klopfte ihm auf die Schulter.»Ich wünsche Ihnen allen Erfolg, aber das wissen Sie. Sie sind längst für eine Beförderung fällig, und ich hoffe, dies wird sie Ihnen bringen.»
Maulby grinste.»Ich gebe zu, daß ich mich über diese Chance freue. Aber ich wünschte, ich könnte es mit weniger Bitterkeit tun. «Er blickte nach achtern.»Dieser Mann wird mit seinen verdammten Launen noch mein Tod sein.»
Bolitho biß sich auf die Lippen und versuchte, die richtigen Worte zu finden.
«John, bitte passen Sie gut auf. Ich weiß, daß Colquhoun diesen Sieg verzweifelt gerne möchte, aber ich teile seine Meinung über die Franzosen nicht. Sie kämpfen gut, sie kämpfen mit Mut. Sie geben sich nicht mit leeren Gesten zufrieden, noch nicht einmal angesichts von Kanonendonner.»
Maulby nickte mit ernsten Augen.»Keine Sorge. Wenn der Franzose beschließen sollte, mit mir Geschütz gegen Geschütz zu kämpfen, werde ich abdrehen und auf Unterstützung warten.»
Bolitho zwang sich zu einem Lächeln. Maulby log, um ihm seine Sorgen zu erleichtern. Er log genauso, wie er es wahrscheinlich unter den gleichen Umständen getan hätte. Vor und nach einer Seeschlacht hatte man immer Zeit für Überlegungen und Gegenvorschläge, war man aber einmal mitten drin, dann gab es nur noch einen Gedanken: zu kämpfen, und so lange weiterzukämpfen, bis der Feind geschlagen war oder sich das Schicksal gegen einen wandte.
«Boote längsseits!«Der Erste Leutnant grüßte sie mit einem müden Lächeln.»Ist es vorüber, Sir?»
Maulby hielt seine schriftlichen Befehle in die Höhe.»Aye, geschafft.»
Der Leutnant seufzte.»Ich habe eine kleine Skizze gemacht, die Ihnen vielleicht nützlich sein kann. Die Gezeiten sind dort sehr schlecht, und die Dünung ist nicht besser. Aber wenn es dem Franzosen gelungen ist, hineinzukommen, sollten Sie weniger Schwierigkeiten haben.»
Die beiden Gigs hatten mit Haken an den Fallreeps festgemacht, und Bolitho sagte mit plötzlicher Dringlichkeit:»Ich will sofort in See gehen, wenn ich bei Anbruch der Morgendämmerung auf Position sein muß. «Er streckte seine Hand aus.»Ich wünschte, ich könnte mit Ihnen kommen.»
Maulby erwiderte den Händedruck.»Ich auch. «Er grinste.»Aber wenigstens wird Ihnen der Anblick erspart bleiben, wie die Fawn Colquhoun mit einem Schlag reich und berühmt macht.»
Stockdale stand mit verwunderten Augen auf, als Bolitho am Fallreep der Fregatte hinunterkletterte. Als das Boot abstieß und die Riemen den Rhythmus fanden, zischte er:»Wir kämpfen also nicht, Sir?»
Bolitho seufzte. Geheime Befehle, Schlachtpläne, dies bedeutete nichts auf dem Mannschaftsdeck. Stockdale hatte die Gig nicht verlassen, aber er und wahrscheinlich jeder Küchenjunge in der Flotte wußte, was gespielt wurde.
«Diesmal nicht, Stockdale.»
Er hatte Colquhouns Zurechtweisung schon vergessen, den berechnenden Versuch, einen Keil zwischen ihn und Maulby zu treiben. Er überlegte sich die Aufgabe der Fawn, die Erfolgschancen des Angriffs.
«Das ist nicht gerecht, Sir. «Stockdale brummte ärgerlich an der Pinne.
Bolitho blickte ihn an.»Kümmere dich um deine Arbeit! Ich habe heute von Ränkespielen mehr als genug!»
Stockdale beobachtete die eingezogenen Schultern des Kapitäns, die Art, wie er seinen Säbel festhielt, so daß man durch seine sonnverbrannte Haut die Knöchel weiß durchscheinen sah. Es hat keinen Wert, mir etwas vorzumachen, mein Junge — es ist trotzdem nicht gerecht, und was noch schlimmer ist, du weißt es auch, dachte er. Dann legte er Ruder und steuerte direkt auf die Sparrow zu.
Als der Bugmann am Fallreep anlegte, drehte sich Bolitho abrupt um und sagte:»Aber trotzdem vielen Dank für deine Besorgnis.»
Stockdale stand mit der Mütze in der Hand da, während Bolitho nach der Strickleiter griff. Er grinste seinen Rücken an.»Danke, Sir!»
Tyrell scheute sich ebenfalls nicht, seine Gedanken auszusprechen.»Das ist aber eine seltsame Wahl! Commander Maulby ist ein guter Offizier, aber.»
Bolitho drehte sich um.»Bereiten Sie das Schiff zum Segelsetzen vor. Setzen Sie die Royals, sobald wir Fahrt machen, denn ich möchte mit dem vorhandenen Wind so viel Geschwindigkeit wie möglich machen!«Er lenkte wieder ein.»Tun Sie, was ich sage, Mr. Tyrell, und Schwamm drüber.»
Buckle schlenderte über das Deck, als Bolitho hinuntereilte, um seinen schweren Uniformrock auszuziehen.»Was halten Sie davon, Mr. Tyrell?»
Tyrell runzelte die Stirn.»Dieser verdammte Colquhoun! Ich konnte ihn nie leiden. Genauso wie der verfluchte Ransome, seine Augen sind Schlitze, durch die der Teufel schaut!»
Buckle schüttelte den Kopf.»Der Kapitän ist besorgt, daran besteht kein Zweifel.»
«Nicht seinetwegen. «Tyrell beobachtete die Männer, wie sie an den Bootstaljen arbeiteten, als die Gig über das Schanzkleid gefiert wurde.»Das ist ebenfalls sicher.»
Bolithos scharfe Stimme kam durch das Skylight.»Falls Sie fertig sind, meine Herren, wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sich an meine Befehle halten würden!»
Buckle schaute Tyrell an und lächelte dümmlich.»Typisch! Unser Dick ist keiner, der zu lange grübelt.»
Innerhalb einer Stunde war die Sparrow geisterhaft langsam auf ihrem Kurs nach Nordwest, alle Segel gesetzt, und ließ ihr Schwesterschiff immer weiter achteraus.
Der Wind frischte langsam auf, und als die ersten Sterne über den Masten erschienen, hatten sie schon fast fünfzig Meilen zurückgelegt. Zurück auf demselben Kurs, auf dem sie in der vergangenen Nacht mit solcher Eile versucht hatten, Colquhoun zu treffen.
Aber da war nichts zu machen, und einige freuten sich sogar innerlich, daß ihnen die beschwerliche Fahrt durch die Sandbänke erspart blieb.
Auf dem Achterdeck lehnte sich Leutnant Graves gegen die Reling, halb beobachtete er die lose flappenden Segel, halb hörte er dem Ächzen des Steuers zu oder den Stimmen der Seeleute auf Wache. Er dachte an sein Zuhause in Chatham und an die Neuigkeiten, die er mit einem seltenen Brief aus England erhalten hatte. Seine Familie war keine Seefahrerfamilie. Sein Vater besaß einen kleinen, aber gutgehenden Gemüseladen, dort waren Graves und seine Schwester geboren und aufgewachsen. Seine Mutter, eine kränkliche Frau, war ein Jahr, bevor die Sparrow auslief, gestorben, und in den letzten Jahren hatte sein Vater offensichtlich zu trinken begonnen. Das Geschäft war verschuldet, und seine Schwester hatte, wahrscheinlich aus Verzweiflung, einen verarmten Leutnant der Armeegarnison geheiratet.
Sie hatte in ihrem Brief um Geld gebeten, nicht für sich selbst, sondern um ihren Vater nicht in den Schuldturm zu bringen. Graves hatte alles geschickt, was er besaß, und das war wenig genug. Sein Anteil am Prisengeld der Sparrow würde natürlich viel helfen, aber so lange er keine neuen Informationen von zu Hause erhalten hatte, war er nicht geneigt, es zu überweisen; schließlich hatte er es sich hart erarbeitet. Wenn er doch nur besser für die Gepflogenheiten der Marine geformt worden wäre! Wie zum Beispiel der Kapitän, dessen Seefahrerfamilie und berühmte Ahnen ihn von Männern wie ihm trennten. Oder sogar Tyrell, der aller Autorität gegenüber so gleichgültig war, obwohl er sich dies weiß Gott nicht leisten konnte. Er konnte sich genau erinnern, wie Tyrells Schwester an Bord gekommen war. Sie waren in Kingston, Jamaika, gewesen, wo sie bei Freunden gelebt hatte, um abzuwarten, bis die Schwierigkeiten, wie sie es nannte, in Amerika vorüber seien. Ein lebhaftes, lebendiges Mädchen, ohne die gleichgültige Einstellung Tyrells. Graves war sie wie eine Art Engel erschienen, die Erfüllung all seiner Träume. Sie kam aus einer alteingesessenen und wohlhabenden Familie, und als seine Frau hätte sie ihm die Chance gegeben, sich zu verbessern, seinen rechtmäßigen Platz in der Welt zu finden, anstatt unsicher und vorsichtig zu bleiben. Tyrell hatte seine Absichten klar erkannt, sie jedoch weder unterstützt noch sich offen dagegen ausgesprochen. Dann hatte diese kleine Närrin einen Streit mit Kapitän Ransome wegen eines Mannes angefangen, der bestraft werden sollte. Graves konnte sich nicht mehr erinnern, ob die Bestrafung gerechtfertigt war oder nicht, es machte ihm auch nichts aus. Ransome war sehr schlau vorgegangen und hatte seinen beträchtlichen Charme benutzt, um den Widerstand des Mädchens zu brechen, seine eigenen Chancen zunichte zu machen und sie ihrem Bruder völlig zu entfremden. Aber Graves machte immer noch Tyrell verantwortlich, haßte ihn, wenn er an sie dachte und wie sie ausgesehen hatte, als Ransome sie schließlich in Antigua an Land gesetzt hatte.
Er umklammerte die Reling, bis der Schmerz ihn wieder beruhigte. Wo sie wohl war? Jemand hatte gesagt, sie sei wieder nach Amerika gesegelt, andere erwähnten einen vorüberfahrenden Indienfahrer nach Trinidad. Ob sie wohl jemals an ihn dachte? Ärgerlich mit sich selbst, daß er nach so langer Zeit noch zu hoffen wagte, drehte er sich um. Warum konnte er nie zufrieden sein, wenn es am nötigsten war? Vielleicht war er zu lange in diesem verdammten Gemüseladen gewesen, hatte seinen Vater über Qualität reden hören, hatte gesehen, wie er sich vor Kunden verbeugte und erniedrigte, deren unbezahlte Rechnungen größer waren als seine eigenen Schulden.
Die Sorge um seine Schwester, seine eigene Unsicherheit, hatten auch auf andere Weise ihren Tribut gefordert. Er hatte es nach dem Gefecht mit der Bonaventure gefühlt, obwohl er mit den geretteten Passagieren an Bord der Sparrow gewesen war. Angenommen, der Kapitän hätte es nicht geschafft, sie lange genug zu entern, um seinen verrückten Plan auszuführen? Hätte er die Kraft gehabt, die Sparrow gegen seine Befehle zu wenden und Bolitho und seine Männer zu retten? Wenn nicht Buckle und einige andere gewesen wären, bezweifelte er sehr, ob er es getan hätte, selbst als die beiden miteinander verbundenen Schiffe in Flammen aufgingen. Sie hatten die große Rauchwolke selbst am Horizont gesehen.
Und später, als sie bei den anderen Prisen längsseits gegangen waren und mit Freibeutern Schüsse wechselten, hatte er gefühlt, daß sich Furcht in seinem Innern breitmachte wie eine schleichende Krankheit. Niemand hatte es bemerkt. Bis jetzt. Er schüttelte sich und ging nach Luv hinüber, versuchte, in der kühlen Brise einen klaren Kopf zu bekommen.
Die beiden Fähnriche standen an den Leewanten, und Bethune sagte ruhig:»Mr. Graves scheint sich Sorgen zu machen.»
Der neue Fähnrich, Fowler, ignorierte den Kommentar.»Hör mal…«Er lispelte, was noch stärker hervortrat, wenn er versuchte, vor seinen Vorgesetzten unschuldig zu erscheinen. Jetzt merkte man es kaum.»Ich muß morgen das Deckscheuern überwachen.»
Bethune beobachtete den Leutnant.»Ich weiß. Du bist an der Reihe.»
Fowler zeigte lächelnd seine kleinen Zähne.»Tu du es für mich. Wenn wir wieder zur Flotte zurückkehren, werde ich mit dem Admiral sprechen.»
Bethune starrte ihn an.»Meinetwegen?«»Vielleicht.»
Bethunes Dankbarkeit war mitleiderregend.»Oh, wenn ich nur… «Er nickte.»Ja, ich werde mich um die Arbeiten kümmern. Wenn ich sonst noch etwas tun kann.»
Der junge Mann betrachtete ihn kalt.»Ich werde es dich wissen lassen.»
Überall auf dem Schiff gab die Mannschaft ihren Hoffnungen und Träumen auf ihre eigene Art Ausdruck.
In seiner Kajüte saß Tyrell auf seiner Seekiste und massierte sein verwundetes Bein, während jenseits des Schotts Bolitho den Brief an seinen Vater beendete. In der schwach erleuchteten Offiziersmesse döste Dalkeith über einem Glas Rum und hörte Buckle zu, der wieder einmal eine Geschichte von der einen oder anderen Frau aus Bristol erzählte, während der junge Heyward ihm mit geschlossenen Augen lauschte. Ganz vorn am Bug lehnte Yule, der Feuerwerker, mit von Wind und Gischt zerzaustem Haar, eine Flasche zwischen den Knien; seine verwirrten Gedanken galten Tilby und den guten Zeiten, die sie zusammen erlebt hatten. Ganz unten in den Laderäumen, im Licht einer Laterne an der niedrigen Decke, inspizierte Lock, der Zahlmeister, eine Kiste Zitronen. Er prüfte jede einzelne wie ein Räuber sein Beute, während er Notizen in ein Heft machte.
Und mit ihrer fahlen Leinwand beschützte die Sparrow sie alle, ungeachtet ihrer verschiedenen Sorgen und Freuden, gleichgültig sogar der See gegenüber. Denn sie brauchte keinen von ihnen und schien zufrieden.
Sobald Bolitho das Achterdeck betrat, bemerkte er, daß der Wind sich gegen sie wandte, und zwar rasch. Er hatte tief geschlafen, als ein Steuermannsmaat in die Kajüte gekommen war, um ihm zu melden, daß Leutnant Heyward um seinen Rat ersuche.
Die mittlere Wache war erst halb vorbei, und die Sterne schienen sehr hell über den Ausgucks, aber als er mit bloßen Füßen unhörbar über die feuchten Planken eilte, hörte er die Topsegel heftig schlagen, fast schien es ihm eine Antwort auf das Ächzen der Stagen und Wanten zu sein.
Buckle stand neben dem Steuer, wie er selbst trug auch er nur seine Kniehosen; ein Beweis, wenn das noch nötig war, daß Heyward erst dann Hilfe geholt hatte, als es schon fast zu spät war.
«Nun?«Er blickte kurz auf das schräge Kompaßgehäuse und sah die Augen der Rudergänger schwach im Licht des Kompaßhauses glühen.»Ich warte, Mr. Heyward.»
Er wollte den jungen Leutnant nicht verwirren, und zu jeder anderen Zeit hätte er seinen Wunsch verstanden, die eigene Wache zu gehen, ohne Unsicherheit zu zeigen. Aber dies war nicht die rechte Zeit, und in diesen gefährlichen Gewässern würden sie schnell handeln müssen.
Heyward erklärte:»Der Wind räumte einen Strich oder so, und ich ließ meine Wache die Rahen fieren. «Er deutete vage über seinen Kopf.»Aber er wird immer stärker, ich fürchte, wahrscheinlich von Nordost.»
Buckle murmelte:»Wir werden niemals rechtzeitig den Kurs ändern können, um die Spitze der Sandbänke zu erreichen, Sir. «Er betrachtete den Kompaß.»Nie!»
Bolitho rieb sich das Kinn, er fühlte, wie der Wind über seine nackten Schultern strich. Heyward war sehr unklug gewesen, der Sparrow so ihren Willen zu lassen. Vielleicht hatte er erwartet, daß sich der Wind wieder drehen würde, wie so oft in diesen Gewässern; was er auch gedacht oder gehofft hatte, jedenfalls zeigte der Bug jetzt fast nach Nordnordwest, und das Schiff hielt auch diesen Kurs nicht sehr gut. Jede Minute entfernte sie mehr von der Sandbankkette, und es würde Stunden erfordern, bis sie sich mit Kreuzen wieder zurückgekämpft hatten auf die Position, die Colquhoun angegeben hatte. Heyward sagte kläglich:»Tut mir leid, Sir — ich dachte, ich könnte sie halten.»
Bolitho dachte angestrengt nach.»Sie können nichts für den Wind. Aber Sie müssen lernen, mich in Zukunft sofort zu holen, wenn Sie sich unsicher fühlen. Ich werde deshalb nicht schlechter über Sie denken. «Er blickte Buckle an.»Was halten Sie davon? Es sind noch vier Stunden bis zur Dämmerung.»
Buckle war unzugänglich.»Unmöglich. «Er seufzte.»Ich fürchte, wir müssen hart am Wind bleiben und in ungefähr drei Stunden wenden.»
Bolitho stellte sich die Seekarte vor und erinnerte sich an die nächsten Sandbänke, an die Gezeiten.
«Befehlen Sie alle Mann an Deck, Mr. Heyward. Wir wenden sofort.»
«Aber, Sir!«Buckle schien besorgt.»Wir werden niemals unseren vorgeschriebenen Kurs erreichen! Mit einem beständig wehenden Nordost ist es nicht möglich!»
Bolitho hörte das Schrillen der Bootsmannspfeifen unter Deck, das plötzliche Getrampel von Füßen auf Niedergängen und Leitern.»Ich stimme Ihnen zu, Mr. Buckle. Aber ich habe vor, durch die Sandbänke zu fahren. «Er blickte Tyrell an, der gerade auftauchte.»Wenn wir hier bleiben, werden wir niemals Hilfe anbieten können, falls diese bei Tagesanbruch benötigt wird. Wenn wir einmal hinter der Sandbank sind, werden wir zumindest den Wind ausnützen können, sobald sich Gelegenheit dazu ergibt.»
Graves rannte zum Achterdeck, seine Füße schienen im Vergleich zu den flüsternden Stimmen sehr laut zu sein. Offensichtlich hatte er Zeit gefunden, seine Schuhe anzuziehen.
Bolitho sagte:»Nun gut. Lotgasten in den Bug, dann lassen Sie die Royals und die Marssegel wegnehmen. «Er sprach und dachte schnell.»Sagen Sie dem Bootsmann, er soll die Riemen losmachen lassen, falls der Wind ganz aufhört.»
Tyrell nickte.»Aye, aye, Sir. Ich glaube, wir haben eine faire Chance, durchzukommen. Die Flut ist auf unserer Seite. «Er zögerte.»Wenn sie zurückgeht, könnte es beschwerlich für uns werden.»
Bolitho lächelte trotz seiner Gedanken.»Gut gesprochen!»
Schreie ertönten vom Geschützdeck, wo Unteroffiziere ihre Ausgucks und Männer für die Brassen abzählten. Die meisten von ihnen kannten das Schiff so gut, daß die Dunkelheit keinen oder fast keinen Unterschied machte.
Bolitho nickte.»Segel reffen, Mr. Tyrell. «Er senkte seine Stimme.»So schnell wie möglich.»
Innerhalb von Minuten war sämtliche Leinwand von den oberen Rahen verschwunden, und die Sparrow hob und senkte sich mit laut im Wind knatternden Großsegeln in einer ungemütlichen Dünung.
Bolitho griff nach den Luvwanten, beobachtete die feinen Gischtstreifen, die über das Schanzkleid flogen, und den extremen Winkel der Rahen, als Buckle mit Ruder und Segeln versuchte, das Schiff so hart am Wind zu halten, wie er es gerade noch wagen konnte. Und die ganze Zeit überlegte er rasch. Sobald das Schiff auf Kurs war, würde der nächste Streifen der Sandbänke und Untiefen ungefähr zehn Meilen vor dem Bug liegen.
Eine falsche Einschätzung der Geschwindigkeit oder Entfernung oder eine falsche oder ungenaue Beschreibung auf der Karte genügte, um sie auflaufen zu lassen. Niemand konnte ihn dafür zur Verantwortung ziehen, wenn er seinen ursprünglichen Befehlen gehorchte und dabei vom Wind abgetrieben wurde. Colquhoun würde sich wahrscheinlich sogar freuen, ihn möglichst weit weg zu haben, wenn auch nur aus dem Grund, die Sparrow nicht einmal als Zuschauer beim Schlußakt dabeizuhaben. Dafür, daß er seine genauen Befehle mißachtete, konnte er bestraft werden, aber mit etwas Glück würde er in besserer Position sein, um der Fawn helfen zu können, wenn der Franzose zu kämpfen beschloß. Bei dem Wind, der von Nordosten auffrischte, würde Colquhoun selbst Schwierigkeiten haben, zu gegebener Zeit auf Position zu bleiben, und das allein konnte schon als Entschuldigung für Bolithos Handeln gelten.
«Fertig, Sir.»
Er biß die Zähne zusammen.»Ruder legen!«Er fühlte, wie die See in einer starken Gegenströmung gegen den bewachsenen Kiel prallte.»Ruder liegt, Sir!»
Durch die Dunkelheit sah er, wie die Marssegel wild flappten, hörte das Getrappel von Füßen, als die Männer stetig an den Brassen pullten, um die Rahen herum-zuschwingen.
«Hol über die Schoten!»
Graves' heisere Stimme dröhnte über Leinwand und Blöcken.»Großsegel dicht!»
Ein Mann stolperte in der Dunkelheit, und eine scharfe Stimme stellte die Ruhe auf dem Geschützdeck wieder her.
Bolitho hielt sich in den Wanten fest und schwang mit dem Rumpf herum, als die Sparrow ihren Klüverbaum hob, zögerte, und dann schwerfällig durch den Wind glitt.
«An die Brassen!«Tyrell lehnte sich über die Reling, als ob er jeden einzelnen Seemann in der Dämmerung ausmachen wollte.»Kräftig, Leute! Noch mehr!»
Die Sparrow widerstand noch etwas, dann ging sie mit vollen Segeln auf den neuen Kurs; Gischt spritzte über die Niedergänge und durchnäßte die Männer unten.
Bolitho mußte schreien, um sich in dem Lärm verständlich zu machen:»So hart es geht, Mr. Buckle!»
«Aye, Sir. «Es klang atemlos.»Kurs liegt an!»
Einige unangenehme Minuten, während die Männer an den Niedergängen herumhetzten. Hier und dort mußte ein Tau belegt werden. Die Männer zogen geschäftig an den Fallen, während die Leute am Bug mit Leine und Lot bereitstanden, um mit dem Aussingen zu beginnen.
Schließlich war auch Buckle zufriedengestellt.»Süd zu Ost, Sir!»
«Sehr gut.»
Bolitho spähte zu den hart gebraßten Rahen hinauf. Nicht einmal eine Fregatte konnte so hart am Wind segeln. Kein Schiff konnte das.
Tyrell stapfte auf ihn zu, das Hemd klebte ihm am Körper.»Sie wollten das, nicht wahr, Sir?«Er schrie, aber seine Stimme ging im Getöse des Wassers unter.»Sie machten sich Sorgen um die Fawn?«Er fluchte, als sein Fuß ausrutschte, und rieb dann sein verwundetes Bein.
Bolitho stützte ihn und wartete, bis sich der Rumpf wieder aufgerichtet hatte.
«Langsam, Jethro! Schmerzt es sehr?»
Tyrell zeigte seine Zähne.»Dalkeith sagt, es können noch ein paar kleine Splitter im Knochen sein. Diese Pistolenkugeln bersten manchmal, wenn sie einschlagen. «Er stand unbeholfen auf und grinste.»Es geht schon.»
Bolitho beobachtete, wie die Toppsgasten herabglitten, und sagte dann:»Ja. Ich glaube, ich wollte es. Ich kann meine Furcht nicht erklären. «Er zuckte die Schultern.»Also werde ich es erst gar nicht versuchen. «Er schob seine trüben Gedanken beiseite.»Jethro, ich möchte, daß die Leute jetzt ihr Frühstück bekommen und einen Schluck Rum. Es hat keinen Sinn, bis Tagesanbruch zu warten, sie sind sowieso zu durchnäßt, um zu schlafen. «Er schnippte mit den Fingern.»Dann sollen die Feuer gelöscht und die Leute auf Gefechtsstationen gebracht werden. Wir werden nicht klar zum Gefecht machen, aber ich möchte, daß jeder verfügbare Mann an Deck ist, wenn wir die Sandbank überqueren.»
«Was ist mit Heyward? Werden Sie ihn bestrafen?«Tyrell beobachtete ihn angestrengt.
Bolitho schüttelte den Kopf.»Er hat seine Lektion gelernt, es ist nichts passiert. Als ich ein junger Leutnant war, bin ich einmal auf Wache eingeschlafen. «Seine Zähne schimmerten weiß durch die Dunkelheit.»Ich bin bei Gott nicht stolz darauf, aber ich habe es nie wieder getan!»
Er ging hinüber zum Niedergangsluk.»Ich werde etwas anziehen. Es geht nicht an, daß unsere Leute ihren Kapitän bei Tageslicht so sehen. «Er lachte, und das Lachen klang bis zu einem einsamen Matrosen in der Großrah hinauf.»Ich lebe vielleicht wie ein Wilder, aber ich muß ja schließlich nicht so aussehen!»
Tyrell drehte sich wieder zur Reling um und zog sein Bein hoch, als der Schmerz es durchzuckte. Soeben hatte er wieder einen anderen Bolitho kennengelernt. Nackt bis zur Taille, das schwarze Haar über der Stirn festgeklebt, hatte er genauso jung, wenn nicht jünger als Heyward ausgesehen. In so einem Moment war Tyrell gerührt über seine Sorge für die Leute, genauso wie es ihn beeindruckt hatte, daß er sich von den herannahenden Sandbänken nicht ins Bockshorn jagen ließ.
Heyward kam vom Geschützdeck, um seine Pflicht wieder zu versehen.
Tyrell sagte:»Entlassen Sie die Wache unter Deck. Dann sollen die Unteroffiziere nach achtern kommen.»
Heyward fragte zögernd:»Wird das für mich schlecht ausgehen?»
Tyrell klopfte ihm auf die Schulter.»Bei Gott, nein!«Er lachte über sein Erstaunen.»Sie haben dem Kapitän einen Gefallen getan! Wenn Sie ihn eher gerufen hätten, wäre er gezwungen gewesen, den Kurs zu ändern. Ihr Fehler hat es ihm gestattet, eine andere Richtung einzuschlagen. «Er ging pfeifend weg, seine bloßen Füße verursachten auf den gischtdurchnäßten Planken ein klatschendes Geräusch.
Heyward ging über das krängende Deck zu Buckle ans Steuer.»Ich glaube, das verstehe ich nicht.»
Buckle sah ihn zweifelnd an.»Dann versuchen Sie es nicht erst, das ist mein Rat. «Er schlurfte zum Niedergang und fügte hinzu:»Und das nächstemal, wenn Sie mit meinem Schiff lieber Gott spielen möchten, wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie es zuerst bekanntmachen würden!»
Heyward blickte auf den Kompaß und ging zur Luvseite hinüber. Leutnant der Wache zu sein, hieß mehr, als nur einen Auftrag zu haben. Er betrachtete die gespannten Großsegel und grinste. Das wäre beinahe ins Auge gegangen, und einmal war er vom plötzlichen Wechsel der Ereignisse so überwältigt worden, daß er dachte, das Schiff würde durchgehen und ihn und alle an Bord mit unwiderstehlicher Gewalt entführen. In den letzten Augenblicken hatte er etwas gelernt. Sollte dies alles wieder passieren, so wußte er, was er zu tun hatte. Dessen war er ganz sicher.
Stockdale wartete in der Kajüte mit Bolithos Hemd und fragte ihn, nachdem er ihm ein Handtuch gereicht hatte:»Sind Sie damals wirklich auf Wache eingeschlafen, Sir?»
Bolitho rieb sich Arme und Brust ab und fühlte, wie das Salz auf seinen Lippen wie eine zweite Haut trocknete.
«Beinahe. «Blieb denn vor Stockdale gar nichts verborgen?» Aber wir müssen die Dinge manchmal etwas ausschmücken.»
Er stieg aus seiner tropfnassen Hose und warf sie quer durch die Kajüte. Als er seinen nackten Körper weiter abrieb, lauschte er Heywards gemessenen Schritten an Deck.
Dann sagte er ruhig:»Ich habe einmal von einem Leutnant gehört, der einen Mann auspeitschen ließ, weil er vom Ausguck etwas Falsches berichtet hatte. Danach war der Seemann so eingeschüchtert, daß er bei echter Gefahr den Mund hielt, aus Furcht, wieder geschlagen zu werden. Als Folge davon lief das Schiff auf Grund, und der Leutnant ertrank.»
Stockdale beobachtete ihn aufmerksam.»Geschieht ihm recht. «Er schüttelte eine frische Hose aus und reichte sie hinüber. Ungefähr eine Minute lang sagte er nichts, aber seine Stirne blieb gerunzelt. Dann fragte er:»Und was geschah mit dem Seemann, Sir?»
Bolitho blickte ihn an.»Ich fürchte, er wurde wegen Vernachlässigung seiner Pflicht ausgepeitscht.»
Stockdales zernarbtes Gesicht strahlte in einem breiten Grinsen.»Ich habe wieder mal recht, Sir — nicht wahr? Es gibt keine Gerechtigkeit auf dieser Welt!»
Bolitho setzte sich und zog seine Hose vollends an. Wie schon so oft, hatte Stockdale das letzte Wort gehabt.